Arbeitnehmer können im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung Kosten für eine doppelte Haushaltsführung geltend machen, wenn sie – verkürzt gesagt – ihren Lebensmittelpunkt am Ort A haben und eine Wohnung am Ort B unterhalten müssen, an dem sie arbeiten.
Naturgemäß gibt es über die Frage, ob im konkreten Fall Kosten einer doppelten Haushaltsführung anzuerkennen sind und, ob alle Kosten, die geltend gemacht wurden, so auch anzuerkennen sind, regelmässig Streit zwischen Steuerpflichtigem und Finanzamt.
Das Finanzgericht Münster hatte nun über einen Fall zu entscheiden, in dem es zwar um die erste Variante ging (überhaupt anzuerkennen?), aber anders, als das Finanzamt meinte, der Steuerpflichtige im Ergebnis – obgleich das Finanzamt eine doppelte Haushaltsführung auch nicht (mehr) sah – die Kosten nichtsdestotrotz ansetzen konnte.
Worum ging es?
Der Kläger wurde für das Streitjahr 2015 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Seinen Lebensmittelpunkt hatte er unstreitig ganzjährig in A-Stadt (NRW), ging aber einer Beschäftigung in Berlin nach.
Zu diesem Zweck hatte er dort eine Wohnung angemietet. Das Arbeitsverhältnis wurde durch den Arbeitgeber zum 31.08.2015 gekündigt. Bis Dezember 2015 bewarb sich der Kläger bei insgesamt 72 Arbeitgebern im gesamten Bundesgebiet und in der Schweiz. Drei dieser Arbeitgeber hatten ihren Sitz in Berlin und Umgebung.
Nachdem der Kläger im Dezember 2015 eine Zusage für eine Stelle in C-Stadt (Hessen) zum 01.01.2016 erhalten hatte, kündigte er die Mietwohnung in Berlin fristgemäß zum 29.02.2016.
Die Kosten für die Wohnung in Berlin machte er für das gesamte Jahr 2015 im Rahmen seiner Steuererklärung als Kosten der doppelten Haushaltsführung geltend.
Dies begründete er damit, dass er die Wohnung in Berlin erst zu Ende Februar 2016 gekündigt habe, da er gehofft habe, in Berlin eine neue Stelle zu erhalten und verwies auf die noch im November 2015 erfolgten Bewerbungen.
Das beklagte Finanzamt stellte sich auf den Standpunkt, dass Mietkosten lediglich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist für den Mietvertrag und damit nur noch für drei Monate nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses anerkannt werden könnten. Zudem habe sich der Kläger bei einer Vielzahl von Firmen im gesamten Bundesgebiet beworben und nur ein Bruchteil davon auf Berlin entfallen sei, so dass die Argumentation des Klägers auch deshalb eine steuerliche Geltendmachung nicht rechtfertige.
Die Entscheidung des Finanzgerichts Münster:
Das Finanzgericht hat dem Kläger in den hier relevanten Punkten recht gegeben.
Die mit der Klage geltend gemachten zusätzlichen Aufwendungen in Bezug auf die Wohnung in Berlin stellen Werbungskosten dar. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Werbungskosten sind auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG).
Dass beim Kläger dem Grunde nach die Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung in Berlin im Hinblick auf das bis zum 31.08.2015 bestehende Arbeitsverhältnis vorlagen, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Ebenso wenig ist streitig, dass der Kläger die Aufwendungen für die Wohnung in Berlin jedenfalls bis zum 30.11.2015 geltend machen kann, weil er für die Kündigung der Mietwohnung eine dreimonatige Kündigungsfrist einzuhalten hatte.
Dem Kläger steht darüber hinaus ein Werbungskostenabzug für die Miete über den 30.11.2015 hinaus jedenfalls für den Monat Dezember 2015 zu – so das Finanzgericht Münster. Diesbezüglich stehen die Aufwendungen zwar nicht mehr im Zusammenhang mit der doppelten Haushaltsführung, weil das Arbeitsverhältnis beendet war und das Mietverhältnis zum 30.11.2015 hätte gekündigt werden können.
Bei den Aufwendungen handelt es sich jedoch um vorweggenommene Werbungskosten in Bezug auf ein vom Kläger in Berlin angestrebtes neues Arbeitsverhältnis. Aufwendungen sind beruflich veranlasst und damit als Werbungskosten abzugsfähig, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen1.
Soweit der Kläger noch für den Monat Dezember 2015 Miete für die Wohnung in Berlin gezahlt hat, ist ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen erkennbar. Der Kläger hatte sich noch Anfang November 2015 auf zwei Arbeitsstellen in Berlin bzw. Umgebung beworben. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch keine Zusage für eine neue Arbeitsstelle an einem anderen Ort erhalten. Im November 2015 bestand daher eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass er eine neue Stelle in Berlin erhalten würde. In diesem Fall hätte er seine doppelte Haushaltsführung in Berlin fortgesetzt und hierfür seine bisherige Wohnung beibehalten können. Selbst wenn der Kläger auf die Bewerbungen noch im November 2015 eine Absage erhalten hätte, hätte er die Wohnung jedenfalls nicht vor Jahresende innerhalb der gesetzlichen Kündigungsfrist aufgeben können. In die Betrachtung ist zwar einzubeziehen, dass eine private Nutzung der Wohnung, z.B. für Besuche in Berlin an Wochenenden, nicht vollständig ausgeschlossen ist. Dies gilt insbesondere für günstige Wohnungen in großen Städten mit hohem Freizeitwert2. Im Streitfall wird diese Möglichkeit der privaten Nutzung jedoch durch den Umstand überlagert, dass der Kläger die Wohnung in Berlin unmittelbar nach Zusage der neuen Arbeitsstelle zum nächstmöglichen Zeitpunkt fristgerecht gekündigt hat. Das Finanzgericht Münster geht daher davon aus, dass es ihm nicht um die Beibehaltung einer günstigen Wohnung für die Freizeitnutzung gegangen ist, sondern um die Vermeidung unnötiger Kosten eines Umzugs und der Anmietung einer vermutlich teureren neuen Wohnung in Berlin. Jedenfalls für einen derart kurzen Zeitraum, der im Streitfall lediglich einen Monat umfasst, kann bei dieser Sachlage eine Berücksichtigung als vorweggenommene Werbungskosten erfolgen.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 12.06.2019 – 7 K 57/18 E
ECLI:DE:FGMS:2019:0612.7K57.18E.00
- BFH, Urteil vom 27.10.2011 – VI R 99/11 [↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.06.2017 – 3 K 3278/14 [↩]