Mit der Frage, auf welcher Grundlage eine Behörde einen Hund als einen im Einzelfall gefährlichen Hund im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 3 LHundG NRW (mit den entsprechenden Konsequenzen) einstufen darf und inwieweit die Behörde an das Gutachten eines amtlichen Veterinärs gebunden ist, hatte sich das Verwaltungsgericht Köln zu beschäftigen.
Der Kläger ist seit März 2010 Halter des im Februar 2008 geborenen Hovawart-Mischlings mit dem Rufnamen „M. “.
Mit Schreiben vom 16.03.2011 zeigte der Beschwerdeführer C. J. unter Beifügung eines ärztlichen Attestes bei der Beklagten (Stadt) an, dass er am 20.02.2011 durch den Hund des Klägers in das rechte Wadenbein gebissen worden sei. Die Wunde habe sich inzwischen infiziert. Der Kläger habe ihm zugesagt, dass der Hund zukünftig einen Maulkorb tragen werde. Da dies aber bislang nicht geschehe, sei er nicht gewillt, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.
Aufgrund einer darauf hin erlassenen Ordnungsverfügung der Beklagten vom 18.03.2011 fand am 28.10.2011 eine amtstierärztliche Untersuchung statt. Ausweislich des Gutachtens der Amtsveterinärin vom 14.11.2011 handelte es sich bei „M. “ nicht um einen gefährlichen Hund im Sinne des Landeshundegesetzes, zugleich wurde eine Befreiung von der generellen Maulkorbpflicht befürwortet. Im Einzelnen wurde in dem Gutachten u.a. ausgeführt, dass das Verhalten des Hundes während des Tests nicht immer ausgeglichen und freundlich zu Menschen und anderen Hunden gewesen sei. Der Kläger habe das Verhalten des Hundes in der Hierarchie in der gemischten Gruppe nicht immer richtig eingeschätzt. Bestimmte Schlüsselreize könnten bei „M. “ zu Aggressionen führen bzw. bei einer Unterschreitung des Individualabstandes des Hundes komme es zu Aggressionen. Der Besuch einer Hundeschule wurde als sinnvoll erachtet.
Da der Kläger nach seinen Angaben zunächst bis 31.12.2011 eine Hundeschule besuchte, wartete die Beklagte eine Entscheidung mit Blick auf eine mögliche Verhaltensänderung des Hundes ab. Bei einer Vorsprache am 19.04.2012 erklärte der Kläger, er habe den Besuch der Hundeschule nicht weiter fortführen können. Eine Bescheinigung über einen etwaigen Erfolg des Hundetrainings konnte er nicht vorlegen.
Mit Bescheid vom 03.05.2012 stellte die Beklagte sodann nach vorheriger Anhörung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW fest, dass es sich bei dem Hund des Klägers um einen im Einzelfall gefährlichen Hund gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 3 LHundG NRW handele, und wies auf die Rechtsfolgen einer derartigen Feststellung hin. Der Bescheid wurde dem Kläger am 08.05.2012 zugestellt.
Am 08.06.2012 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, der Bescheid stehe nicht in Einklang mit dem veterinärärztlichen Gutachten, das für die Beklagte bindend sei. Zudem habe der Hund den Beschwerdeführer J. nicht erheblich verletzt, sondern nur aufgrund einer „gefühlten Provokation“ gezwickt. Es sei bisher lediglich zu zwei Vorfällen gekommen. Vor dem Vorfall mit dem Beschwerdeführer J. habe der Hund einen anderen Nachbarn in die Hose gebissen, als sich dieser als Walker mit Stöcken dem Hund genähert habe. Wie sich bei dem Besuch der Hundeschule herausgestellt habe, scheine „M. “ Angst vor Stöcken zu haben und habe immer dann gezwickt, wenn er sich bedroht gefühlt habe. Über den Besuch der Hundeschule legt der Kläger eine Bescheinigung vom 30.06.2013 vor, wonach er in der Zeit vom 30.04. bis 17.12.2011 an einem wöchentlich stattfindenden Kurs teilgenommen habe. Nach den Vorfällen habe zudem eine Hundetrainerin und Hundepsychologin dem Kläger Tipps gegeben, wie er sich dem Hund gegenüber verhalten solle; einen Maulkorb habe sie nicht für erforderlich gehalten. Der Kläger trainiere auch zur Zeit einmal in der Woche mit einer Heimtrainerin und darüber hinaus selbst jeden Tag mit seinem Hund.
Mit dieser Argumentation konnte der Kläger indes beim Verwaltungsgericht Köln nicht durchdringen; seine Klage wurde abgewiesen.
Ermächtigungsgrundlage für die von der Beklagten getroffene Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes ist § 3 Abs. 3 LHundG NRW. Danach erfolgt die Feststellung der Gefährlichkeit eines im Einzelfall gefährlichen Hundes im Sinne von § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW durch die zuständige Behörde nach Begutachtung durch den amtlichen Tierarzt. Im Rahmen der nach § 3 Abs. 3 LHundG NRW zu treffenden Entscheidung ist stets eine Gesamtschau aller Vorfälle und Begutachtungen des Hundes vorzunehmen.
Die von der Beklagten als zuständige Behörde gemäß § 13 Satz 1 LHundG NRW getroffene Feststellung ist hier in formell rechtmäßiger Weise nach Begutachtung durch die amtliche Tierärztin erfolgt. Es bestehen auch keine Bedenken gegen die materielle Rechtmäßigkeit dieser Feststellung. Denn zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei „M. “ um einen gefährlichen Hund im Sinne des § 3 Abs. 3 Nr. 3 LHundG NRW.
Nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 LHundG NRW ist ein Hund im Einzelfall gefährlich, der einen Menschen gebissen hat, sofern dies nicht zur Verteidigung anlässlich einer strafbaren Handlung geschah. Dass es hier zu einem Beißvorfall dieser Art am 20.02.2011 zum Nachteil des Beschwerdeführers J. gekommen ist, ist zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig wie die Tatsache, dass dies nicht zur Verteidigung anlässlich einer strafbaren Handlung geschah. Soweit der Kläger vorträgt, der Biss sei dadurch ausgelöst worden, dass der Beschwerdeführer J. eine für den Hund unbedachte Bewegung gemacht habe, kommt es darauf nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift – entgegen der rechtlich ohnehin für die Gesetzesauslegung nicht verbindlichen Verwaltungsvorschrift zu § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 5 – ebenso wenig an wie auf die Frage, ob das Verhalten des Hundes artgerecht war oder nicht. Unabhängig davon bleibt nach dem Vorbringen des Klägers völlig unklar, welche konkrete Bewegung oder Handlung des Herrn J. eine Provokation oder vergleichbare Reizung des Hundes dargestellt haben soll, bei der Beißen als eine arttypische Reaktion im Sinne der Verwaltungsvorschriften gewertet werden könnte.
Die amtliche Tierärztin hat den Hund auf der Grundlage der Begutachtung vom 28.10.2011 zwar nicht als gefährlich im Sinne des § 3 Abs. 3 LHundG NRW eingestuft, dieses Gutachten ist aber entgegen der Auffassung des Klägers für die Beklagte nicht bindend. Die Begutachtung durch den amtlichen Tierarzt ist vielmehr ein reines Verfahrenserfordernis ohne konstitutive Bedeutung, dessen Zweck nur die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und die Sicherstellung sachverständiger Unterstützung für die Behörde ist. Es ist daher grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Behörde von dem Ergebnis einer amtstierärztlichen Begutachtung abweicht1.
Für eine solche Abweichung, die die Beklagte im Einzelnen begründet hat, liegen hier auch hinreichenden tatsächliche Anhaltspunkte vor, die sich aus dem Gutachten selbst ergeben. Denn das amtsveterinärärztliche Gutachten lässt keinen Zweifel daran, dass der Hund „M. “ ein geringes Aggressionsverhalten sowie eine gestörte aggressive Kommunikation zeigte und sein Verhalten nicht immer vorhersehbar war. Insbesondere bestimmte Schlüsselreize wie verhältnismäßig dichtes Vorbeigehen an anderen Hunden oder eine geringe Bedrohungssituation können zu Aggressionen führen, wenn dabei der Individualabstand des Hundes unterschritten wird. Bei verschiedenen Übungen zeigte der Hund daher akustische Signale der Drohung mit Vorspringen bzw. sogar Schnappen auf Distanz mit Drohsignalen, Vorspringen und Beißversuch. Wenn „M. “ in einer bestimmten Situation – wie bei dem Beißvorfall – aggressives Verhalten gezeigt habe, so beruhe dies auf einer wirklichen oder gefühlten Provokation. Die Beklagte ist vor dem Hintergrund dieser tatsächlichen Feststellungen des Gutachtens zu Recht von der Gefährlichkeit des Hundes „M. “ ausgegangen. Denn die hier einschlägigen Regelungen des LHundG NRW dienen gerade auch dem Schutz von Personen dienen, die sich gegenüber Hunden aus Unkenntnis, Nachlässigkeit oder Unvermögen unsachgemäß verhalten. Eine Berücksichtigung etwaigen fehlerhaften Verhaltens des Gebissenen im Rahmen des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 LHundG NRW über den im Halbsatz 2 dieser Vorschrift ausdrücklich normierten Umfang hinaus liefe daher dem Wortlaut und dem gefahrenabwehrrechtlichen Zweck der betreffenden Bestimmung zuwider2.
Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – ein derartiges „Fehlverhalten“ wegen einer herabgesetzten Reizschwelle des Hundes gar nicht vorhersehbar und daher selbst für kundige Personen nicht vermeidbar ist. Konkrete Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung liegen nicht vor. Soweit der Kläger unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung eine Bescheinigung des Vereins „Hundefreunde Entenfang“ vom 30.06.2013 über die Teilnahme an einem Kurs vorgelegt hat, ändert dies nichts an den vorstehenden Ausführungen. Denn diese Bescheinigung enthält keinerlei Einzelheiten über die Art des durchgeführten Hundetrainings und die Grundlagen für die pauschale Feststellung, dass der Hund keine Aggressionen gegenüber Menschen und Hunden gezeigt habe, bleiben völlig offen. Dieser Kurs endete zudem bereits am 17.12.2011 und damit kurz nach der amtstierärztlichen Überprüfung, so dass die Abweichungen zu den ausführlichen anderslautenden Feststellungen anlässlich der amtstierärztlichen Begutachtung in besonderem Maße erklärungsbedürftig gewesen wären. Soweit der Kläger sich während des Verfahrens auf weiteres Hundetraining mit Hundepsychologen und –trainern berufen hat, bleibt der Vortrag ebenfalls in jeder Hinsicht unsubstantiiert, so dass eine weitere Sachaufklärung des Gerichts nicht geboten war, zumal der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage gegen einen feststellenden Verwaltungsakt derjenige der letzten Behördenentscheidung ist.
Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 04.07.2013 – 20 K 3636/12
- OVG Münster, Beschluss vom 20.04.2012 – 5 B 1305/11; VG Aachen, Beschluss vom 12.07.2011 – 6 L 198/11; VG Köln, Urteil vom 11.01.2007 – 20 K 1623/05 [↩]
- VG Aachen, Beschluss vom 07.12.2011 – 6 L 470/11 [↩]