Falsche Annahme einer Betriebsaufspaltung

Veranlagt ein Finanzamt unter Mißachtung zwischenzeitlich ergangener Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, kann das FA später den bestandskräftigen Bescheid nicht deshalb wieder ändern, weil auch die Finanzverwaltung zwischenzeitlich (nach sieben Jahren) in einem BMF-Schreiben die BFH-Rechtsprechung akzeptiert.

Oder mit den Worten des Bundesfinanzhofs: „Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 174 Abs. 3 AO 1977 die Rechtsgrundlage dafür bietet, bestandskräftige Steuerbescheide in der Weise zu ändern, dass ein Entnahmegewinn steuerlich berücksichtigt wird, den das FA seinerzeit wegen Nichtanwendung der BFH-Rechtsprechung zur Bedeutung von Einstimmigkeitsabreden bei der Betriebsaufspaltung nicht erfasst hat.“

Was lag dem zugrunde:
Im BMF-Schreiben in BStBl I 2002, 1028 vertritt die Finanzverwaltung unter Abkehr von der früher vertretenen Ansicht die Auffassung, dass eine Beherrschungsidentität im Sinne der Rechtsprechung zur Betriebsaufspaltung nicht gegeben ist, wenn an einer Besitzgesellschaft neben der mehrheitlich bei der Betriebsgesellschaft beteiligten Person oder Personengruppe mindestens ein weiterer Gesellschafter beteiligt ist und Beschlüsse der Gesellschafterversammlung wegen vertraglicher oder gesetzlicher Bestimmungen einstimmig gefasst werden müssen.

Zugleich enthält das BMF-Schreiben Übergangsregelungen. In den Fällen, in denen in der Vergangenheit von einer echten Betriebsaufspaltung ausgegangen worden ist, die personelle Verflechtung aber nach der BFH-Rechtsprechung zu keinem Zeitpunkt bestanden hat, sollen die der „Betriebsgesellschaft“ überlassenen Wirtschaftsgüter –sofern sie nicht aus anderen Gründen dem Betriebsvermögen zuzurechnen sind– in dem Zeitpunkt als entnommen angesehen werden, ab dem die Betriebsaufspaltung angenommen worden ist. Sind die Bescheide des entsprechenden Veranlagungszeitraums bereits bestandskräftig, sollen sie nach § 174 Abs. 3 AO 1977 zu ändern sein. Zur Begründung heißt es, vor dem Ergehen der einschlägigen BFH-Urteile hätten die FÄ aufgrund der bisherigen Rechtsauffassung auf die Besteuerung erkennbar in der Annahme verzichtet, die stillen Reserven seien in späteren Veranlagungszeiträumen steuerwirksam zu erfassen. Diese Annahme habe sich nachträglich als unzutreffend erwiesen.

Im Schrifttum wird die Richtigkeit dieser Aussage –soweit ersichtlich– einhellig bezweifelt (Tiedtke/Szczesny, Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 2002, 3733, 3735, und Deutsches Steuerrecht –DStR– 2003, 757, 758; Korn/Strahl, Neue Wirtschafts-Briefe –NWB– Fach 2, 8005, 8060; Mitsch, Die Information über Steuer und Recht –Inf– 2002, 746, 750; Ley/Strahl, DStR 2002, 2057, 2060; Korth, Aktuelles Steuerrecht –AktStR– 2003, 41, 56; Kempermann, NWB 2003 Fach 3, 12501, 12509; Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 15 Rz. 825). Der Bundesfinanzhof hält diese Zweifel für berechtigt. Der Sachverhalt, den das FA in den hier einschlägigen Fällen bei Begründung der echten Betriebsaufspaltung unberücksichtigt gelassen hat, war die Überführung des Grundstücks aus dem Betriebsvermögen des bisherigen einheitlichen Unternehmens in das Privatvermögen der neu gegründeten vermögensverwaltenden Besitzgesellschaft. Dieser Vorgang wäre, wenn das FA damals schon die Sicht des BFH zur Einstimmigkeitsabrede geteilt hätte, als Entnahme zu erfassen gewesen. Indessen hat das FA die Besteuerung bei der Begründung der vermeintlichen Betriebsaufspaltung nicht etwa deshalb unterlassen, weil es annahm, die Entnahme sei in einem späteren Bescheid zu erfassen. Zwar hat die Behörde von der Besteuerung eines Entnahmegewinns abgesehen, weil es der Auffassung war, die in dem Grundstück ruhenden stillen Reserven blieben nicht unversteuert. Die in einem späteren Zeitpunkt zu erwartende Versteuerung der stillen Reserven konnte jedoch aus der damaligen Sicht des FA auf unterschiedlichen Sachverhalten beruhen, z.B. auf der Beendigung des Mietverhältnisses mit dem Betriebsunternehmen oder der Veräußerung des Grundstücks. Ob allein die Erwartung des FA, die stillen Reserven seien irgendwann aufgrund irgendeines Sachverhalts zu erfassen, die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 3 AO 1977 rechtfertigt, erscheint ernstlich zweifelhaft.

Nichts anderes gilt, wenn –wie im Streitfall vom FA angenommen– zunächst infolge der Beteiligung aller Gesellschafter an der Besitz- wie an der Betriebsgesellschaft ungeachtet der Einstimmigkeitsabrede in der Besitz-GbR eine (echte oder unechte) Betriebsaufspaltung bestand, diese aber in einem späteren Jahr dadurch beendet wurde, dass einige Gesellschafter ihre Beteiligung an der Betriebsgesellschaft aufgaben. In diesem Fall ist es der Sachverhalt der Beendigung der personellen Verflechtung, den das FA mit Rücksicht auf die damalige Verwaltungsauffassung steuerlich nicht erfasst hat. Es hat dies aber nicht getan, weil es der Auffassung war, dieser Sachverhalt (Beendigung der personellen Verflechtung) sei in einem späteren Jahr zu erfassen.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.08.2005 – IV B 167/04

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