Das Verwaltungsgericht Köln hat in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Einstufung eines Hundes als im Einzelfall gefährlich zurückgewiesen.
Gestützt hat das Verwaltungsgericht Köln seine Entscheidung im Wesentlichen auf eine Äusserung des Hundehalters kurz nach dem Vorfall.
Aber im Einzelnen:
Die zuständige Behörde hatte den Hund des Antragstellers als im Einzelfall gefährlich eingestuft und den Sofortvollzug der Entscheidung angeordnet. Der neben der Klage gegen die Entscheidung beantragte Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug wurde zurückgewiesen.
Ermächtigungsgrundlage für die von der Antragsgegnerin getroffene Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes ist § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW. Danach erfolgt die Feststellung der Gefährlichkeit eines im Einzelfall gefährlichen Hundes im Sinne von § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW durch die zuständige Behörde nach Begutachtung durch den amtlichen Tierarzt. Vorschriften für die Gestaltung der Begutachtung im Sinne von § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW – vergleichbar etwa § 3 DVO LHundG NRW – existieren nicht.
Die von der Antragsgegnerin als zuständige Behörde gemäß § 13 Satz 1 LHundG NRW getroffene Feststellung ist hier in formell rechtmäßiger Weise nach Begutachtung durch die amtliche Tierärztin erfolgt.
Der Begutachtung durch einen amtlichen Tierarzt und dessen Beurteilung kommt nach nordrhein-westfälischem Recht keine konstitutive Bedeutung zu, es handelt sich vielmehr um ein bloßes Verfahrenserfordernis. Die Begutachtung dient im Zusammenhang mit der Prüfung der Tatbestandsmerkmale nach § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW nur der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Sie soll sicherstellen, dass die Ordnungsbehörde in diesem Rahmen eine sachverständige Unterstützung erfährt. Ausgehend von der lediglich verfahrensrechtlichen Bedeutung der Begutachtung ist im Streitfall selbst eine möglicherweise unzureichende Durchführung gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich1.
Hier bestehen mit Blick auf die ausführliche schriftliche Stellungnahme der Amtsveterinärin vom 16.11.2020 keine Bedenken gegen die ordnungsgemäße Durchführung der Begutachtung. Richtig ist zwar nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Köln, wie der Antragsteller einwendet, dass an dem Tag der der Begutachtung eine Entladung des Hundes aus dem Auto und damit eine Überprüfung im Gelände letztlich nicht stattgefunden hat. Dies ändert aber nichts daran, dass eine Überprüfung erfolgt ist und sich die Amtsveterinärin einen persönlichen Eindruck vom Verhalten des Hundes verschafft hat. Dass aufgrund des lautstarken und aggressiven Bellens und der sichtlichen Erregtheit des Hundes bereits im Auto von einem Ausladen aus Gründen der Eigensicherung abgesehen wurde, beeinträchtigt die ordnungsgemäße Durchführung nicht. Denn die Amtsveterinäre sind keineswegs verpflichtet, sich unter Aufgabe einer notwendigen Eigensicherung während eines Gangs im freien Gelände in Gefahr zu begeben.
Es bestehen nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch keine durchgreifenden Bedenken gegen die materielle Rechtmäßigkeit dieser Feststellung.
Nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 LHundG NRW ist ein Hund im Einzelfall gefährlich, er einen Menschen gebissen hat, sofern dies nicht zur Verteidigung anlässlich einer strafbaren Handlung geschah. Dass es hier zu einem Beißvorfall dieser Art am 09.09.2020 zum Nachteil des Geschädigten gekommen ist, ist zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig wie die Tatsache, dass dies nicht zur Verteidigung anlässlich einer strafbaren Handlung geschah. Es ist dabei zu erheblichen Bissverletzungen des Geschädigten an beiden Armen und am linken Unterschenkel gekommen, die durch einen vorläufigen Arztbrief und Fotos eindrucksvoll dokumentiert sind. Der Antragsteller selbst hat den Beißvorfall vom 09.09.2020 gegenüber der Antragsgegnerin telefonisch wie folgt geschildert:
Als der Hund gerade in das Fahrzeug gesprungen sei, habe er einen kleinen unangeleinten Hund neben sich bemerkt. Sein Hund habe den kleinen Hund ebenfalls wahrgenommen. Da weder die Transportbox noch der Kofferraum geschlossen gewesen seien, habe sein Hund unvermittelt aus dem Kofferraum entweichen können. Der kleine Hund sei umgehend weggelaufen und sein Hund sei ihm hinterher gerannt. Zügigen Schrittes sei er seinem Hund nachgegangen. Der andere Hundehalter sei den Hunden ebenfalls hinterher gegangen. Die Hunde seien vor einer Leitplanke zum Stehen gekommen. Bei Eintreffen dort hätten die Hunde ruhig gewirkt. Der andere Hundehalter sei ca. sechs Meter hinter ihm gewesen. Bei Eintreffen habe er versucht, seinen (des Antragstellers) Hund mit einer kleinen Leckerei zu füttern. Daraufhin habe sein Hund den Mann und ihn selbst so stark angesprungen, dass sie beide zu Boden gefallen seien. Sein Hund habe auf den anderen Mann eingebissen. Er habe versucht, seinen Hund von dem anderen Mann wegzuzerren, was vorerst erfolglos geblieben sei. Wie er es geschafft habe, dass sein Hund von dem Verletzten abgelassen habe, könne er nicht mehr sagen.
Die vorstehenden, aus der Niederschrift der telefonischen Angaben in einer Mail vom 07.10.2020 stammenden Aussagen des Antragstellers hat dieser auf telefonische Nachfrage vom gleichen Tage bestätigt. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 14.12.2020 auf das Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin hat der Antragsteller die vorstehende Schilderung ebenfalls nicht bestritten. Vor diesem Hintergrund ist die Darstellung in der Antragsschrift, der Hund des Antragstellers habe „zur eigenen Verteidigung geschnappt, weil er sich von dem auf ihn zukommenden Arm des fremden Geschädigten angegriffen gesehen habe“ nicht nachvollziehbar ebenso wenig wie die Behauptung, „aus Sicht eines typischerweise handelnden Hundes habe die schnelle Bewegung als Angriff verstanden werden können“. Darauf kommt es aber entgegen der Ansicht des Antragstellers nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ohnehin nicht an und es bedarf nach diesem Gesetzeswortlaut auch keiner gesonderten Feststellung einer besonderen Aggressivität, wenn mindestens ein Beißvorfall erwiesen ist, der keine Reaktion auf einen Angriff darstellt2.
Soweit der Antragsteller im vorliegenden Verfahren Einzelheiten der ebenfalls noch im Raum stehenden Vorfälle im August 2017 und Juli 2018 bestreitet, kommt es auch darauf bei dieser Sachlage nicht mehr an ebenso wenig wie auf die zahlreichen weiteren aktenkundigen Hinweise anhand von Nachbarschaftsbeschwerden in der Akte über eine gesteigerte Aggressivität des Hundes. Soweit der Antragsteller medizinische Probleme des Hundes in den Raum stellt, die zu der „Übersprungshandlung“ am 09.09.2020 geführt haben könnten, gibt es dafür nach Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, stünde auch dies der getroffenen Feststellung nach dem klaren Gesetzeswortlaut und dem mit der Vorschrift verfolgten Gefahrenabwehrzweck nicht entgegen. Im Gegenteil würden etwaige körperliche Beeinträchtigungen wie Einschränkungen des Sehens die von dem Hund ausgehenden Gefahren für unbeteiligte Dritte, die sich gegebenenfalls aus Unkenntnis unsachgemäß verhalten, wie z.B. Kinder oder ältere Menschen, noch erhöhen.
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der getroffenen Feststellung bestehen auch nicht unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, so das Verwaltungsgericht Köln weiter, weil zwischen den bekannt gewordenen Vorfällen eine geraume Zeit ohne aktenkundige Vorfälle verstrichen ist. Bereits grundsätzlich führt ein bloßer Zeitablauf nicht zu einer abweichenden Beurteilung der Gefährlichkeit eines Hundes. Im Einzelfall gefährliche Hunde haben ihre Gefährlichkeit bereits durch tatsächliches Fehlverhalten gezeigt und reiner Zeitablauf führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der zu treffenden Beurteilung. Keinesfalls ist es erforderlich für eine Feststellung der Gefährlichkeit nach § 3 Abs. 3 Nr. LHundG NRW, dass ein Hund „in Reihe Menschen gebissen“ hat. Hier liegt der getroffenen Feststellung zudem ein aktueller und schwerwiegender Beißvorfall zugrunde, zu dem es trotz bereits bestehenden Leinen- und Maulkorbzwangs durch Ordnungsverfügung vom 17.10.2017 gekommen ist. Soweit der Antragsteller zwischenzeitlich bereits andere Maßnahmen zur zusätzlichen Sicherung ergriffen hat, wie etwa Nachrüstungen an seinem Kofferraum, so können diese die Feststellung der Gefährlichkeit nicht ersetzen, sondern stellen schon mit Blick auf die allgemeine Pflicht des § 2 Abs. 1 LHundG NRW weitere konkret gebotene Sicherungsmaßnahmen dar.
- OVG NRW, Beschlüsse vom 20.11.2013 – 5 A 2548/13; vom 22.10.2014 – 5 A 2315/13; vom 20.4.2012 – 5 B 1305/11 [↩]
- OVG NRW, Beschluss vom 22.10.2014 – 5 A 2315/13 [↩]