Der Wirtschaftsanwalt trägt privat keinen Anzug

Das Tragen von Anzügen, Hemden, Hosen und Schuhen ist auch bei einem Rechtsanwalt der allgemeinen Lebensführung im Sinne des § 12 Nr. 1 EStG zuzurechnen, weil es auch dem menschlichen Bedürfnis nach Bekleidung Rechnung trägt und eine private Nutzungsmöglichkeit bei gelegentlichen besonderen privaten Anlässen, objektiv nicht ganz oder jedenfalls nicht nahezu ausgeschlossen werden kann.

So die Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg im Fall eines Rechtsanwalts, der eben jene Kosten als Werbungskosten geltend gemacht hatte.

Der Kläger war seit 2011 angestellter Rechtsanwalt einer internationalen tätigen Wirtschaftsrechtssozietät.

In der Zeit von April bis Dezember 2011 erwarb der Kläger fünf Anzüge, zwölf Hemden, drei Hosen und zwei Paar Schuhe im Gesamtwert von 3.830,95 €.

In seiner Einkommensteuererklärung für 2011 machte er bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit Werbungskosten u. a. für Berufskleidung in Höhe von 1.278 € geltend. Diesen Betrag hatte der Kläger unter Berücksichtigung von Anschaffungskosten in Höhe von 3.830,95 € und einer dreijährigen Nutzungsdauer ermittelt.

Das beklagte Finanzamt erkannte diesen Werbungskostenabzug nicht an.

Gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid legte der Kläger erfolglos Einspruch ein und erhob gegen die Einspruchentscheidung Klage.

Im Rahmen der Klagebegründung führte insbesondere folgendes aus:

Er habe die Aufwendungen für die Business-Garderobe zwecks Erwerbung von Einnahmen getätigt. Sie seien in zeitlich engem Zusammenhang mit dem Beginn seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt im Anschluss an die Unterzeichnung des Anstellungsvertrages und der Aufnahme seiner Tätigkeit erfolgt. Diese Ausgaben seien durch seine Tätigkeit als Rechtsanwalt aufgrund der Erwartungen und Gepflogenheiten hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes angestellter Rechtsanwälte in internationalen Anwaltssozietäten auch veranlasst gewesen.

Es handele sich um Aufwendungen für Arbeitsmittel und damit um Werbungskosten. Die streitgegenständliche Kleidung stelle berufstypische, nämlich anwaltstypische Kleidung dar.

Diese anwaltstypische Berufskleidung werde als selbstverständlich vorausgesetzt. Das Tragen dieser Kleidung sei üblicher Standard in internationalen Wirtschaftsrechtssozietäten und spiegele die Erwartung der Mandanten an das äußere Erscheinungsbild von Rechtsanwälten wider. Die (anwalts-) adäquate Kleidung solle der Position des Rechtsanwalts Ausdruck verleihen und seiner Tätigkeit den von den Mandanten erwarteten äußeren Rahmen geben. Dem Anwalt einer internationalen Anwaltssozietät sei es nicht möglich, seiner beruflichen Tätigkeit in Freizeitkleidung nachzugehen. So sei bei der Internetpräsenz internationaler Rechtsanwaltssozietäten ohne weiteres ersichtlich, dass ein jeder (männliche) Anwalt auf den dort gezeigten Bildern mit Anzug, Anzughemd und Krawatte zu sehen sei. Dieses sei die übliche und typische Berufskleidung. Die berufliche Verwendungsbestimmung dieser Kleidung komme auch durch ihre Unterscheidungsfunktion zum Ausdruck; durch sie grenzten sich die angestellten Rechtsanwälte vom nichtjuristischen Personal der Sozietät ab.

Auch heute noch gelte für vor Gericht auftretende Rechtsanwälte – neben der Robenpflicht – eine gewohnheitsrechtliche Pflicht zum Tragen einer „Amtstracht“, die ein weißes Hemd mit weißem Langbinder erfordere. Diese standesrechtliche Pflicht sage viel darüber aus, welches (äußerliche) Auftreten von einem Anwalt allgemein erwartet werde.

Die verfahrensgegenständliche Bekleidung erfülle in seinem, des Klägers, Fall nahezu ausschließlich die Funktion als Berufskleidung; eine private Nutzung sei so gut wie ausgeschlossen. Es sei nicht üblich, Anzüge als normale bürgerliche Kleidung zu tragen. Es komme nur ausnahmsweise vor, dass im privaten Kontext Anzug getragen werde, nämlich bei besonders festlichen Anlässen wie Hochzeiten, Konfirmationen etc.; diese kämen typischerweise ein bis drei mal im Jahr vor.

Ein Bürger, der im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nicht darauf angewiesen sei, Anzug zu tragen, besitze regelhaft allenfalls ein bis zwei Anzüge. Es sei unüblich, für solche Anlässe eine größere Anzahl (etwa bis sieben) vorzuhalten. Deshalb sei es kaum möglich, überhaupt hinreichend viele private Anlässe zu finden, um bei den beschriebenen Umständen jeden Anzug im Durchschnitt auch nur mehr als ein einziges Mal zu tragen. So seien die verfahrensgegenständlichen Anzüge nahezu ausschließlich für die berufliche Verwendung bestimmt.

Ähnliches gelte für die Anzughemden, die sich in Schnitt und Musterung/Farbgebung wesentlich von den Freizeithemden unterschieden. Diese in größerer Zahl (mehr als 20) zu privaten Anlässen zu tragen, sei weder üblich noch möglich.

Das Finanzgericht Hamburg hat die Klage abgewiesen, da die Aufwendungen des Klägers für die Anschaffung der Kleidung keine Werbungskosten gemäß § 9 EStG bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit darstellen.

Bei der Ermittlung der Einkünfte sind Aufwendungen als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 S. 1 EStG) oder Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) abzuziehen, wenn sie durch die Einkünfteerzielung veranlasst sind. Eine solche Veranlassung ist dann gegeben, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt sind, d.h. wenn sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer der Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes stehen1.

Die gesetzlichen Abzugstatbestände für Betriebsausgaben und Werbungskosten sind Ausdruck des in § 2 Abs. 2 EStG festgelegten objektiven Nettoprinzips. Nach diesem bemisst der Steuergesetzgeber die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht u. a. maßgebliche objektive finanzielle Leistungsfähigkeit und unterwirft der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich den Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den (betrieblichen/ beruflichen) Erwerbsaufwendungen andererseits.

Umgekehrt folgt aus dem objektiven Nettoprinzip, dass Aufwendungen für die Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG) grundsätzlich nicht abziehbar sind. § 9 EStG ist insoweit eine auf Vermögensminderungen ausgerichtete Einkünfteermittlungsvorschrift, die eine sachgerechte Trennung der Einkommensermittlungssphäre vom Einkommensverwendungsbereich bezweckt.

Stehen Aufwendungen nach den Grundsätzen des Veranlassungsprinzips in keinem ausreichenden Zusammenhang mit einer steuerrelevanten Erwerbsleistung, erfüllen sie nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des Werbungskostenbegriffs gemäß § 9 EStG. Derartige Vermögensminderungen gehören als Privataufwendungen zum Einkommensverwendungsbereich; insofern spricht § 12 Nr. 1 EStG für einen Teilbereich der Einkommensverwendung, die Privatsphäre im engeren Sinne, von nichtabziehbaren Ausgaben, soweit in den dort aufgeführten Abzugsvorschriften nichts anderes bestimmt ist.

Kosten der Lebensführung sind nach Maßgabe des subjektiven Nettoprinzips durch die Vorschriften zur Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums (§ 32a Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 6 EStG) pauschal abgegolten und grundsätzlich dem Anwendungsbereich des § 4 Abs. 4 und des § 9 EStG entzogen, um eine doppelte Berücksichtigung zu vermeiden2.

Aufwendungen für Kleidung sind ebenso wie Aufwendungen für Wohnung und Verpflegung grundsätzlich Kosten der Lebensführung; diese sind nach § 12 Nr. 1 S. 2 des EStG auch dann nicht abzugsfähig, wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen.

Die Anschaffung bürgerlicher Kleidung führt selbst dann nicht zum Werbungskostenabzug, wenn kein Zweifel besteht, dass die konkreten Kleidungsstücke so gut wie ausschließlich im Beruf getragen werden3. Die Berücksichtigung der Aufwendungen für Bekleidung als Werbungskosten scheidet wegen des Abzugsverbots des § 12 Nr.1 S. 2 EStG bereits immer dann aus, wenn die private Benutzung eines Kleidungsstücks als bürgerliche Kleidung im Rahmen des Möglichen und Üblichen liegt. Auch wenn die konkreten Kleidungsstücke ohne die beruflichen Gründe überhaupt nicht angeschafft worden wären und sie der Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen dienen sollen, ist das Tragen bürgerlicher Kleidung jedenfalls auch gleichzeitig deswegen der allgemeinen Lebensführung zuzurechnen, weil es dem menschlichen Bedürfnis nach Bekleidung Rechnung trägt4.

Inwieweit gleichwohl ein etwa gegebener beruflicher Mehraufwand zu berücksichtigen ist, bleibt danach in erster Linie der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen2.

Gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG ist „typische Berufskleidung“ als Werbungskosten abziehbar. Sie liegt vor, wenn sie ihrer Beschaffenheit nach objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Verwendung bestimmt und wegen der Eigenart des Berufs nötig ist5. Dieser in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG ausdrücklich zugelassene Abzug der Aufwendungen für typische Berufskleidung hat nicht nur klarstellenden, sondern auch rechtsbegründenden Charakter; erst aus der Subsumtion unter diese Norm ergibt sich die Abzugsfähigkeit6.

Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen ist die Vorschrift des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG nach Sinn und Zweck der Regelung des § 12 Nr. 1 EStG, zur Wahrung der verfassungsmäßig gebotenen gleichmäßigen Besteuerung der Steuerpflichtigen und nach dem Gebot der Folgerichtigkeit auch restriktiv auszulegen. Nur die durch typische Berufskleidung entstandenen Aufwendungen sind nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG „auch Werbungskosten“, nicht jedoch solche Aufwendungen, die auch anderen Steuerpflichtigen dadurch erwachsen, dass sie während der Ausübung ihres Berufes bekleidet sind7. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG ist demzufolge eine Ausnahmevorschrift, die Aufwendungen für bürgerliche Kleidung in ihrem Regelungsbereich nicht umfasst, da sie nicht zu den „Aufwendungen für typische Berufskleidung“ gehören.

Danach können nur solche Kleidungsstücke zur typischen Berufskleidung gehören, deren Verwendung für Zwecke der privaten Lebensführung aufgrund berufsspezifischer Eigenschaften so gut wie ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzung ist gegeben für Amtstrachten8, den schwarzen Anzug eines Leichenbestatters9 und eines katholischen Geistlichen10, den Frack eines Kellners11, weiße Arztkittel3, den Cut eines Empfangschefs12, uniformähnliche Dienstkleidung der Mitarbeiter einer Luftverkehrsgesellschaft13 sowie für Arbeitsanzüge (z. B. der Bergleute), Schutzhelme, Sicherheitsschuhe, Uniformen.

Ein Abzug als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG kommt demzufolge nur in Betracht, wenn sich der berufsbezogene Teil der Aufwendungen nach objektiven Maßstäben zutreffend und in leicht nachprüfbarer Weise abgrenzen lässt und nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist14.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellen die Aufwendungen des Klägers als angestellter Rechtsanwalt für die Anschaffung von Anzügen, Hemden und Schuhen keine Werbungskosten i. S. d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG dar.

Dies gilt selbst unter Berücksichtigung dessen, dass der Kläger die Kleidung eigens zur Nutzung im Beruf angeschafft, diese ganz überwiegend anlässlich seiner beruflichen Tätigkeit getragen hat und die Aufwendungen infolge der beruflichen Gepflogenheiten besonders hoch sind15.

Bei den von dem Kläger im Streitjahr zu Beginn seiner Tätigkeit als angestellter Rechtsanwalt in einer Wirtschaftssozietät angeschafften Anzügen, Hemden und Schuhen handelt es sich um Kleidungsstücke, wie sie allgemein zur Herrenmode gerechnet werden.

Damit ist diese Bekleidung entgegen der Auffassung des Klägers nicht der typischen Berufskleidung i. S. d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 EStG zuzurechnen. Sie gehört vielmehr zu der Art von Kleidung (Business-Kleidung), die zwar im beruflichen Umfeld des Klägers erwartet wird, die aber ihrer Beschaffenheit nach – auch nach dem Vortrag des Klägers – gleichermaßen bei besonderen privaten Anlässen wie Teilnahme an Empfängen, Geburtstagen, Hochzeiten, Konfirmationen, Besuch einer Oper oder ähnlichen Veranstaltungen getragen werden kann. Die Benutzung einer solchen Bekleidung als normale bürgerliche Kleidung liegt im Rahmen des Möglichen und Üblichen.

Da im Streitfall eine private Nutzungsmöglichkeit der Kleidung objektiv nicht so gut wie ausgeschlossen ist, fehlt es für die Abzugsfähigkeit der insoweit entstandenen Aufwendungen an der erforderlichen Abgrenzbarkeit zu den nicht berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die private Lebensführung nach zuverlässigen objektiven und leicht nachprüfbaren Maßstäben; ohne eine derartige Abgrenzungsmöglichkeit aber ist eine Aufteilung der Aufwendungen und ggf. teilweise Zurechnung zu den Werbungskosten oder Betriebsausgaben mit dem Regelungsgehalt des § 12 Nr. 1 S. 2 EStG unvereinbar16.

Danach können die Aufwendungen des Klägers für die Business-Kleidung, die vorrangig zur Nutzung aus beruflichen Gründen erworben wurde, nicht den Werbungskosten zugerechnet werden, da eine private Nutzungsmöglichkeit auch nur bei gelegentlichen besonderen privaten Anlässen, objektiv nicht ganz oder jedenfalls nicht nahezu ausgeschlossen werden kann.

Das Finanzgericht Hamburg teilt schließlich die von dem Kläger geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den begrenzten Abzug der Aufwendungen für typische Berufskleidung nicht. Mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 GG) wäre es nicht vereinbar, dass Steuerpflichtige, die während der Ausübung ihres Berufes keine Businesskleidung, jedoch ebenso wie der Kläger Jacketts, Hosen, Hemden und Schuhe tragen, die Aufwendungen für ihre Kleidung nicht abziehen können, dem Kläger dies jedoch nur deshalb gestattet würde, weil von ihm das Tragen dieser Kleidungsstücke in anwaltstypischer Ausführung erwartet wird17.

Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 26.03.2014 – 6 K 231/12

  1. BFH, Beschluss vom 04.07.1990 – GrS 2-3/88 []
  2. BFH, Beschluss vom 21.09.2009 – GrS 1/06 [] []
  3. BFH, Urteil vom 06.12.1990 – IV R 65/90 [] []
  4. BFH, Urteil vom 20.03.1992 – VI R 55/89 []
  5. BFH, Urteile vom 09.03.1979 – VI R 171/77; vom 06.12.1990 – IV R 65/90 []
  6. BFH, Urteil vom 20.11.1979 – VI R 143/77 []
  7. Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 10.12.2008 – 7 K 166/08 []
  8. BFH, Urteil vom 24.01.1958 – VI 278/56 []
  9. BFH, Urteil vom 30.09.1970 – I R 33/69 []
  10. BFH, Urteil vom 10.11.1989 – VI R 159/86 []
  11. BFH, Urteil vom 09.03.1979 – VI R 171/77 []
  12. BFH, Urteil vom 18.04.1991 – IV R 13/90 []
  13. Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 09.03.1992 – 4 K 2725/90 []
  14. BFH, Beschlüsse des Großen Senats vom 19.10.1970 – GrS 2/70; vom 27.11.1978 – GrS 8/77; Urteil vom 06.07.1989 – IV R 91-92/87 []
  15. BFH, Urteile vom 06.07.1989 – IV R 91-92/87 []
  16. BFH, Urteil vom 06.07.1989 – IV R 91-92/87 []
  17. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 10.12.2008 – 7 K 166/08 []