Handelt es sich bei einem „American Bully“ um einen qua definitionem gefährlichen Hund im Sinne des Landeshundegesetzes NRW (LHundG NRW) oder nicht?
Wir hatten hier bereits schon einmal über einen solchen Fall berichtet, in dem das Oberverwaltungsgericht Münster in einem Eilverfahren die Sache differenziert betrachtet und der Beschwerde gegen den Sofortvollzug einer Haltungsuntersagung stattgegeben hat.
Dieser Auffassung hat sich nun auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Rahmen eines Eilverfahrens angeschlossen.
In dem konkreten Fall stützen sich Anordnungen der Ordnungsbehörde (Antragsgegnerin) entscheidungstragend auf die Annahme, bei dem Hund der Antragstellerin handele es sich um einen American Staffordshire Terrier – Mischling und damit um einen gefährlichen Hund gemäß § 3 Abs. 2 LHundeG NRW.
Wenn diese Annahme unzutreffend ist, fehlt es an den Tatbestandsvoraussetzungen für das auf § 12 Abs. 2 Satz 1 und 4 LHundeG NRW gestützte Einschreiten der Antragsgegnerin. Wenn sie richtig ist, hängt die weitere Frage, ob die Haltung des Hundes nach § 12 Abs. 2 Satz 1 LHundeG NRW untersagt werden „soll“, davon ab, ob die Antragsgegnerin zu Recht ein öffentliches Interesse an der weiteren Haltung verneint hat. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen kann ein solches Interesse in der Vermeidung eines Tierheimaufenthalts bestehen, sofern nicht der Betroffene bei Inobhutnahme des Hundes weiß oder wissen muss, dass es sich um einen gefährlichen Hund im Sinne des § 3 Abs. 2 LHundeG NRW handelt. Hierbei sind wegen der von gefährlichen Hunden ausgehenden Gefahren grundsätzlich hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, wobei jeweils die Besonderheiten des zugrundeliegenden Falles zu beachten sind1.
Ob ggf. die Antragstellerin diese Sorgfaltsanforderungen eingehalten hat, erscheint offen und bleibt einer etwaigen Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten. Das kann insbesondere von genaueren Feststellungen zum Phänotyp des streitgegenständlichen Hundes und weiteren Umständen seines Erwerbs abhängen.
Ob es sich um einen gefährlichen Hund im Sinne des § 3 Abs. 2 LHundeG NRW handelt, lässt sich bei summarischer Prüfung nicht feststellen.
Nach Satz 1 der Vorschrift sind gefährliche Hunde Hunde der Rassen Pittbull Terrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier und Bullterrier und deren Kreuzungen untereinander sowie deren Kreuzungen mit anderen Hunden. Gemäß Satz 2 sind Kreuzungen nach Satz 1 Hunde, bei denen der Phänotyp einer der dort genannten Rassen deutlich hervortritt. Ein deutliches Hervortreten in diesem Sinne kann (nur) dann angenommen werden, wenn ein Hund nach seiner äußeren Erscheinung trotz der erkennbaren Einkreuzung anderer Rassen in markanter und signifikanter Weise die Merkmale einer der in der Vorschrift genannten Rassen zeigt.
Die Frage, wann bei einem Hund ein so verstandenes Hervortreten gegeben ist, ist einer rein schematischen Beantwortung nicht zugänglich. Maßgeblich ist vielmehr eine wertende Betrachtung im Einzelfall, die in den Blick nimmt, ob ungeachtet des nicht zu leugnenden Einflusses auch anderer Rassen bestimmte, die in Rede stehende Rasse besonders charakterisierende Merkmale deutlich ausgeprägt sichtbar sind2.
Eine phänotypische Beurteilung muss die Grundlage für eine entsprechende Einordnung erkennen lassen. Dabei ist auf den Gesamteindruck abzustellen. Geboten ist eine Gesamtbetrachtung des Erscheinungsbildes des Hundes, namentlich aller für und gegen eine Zuordnung zu einer der o. g. Rassen sprechenden Merkmale3.
Nach diesem Maßstab reicht nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen im vorliegenden Fall die phänotypische Beurteilung der Amtlichen Tierärztin nicht aus, um die Annahme, bei dem betreffenden Hund handele es sich um einen American Staffordshire Terrier „bzw.“ eine Kreuzung mit einem American Staffordshire Terrier, zu tragen. Sie genügt nicht den vorstehenden Anforderungen.
Bei dem Hund handelt es sich nach den Angaben der Antragstellerin um einen „American Pocket Bully“. Hunde der Züchtung „American Bully“ sind keine eigenständige Rasse im Sinne des Landeshundegesetzes. Darunter fallen nur solche Rassen, die bereits bei Inkrafttreten des Landeshundegesetzes im Jahr 2013 allgemein durch die großen nationalen und internationalen kynologischen Fachverbände anerkannt waren2.
Laut Wikipedia ist der „American Bully“ weder von der FCI noch dem Verband für das Deutsche Hundewesen als eigene Hunderasse anerkannt. Der amerikanische United Kennel Club hat zwar einen entsprechenden Rassestandard anerkannt, jedoch erst im Jahr 2013. Der „American Bully“ ist nach der genannten Quelle ein „Hybridhund“, über dessen tatsächliche Abstammung es verschiedene Meinungen gibt. Es wird u. a. vermutet, dass er ursprünglich eine Züchtung aus American Staffordshire Terrier und American Pitbull Terrier war und später Kreuzungen mit verschiedenen Bulldoggenrassen wie American Bulldog, Old English Bulldog, Französische Bulldogge und Englische Bulldogge hinzugekommen sind. Laut https://www.zooplus.de/magazin/hund/hunderassen/american-bully bringt der „American Bully“ die „typische Bulldoggen-Optik“ aus einem „imposanten Körperbau mit kräftigem Kopf“ mit, hat einen breiten Brustkorb und sieht insgesamt massiger aus als beispielsweise der American Bulldog, mit dem er leicht zu verwechseln sein soll.
Vor diesem Hintergrund muss die phänotypische Beurteilung eines als „American Bully“ präsentierten Hundes nachvollziehbar erkennen lassen, warum bei der geforderten wertenden Gesamtbetrachtung gerade den Phänotyp des American Staffordshire Terrier besonders charakterisierende Merkmale deutlich ausgeprägt sichtbar sein sollen. Dabei ist namentlich eine substanzielle, nachvollziehbare und schlüssige Abgrenzung zu den genannten Bulldoggenrassen zu fordern.
Die Beurteilung der Amtlichen Tierärztin leistet dies nicht, so das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen weiter. Sie erschöpft sich weitgehend in der Beschreibung der Merkmale des in Rede stehenden Hundes, ohne den Maßstab für die phänotypische Einordnung und die dabei angewandten Erfahrungssätze darzulegen und die bei dem konkreten Hund festgestellten Merkmale in der Gesamtheit anhand eines solchen Maßstabs einer bestimmten Rasse zuzuordnen und zu bewerten. Der wertende, die Annahme eines American Staffordshire Terrier „bzw.“ eines American Staffordshire Terrier-Mischlings begründende Teil der Beurteilung beschränkt sich demgegenüber auf einen einzigen Satz. Dieser Satz lässt nicht einmal ansatzweise erkennen, ob geschweige denn wie die Amtliche Tierärztin den Phänotyp des American Staffordshire Terrier von anderen Rassen abgegrenzt hat. Er stellt zudem das Gegenteil einer Gesamtbetrachtung dar. Die Amtliche Tierärztin greift aus der Vielzahl der angeführten Merkmale mit dem „gut gerundeten, prominenten Kaumuskel“ und „sehr muskulösen und kräftigen Körper“ lediglich zwei Merkmale exemplarisch („z.B.“) heraus und würdigt damit das Erscheinungsbild nur rudimentär. Dabei drängt sich auf, dass diese Merkmale eine Abgrenzung zu den anderen beim „American Bully“ in Betracht kommenden Rassen nicht zu leisten vermögen. Insbesondere der „sehr muskulöse und kräftige Körper“ dürfte vielmehr typisch für all diese Rassen sein. Für eine Würdigung etwa des Einwands der Antragstellerin, der Hund sei für einen reinrassigen American Staffordshire Terrier schon jetzt im noch jugendlichen Alter viel zu schwer, bietet die amtstierärztliche Beurteilung keine Grundlage. Auch die abschließende Feststellung, es handele es sich um einen „American Staffordshire bzw. American Staffordshire-Mischling“, legt in ihrer Unbestimmtheit nahe, dass es an einer hinreichend substanziellen Gesamtwürdigung der phänotypischen Merkmale des Hundes in Abgrenzung des American Staffordshire Terrier zu anderen Hunderassen fehlt. Dass noch nicht einmal eine Festlegung erfolgt, ob es sich um einen reinrassigen Hund oder eine Kreuzung handeln soll, deutet darauf hin, dass die phänotypische Begutachtung zu oberflächlich vorgenommen wurde. Zudem bestehen Zweifel, inwieweit eine Rassebestimmung im Zeitpunkt der Begutachtung möglich war. Dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ist aus anderen Verfahren mit einschlägiger Thematik bekannt, dass mehrere Behörden und Amtsveterinäre eine zuverlässige Bestimmung des Phänotyps erst ab einem Alter des Hundes von einem Jahr für möglich halten1.
Im vorliegenden Fall was der Hund im Zeitpunkt seiner Begutachtung durch die Amtliche Tierärztin 8 Monate alt. Dass daraus Unsicherheiten der phänotypischen Beurteilung folgen, deutet die Amtstierärztin selbst am Ende ihrer Stellungnahme an, ohne die dort geäußerte Erwartung, dass der Hund „sicher noch an Masse und eventuell ein wenig an Größe zunehmen“ werde, nachvollziehbar einzuordnen.
Die hiernach veranlasste offene Interessenabwägung unter maßgeblicher Berücksichtigung der Folgen fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus. Sollte sich im Falle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung später die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Regelungen herausstellen, hätte die Antragstellerin den Hund zu Unrecht noch länger ohne Erlaubnis halten können, bevor er an ein Tierheim oder eine andere geeignete Person oder Stelle abzugeben wäre. Würde dagegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt und sollten sich die streitgegenständlichen Anordnungen später als rechtswidrig erweisen, bestünde die Gefahr, dass der Hund zu Unrecht in ein Tierheim hätte verbracht werden müssen. Die damit einhergehende Zerstörung der Bindung des Hundes zur Antragstellerin, die damit verbundene Kostenbelastung und vor allem Gründe des Tierschutzes (Verbleib des Hundes in seiner gewohnten Umgebung) haben gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung größeres Gewicht. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin den Hund bislang beanstandungsfrei hält, ohne dass konkrete Gefahren für Rechtsgüter Dritter erkennbar geworden sind.
Die Äußerung der Betreiberin einer Hundeschule, dass der Hund „problematisch“ sei, da er ängstlich sei, dabei aber nicht zurückweiche, sondern „aggressiv vorwärts“ gehe, ändert daran nichts, zumal die Antragstellerin, soweit ersichtlich, verantwortungsbewusst mit dem Hund umzugehen scheint. So hatte sie dem Hund bei der dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegenden Kontrolle gerade wegen seines Verhaltens einen Maulkorb angelegt.
Aus den vorstehenden Gründen überwiegt nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung.
- OVG NRW, Beschluss vom 21.10.2019 – 5 B 761/19 [↩] [↩]
- OVG NRW, Urteil vom 12.03.2019 – 5 A 1210/17 [↩] [↩]
- OVG NRW, Urteil vom 12.03.2019 – 5 A 1210/17; OVG NRW, Beschluss vom 23.07.2020 – 5 B 667/19 [↩]