Es ist in der Regel immer schon ein schwerer Schritt, einen pflegebedürftigen Angehörigen einer Pflegeeinrichtung anzuvertrauen. Passiert diesem Angehörigen dann dort auch noch etwas, was sogar zum Tode führt, so ist dies – vorsichtig formuliert – eine schwierige Situation.
Hat man selbst alles richtig gemacht bei der Auswahl der Einrichtung? Hat diese eventuell einen Fehler gemacht bei der Betreuung?
Um letzteren Vorwurf ging es bei einer aktuellen Entscheidung des Landgerichts Köln:
Die Klägerin machte aus ererbtem Recht ihrer 1924 geborenen und am 02.07.2018 verstorbenen Mutter – im folgenden Patientin – gegen die Beklagte, die verschiedene Pflegeeinrichtungen betreibt, Schadensersatzansprüche wegen angeführt fehlerhafter Pflege geltend.
Aufgrund eines Pflegevertrages wurde die Patientin, die zu dieser Zeit bereits an einer fortgeschrittenen Demenz litt und in den Pflegegrad V eingestuft war, am 04.04.2018 in eine von der Beklagten geführte Kurzzeitpflegeeinrichtung aufgenommen. Am 12.04.2018 zog sich die Patientin aus Anlass eines Sturzereignisses eine Platzwunde zu. Am 20.04.2018 wurde die Patientin um 01:45 Uhr unter zwischen den Parteien umstrittenen Umständen von einer Pflegekraft vor dem Balkon im Speisesaal liegend auf dem Boden vorgefunden. Die Beklagte veranlasste einen RTW-Transport der Patientin in ein Krankenhaus.
Die Klägerin wirft der Beklagten Pflegefehler vor.
Die Pflegekräfte hätten entweder die bei der Patientin bestehende Sturzgefahr verkannt oder aber – sollte die Sturzgefahr beklagtenseits realisiert worden seien – auf diese nicht adäquat reagiert. Es sei versäumt worden, Sturzrisiken etwa durch Anbringen eines Bettgitters, mittels Tieferlegen des Bettes, durch eine Fixierung oder aber eine engmaschigere Beobachtung zu minimieren.
Am frühen Morgen des 20.04.2018 sei es erneut zu einem Sturz der Patientin gekommen. In dessen Folge habe die Patientin sich eine traumatisch bedingte subdurale Blutung ebenso zugezogen wie eine mediale Schenkelhalsfraktur, die in der Folge operativ habe versorgt werden müssen. Die Patientin sei in deutlich weitergehendem Maße auf Pflege angewiesen gewesen, als dass zuvor der Fall gewesen sei. Letztlich sei es zu einer Lebenszeitverkürzung gekommen; der Tod der Patientin am 02.07.2018 sei auf den Sturz vom 20.04.2018 und damit auf die Pflegefehler zurückzuführen.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin ein ererbtes Schmerzensgeld, das sie seiner Höhe nach in das Ermessen des Gerichts stellt, wobei sie indes angibt, einen Betrag von nicht unter 35.000 € für angemessen zu erachten.
Die Beklagte bestreitet Pflegefehler. Im Gegenteil habe die der Patientin zuteil gewordene Pflege zu jeder Zeit den Regeln der Kunst entsprochen. Das Anbringen eines Bettgitters sei kontraindiziert gewesen, weil ein solches mit Blick auf die motorische Unruhe der Patientin eine etwa gegebene Sturzgefahr noch verstärkt hätte. Ohnehin wäre es Sache der Klägerin – unstreitig Betreuerin der Patientin – gewesen, die Genehmigung eines Bettgitters beim Betreuungsgericht zu beantragen. Zu dem von der Klägerin behaupteten Sturzereignis am frühen Morgen des 20.04.2018 erklärt sie sich mit Nichtwissen. Keiner ihrer Mitarbeiter habe einen Sturz beobachtet; allein, dass die Patientin im Speisesaal auf dem Boden liegend aufgefunden worden sei, deute für sich genommen nicht auf einen Sturz hin. Eine durchgehende Überwachung sei in einer Pflegeeinrichtung nicht zu leisten. Etwa bei der Patientin entstandene Verletzungen – zu denen sie sich ebenfalls mit Nichtwissen erklären – seien einer Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos geschuldet.
Das Landgericht Köln hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte nach Auffassung des Landgerichts Köln kein Anspruch auf Zahlung eines ererbten Schmerzensgeldes aus dem Gesichtspunkt schuldhafter Vertragsverletzung (§§ 280 Abs. 1, 1922 BGB) oder wegen einer unerlaubten Handlung (§§ 823, 1922 BGB) zu.
Die Beweisaufnahme hat einen Pflegefehler nicht ergeben.
Dies geht zulasten der für einen solchen beweisbelasteten Klägerin.
Die Pflegesachverständige Dr. E hat in ihren mündlich und schriftlich erstatteten Gutachten ausgeführt, dass die von der Beklagten in der betroffenen Pflegeeinrichtungen veranlassten Maßnahmen den Vorgaben des Expertenstandards Sturzprophylaxe entsprochen hätten.
Das bei der verstorbenen Patientin tatsächlich bestehende Sturzrisiko sei von Anfang an korrekt eingeschätzt worden. Sturzgefahren existierten bei dementen Patienten; man könne nicht viel dagegen tun. Weitergehende Maßnahmen, als die in der Einrichtung der Beklagten getroffenen seien vor diesem Hintergrund nicht notwendig gewesen. Insbesondere stelle sich – anders, als die Klägerin meine – eine Fixierung oder das Hochstellen der Bettseitenteile („Bettgitter“) als kontraindiziert dar.
Eine Fixierung berge nämlich die erhebliche Gefahr von Strangulationsverletzungen. Hinzu komme, dass die erzwungene Unbeweglichkeit bei den betroffenen Patienten zu einem massiven Muskelabbau führe, der eine fortschreitende motorische Verunsicherung bedinge und damit die Sturzgefahr erhöhe, anstatt sie zu verringern.
Nichts anderes gelte für die Anbringung eines Bettgitters. Denn bei – wie hier – dementen, allerdings hochmobilen Patienten, denen die Einsichtsfähigkeit in die Sinnhaftigkeit eines Bettgitters fehle, führe ein solches allein dazu, dass der Patient typischerweise versuche, den Seitenschutz zu überklettern. Sonach – so die Sachverständige – minimiere ein Bettgitter nicht die Sturzgefahr, sondern begünstige allenfalls Stürze aus größerer Höhe.
Das Landgericht Köln hatte keine Bedenken, die vorstehend wiedergegebenen gutachterlichen Feststellungen ihrer Entscheidungsfindung zugrunde zu legen. Nach dem Dafürhalten des Gerichts ist die fachliche Kompetenz der Sachverständigen nicht in Zweifel zu ziehen. Dr. E ist nicht nur Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands unabhängiger Pflegesachverständiger und Pflegeberater, sie ist zusätzlich eine sehr erfahrene Gerichtsgutachterin, die die Kammer seit Jahren immer wieder beauftragt. Die Sachverständige vermochte ihre Schlussfolgerungen überzeugend, verständlich und nachvollziehbar zu erläutern, dies auf Grundlage der von ihr eingesehenen vollständigen Behandlungsunterlagen. Mängel der Begutachtung erschließen sich hiernach nicht, sodass das Gericht den Ausführungen der Sachverständigen in vollem Umfang folgt.
Weil hiernach schon ein Pflegefehler nicht erwiesen ist, konnte das Landgericht Köln unentschieden lassen, welche Verletzungen die Patientin durch einen – anzunehmenden – Sturz erlitten hat.
Landgericht Köln, Urteil vom 27.10.2020 – 3 O 5/19
ECLI:DE:LGK:2020:1027.3O5.19.00
Anmerkung:
Losgelöst von dem entschiedenen Fall ist die Problematik mit den Bettgittern bekannt und kann – je nach Erkrankungen des Patienten – in der Tat ein erhöhtes Risiko darstellen, auch wenn man die Bettgitter auf den ersten Blick als sinnvolle Lösung ansieht. Darüber hinaus darf man bei aller Fürsorge und der Idee des Schutzes nie vergessen, dass sowohl die Bettgitter als auch – erst recht – die hier wohl angedachte Fixierung vehemente Eingriffe in die Rechte des Patienten (ja, die hat er noch!) darstellen!