Das Finanzgericht Köln hatte über die Frage zu entscheiden, ob ein Unternehmen zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer, die vom Zahlungsempfänger an das Finanzamt auch abgeführt wurde, statt von dem Zahlungsempfänger auch vom Finanzamt zurückfordern kann oder sich nur an den Zahlungsempfänger wenden kann, über dessen Vermögen zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (so dass die Forderung nur zur Insolvenztabelle angemeldet werden kann).
In dem entschiedenen Fall nimmt die Klägerin regelmäßig an Messen im In- und Ausland teil und bediente sich in den Jahren 1999 bis 2005 hierzu der Dienste der Firma A.
Die A stellte ihr für ihre Leistungen Rechnungen aus, in denen Umsatzsteuerbeträge in Höhe von insgesamt 4.857.029,- € ausgewiesen wurden. Die A zahlte dies Umsatzsteuerbeträge an das beklagte Finanzamt. Die Klägerin machte sie – zunächst erfolgreich – als Vorsteuer gemäß § 15 UStG beim Finanzamt geltend.
Im Zuge einer Umsatzsteuerprüfung bei der Klägerin wurde festgestellt, dass die Leistungen der A im Ausland erbracht worden und im Inland nicht umsatzsteuerpflichtig waren, so dass die Vorsteuer zu Unrecht anerkannt worden war. Die Klägerin hat inzwischen große Teile der Vorsteuerbeträge an das Finanzamt B zurückerstattet.
Die Klägerin ersuchte die A um Rückzahlung der rechtsirrigerweise gezahlten Umsatzsteuer bzw. um Abtretung des Erstattungsanspruchs gegen den Beklagten. Am 24.03.2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A eröffnet. Eine Umsatzsteuerprüfung des Beklagten ergab, dass die A Umsatzsteuer in Höhe des oben genannten Betrages von 4.857.029,- € zu Unrecht gezahlt habe. Der Beklagte erstattete dem Insolvenzverwalter diesen Betrag in Höhe von 4.605.927,- €. Der Insolvenzverwalter erteilte der Klägerin berichtigte Rechnungen (ohne Ausweis der Umsatzsteuer), verwies sie jedoch betreffend die Erstattung auf die Anmeldung zur Tabelle.
Am 17.02.2010 und 05.03.2010 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer in Höhe von 4.857.029,- €. Sie berief sich auf § 37 AO i.V.m. §§ 14 c Abs. 1, 17 UStG.
Der Beklagte lehnte diesen Antrag ab; hiergegen erhob die Klägerin (mit Zustimmung des Beklagten) Sprungklage; das Finanzgericht Köln hat die Klage abgewiesen.
Die Klägerin nach Auffassung des Finanzgerichts Köln hat keinen Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten. Es gibt keine Rechtsgrundlage für einen solchen Erstattungsanspruch.
Insbesondere bietet § 37 Abs. 2 Satz 1 AO keine Grundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch. Nach dieser Vorschrift hat derjenige einen Erstattungsanspruch, „auf dessen Rechnung“ eine Zahlung ohne Rechtsgrund geleistet wurde. Die vorliegend im Streit stehende rechtsgrundlose Zahlung von Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 4.857.029,- € erfolgte durch die A und „auf Rechnung“ der A, weil die A durch diese Zahlung eine eigene – wenn auch nur vermeintliche – Umsatzsteuerschuld erfüllen wollte. Eine Umqualifizierung der Zahlung nach Insolvenz des Leistenden dahingehend, dass die Zahlung nachträglich als „auf Rechnung“ seines Vertragspartners, dem er zu Unrecht Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hatte, gelten solle, kann nach der Überzeugung des Finanzgerichts Köln nicht in Betracht kommen. Eine solche nachträgliche Umqualifizierung ist weder aus dem Wortlaut des § 37 Abs. 2 S. 1 AO noch aus Sinn und Zweck dieser Vorschrift in irgendeiner Weise abzuleiten1.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sowie einzelner Stimmen in der Literatur2 besteht auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten keine zwingende Notwendigkeit, die Vorschrift über ihren eindeutigen Sinngehalt hinaus in der von der Klägerin angestrebten Weise auszulegen. Zwar hat der EuGH festgestellt, dass die aus dem Richtlinienrecht der EU folgenden Grundsätze der Neutralität, der Effektivität und der Nichtdiskriminierung im Bereich der Mehrwertsteuer die Mitgliedstaaten verpflichten, die erforderlichen Mittel vorzusehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen3.
Jedoch stellt das vorgenannte EuGH-Urteil auch fest, dass eine Regelung, wie sie das deutsche Umsatzsteuerrecht trifft – dass nämlich nur der Dienstleistungserbringer einen direkten Anspruch auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Mehrwertsteuer gegen die Behörde hat und der Dienstleistungsempfänger auf die zivilrechtliche Klage gegen seinen Auftragnehmer verwiesen wird – im Regelfall europarechtlich nicht zu beanstanden ist. Lediglich für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer (durch den Leistungserbringer) unmöglich oder übermäßig erschwert ist, müssen die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Mittel vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen3.
Es ist nach diesen Grundsätzen nicht zu beanstanden, wenn das deutsche Umsatzsteuerrecht den Kläger in erster Linie auf die zivilrechtliche Geltendmachung seines Erstattungsanspruchs verweist. Die Geltendmachung im Insolvenzverfahren kann in diesem Zusammenhang nicht als unmöglich und auch nicht als wesentlich schwieriger angesehen werden als eine Zivilklage gegen den Leistungserbringer. Lediglich für den auf diese Weise nicht realisierbaren Teil des Erstattungsanspruchs muss das deutsche Recht zusätzliche Mittel bereit stellen, damit volle Erstattung ermöglicht wird. Hierzu bedarf es aber nicht einer sinnwidrigen Auslegung des § 37 Abs. 2 S. 1 AO. Vielmehr stellt das deutsche Abgabenrecht mit den Billigkeitsregelungen der §§ 163 und 227 AO ein hinreichend effektives Mittel zur Verfügung, um dem Leistungsempfänger, der dem Leistungserbringer zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer gezahlt hat und sie von diesem nicht (vollständig) zurückerlangen kann, volle Erstattung zu ermöglichen. Diese auf Billigkeit beruhende Erstattung kann in vollem Umfang im Rahmen ihrer eigenen Steuerverhältnisses, nämlich im Verfahren der Vorsteuererstattung gewährleistet werden4.
Der Einwand der Klägerin, dass Billigkeitsentscheidungen Ermessensentscheidungen seien und somit eine Erstattung nicht sicher gewährleistet sei, greift demgegenüber nicht durch. Denn die Gewährung der Erstattung kann, soweit dies europarechtlich geboten ist, auf Null reduziert sein. An welche Voraussetzungen die Behörde die Erstattung im Billigkeitsverfahren knüpfen darf, wird – insbesondere unter europarechtlichen Gesichtspunkten – in eben diesem Billigkeitsverfahren zu prüfen sein.
Finanzgericht Köln, Urteil vom 24.04.2014 – 1 K 2015/10
(Revision wurde eingelegt: BFH: VII R 30/14)