1/6 gefährlicher Hund und das fehlende Sachverständigengutachten

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte sich mit der Frage zu befassen, ob ein Hund, der aus Kreuzungen hervorgegangen ist (hier: „Leavitt Bulldog“) automatisch auch als „gefährlicher Hund“ in diesem Sinne zu qualifizieren ist, wenn sich unter dessen Ahnen auch „gefährliche Hunde“ im Sinne der HundeHV befinden.

Das Oberverwaltungsgericht sieht hier keinen Automatismus und hält ein Sachverständigengutachten für erforderlich.

In dem entschiedenen Fall ist der Antragsteller Halter der Hündin „Lilith“, bei der es sich ausweislich der vorgelegten Zuchtpapiere um einen Hund der Züchtung „Leavitt Bulldog“ handelt. Es kam zu einem Bissvorfall, bei dem „Lilith“ einen anderen Hund durch Bisse am unteren Halsbereich und seitlich des Bauches schwer verletzte. Mit sofort vollziehbarer Ordnungsverfügung untersagte der Antragsgegner dem Antragsteller die Haltung von „Lilith“, verfügte deren nachweisliche Abgabe an eine geeignete Person oder Einrichtung und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung innerhalb der gesetzten Frist die Sicherstellung der Hündin sowie die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass der „Leavitt Bulldog“ aus einer Kreuzung der Rassen „English Bulldog“, „Bullmastiff“, „American Bulldog“ und „American Pitbull Terrier“ hervorgegangen sei und „Lilith“ daher als unwiderlegbar gefährlicher Hund im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 HundehV gelte, dessen Haltung gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 HundehV im Land Brandenburg verboten sei. Dagegen hat der Antragsteller Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist. Durch Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt bzw. angeordnet.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Potsdam im einstweiligen Rechtsschutzverfahren – im Ergebnis – bestätigt.

Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei „Lilith“ um keinen gefährlichen Hund im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 HundehV handele und sie auch keine Kreuzung mit einer nach § 8 Abs. 2 HundehV als gefährlich geltenden Hunderasse sei. Der „Leavitt Bulldog“ stelle keine von der Fèdèration Cynologique Internationale (FCI) anerkannte Rasse dar. Ob dieser Umstand genüge, um diese Züchtung nicht als eigenständige Rasse oder Gruppe und damit überhaupt als Rasse bewerten zu können, sei im Eilrechtsschutzverfahren nicht abschließend klärbar und müsse gegebenenfalls einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der „Leavitt Bulldog“ keine eigene Rasse sei, es sich vielmehr um eine Kreuzung handele, unterfalle er nicht der Regelung des § 8 Abs. 2 HundehV. Derartige Hunde seien nach den Angaben des Züchters David Leavitt unter der Bezeichnung „Olde English Bulldogge“ Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts gezüchtet worden. Die Zucht habe sich zu ½ aus „English Bulldog“, zu 1/6 aus „Bullmastiff“, zu 1/6 aus „American Bulldog“ und zu 1/6 aus „American Pitbull Terrier“ zusammengesetzt, wobei seit 1976 kein weiterer Pitbull mehr eingezüchtet worden sei. Um sich vor unautorisierten Nachzuchten zu schützen, habe der Züchter die Bezeichnung in „Leavitt Bulldog“ geändert, während andere Zuchtverbände die Zucht unter dem Namen „Olde English Bulldogge“ fortgesetzt hätten.

Bei Zugrundelegung der Angaben des Züchters David Leavitt sei davon auszugehen, dass die Tiere, zu denen Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts sowohl die „Olde English Bulldogge“ als auch der „Leavitt Bulldog“ gehört hätten, bereits Mischlinge gewesen seien. Die von der angegriffenen Ordnungsverfügung betroffene Hündin sei damit kein unwiderlegbar gefährlicher Hund im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 HundehV, weil er weder aus Kreuzungen der in § 8 Abs. 2 HundehV aufgeführten Rassen oder Gruppen untereinander noch aus Kreuzungen von Hunden der in § 8 Abs. 2 HundehV aufgeführten Rassen oder Gruppen mit anderen Hunden hervorgegangen sei. Wortlaut und Grammatik der zitierten Regelung setzten voraus, dass ein Elternteil des zu beurteilenden Hundes ein Hund der in § 8 Abs. 2 HundehV aufgeführten Rassen oder Gruppen, d.h. reinrassig sei (so genannte F1-Generation). Diese Betrachtungsweise entspreche auch dem Sinn und Zweck der Norm, nämlich der Eindämmung der auf Grund ihrer Rassezugehörigkeit als gefährlich erachteten Hunde. Komme es bei diesen Hunden maßgeblich darauf an, dass nicht eine festgestellte oder vermutete potentielle individuelle Gefährlichkeit eines Hundes, sondern ein genetisches Potential – beim Hinzutreten weiterer Umstände – die aufgelisteten Hunde zu einer Gefahr werden lassen könnte, so liege es in der Logik des Gedankens, dass eine derart begründete abstrakte Gefährlichkeit sich mit fortschreitender Abnahme des genetischen Potentials durch wiederholte Kreuzungen mit anderen Hunden im Zuge der Generationen zunehmend verflüchtige. Wollte man dagegen unter Kreuzungen im Sinne des § 8 Abs. 2 HundehV sämtliche Nachfahren eines reinrassigen gefährlichen Hundes unabhängig vom jeweiligen Verwandtschaftsgrad verstehen, wäre der nahezu grenzenlosen und damit unverhältnismäßigen Ausweitung der Vorschrift Tür und Tor geöffnet.

Der Antragsgegner wendet gegen diese Rechtsprechung nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts zutreffend ein, dass bei richtiger Betrachtungsweise von dem Tatbestandsmerkmal der „Kreuzungen“ im Sinne von § 8 Abs. 2 HundehV neben den direkten Abkömmlingen auch sämtlichen Nachfahren eines reinrassigen gefährlichen Hundes erfasst würden. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Begriff der „Kreuzungen“ in § 8 Abs. 2 HundehV sei eng auszulegen und erfasse lediglich den aus der erstmaligen Paarung eines reinrassigen gefährlichen Hundes im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 HundehV mit einem anderen Hund hervorgegangenen Mischling, nicht jedoch Hunde, die, wie der des Antragstellers, von einem derartigen Mischling abstammten, ist weder mit dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 HundehV noch mit dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift zu vereinbaren.

Unter dem Begriff der Kreuzung in dem hier maßgeblichen biologisch-zoologischen Sinn wird allgemein das Ergebnis der geschlechtlichen Fortpflanzung zwischen Tieren unterschiedlicher Arten oder Rassen verstanden (vgl. wikipedia.de „Kreuzung [Genetik]“). Dabei ist es ohne Bedeutung, in welcher Generation und mit welchem Erbteil das Tier von dem einer Art oder Rasse zuzuordnenden Vorverfahren abstammt. Eine Unterscheidung erfolgt insoweit lediglich durch die Einordnung in bestimmten Generationen, etwa Nachkommen der F1-, F2-, F3-, usw.- Generationen1. Diese Wortlautauslegung steht im Einklang mit der übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung zu den wortgleichen Bestimmungen in den entsprechenden Gefahrenabwehrvorschriften anderer Bundesländer2.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der brandenburgische Verordnungsgeber in § 8 Abs. 2 HundehV abweichend von diesem allgemeinen Begriffsverständnis mit dem in Rede stehenden Tatbestandsmerkmal nur – wie das Verwaltungsgericht meint – Mischlingshunde der F1-Generation erfassen wollte. Hätte er eine solche Einschränkung beabsichtigt, wäre zu erwarten gewesen, dass er angesichts des ihm bekannten weitergehenden Begriffsverständnisses der wortgleichen Bestimmungen in den entsprechenden Gefahrenabwehrvorschriften anderer Bundesländer eine einschränkende Formulierung (z.B. „erstmalige Kreuzung“) gewählt hätte. Das hat er nicht getan. Vielmehr hat er durch die Verwendung des Begriffs im Plural („Kreuzungen“) deutlich gemacht, dass damit nicht nur der aus der Verpaarung zweier Rassehunde oder der Kreuzung eines solchen Hundes mit einem anderen Hund unmittelbar hervorgegangene Mischlingshund, sondern auch die Mischlinge der nachfolgenden Generationen erfasst werden sollten1.

Auch Sinn und Zweck der Norm sprechen für dieses allgemeine Begriffsverständnis. Das Verwaltungsgericht führt zwar im Ansatz zutreffend aus, dass der Verordnungsgeber unter dem Gesichtspunkt der abstrakten Gefährlichkeit die Verbreitung der in der Rasseliste des § 8 Abs. 2 HundehV genannten Hunde eindämmen will und hierfür nicht eine festgestellte oder vermutete konkrete Gefährlichkeit eines einzelnen Hundes, sondern das genetische Potential maßgeblich ist, das die gelisteten Hunde – bei Hinzutreten weiterer Umstände – zu einer konkreten Gefahr werden lassen könnte. Indes rechtfertigt die These des Verwaltungsgerichts, dass sich das genetische Potential der als gefährlich eingestuften Hunderassen durch wiederholte Kreuzungen „mit anderen Hunden“ im Zuge der Generationen zunehmend verflüchtige, es nicht, neben den reinrassigen gefährlichen Hunden lediglich die aus den Kreuzungen mit solchen hervorgegangenen Hunde der so genannten F1-Generation als abstrakt gefährlich anzusehen. Diese Argumentation trägt hier bereits deshalb nicht, weil die Züchtung „Leavitt Bulldog“ auf bekannten Verpaarungen mit einem 1/6-Anteil des „American Pitbull Terrier“ beruht, die genetisch hochgradig uniforme Züchtigungsergebnisse bedingen dürften. Unbeschadet dessen lässt das Verwaltungsgericht außer Acht, dass selbst bei einem geringen Erbanteil sich die besondere Gefährlichkeit vererbt haben kann und – um einem Unterlaufen der Gefahrenabwehrnorm vorzubeugen – mit dem nicht näher eingeschränkten Begriff der „Kreuzungen“ auch etwaige über mehrere Erbgänge manifestierte Aggressionspotentiale von Mischlingshunden erfasst werden sollten, die zu einer übersteigerten Aggressionsbereitschaft führen oder zum Anlass genommen werden, eine solche anzuzüchten.

Nach alldem sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Potsdam nicht nur Mischlingshunde der F1-Generation, sondern auch der nachfolgenden Generationen als „Kreuzungen“ grundsätzlich in den Regelungsbereich des § 8 Abs. 2 HundehV einzubeziehen, soweit sie, wie die „Leavitt Bulldog“-Hündin „Lilith“ mit einem unbestrittenen 1/6-Anteil des „American Pitbull Terrier“, von einem nach § 8 Abs. 2 HundehV gelisteten Hund abstammen.

Indes vermag die von dem Antragsgegner zu Recht gerügte verwaltungsgerichtliche Auslegung der Beschwerde deshalb nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil der angefochtene Beschluss aus anderen Gründen aufrechtzuerhalten ist. Nach § 146 Abs. 4 S. 3 VwGO hat der Beschwerdeführer die Gründe darzulegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben „ist“. Damit hat der Gesetzgeber auch die Ergebnisrichtigkeit des Beschlusses als Prüfungsmaßstab vorgegeben3. Hieran gemessen zeigt die Beschwerde keinen Aufhebungs- oder Änderungsbedarf auf.

Wenn auch der Normengeber mit der Begriffsformulierung „Kreuzungen“ im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr eine möglichst vollständige Erfassung der Hunde, die den in § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 HundehV aufgezählten Rassen vergleichbar sind, anstreben darf, ist doch in den Blick zu nehmen, dass die die Gefährlichkeit begründenden Rassemerkmale nicht ohne weiteres vorliegen, wenn es sich um von den reinrassigen Hunden entferntere Kreuzungen handelt. In einem solchen Fall kann entgegen der Auffassung des Antragsgegners allein die Tatsache, dass – wie bei der „Leavitt Bulldog“-Hündin „Lilith“ – unstreitig ein (sich nicht zunehmend verflüchtigendes genetisches) Potential einer gefährlichen Hunderasse im Sinne des § 8 Abs. 2 HundehV vorhanden ist, noch nicht für die Einstufung als gefährlicher Hund genügen, weil damit auch solche Mischlingshunde erfasst würden, die zwar mit einer der in § 8 Abs. 2 HundehV gelisteten Hunderasse genetisch verwandt sind, jedoch keines der diese Rasse prägenden Merkmale aufweisen, die maßgeblich die Gefährlichkeitseinstufung rechtfertigen. Insoweit bedarf es einer einschränkenden Auslegung der tatbestandserweiternden Formulierung „Kreuzungen“ in § 8 Abs. 2 HundehV dahingehend, dass eine Kreuzung vom Regelungszweck der Norm nur erfasst ist, wenn der daraus hervorgehende Mischlingshund nach seiner Erscheinung die Merkmale mindestens einer der in § 8 Abs. 2 HundehV genannten Rassen zeigt. Der Einwand des Verwaltungsgerichts, dass dann die Vermutung der abstrakten Gefährlichkeit späterer Generationen als der F1-Generation an bloßen Zufälligkeiten der jeweiligen Vererbung, nämlich daran, welches Aussehen bei einem Tier zu beobachten sei, hinge, lässt außer Betracht, dass die Einstufung der Gefährlichkeit eines Mischlingshundes nach seinem Erscheinungsbild sich nicht nach Zufälligkeiten richtet, sondern die Feststellung prägender, die abstrakte Gefährlichkeit begründender Rassemerkmale einer gelisteten Hunderasse nach § 8 Abs. 2 HundehV auf Grund einer phänotypischen Betrachtung erfordert, die einer Rassebestimmung ohnehin eigen ist.

Ob die „Leavitt Bulldog“-Hündin „Lilith“ in ihrem Erscheinungsbild wesentliche Züge eines unstreitig mit ihr verwandten „American Pitbull Terrier“ im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 HundehV aufweist und damit eine „Kreuzung“ im Sinne des § 8 Abs. 2 HundehV ist, vermag der Senat nach den begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des summarischen Verfahrens nicht zu beurteilen, sondern bedarf der Begutachtung durch einen Sachverständigen4. Angesichts dessen fehlt es an einer ausreichenden Tatsachengrundlage für die angegriffenen behördlichen Maßnahmen. Dies geht im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zu Lasten des Antragsgegners, weil er bisher die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht veranlasst hat. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg geht davon aus, dass etwaige im Rahmen dieser nachzuholenden Begutachtung von „Lilith“ festgestellte Merkmale, die maßgeblich eine Gefährlichkeitseinstufung rechtfertigen, grundsätzlich kennzeichnend für alle Hunde der Züchtung „Leavitt Bulldog“ sind.

Dass „Lilith“ im Hinblick auf den Bissvorfall möglicherweise eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Denn insoweit ist es dem Antragsgegner unbenommen, im Fall einer konkret-individuellen Gefährlichkeit von „Lilith“ im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV ordnungsbehördliche Maßnahmen zu ergreifen und als milderes Mittel zur Gefahrenbeseitigung einen sofort vollziehbaren Leinen- und Maulkorbzwang zu verhängen.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.08.2015 – 5 S 36.14

  1. Hessischer VGH, Urteil vom 14.03.2006 – 11 UE 1426/04 [] []
  2. Hessischer VGH, Urteil vom 14.03.2006 – 11 UE 1426/04; OVG NRW, Urteil vom 17.06.2004 – 14 A 953/02, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 22.12.2004 – 10 B 21.04;  Niedersächsisches OVG, Urteil vom 30.05.2001 – 11 K 2877/00; OVG Hamburg, Beschluss vom 11.12.2000 – 2 Bs 306/00; OVG Saarlouis, Urteil vom 01.12.1993 – 3 N 3/93; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.08.1992 – 1 S 2550/91 []
  3. OVG Berlin, Beschluss vom 24.02.2005 – OVG 1 S 1.04 []
  4. OVG Brandenburg, Beschluss vom 20.10.2000 – 4 B 174/00.NE []