Über die Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs hinsichtlich der Anerkennung von Aufwendungen für einen Zivilprozess als außergewöhnliche Belastungen hatten wir u.a. hier und hier berichtet.
Nun hat sich der Bundesfinanzhof unter Berücksichtigung dieser geänderten Rechtsprechung auch mit den Kosten speziell eines Scheidungsverfahrens beschäftigt.
In dem entschiedenen Fall hatte die Klägerin gegen ihren Ehemann E ein Scheidungsverfahren geführt. Die Klägerin und E stritten außerdem um Hausrat, Trennungsunterhalt und die Änderung des Umgangsrechts.
Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin stellten ihr im Streitjahr (2010) mit gesonderten Rechnungen Rechtsanwaltsgebühren
- wegen der Streitigkeiten über Hausrat,
- wegen Trennungsunterhalt,
- wegen Scheidung und
- wegen Änderung des Umgangsrechts
in Rechnung.
Die Klägerin machte die vorgenannten Rechtsanwaltskosten in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das beklagte Finanzamt erkannte lediglich die Rechtsanwaltskosten wegen der Scheidung als außergewöhnliche Belastung an.
Die weiteren Anwaltskosten ließ das FA auch im Einspruchsverfahren nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zu.
Anders als das Niedersächsische Finanzgericht in erster Instanz1 hat der Bundesfinanzhof die Auffassung des Finanzamtes bestätigt.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind2.
Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war. Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Allgemeinen bei einem Zivilprozess. Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen.
Dagegen nahm der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 12.05.20113 die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine.
Der Bundesfinanzhof hält in der aktuellen Entscheidung an seiner in dem Urteil 12.05.20113 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18.06.20154 entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil 12.05.20113 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück.
Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.
Die von der Klägerin getragenen Rechtsanwaltskosten, die ihr im Zusammenhang mit einem Scheidungsverfahren wegen Streitigkeiten über Hausrat, Trennungsunterhalt und über die Änderung des Umgangsrechts entstanden sind, können nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd berücksichtigt werden.
Der Bundesfinanzhof führt für die bis einschließlich 2012 geltende Fassung des § 33 EStG die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von durch Ehescheidungsverfahren entstandenen Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen fort5. Danach sind zwar die mit dem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich als zwangsläufig entstanden anzusehen und dementsprechend als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Aber Kosten für außerhalb des so genannten Zwangsverbunds durch das Familiengericht oder außergerichtlich im Zusammenhang mit der Ehescheidung getroffene Regelungen werden nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Das gilt unabhängig davon, ob für die Scheidungsfolgesachen noch § 623 Abs. 1 ZPO a.F. anzuwenden ist oder – wie im Streitfall – schon § 137 Abs. 1 FamFG. Weiter kommt es auch nicht darauf an, ob ein Ehegatte die Kosten auslösende Aufnahme von Scheidungsfolgesachen in den Scheidungsverbund beantragt hatte und diese insoweit zwingend im Verbund zu entscheiden waren. Denn auch insoweit gelten die Kosten für den mit dem Verfahren überzogenen Ehegatten nicht als unvermeidbar6.
Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber den früheren Eheleuten Inhalt und Verfahren der Regelung ihrer Verhältnisse im Wesentlichen in gleicher Weise zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen hat wie in bestehender Ehe oder im Falle nichtehelicher Familienbeziehungen7.
Nach § 137 Abs. 2 FamFG sind bestimmte Familiensachen (sog. Folgesachen) zusammen mit der Scheidungssache zu verhandeln und zu entscheiden (sog. Verbund), wenn dies von einem Ehegatten rechtzeitig begehrt wurde. Folgesachen sind auch Kindschaftssachen, die die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge, das Umgangsrecht oder die Herausgabe eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten oder das Umgangsrecht eines Ehegatten mit dem Kind des anderen Ehegatten betreffen, wenn ein Ehegatte vor Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache die Einbeziehung in den Verbund beantragt, es sei denn, das Familiengericht hält die Einbeziehung aus Gründen des Kindeswohls nicht für sachgerecht (§ 137 Abs. 3 FamFG).
Hiernach stellen auch Gerichts- und Rechtsanwaltskosten wegen eines Streits der (früheren) Ehegatten über das Umgangsrecht als Folgesachen eines Ehescheidungsverfahrens außerhalb des so genannten Zwangsverbunds grundsätzlich keine außergewöhnlichen Belastungen dar.
Der Bundesfinanzhof hat in seinem Urteil vom 04.12.20018 zwar Aufwendungen für einen Familienrechtsstreit über das Umgangsrecht eines Vaters mit seinen nichtehelichen Kindern unter der Geltung des früheren § 1711 BGB dann als außergewöhnliche Belastung anerkannt, wenn die Mutter jeglichen Umgang des Vaters mit den Kindern grundlos verweigert. Denn Streitigkeiten über das Umgangsrecht der Eltern mit ihren Kindern können unter besonderen Umständen den Kernbereich menschlichen Lebens berühren. Aus der vorgenannten Rechtsprechung folgt aber nicht, dass die Kosten eines jeglichen Rechtsstreits, der das Umgangsrecht betrifft, als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind.
Der Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 04.12.20018 zugrunde lag, ist nicht mit den üblichen Streitigkeiten über das Umgangsrecht anlässlich von Ehescheidungen zu vergleichen. Überdies hat sich auch der rechtliche Rahmen für Streitigkeiten über das Umgangsrecht entscheidend verändert. Denn unter der Geltung des § 1711 BGB a.F. oblag es allein dem Sorgeberechtigten, den Umgang des Kindes mit dem nichtehelichen Vater zu bestimmen. Lehnte die Mutter, die nach § 1705 BGB a.F. die elterliche Sorge für das Kind innehatte, den Umgang des Kindes mit dem Vater ab und scheiterte ein Vermittlungsversuch des Jugendamtes, blieb dem Vater nur der Weg zum Vormundschaftsgericht, das den persönlichen Umgang mit dem Vater anordnen konnte. Nach dem nunmehr geltenden Recht gehört zum Wohl des Kindes demgegenüber in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen (§ 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB); jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt (§ 1684 Abs. 1 2. Halbsatz BGB). Die Eltern können die Einzelheiten des Umgangs durch Vereinbarung regeln9. Das Zustandekommen der Umgangsvereinbarung erfordert keine Mitwirkung des . Erst wenn sich die Eltern nicht einigen können, entscheidet gemäß § 1684 Abs. 3 BGB das Familiengericht über Umfang und Ausübung des Umgangs. Daher ist nach heutiger Rechtslage auch die Regelung sowie die Änderung des Umgangsrechts durch den Gesetzgeber in erster Linie den (früheren) Eheleuten zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen.
Der III. Senat des Bundesfinanzhofs hatte auf Anfrage mitgeteilt, dass er die Auffassung des erkennenden Senats VI. Senats teilt, nach der Prozesskosten in Zusammenhang mit Streitigkeiten über das Umgangsrecht regelmäßig nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei den von der Klägerin getragenen Rechtsanwaltskosten wegen der Streitigkeiten mit E über den Hausrat, den Trennungsunterhalt und das Umgangsrecht mit dem gemeinsamen Kind nicht um außergewöhnliche Belastungen. Anhaltspunkte dafür, dass E der Klägerin jeglichen Umgang mit ihrem Kind grundlos verweigerte und sich die Klägerin das Umgangsrecht mit ihrem Kind vor dem Familiengericht überhaupt erst erstreiten musste, hat das FG nicht festgestellt und sind von der Klägerin auch selbst nicht geltend gemacht worden. Das familiengerichtliche Verfahren bezog sich nach der vom Finanzgericht in Bezug genommenen Rechnung der Rechtsanwälte der Klägerin vielmehr auf die schlicht
e „Änderung Umgangsrecht“. Die Kosten eines solchen Verfahrens stellen keine außergewöhnlichen Belastungen dar.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.03.2016 – VI R 38/13
- Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 18.02.2013 – 3 K 409/12 [↩]
- BFH, Urteile vom 29.09.1989 – III R 129/86; vom 26.06.2014 – VI R 51/13 [↩]
- BFH, Urteil vom 12.05.2011 – VI R 42/10 [↩] [↩] [↩]
- BFH, Urteil vom 18.06.2015 – VI R 17/14 [↩]
- BFH, Urteil vom 20.01.2016 – VI R 70/12 [↩]
- BFH, Urteil vom 30.06.2005 – III R 27/04 [↩]
- BFH, Urteil vom 30.06.2005 – III R 36/03; FG München, Urteil vom 21.08.2012 – 10 K 800/10 [↩]
- BFH, Urteil vom 04.12.2001 – III R 31/00 [↩] [↩]
- Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 16.04.2015 – 10 UF 226/14 [↩]