Das Finanzgericht Düsseldorf hat sich in einem erst jetzt veröffentlichten Urteil, in dem es um die Höhe der Einfuhrabgaben ging, zur Abgrenzung zwischen einem Videogerät und einem Modul für die Videoaufzeichnung und der zolltariflichen Bedeutung geäussert.
Worum ging es?
Die Klägerin meldete beim Zollamt A-Stadt des Beklagten Speichermodule aus Taiwan unter der Unterposition 8521 90 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Die Zollstelle nahm die Zollanmeldungen ohne Beschau an und setzte den sich aus dieser Unterposition ergebenden Zoll mit einem Zollsatz von 13,9% mit Einfuhrabgabenbescheiden fest.
Bei den als Speichermodulen bezeichneten Waren handelte es sich um das von der B. vertriebene (), das aus einer Platine mit den Außenmaßen von 32×68 mm mit Prozessor, Signalelektronik, A/D-Wandler und Videokompressionstechnik mit darauf angebrachten Steckern sowie einem SD-Kartenschacht mit daran angebrachten Kabeln mit Steckverbindung besteht. Das Modul war vom Hersteller mit besonderen, eigens für die Klägerin angebrachten Anschlüssen versehen und wurde von der Klägerin nach der Einfuhr in die von ihr gefertigten Videoinspektionskamerasysteme eingebaut. Die Systeme befanden sich in einem Gehäuse in der Form eines Doppelschalenkoffers und waren mit einer oder zwei Kameras, einem Monitor und zwei Akkus zur Stromversorgung versehen. Das eingeführte Modul wurde auf eine andere Platine gesetzt, die neben zusammengesetzten elektronischen Bauteilen die Anschlüsse für Bedien- und Steuerelemente sowie einen weiteren SD-Kartenschacht aufwies. Beide Platinen wurden sodann in das Gehäuse des Videoinspektionssystems eingebaut. Der SD-Kartenschacht des eingeführten Moduls blieb ungenutzt,
Das Modul diente zur Bild- und Tonaufzeichnung von Audio-, Video- und Bilddateien in den Formaten MPEG4 und AFS und zum Umwandeln und Wiedergeben dieser Dateien in sichtbarer und hörbarer Form zur Verwendung in der Videoinspektionstechnik. Da das Modul kein Gehäuse hatte, beurteilte das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung – Dienstsitz A-Stadt – das Modul als unvollständigen digitalen Videorekorder der von der Klägerin angemeldeten Unterposition der KN.
Nach der Einfuhr beantragte die Klägerin für die Einfuhren die Erstattung des Zolls in Höhe von 9,9%, da die Speichermodule als Teile eines Videorecorders in die Position 8522 einzureihen seien. Mit Bescheid vom 31.10.2013 lehnte der Beklagte den Erstattungsantrag ab, da die Zollanmeldung zutreffend sei.
Den dagegen fristgerecht eingelegten Einspruch wies das Hauptzollamt als unbegründet zurück und führte dazu aus, die von der Klägerin eingeführte Platine enthalte alle für die Videoaufzeichnung und – wiedergabe erforderlichen Komponenten, wie die Audiosignalverarbeitungselektronik mit MPEG-Decoder/Encoder und weiteren Bauelementen, SD-Kartenschacht, USB-Schnittstelle und insgesamt 14 Anschlusspins für die Stromversorgung, für Audio-/Videoein- und ausgangssignale sowie für Bedien- und Steuersignale. Damit weise es die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines vollständigen Videogeräts auf. Das Modul müsse vor der Inbetriebnahme nur mit einer Stromquelle und einer Bedieneinheit verbunden werden. Daher scheide auch seine Einreihung als Teil eines Videogeräts aus, da nach Anmerkung 2 a) zu Abschnitt XVI Teile, die sich bereits als Waren einer Position des Kapitels 85 darstellten, dieser Position zuzuweisen seien. Das gelte unabhängig davon, für welche Maschinen sie bestimmt seien. Die von der Klägerin angeführten verbindlichen Zolltarifauskünfte (vZTAe) seien nicht mit dem hier zu beurteilenden Modul zu vergleichen, weil sie nicht in der Lage seien, Bilder und Töne aufzuzeichnen.
Das Klageverfahren:
Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt zur Begründung vor, die eingeführten Module seien als Teile, erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für Geräte der Position 8521 bestimmt, in die Position 8522 und innerhalb dieser Position in die Unterposition 8522 90 49 KN einzureihen. Das Modul enthalte nicht die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines vollständigen Videogeräts zur Bild- und Tonaufzeichnung, sondern sei im Zeitpunkt der Gestellung völlig funktionslos gewesen. Das Modul habe weder Bedienelemente (Ein-/Ausschalter, Tastenfeld für Start, Aufnahme, Vor- und Zurückspielen) noch über irgendwelche Anschlüsse für Strom oder Ein- und Ausgänge oder USB-Geräte verfügt. Ebenso habe das Modul nicht über einen Speicher oder eine Steuerung der Videokamera verfügt. Für die unabdingbaren Bedienelemente und Anschlüsse habe der Hersteller des Moduls eine weitere, gesonderte Platine angeboten, die sie aber nicht erworben, sondern durch eine Eigenkonstruktion ersetzt habe. Schon dieser Umstand zeige, dass das Modul gerade nicht die erforderlichen wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale für ein Videogerät gehabt habe.
Zudem verwende sie den eingebauten SD-Schacht nicht, sondern nutze den SD-Schacht ihrer Eigenkonstruktion, ihres Mainboards.
Zwar gelte nach der Allgemeinen Vorschrift (AV) 2 Buchst. a jede Anführung einer Ware auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware habe. Das sei im Einzelfall aufgrund der objektiven Beschaffenheit und Eigenschaften der Ware unter Heranziehung vornehmlich der tariflichen, ggf. auch von außertariflichen Erkenntnisquellen zu bestimmen und erfordere einen Vergleich der unvollständigen mit der vollständigen Ware1.
Das von ihr vertretene Einreihungsergebnis ergebe sich auch aus der Anmerkung 2 Buchst. a zu Abschnitt XVI.
Insoweit verweise sie auf die vZTAe DE M/5620/09-1 vom 13.05.2009, DE M/3906/08-1 vom 14.08.2008, GB501088288 vom 20.01.2012 und GB501088190 vom 20.01.2012.
Das beklagte Hauptzollamt verweist hingegen darauf, dass das Modul alle für die Videoaufzeichnung und –wiedergabe erforderlichen Komponenten und somit die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines vollständigen Geräts aufweise. Dass es vorher noch mit einer Stromquelle und Bedienelementen verbunden werden müsse, sei unerheblich. Es gehöre nicht zum Wesen einer Maschine, dass sie ohne Zusätze oder Aggregate selbständige Arbeiten durchführen könne2. Für die Einreihung als Maschine mit eigener Funktion sei es nicht erforderlich, dass sie ohne weitere Zusätze bereits betriebsbereit sei.
Das Modul stelle auch eine Ware der Position 8521 dar, so dass eine Einreihung in die Position 8522 ausscheide.
Die vZTA DE M/5620/09-1 betreffe eine Hauptplatine eines DVD- bzw. Videokassettenrekorders, der kein Laufwerk enthalte und damit nicht in der Lage sei, Bilder und Töne aufzuzeichnen oder wiederzugeben. Gleiches gelte auch für die fehlerhafte und zu widerrufende vZTA DE M3906/08-1. Hinsichtlich der vZTAe GB501088288/1 und GB501088190/1 lägen nur Informationen zu den vollständigen Waren, nicht aber zu den Platinen vor, so dass sie schon deshalb nicht vergleichbar seien.
Die Entscheidung:
Das Finanzgericht Düsseldorf hat nun entschieden, dass das Hauptzollamt der Klägerin zu Unrecht die Erstattung des Zolls versagt hat. Der Beklagte war daher zu verpflichten, die beantragte Erstattung auszusprechen, § 101 Satz 1 FGO.
Der mit den Einfuhrabgabenbescheiden festgesetzte Zoll war im Zeitpunkt der Zahlung in Höhe eines 4% übersteigenden Zollsatzes nicht gesetzlich geschuldet gewesen, Art. 236 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften – ZK -.
Im Streitfall ist die Zollschuld nach Art. 201 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 ZK im Zeitpunkt der Annahme der jeweiligen Zollanmeldung entstanden. Der nach Art. 214 Abs. 1 ZK maßgebende, für den Zeitpunkt der Zollschuldentstehung anzuwendende Zollsatz ergibt sich aus dem Zolltarif, Art. 20 Abs. 1 ZK. Nach Art. 20 Abs. 3 Buchst. a ZK ist der Zolltarif die Kombinierte Nomenklatur (KN), die für die Einfuhren im Jahr 2010 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 948/2009 der Kommission (ABl. EU Nr. L 287) zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif anzuwenden ist.
Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Hauptzollamtes sind die Modulen als Teile, erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für Geräte der Position 8521 bestimmt, in die Position 8522 einzureihen. Innerhalb der Position 8522 gehören die Module, da sie keine Tonabnehmer für Rillentonträger sind, in die Unterposition 8522 90 und innerhalb dieser Unterposition, da sie keine Nadeln, Diamanten oder andere Waren der Unterposition 8522 90 3 waren, als andere Waren, nämlich zusammengesetzte elektronische Schaltungen (Baugruppen), die nicht für Telefonanrufbeantworter bestimmt waren, in die Unterposition 8522 90 49 KN. Für diese Unterposition war ein Zollsatz von 4% vorgesehen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind3.
Danach handelt es sich bei den Modulen um Teile, die erkennbar ausschließlich oder hauptsächlich für Geräte der Position 8521 bestimmt sind, weil sie in zusammengesetzten elektronischen Schaltungen eine Audiosignalverarbeitungselektronik mit MPEG-Decoder/Encoder und weiteren Bauelementen, SD-Kartenschacht, USB-Schnittstelle und insgesamt 14 Anschlusspins für die Stromversorgung, für Audio-/Videoein- und ausgangssignale sowie für Bedien- und Steuersignale aufweisen. Sie sind auch, da sie für die Funktion eines Videogeräts zur Bild- und Tonaufzeichnung oder –wiedergabe der Position 8521 unerlässlich sind, Teil eines solchen Geräts4. Nach Anmerkung 2 b) zu Abschnitt XVI scheidet eine Einreihung in die Position 8521 aus.
Eine Einreihung als Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder –wiedergabe der Position 8521 wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn die Module, die nur aus einer entsprechend bestückten Platine mit Anschlussmöglichkeiten bestanden, als unvollständige oder unfertige Waren, die bereits die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Waren im Sinne der AV 2 a Satz 1 aufgewiesen hätten, anzusehen gewesen wären. Davon ist im Streitfall jedoch nicht auszugehen,
Die Beantwortung der Frage, ob eine unvollständige oder unfertige Ware bereits die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware im Sinne der AV 2 a Satz 1 hat, ist im Einzelfall aufgrund der objektiven Beschaffenheit und Eigenschaften der Ware unter Heranziehung vornehmlich der tariflichen, ggf. aber auch von außertariflichen Erkenntnisquellen zu bestimmen und erfordert auf dieser Grundlage eine tatrichterliche Würdigung und einen wertenden Vergleich der festgestellten Beschaffenheitsmerkmale und Eigenschaften der unvollständigen Ware mit denjenigen der vollständigen Ware5.
Der danach erforderliche Vergleich zwischen der vollständigen oder fertigen und der vorliegenden unvollständigen oder unfertigen Ware findet dadurch statt, dass die unvollständige oder unfertige Ware nicht mit einer fiktiven tariflich vollständigen oder fertigen Ware, sondern mit der Ware verglichen wird, die mit ihrer Verwendung entstehen soll. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der AV 2 a: Danach gilt jede Anführung einer Ware in einer Position auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der (und nicht einer) vollständigen oder fertigen Ware hat6. Danach sind die eingeführten Module mit dem Videoinspektionskamerasystem, wie es von der Klägerin vertrieben wird, zu vergleichen. Die eingeführten Module, die auch mit besonderen, eigens für die Klägerin angebrachten Anschlüssen versehen sind, werden auf Grund dieser Anschlüsse auf eine besondere, von der Klägerin selbst entwickelte Platine montiert. Die weitere Platine ermöglicht erst den Einbau von Bedienelementen und weiteren Anschlüssen. Sie weist auch den später nach Einbau in das Gehäuse tatsächlich genutzten Schacht für SD-Speicherkarten auf. Das in einen Koffer eingebaute Gehäuse enthält zudem einen Monitor und Anschlüsse für die Stromversorgung, die Schubstangen und die Kameras.
Damit stellen die hier zu beurteilenden Module nur ein, wenn auch wichtiges Teil für das Videoinspektionssystem dar, dessen Wert im Vergleich zum gesamten System gering ist. Nach dem Vortrag der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung beträgt der derzeitige Wareneinkaufswert 1.081,43 €, von dem 37,92 € auf ein streitgegenständliches Modul entfallen. Nach dem weiteren, ebenfalls unbestritten gebliebenen Vortrag der Vertreter der Klägerin waren die tatsächlichen Verhältnisse, auch wenn 2010 die Module in Taiwan für 63,80 bzw. 66,00 €/Stück fob Taipei/Taiwan eingekauft wurden, vergleichbar. Bei diesen Wertverhältnissen kann nicht davon ausgegangen werden, die eingeführten Waren wiesen die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen Ware, eines Videogeräts auf7.
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 – 4 K 1319/14 Z
ECLI:DE:FGD:2016:1122.4K1319.14Z.00
Revision ist beim Bundesfinanzhof anhängig: BFH – VII R 32/17
- BFH, Urteil vom 19.12.2006 – VII R 8/06 [↩]
- BFH, Urteil vom 08.02.1966 – VII 145/62 [↩]
- EuGH, Urteil vom 09.06.2016 – C-288/15, Rz. 22 [↩]
- vgl. zum Begriff der Teile EuGH, Urteil vom 19.07.2012 – C-336/11, Rz. 34 [↩]
- BFH, Beschluss vom 23.09.2009 – VII B 37/09 [↩]
- BFH, Beschluss vom 23.09.2009 – VII B 37/09; FG München, Urteil vom 10.12.2008 – 14 K 3384/07; BFH; Urteil vom 27.05.2015 – 4 K 3286/13 Z [↩]
- EuGH, Urteil vom 13.12.1994 – C-401/93, Rz. 28 [↩]