Kündigungen von Wohnraum wegen Eigenbedarf sind ein ewiges Streitthema (wir hatten u.A. hier und hier über entsprechende Entscheidungen berichtet).
Besonders schlimm kann es natürlich für ältere Mieter sein, die schon sehr lange in der betreffenden Wohnung wohnen. Auf der anderen Seite sind natürlich die Interessen des Eigentümers zu berücksichtigen.
Aber kann eine Eigenbedarfskündigung allein aufgrund des Alters des Mieters „gekippt“ werden?
Der Bundesgerichtshof hat anhand einer aktuellen Entscheidung noch einmal einige wesentliche Punkte zusammengefasst:
- Das hohe Alter eines Mieters begründet ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch keine Härte im Sinne des §574 Abs.1 Satz1 BGB1.
- Der Annahme, das hohe Lebensalter des Mieters gebiete auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses, liegt eine unzulässige Kategorisierung der nach §574 Abs. 1 Satz1 BGB abzuwägenden Interessen zugrunde2
- Eine langjährige Mietdauer lässt für sich genommen noch nicht auf eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen. Vielmehr hängt deren Entstehung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters (Pflegen sozialer Kontakte in der Nachbarschaft etc.) ab1.
Welcher Fall lag diesen Überlegungen zugrunde?
Die 1932 geborene Beklagte und ihr 1934 geborener, inzwischen verstorbener Ehemann, der ehemalige Beklagte zu 2, mieteten im Jahr 1997 von der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine im vierten Obergeschoss gelegene Zweizimmerwohnung in Berlin.
Die Klägerin ist seit 2015 Eigentümerin dieser Wohnung. Sie erklärte die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses.
Zur Begründung führte sie an, sie wolle während ihrer Aufenthalte in Berlin künftig nicht mehr -wie bisher -zusammen mit ihrem erwachsenen Sohn zur Miete, sondern stattdessen allein in der in ihrem Eigentum stehenden Wohnung leben. Die Beklagte und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann widersprachen dieser Kündigung unter Verweis auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel.
Das Amtsgericht Berlin-Mitte hat die auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage – nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens über die für die Beklagten zu besorgenden Kündigungsfolgen – abgewiesen und angeordnet(§ 308a Abs. 1 ZPO), dass das Mietverhältnis der Parteien über die betreffende Wohnung auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde3.
Die Berufung der Klägerin zum Landgericht Berlin blieb erfolglos4.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg.
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Räumung und Herausgabe der von der Beklagten und ihrem verstorbenen Ehemann angemieteten Wohnung nach § 546 Abs. 1, §985 BGB nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht verneint werden.
Die Bewertung des Berufungsgerichts, die Beklagte könne die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach §§ 574, 574a BGB auf unbestimmte Zeit verlangen, beruht auf revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern. Das Landgericht Berlin hat unzutreffende rechtliche Maßstäbe sowohl bei der Beurteilung des Härtebegriffs des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB als auch bei der nach dieser Vorschrift vorzunehmenden Abwägung der gegenläufigen Interessen der Mietvertragsparteien angesetzt, indem es angenommen hat, allein das hohe Alter eines Mieters rechtfertige die Bejahung einer Härte im Sinne des §574 Abs.1 Satz 1 BGB und gebiete im Rahmen der Interessenabwägung regelmäßig die Bejahung eines Anspruchs des Mieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses.
Noch rechtsfehlerfrei und von beiden Parteien unbeanstandet ist das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht – ohne dies allerdings eigens näher zu erörtern – davon ausgegangen, dass die Eigenbedarfskündigungen der Klägerin gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BGB begründet sind. Die Bejahung einer Eigenbedarfssituation, namentlich der Wunsch, während ihrer Aufenthalte in Berlin künftig nicht mehr gemeinsam mit ihrem erwachsenen Sohn zur Miete, sondern stattdessen alleine in der in ihrem Eigentum stehenden,von der Beklagten innegehaltenen Wohnung zu leben, begegnet aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Bedenken. Somit hat die Kündigung das Mietverhältnis nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden (vgl. § 573c Abs.1, 4 BGB iVm Art. 229 § 3 Abs. 10 Satz 2 EGBGB) und auch von den Parteien nicht angegriffenen Feststellungen desBerufungsgerichts mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet.
Das Bestehen des geltend gemachten Räumungs-und Herausgabeanspruchs der Klägerin hängt danach davon ab, ob die Beklagte nach §§ 574, 574a BGB verlangen kann, das Mietverhältnis fortzusetzen.
Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen für einen Anspruch der Beklagten auf Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574 Abs. 1 Satz 1, § 574a BGB lägen allein wegen des fortgeschrittenen Alters der Beklagten vor.
Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Bei der hierzu vom Tatrichter nach gründlicher und sorgfältiger Sachverhaltsfeststellung vorzunehmenden Gewichtung und Würdigung der beiderseitigen Interessen und ihrer Subsumtion unter die unbestimmten Rechtsbegriffe der genannten Bestimmung hat das Revisionsgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und kann regelmäßig nur überprüfen, ob das Berufungsgericht Rechtsbegriffe verkannt oder sonst unzutreffende rechtliche Maßstäbe angelegt hat, ob es Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze hinreichend beachtet hat oder ob ihm von der Revision gerügte Verfahrensverstöße unterlaufen sind, indem es etwa wesentliche Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt hat5.
Einer an diesem (eingeschränkten) Maßstab ausgerichteten Prüfung hält die Beurteilung des Berufungsgerichts – und zwar sowohl hinsichtlich der Bejahung einer Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB als auch hinsichtlich der nach dieser Vorschrift vorzunehmenden Abwägung der gegenläufigen Interessen der Mietvertragsparteien – nicht stand.
Auf der Grundlage der vom Landgericht Berlin bislang getroffenen Feststellungen kann eine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht bejaht werden. Zwar ist das Berufungsgericht im Ansatz noch zutreffend davon ausgegangen, dass nur solche für den Mieter mit einem Umzug verbundenen Nachteile als Härtegründe im Sinne des §574 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht kommen, die sich von denmit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unan-nehmlichkeiten deutlich abheben6. Rechtsfehlerhaft hat es jedoch angenommen, allein das hohe Alter eines Mieters rechtfertige nach diesem Maßstab die Bejahung einer Härte im Sinne des §574 Abs. 1 Satz 1 BGB. Es hat insoweit außer Achtgelassen, dass sich das hohe Alter eines Menschen je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung unterschiedlich auswirkt und dieserUmstand deshalb – wie der Bundesgerichtshof mit seinem nach der Verkündung der angegriffenen Entscheidung ergangenem Urteil vom 22.05.20197 entschieden hat – ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch nicht eine Härte im Sinne des §574 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet.
Das hohe Lebensalter eines Mieterskann in Verbindung mit weiteren Umständen – im Einzelfall auch der auf einer langen Mietdauer beruhenden tiefen Verwurzelung des Mieters in seiner Umgebung – bei der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung, mithin unter Berücksichtigung der sich aus diesen Faktoren konkret für den betroffenen Mieter ergebenden Folgen eines erzwungenen Wohnungswechsels,eine Härte begründen8.
Insbesondere kann eine Härte zu bejahen sein, wenn zu den genannten Umständen (hohes Lebensalter, Verwurzelung aufgrund langer Mietdauer) Erkrankungen des Mieters hinzukommen, aufgrund derer im Falle seines Herauslösens aus der Wohnumgebung eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands zu erwarten steht. Lässt der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zu oder besteht im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters,kann sogar allein dieseinen Härtegrund darstellen7.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts Berlin ist es jedoch weder mit Blick auf den in Art. 25 EUGrdRCh verbrieftenSchutz älterer Menschen noch unter Berücksichtigung desin Art. 1 Abs. 1 GG sowie dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) verankerten Schutzes der Menschenwürde geboten, nach der Lehre der „mittelbaren Drittwirkung“der Grundrechte eine Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB allein aufgrund des hohen Lebensalters eines Mieters zu bejahen.
Art. 25 EUGrdRCh entfaltet schon deshalb keine (mittelbaren) Auswirkungen auf die Auslegung des Härtebegriffs in § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil diese Regelung gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EUGrdRCh ausschließlich bei der – hier zweifelsfrei nicht betroffenen -Durchführung des Rechts der Union gilt und die in der Unionsrechtsordnung gewährleisteten Grundrechte nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung demnach in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben – sei es auch (nur) in Form der „mittelbaren Drittwirkung“-Anwendung finden9.
Auch unter dem Blickwinkel der Ausstrahlungswirkung der nach Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde sowie des Sozialstaatsprinzips ist es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht angezeigt, das hohe Alter eines Mieters in Verbindung mit einer langen Mietdauer unabhängig von den sich aus einem erzwungenen Wohnungswechselkonkret ergebenden Folgen als Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen. Ob eine Verletzung der Menschenwürde zu befürchten steht, lässt sich nämlich ebenfalls erst beurteilen, wenn die Auswirkungen feststehen, die ein Umzug für den betroffenen Mieter aufgrund seiner individuellen Lebenssituation – insbesondere seines gesundheitlichen Zustands – hätte.
Die demnach erforderlichen Feststellungen hat das Landgericht Berlin nicht getroffen.
Soweit es – eher beiläufig – eine jahrzehntelange soziale Verwurzelung der Beklagten am Ort der Mietsache angenommen hat, lässt die angefochtene Entscheidung Ausführungen dazu, auf welchen Umständen diese Annahme beruht, vollständig vermissen. Denn eine langjährige Mietdauer (hier zum Zeitpunkt der ersten Eigenbedarfskündigung rund 18 Jahre) lässt für sich genommen noch nicht auf eine tiefe soziale Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen. Vielmehr hängt deren Entstehung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab, namentlich davon, ob er beispielsweise soziale Kontakte in der Nachbarschaft pflegt, Einkäufe für den täglichen Lebensbedarf in der näheren Umgebung erledigt, an kulturellen, sportlichen oder religiösenVeranstaltungen in der Nähe seiner Wohnung teilnimmt und/oder medizinische oder andere Dienstleistungen in seiner Wohnumgebung in Anspruch nimmt. Solche Gegebenheiten hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Unabhängig davon fehlt es ferner an Feststellungen des Berufungsgerichts zu den konkreten Folgen, die sich aus dem hohen Lebensalter der Beklagten und ihrer etwaigen sozialen Verwurzelung am bisherigen Wohnort im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels für sie ergeben.
Auch dazu, ob die Beklagte daneben – wie vom Amtsgericht Berlin-Mitte auf der Grundlage der hierzu erhobenen Beweise angenommen – an Erkrankungen leidet, die im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels eine Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands befürchten lassen oder für sich genommen so schwer sind, dass der gesundheitliche Zustand der Beklagten einen Umzug nicht zulässt beziehungsweise im Falle des Herauslösens aus ihrer näheren Umgebung die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Situation besteht, hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Vielmehr hat es – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – ausdrücklich dahinstehen lassen, ob der vom Amtsgericht nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens festgestellte gesundheitliche Zustand der Beklagten die Annahme einer Härte rechtfertigt und ob die gegen die erstinstanzliche Beweiserhebung vorgebrachten verfahrensrechtlichen Einwände eine neuerliche Beweisaufnahme erfordern oder der Beweis des von der Klägerin in Abrede gestellten schlechten Gesundheitszustands der Beklagten aufgrund der vorgelegten ärztlichen Atteste prima facie geführt ist.
Überdies hat das Landgericht Berlin bei der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt und deshalb auch insoweit die für die Beurteilung des Streitfalls notwendigen Feststellungen nicht getroffen.
Bei der Bewertung und Gewichtung der widerstreitenden Interessen beider Mietvertragsparteien im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmenden Abwägung ist den Wertentscheidungen Rechnung zu tragen, die in den für sie streitenden Grundrechten zum Ausdruck kommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bezüglich der Anwendung und Auslegung des Kündigungstatbestandes des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB einerseits und der Sozialklausel des § 574 BGB andererseits dieselben verfassungsrechtlichen Maßstäbe gelten10, so dass auch im Rahmen der Vorschrift des § 574 BGB die vom Vermieter beabsichtigte Lebensplanung grundsätzlich zu respektieren und der Rechtsfindung zugrunde zu legen ist11. Die Abwägung der gegenläufigen Interessen hat sich stets an den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls auszurichten. Dabei ist es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse unzulässig, bestimmten Belangen des Vermieters und/oder des Mieters von vornherein – kategorisch – ein größeres Gewicht beizumessen als denen der Gegenseite ((BGH, Urteil vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18)).
Diesen Anforderungen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene Interessenabwägung nicht gerecht, so der Bundesgerichtshof weiter. Mit der Annahme, das hohe Alter des Mieters gebiete gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB auch unter Würdigung derberechtigten Interessen des Vermieters in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses, hat sich das Berufungsgericht – unzulässigerweise – auf eine (wertende) Kategorisierung der widerstreitenden Interessen zurückgezogen, nämlich dem Bestandsinteresse eines Mieters in hohem Lebensalter – im Wege einer generalisierenden Wertung – den Vorrang gegenüber dem berechtigten Erlangungsinteresse des Vermieters eingeräumt. Zwar ist das Berufungsgericht im Ansatz noch zutreffend davon ausgegangen, die Lebensplanung der Klägerin dahingehend, dass sie während ihrer Aufenthalte in Berlin künftig nicht mehr wie bislang gemeinsam mit ihrem erwachsenen Sohn in einer Mietwohnung, sondern stattdessen alleine in der in ihrem Eigentum stehenden Wohnung leben möchte, sei zu respektieren. Auch hat es das mit dieser Lebensplanung begründete Erlangungsinteresse der Klägerin der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung unterzogen, indem es die Dringlichkeit des geltend gemachten Eigenbedarfs im Hinblick darauf, dass der Eigennutzungswunsch zum einen nicht auf eine ganzjährige Nutzung und zum anderen auf bloßen Komfortzuwachs sowie die Vermeidung etwaiger wirtschaftlicher Nachteile durch die Anmietung einer weiteren Wohnung gerichtet sei, als eher gering eingeschätzt hat. Da es aber infolge der aufgezeigten Kategorisierung der Belange eines älteren Mieters weder zu den von der Beklagten neben ihrem Lebensalter geltend gemachten Härtegründen im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB (soziale Verwurzelungam bisherigen Wohnort, zahlreiche Erkrankungen) noch zu den mit einem Umzug konkret für diese verbundenen Folgen (ausreichende) Feststellungen getroffen hat, hat es sich den Weg zu einer zuverlässigen Gewichtung der etwa zu bejahenden Härte7 und damit zu einer den oben genannten Anforderungen genügenden Interessenabwägung versperrt.
Nach alledem kann das Urteil des Landgerichts Berlin nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang keinen Bestand haben; es ist insoweit aufzuheben (§562 Abs. 1 ZPO).
Da die Sache aus tatsächlichen Gründen nicht entscheidungsreif war, hat der Bundesgerichtshof den Fall zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverwiesen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Der Bundesgerichtshof hat dem Landgericht Berlin aber folgendes noch mit auf den Weg gegeben:
Für das weitere Verfahren wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass regelmäßig die Einholung eines – oder, wie hier, die Heranziehung des vom Amtsgericht bereits eingeholten – Sachverständigengutachtens zu der Art, dem Umfang und den konkreten Auswirkungen auf die Lebensführung des betroffenen Mieters im Allgemeinen und im Falle des Verlusts der vertrauten Umgebung erforderlich ist, wenn der Mieter – wie hier – unter Vorlage von Attesten der behandelnden Fachärzte geltend macht, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten, und der Vermieter dieses Vorbringen bestreitet12. Die vom Mieter als Beleg für sein Vorbringen eingereichten ärztlichen Atteste reichen deshalb in der Regel nicht aus, um den Tatrichter in einem solchen Fall in die Lage zu versetzen, das Vorliegen eines Härtegrunds im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beurteilen und diesen gegebenenfalls im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung sachgerecht zu gewichten13.
Weiter hat der Bundesgerichtshof für den Fall, dass es nach den noch zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts darauf ankommen sollte, ob der Härtegrund des zu zumutbaren Bedingungen nicht zu beschaffenden Ersatzwohnraums (§ 574 Abs.2 BGB) gegeben ist, vorsorglich darauf hingewiesen, dass der – durch eine entsprechend angespannte Wohnlage veranlasste – Erlass der Mietenbegrenzungsverordnungdes Landes Berlin vom 28.04.2015 -anders als vom Berufungsgericht etwa erwogen – allenfalls ein gewisses Indiz für das Vorliegen eines Härtegrunds nach § 574 Abs.2 BGB darstellt, das lediglich in Verbindung mit substantiiertem (unstreitigem oder nachgewiesenem) Parteivortrag zu konkret vom Mieter ergriffenen Maßnahmen zu der tatrichterlichen Überzeugung führen kann, angemessener Wohnraum zu zumutbaren Bedingungen sei für den Mieter nicht zu erlangen7.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19
ECLI:DE:BGH:2021:030221UVIIIZR68.19.0
- im Anschluss an BGH, Urteil vom 22.05.2019 -VIII ZR 180/18 [↩] [↩]
- im Anschluss an BGH, Urteil vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18 [↩]
- AG Berlin-Mitte, Urteil vom 26.10.2018 -20 C 221/16 [↩]
- LG Berlin, Urteil vom 12.03.2019 -67 S 345/18 [↩]
- BGH, Urteile vom 22.05.2019 -VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133; vom 22.05.2019 – VIII ZR 167/17, NJW-RR 2019,972 [↩]
- BGH, Urteile vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18; vom 22.05.2019 – VIII ZR 167/17 [↩]
- BGH, Urteil vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18 [↩] [↩] [↩] [↩]
- BGH, Urteil vom 22.05.2019 -VIII ZR 180/18 [↩]
- EuGH, NJW 2020, 35.; NJW 2013, 1415; BVerfGE 152, 152; BVerfG, NJW 2013, 1499;BGH, Urteile vom 27.07.2020 – VI ZR 405/18, NJW 2020, 3436; vom 27.05.2020 – VIII ZR 401/18, ZIP 2020, 1967; vom 26.11.2015 – I ZR 3/14 [↩]
- BGH Urteil vom 22.05.2019 -VIII ZR 180/18; BVerfG, NJW-RR 1999, 1097 [↩]
- BGH, Urteil vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18; BVerfGE 68, 361; BVerfG, NJW 1994, 309 [↩]
- BGH, Urteile vom 15.03.2017 – VIII ZR 270/15, NJW 2017, 1474; vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18 [↩]
- BGH, Urteile vom 15.03.2017 – VIII ZR 270/15; vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18 [↩]