In einer letztwilligen Verfügung können gesetzliche Erben von der Erbfolge ausgeschlossen, also „enterbt“ werden.
Nach § 2303 BGB steht Abkömmlingen, Eltern und Ehegatten dann ein Pflichtteil zu:
(1) Ist ein Abkömmling des Erblassers durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen, so kann er von dem Erben den Pflichtteil verlangen. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.
(2) Das gleiche Recht steht den Eltern und dem Ehegatten des Erblassers zu, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Die Vorschrift des § 1371 bleibt unberührt.
Der Erblasser kann in seiner letztwilligen Verfügung unter engen Voraussetzungen dem „Enterbten“ auch diesen Pflichtteil entziehen (§ 2333 BGB).
Hierfür sieht das Gesetz in § 2336 Abs. 1 BGB eine bestimmte Form vor:
Die Entziehung des Pflichtteils erfolgt durch letztwillige Verfügung.
Was passiert nun, wenn der Erblasser den Erben wohl tatsächlich „enterben“, im also auch den Pflichtteil entziehen wollte, dies aber im Testament keine Erwähnung findet?
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat sich zu dieser Frage nun in einem Hinweisbeschluss an einen Berufungsführer daingehend geäussert, dass Ansprüche aus einem Pflichtteilsrecht jedenfalls dann nicht als verwirkt angesehen werden dürfen, wenn hierdurch die in §§ 2333 ff., § 2339, § 2345 Abs. 2 BGB getroffenen gesetzlichen Wertungen – insbesondere das Formerfordernis des § 2336 Abs. 1 BGB – umgangen werden würden.
In dem entschiedenen Fall verlangt der Kläger von der Beklagten im Wege einer Stufenklage Auskunft, Wertermittlung, Versicherung an Eides statt und schließlich Zahlung auf einen Pflichtteilsanspruch.
Der Kläger ist der Vater des am 10.05.2016 verstorbenen Erblassers. Die Beklagte ist dessen Witwe und Alleinerbin. Im Nachlass befinden sich unstreitig mehrere Immobilien, die die Beklagte auch gegenüber dem Nachlassgericht angegeben hat.
Mit Schreiben vom 31.08.2016 ließ der Kläger die Beklagte auffordern, über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu erteilen. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.
Der Kläger hat erstinstanzlich auf dem Standpunkt gestanden, ihm stehe ein Pflichtteilsanspruch im Umfang von 1/8 des Nachlasswerts und entsprechende Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche aus § 2314 Abs. 1 BGB zu.
Er hat daher eine Stufenklage erhoben und die Verurteilung der Beklagten zur Auskunftserteilung in Form der Vorlage eines Nachlassverzeichnisses, zur Ermittlung des Wertes einer Reihe von einzeln aufgezählten Immobilien durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens, erforderlichenfalls zur eidesstattlichen Versicherung der Richtigkeit der Angaben und schließlich zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 1/8 des Gesamtnachlasswerts zu verurteilen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hierzu insbesondere ausgeführt:
Der Kläger benötige die beanspruchte Auskunft nicht, da er bereits über die Angaben der Beklagten gegenüber dem Nachlassgericht über ausreichende Kenntnisse verfüge.
Dessen ungeachtet habe der Kläger durch sein Verhalten dem Erblasser gegenüber sein Pflichtteilsrecht verwirkt, insbesondere indem er diesem als Kind keinen gehörigen Unterhalt geleistet und ihn fortwährend gedemütigt, beleidigt, misshandelt, geschlagen, mit 14 Jahren aus dem Haus getrieben sowie – mit bedingtem Tötungsvorsatz – mit einem Schraubenzieher angegriffen habe. Durch dieses Verhalten habe der Kläger die Pflichtteilsentziehungsgründe gemäß § 2333 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 BGB verwirklicht. Zudem habe der Kläger Gelder des Erblassers veruntreut. Der Erblasser habe daher stets geäußert, dass der Kläger von ihm nichts mehr bekommen werde. Bei der Errichtung seines Testaments im Jahr 1985 sei der Erblasser irrtümlich davon ausgegangen, dass der Kläger aus dem Nachlass nichts erhalten werde.
Bei der Berechnung des Nachlasswerts müssten jedenfalls Erstattungs-, Rückzahlungs- und Ausgleichsansprüche der Beklagten gegen den Erblasser berücksichtigt werden. Zumindest müsste sich der Kläger vom Erblasser erhaltene Leistungen – insbesondere einen Geldbetrag von 50.000,00 € für einen Hausbau in Italien – auf einen etwaigen Anspruch anrechnen lassen.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat im angegriffenen Teil-Endurteil der Klage hinsichtlich des Auskunftssowie des Wertermittlungsantrags stattgegeben1.
Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt:
Nach § 2303 Abs. 2 Satz 1 BGB stehe dem Kläger als Vater des Erblassers grundsätzlich ein Pflichtteilsrecht zu, nachdem der Erblasser den Kläger durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen habe. Dementsprechend stünden dem Kläger die vorbereitenden Ansprüche aus § 2314 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Halbs. 2 BGB auf Auskunftserteilung und Wertermittlung zu.
Der Kläger habe sein Pflichtteilsrecht weder verloren noch verwirkt.
Eine Pflichtteilsentziehung sei nicht erfolgt, nachdem der Erblasser diese entgegen § 2336 Abs. 1 BGB nicht letztwillig verfügt habe.
Soweit neben der Pflichtteilsentziehung gemäß §§ 2333 ff. BGB und der Pflichtteilsunwürdigkeit gemäß § 2345 Abs. 1, Abs. 2, §§ 2339 ff. BGB überhaupt eine Verwirkung des Pflichtteilsrechts oder daraus folgender Ansprüche in Betracht kommen könnte, so lägen die Voraussetzungen hierfür jedenfalls nicht vor.
Ob der Beklagten Ansprüche gegen den Nachlass oder sonstige Abzugspositionen zustehen, könne für die erfolgte Entscheidung dahinstehen, da jedenfalls derzeit nicht festgestellt werden könne, dass diese einen Pflichtteilsanspruch in vollständiger Höhe ausschließen würden.
Die streitgegenständlichen Ansprüche seien noch nicht erfüllt, insbesondere nicht durch die Angaben der Beklagten gegenüber dem Nachlassgericht.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Ziel der Klageabweisung weiter. Zur Begründung führt sie insbesondere aus:
Zu Unrecht habe das Landgericht Nürnberg-Fürth eine Verwirkung des Pflichtteilsanspruchs des Klägers verneint.
Der Erblasser habe irrtümlich angenommen, dass der Kläger vor dem Erblasser versterben werde, dass der Kläger aus dem Nachlass des Erblassers nichts erhalten werde und dass die Beklagte im Falle eines Versterbens des Erblassers ausreichend abgesichert sei. Wäre der Kläger diesen Irrtümern nicht unterlegen, so hätte er dem Kläger den Pflichtteil entzogen.
Das Verhalten des Klägers stelle jedenfalls eine böswillige Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser dar.
Das Landgericht hätte jedenfalls Beweis dazu erheben müssen, dass der Erblasser zu Lebzeiten mehrfach geäußert habe, der Kläger werde aus seinem Nachlass nichts erhalten.
Das Oberlandesgericht Nürnberg ist der Auffassung, dass die Berufung keinen Erfolg haben kann:
Zutreffend hat das Landgericht Nürnberg-Fürth nach Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg festgestellt, dass der Erblasser dem Kläger den Pflichtteil jedenfalls deswegen nicht wirksam entzogen hat, weil er die Entziehung nicht in der nach § 2336 Abs. 1 BGB zwingend erforderlichen Form einer letztwilligen Verfügung vorgenommen hat.
Eine letztwillige Verfügung des Erblassers hinsichtlich der Entziehung des Pflichtteils des Klägers existiert unstreitig nicht.
Ob der Erblasser in anderer Form den Willen kundgetan haben mag, dass der Kläger aus seinem Nachlass nichts mehr bekommen sollte, ist daher unerheblich und musste vom Landgericht deswegen auch nicht aufgeklärt werden. Es kann daher insbesondere auch dahinstehen, ob die Behauptungen der Beklagten zu einer böswilligen Unterhaltspflichtverletzung i.S. des § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB zutreffen oder nicht.
Unerheblich ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg auch, ob sich der Erblasser hinsichtlich des Vorversterbens, der Beteiligung des Klägers am Nachlass oder der Absicherung der Beklagten in einem Irrtum befunden haben mag. Ein solcher Irrtum könnte allenfalls – etwa über eine Anfechtung – zur Vernichtung tatsächlich vorgenommener Verfügungen führen, nicht hingegen zur Fiktion einer tatsächlich nicht getroffenen Verfügung.
Eine Pflichtteilsunwürdigkeit i.S. von § 2345 Abs. 2 – die gemäß § 2345 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 2341, § 143 Abs. 1 BGB von der Beklagten selbst durch einfache Erklärung gegenüber dem Kläger geltend gemacht werden könnte – ist nicht anzunehmen.
Von den in § 2339 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 BGB abschließend aufgeführten Unwürdigkeitsgründen kommt nach dem Vortrag der Beklagten allenfalls ein widerrechtlicher Tötungsversuch in Betracht (§ 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB), nachdem die Beklagte behauptet hat, der Kläger habe mit bedingtem Tötungsvorsatz versucht, den Erblasser mit einem Schraubenzieher zu verletzen. Dieser – vom Kläger vollumfänglich bestrittene – Vortrag ist jedoch unbeachtlich, da er insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts, des Orts und der Umstände des behaupteten Vorfalls ohne Substanz ist und von der Beklagten jedenfalls nicht unter Beweis gestellt wurde. In der Berufungsbegründung beruft sich die Beklagte dementsprechend hierauf auch nicht mehr.
Ein Irrtum des Erblassers könnte insofern nur dann relevant werden, wenn gerade der Kläger den Irrtum beim Erblasser erregt hätte und diesen dadurch widerrechtlich und vorsätzlich von der Vornahme einer Verfügung abgehalten hätte (§ 2339 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Eine Irrtumserregung durch den Kläger behauptet die Beklagte jedoch selbst nicht.
Zu Recht hat das Landgericht Nürnberg-Fürth auch eine Verwirkung des Pflichtteilsrechts und der daraus resultierenden Ansprüche des Klägers verneint.
Wie das Landgericht Nürnberg-Fürth zutreffend ausgeführt hat, wird der Ausschluss von Ansprüchen aus dem verfassungsmäßig geschützten (Art. 14 Abs. 1 GG) und nicht frei entziehbaren Pflichtteilsrecht wegen eines den Interessen des Erblassers zuwiderlaufenden Verhaltens des Pflichtteilsberechtigten durch die Rechtsinstitute der Pflichtteilsentziehung (§§ 2333 ff. BGB) und der Pflichtteilsunwürdigkeit (§ 2345 Abs. 1, Abs. 2, § 2339 ff. BGB) grundsätzlich abschließend geregelt, so das Oberlandesgericht Nürnberg. Insbesondere sind sowohl die in § 2333 Abs. 1 BGB aufgeführten Pflichtteilsentziehungsgründe als auch die in § 2339 Abs. 1 BGB aufgeführten Unwürdigkeitsgründe abschließend und einer Analogie nicht zugänglich2.
Selbst wenn daneben Fallgestaltungen denkbar sein sollten, in denen über die vorgenannten Rechtsinstitute hinaus eine Verwirkung der Rechte des Pflichtteilsberechtigten angenommen werden könnte, so darf die Annahme einer solchen Verwirkung nicht zu einer Umgehung der vom Gesetzgeber in §§ 2333 ff. BGB und §§ 2339 ff. BGB getroffenen Wertentscheidungen führen. Insbesondere darf dadurch nicht das Formerfordernis des § 2336 Abs. 1 BGB umgangen oder die gegenüber den Pflichtteilsentziehungsgründen bewusst beschränkend vorgenommene Aufzählung der Unwürdigkeitsgründe ignoriert werden. Fällt also ein Verhalten des Pflichtteilsberechtigten grundsätzlich in den Anwendungsbereich der in § 2333 Abs. 1 BGB aufgeführten Pflichtteilsentziehungsgründe, verwirklicht es aber keinen Unwürdigkeitsgrund i.S. des § 2339 Abs. 1 BGB, so darf das Recht des Pflichtteilsberechtigten nicht über die Annahme einer Verwirkung ausgeschlossen werden, wenn der Erblasser eine Pflichtteilsentziehung tatsächlich nicht in der Form des § 2336 Abs. 1 BGB wirksam verfügt hat.
Es kann daher, so das Oberlandesgericht Nürnberg weiter, dahinstehen, ob die von der Beklagten behaupteten Verhaltensweisen des Klägers gegenüber dem Erblasser – insbesondere die behauptete böswillige Verletzung der Unterhaltspflicht sowie die körperlichen Misshandlungen und Beleidigungen – stattgefunden haben, hierdurch die Pflichtteilsentziehungsgründe des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB (zur erstinstanzlich behaupteten versuchten Tötung i.S. des § 2333 Abs. 1 Nr. siehe bereits oben unter 2a) verwirklicht wurden und ob der Erblasser dem Kläger möglicherweise verziehen hat. Die Annahme einer Verwirkung kann darauf schon deswegen nicht gestützt werden, weil damit die in § 2333 Abs. 1, § 2339 Abs. 1 BGB zum Ausdruck gekommene gesetzgeberische Grundentscheidung unterlaufen und die Unwürdigkeitsgründe des § 2339 Abs. 1 BGB über den abschließenden Katalog hinaus erweitert würden.
Oberlandesgericht Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 04.01.2018 – 12 U 1668/17
- Landgericht Nürnberg-Fürth, Urteil vom 31.07.2017 – 6 O 8486/16 [↩]
- BGH, Urteil vom 25.10.1976 – IV ZR 109/74; OLG Frankfurt, Urteil vom 29.10.2013 – 15 U 61/12; BGH, Urteil vom 10.06.1968 – III ZR 67/66; OLG Frankfurt, Urteil vom 29.10.2010 – 21 U 9/10 [↩]