Eine Frau im Fischerverein? Niemals! – oder doch?

Es kommt immer wieder zu Diskussionen, wenn jemand in einen Verein eintreten will, der traditionell von diesem Verein nicht aufgenommen würde.

Aktuell hatte das Landgericht Memmingen als Berufungsgericht über einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Frage ging, ob der Fischertagsverein Memmingen e.V. (Beklagter) verpflichtet ist, in der Vereinsuntergruppe der Stadtbachfischer eine Frau aufzunehmen und ob der Beklagte sie aufgrund ihres weiblichen Geschlechts von der Teilnahme am Ausfischen des Stadtbaches am sogenannten Fischertag ausschliessen kann.

Worum ging es konkret?

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin in der Vereinsuntergruppe der Stadtbachfischer aufzunehmen und ob der Beklagte aufgrund ihres weiblichen Geschlechts von der Teilnahme am Ausfischen des Stadtbaches am sogenannten Fischertag ausgeschlossen werden kann.

Bei dem Beklagten handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, dessen Satzungszweck u.a. die Heimat- und Kulturpflege ist. In der Satzung ist unter § 2 festgehalten:

Der Verein dient der Heimatpflege, Heimatkunde, Kultur und dem Umweltschutz. Der Zweck wird insbesondere verwirklicht durch die Durchführung und festliche Gestaltung des alljährlich stattfindenden Fischertages und der periodisch stattfindenden Festspiele; die Pflege des Stadtbaches und des heimischen Brauchtums sowie die Pflege von Begegnungen, insbesondere mit historischen Bezügen, auf nationaler und internationaler Ebene.

Die Klägerin ist seit dem Jahr 1987 Vereinsmitglied dem Beklagten. Insgesamt hat der Beklagte rund 5.000 Mitglieder, darunter 1.500 Frauen Innerhalb des Vereins existieren verschiedenen Gruppierungen. Diese gliedern sich in die Gruppe der Stadtbachfischer, die Fischertagsgruppen, und die Festspielgruppen. Weiterhin existieren insgesamt rund 37 Untergruppierungen. Dabei gehört die Klägerin der Untergruppierung der Bediensteten an.

Die weiblichen Mitglieder des Vereins haben die Möglichkeit Mitglied in sämtlichen Untergruppierungen des Vereins zu sein. Dabei nehmen die Frauen weibliche wie männliche Rollenbilder wahr und treten dabei beispielsweise auch als Soldat auf und tragen entsprechend männliche mittelalterliche Kostüme.

Lediglich eine Mitgliedschaft in der Untergruppe der Stadtbachfischer ist aufgrund von § 8 Abs. 3 der Vereinssatzung männlichen Vereinsmitgliedern vorbehalten.

Hierin heißt es:

Zur Wahrung der jahrhundertealten Tradition haben nur männliche Mitglieder des Vereins, die mindestens seit 5 Jahren ihren ersten Wohnsitz in Memmingen haben, unter Beachtung von § 1 Abs. 1 der Ordnung für das Ausfischen des Stadtbaches und die Erlangung der Königswürde das Recht zum Ausfischen des Stadtbaches. Dieses Recht behalten die Mitglieder auch nach Aufgabe des 1. Wohnsitzes in Memmingen. Sie müssen Mitglieder der Gruppe der Stadtbachfischer sein. Ausnahmen können durch den Vorstand genehmigt werden und bedürfen der Schriftform.

§ 8 Abs. 4 sieht die Möglichkeit einer Teilnehmerbegrenzung vor. Weiter kann die Teilnahme von einem, Sachkundenachweis abhängig gemacht werden. Altersbeschränkungen sieht die Satzung keine vor.

Die Satzungsregelung, welche Frauen von der Teilnahme ausschließt, geht auf das Jahr 1931 zurück. Seitdem hat es mehrere Satzungsänderungen hinsichtlich der Teilnahme am Fischertag gegeben. So wurde beispielsweise, die Zeit, welche man in Memmingen gelebt haben musste von zunächst 10 Jahren, auf 5 Jahre verkürzt. Auch verlor man früher das Recht den Bach auszufischen, wenn man aus Memmingen weggezogen ist. Frauen war die Teilnahme am Fischertag jedoch nie gestattet worden.

Jährlich im Juli wird durch den Verein der sogenannte Fischertag ausgerichtet. Diese Tradition hat ihren Ursprung in geschichtlichen Geschehnissen aus dem Mittelalter. Durch die Stadt Memmingen fließt seit dem frühen Mittelalter der sogenannte Stadtbach. Dieser musste damals einmal im Jahr saniert und gereinigt werden und wurde zu diesem Zwecke abgelassen. Zuvor wurde der Bach ausgefischt. Dieses Ausfischen entwickelte sich mit der Zeit zu einem Fest der Bürger der Stadt Memmingen. Bis zum Jahr 1919 war Veranstalter dieses Festes die Stadt Memmingen und das Rahmenprogramm wurde von einer bürgerlichen Vereinigung gestaltet. Im Jahr 1919 übertrug die Stadt Memmingen der Beklagten die Durchführung des Fischertages. Im Jahr 1979 recherchierte der Verein zudem, welche Gewänder im Mittelalter getragen wurden, und es wurde Vereinskleidung beschafft, die der mittelalterlichen Kleidung nachempfunden ist. Seit dem Jahr 1980 veranstaltet der Beklagte zudem alle 4 Jahre zusätzlich die 8 Tage andauernden Wallensteinspiele, welche an den dreimonatigen Aufenthalt des Oberbefehlshabers der kaiserlichen Truppen in Memmingen im Jahr 1630 erinnern soll. Hier wird u.a. das Lagerleben, wie es früher war, nachgestellt, das auch durch das Tragen der mittelalterlichen Kleidung zum Ausdruck kommt.

Der Fischertag selbst wird durch den sogenannten Fischertagsvorabend gegen 18 Uhr eingeläutet. Hier finden über die Stadt Memmingen verteilt Festivitäten statt. Am Morgen des Fischertages findet ein festlicher Umzug zum Stadtbach statt. Nach einem Böllerschuss beginnt das Ausfischen des Baches, welches maximal 45 Minuten dauert. Dabei wird der Bach mit einem Kescher, dem sogenannten „Bären“ leergefischt. Die Fischer tragen dabei jeweils einen Fischerhut, an welchem die Teilnahmeberechtigungskarte befestigt ist. Die restliche Kleidung ist freigestellt. Teilweise wird altertümliche Kleidung teilweise werden Jeans und T-Shirt getragen. Im Anschluss hieran werden die gefangenen Forellen gewogen. Die Person, welche die schwerste Forelle gefangen hat, wird schließlich zum Fischerkönig gekrönt. Dies erfolgt im Rahmen des sogenannten Krönungsfrühschoppens. Nachmittags findet ein Lagerleben statt. Anschließend zieht der Fischerkönig nebst Gefolge aus. Es findet noch eine Bewirtung der Gäste mit Einlagen der verschiedenen Festpielgruppen statt. Die Festivitäten enden am Sonntagvormittag mit der sogenannten Heimatstunde.

In den letzten Jahren sprach sich die Klägerin mehrfach für eine Satzungsänderung aus, um auch weiblichen Vereinsmitgliedern eine Teilnahme am Ausfischen des Baches zu ermöglichen. Mit Schreiben vom 30.01.2018 stellte die Klägerin den Antrag das Wort „männlich“ in § 8 Abs. 3 der Satzung zu streichen. Ein weiterer Antrag folgte am 30.01.2019. Die Anträge wurden negativ verbeschieden. Schließlich begehrte die Klägerin die Teilnahme am sog. Fischerkurs und die Aufnahme in die Untergruppe der Stadtbachfischer, was von der Beklagten aufgrund der Satzungsregelung zurückgewiesen wurde, die eine entsprechende Aufnahme bzw. Teilnahme nur männlichen Mitgliedern erlaubt. Schließlich erhob die Klägerin Klage.

Die Klägerin begründet ihre Klage im Wesentlichen damit, dass die Nichtaufnahme in die Untergruppe der Stadtbachfischer und der Ausschluss vom Abfischen des Stadtbaches beim Fischertagsfest einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG sowie gegen Art. 18 AGG darstelle und nicht dem Vereinszweck der Gemeinnützigkeit vereinbar sei. Der Beklagte unterliege zudem einer besonderen Grundrechtsbindung, weil das Ausfischen des Baches eine hoheitliche Tätigkeit darstelle, welche die Stadt Memmingen der Beklagten übertragen habe. Der Beklagte habe hierdurch eine besondere Monopolstellung eingenommen. Das Fest habe eine identitätsprägende Bedeutung für die Stadt, weshalb sich jede Ungleichbehandlung verbiete. Der Traditionsgedanke allein genüge nicht eine Diskriminierung der Klägerin zu rechtfertigen, da schon nicht erwiesen sei, dass Frauen niemals beim Fischen mitgewirkt hätten. Der traditionelle Charakter der Veranstaltung ginge auch nicht durch die Teilnahme von Frauen verloren, da auch andere Traditionsvereine, wie z.B. Schützenvereine Mädchen die Teilnahme an Schießveranstaltungen und am Vereinsleben ermöglichten. Zudem handle es sich beim Ausfischen des Baches um das Hauptereignis des Fischertages, so dass ein Ausschluss hiervon eine wesentliche Beschränkung der Mitgliedsrechte bedeute. Sie habe schließlich nie die Möglichkeit Fischerkönigin zu werden. Ein weiterer Anspruch auf Teilnahme am Fischertag ergebe sich aus Art. 21 GO. Beim Fischertag handle es sich um eine öffentlichrechtliche Veranstaltung zu welcher ihr Zugang gewährt werden müsse.

Der beklagte Verein vertrat die Ansicht, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Aufnahme in die Gruppe der Stadtbachfischer. Aus dem Grundsatz der Vereinsfreiheit ergebe sich, dass jeder Verein selbst entscheiden könne, welchen Personen er innerhalb des Vereins welche Rechte einräume. Bei der Beklagten handle es sich um einen Geselligkeitsverein, so dass eine Grundrechtsbindung nicht existiere. Auch aus der Übertragung des Rechts den Fischertag auszurichten, ergebe sich keine Grundrechtsbindung, da der Verein rein privatrechtlich organisiert sei und gerade nicht hoheitlich tätig werde. Doch selbst wenn man von einer Grundrechtsbindung ausgehen wolle, sei eine etwaige Diskriminierung gerechtfertigt. Das Ausfischen des Stadtbaches nehme meist nur 20-30 Minuten in Anspruch, während sich das Fischertagsfest über mehr als einen Tag erstrecke, so dass lediglich von einem sehr geringen Eingriff auszugehen sei. Da der Stadtbach sehr übel rieche und dreckig sei, hätten ohnehin viele Mitglieder kein Interesse beim Abfischen mitzuwirken. Es gebe zudem weitere Fischertagsgruppen, bei welchen sich die Klägerin engagieren könne. Auch sei es ihr möglich bei Abfischen zuzusehen oder als „Kübelfrau“ mitzuwirken. Diese halten den Kübel bereit, um die von den Männern gefangenen Fische entgegenzunehmen. Auch habe die Klägerin als Mitglied der Gruppe der Bediensteten im Rahmen der 8-tägigen Wallensteinspiele die Möglichkeit zur aktiven Kulturpflege, sie werde gerade nicht von sämtlichen Aktivitäten oder vom Verein insgesamt ausgeschlossen. Ein entsprechender Grundrechtseingriff sei unter dem Gesichtspunkt der Tradition gerechtfertigt. Das Abfischen des Stadtbaches sei seit jeher nur durch Männer und nicht durch Frauen erfolgt. Ein entsprechendes authentisches Abfischen sei daher nur durch Männer möglich. Auch anderen Vereinen sei es aufgrund ihrer Vereinshoheit gestattet, beispielsweise reine Damen- und Herrenmannschaften zu bilden. Auch dies sei rechtlich bislang nicht beanstandet worden. Ein Verstoß nach § 18 AGG scheide zudem bereits deshalb aus, weil § 18 AGG auf der Beklagte nicht anwendbar sei, da diese keine Monopolstellung innehabe. Es handle sich um einen lokal begrenzten Verein und um eine lokal begrenzte Veranstaltung. Im Übrigen knüpfe § 8 Abs. 3 der Satzung nicht nur an das Geschlecht an und differenziere daher nicht willkürlich. Vielmehr sei z.B. ein langjähriger Erstwohnsitz in Memmingen ebenfalls Voraussetzung für die Teilnahme am Ausfischen, da auch früher lediglich „beheimatete“ Personen dieses Recht innehatten.

Das Amtsgericht Memmingen verurteilte den beklagten Verein, die Klägerin in die Gruppe der Stadtbachfischer aufzunehmen1.

Hiergegen legte der beklagte Verein Berufung beim Landgericht Memmingen ein.

Die Entscheidung:

Das Landgericht Memmingen hat die Entscheidung des Amtsgerichts Memmingen nun bestätigt und die Berufung zurückgewiesen.

Das Landgericht Memmingen hat festgestellt, dass die Klägerin einen Anspruch darauf hat, in die Vereinsuntergruppe der Stadtbachfischer aufgenommen zu werden und beim jährlichen Ausfischen des Stadtbachs nicht wegen ihres weiblichen Geschlechts ausgeschlossen werden darf.

Der Fischertagsverein ist aufgrund der ihm zustehenden, durch Art. 9 GG verfassungsrechtlich geschützten Vereinsautonomie grundsätzlich frei bei der Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb der Mitgliedschaft sowie bei der Aufnahme neuer Mitglieder im Verein und in der Untergruppe der Stadtbachfischer, so das Landgericht Memmingen. Deshalb kommt ein Aufnahmeanspruch nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen in Betracht.

Diese Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Klägerin einen Aufnahmeanspruch einfordern kann, liegen nach Auffassung des Landgerichts Memmingen deswegen nicht vor, weil kein wesentliches eigenes Interesse der bereits langjährig im Verein aufgenommenen Klägerin verletzt ist. Die Klägerin kann in vielfältiger Weise am sozialen Leben in der Stadt Memmingen, insbesondere am Vereinsleben und am Fischertag teilnehmen. Durch die Nichtzulassung am Ausfischen erleidet sie keinen gravierenden Nachteil. Das allgemeinpolitische Ziel der Klägerin, Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern durchzusetzen, ist kein ausreichendes eigenes Interesse der Klägerin. Aus denselben Gründen besteht auch kein Aufnahmeanspruch der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

Ein Aufnahmeanspruch der Klägerin ergibt sich nach Auffassung des Landgerichts Memmingen aber wegen eines Verstoßes des Fischertagsvereins Memmingen e.V. gegen das Recht der Vereinsmitglieder auf Gleichbehandlung. Der Verein behandelt weibliche Vereinsmitglieder anders als männliche Vereinsmitglieder, ohne vereinsrechtlich dafür einen sachlichen Grund zu besitzen.

Ein Sonderrecht für Männer ist vereinsrechtlich nur zulässig, sofern diese Ungleichbehandlung vom Vereinszweck gedeckt ist.

Nach § 2 der Satzung ist Zweck des Vereins der Dienst für Heimatpflege, Heimatkunde, Kultur und Umweltschutz. Dieser Zweck wird insbesondere verwirklicht durch die Durchführung und Gestaltung des Fischertages und die Pflege des Stadtbaches sowie des heimischen Brauchtums. Im Kern geht es somit insbesondere um das Erinnern an die jahrhundertealte Tradition des Stadtbachausfischens, nicht aber darum, an eine althergebrachte Rollenverteilung der Geschlechter zu erinnern. Dieser festgeschriebene Vereinszweck erfordert es – nach Auffassung des Landgerichts Memmingen – nicht, Frauen vom eigentlichen Ausfischen auszuschließen und lediglich als „Kübelfrauen“ neben dem Bach zuzulassen.

Zudem hat sich die tatsächlich seit langem gelebte Vereinspraxis jedenfalls von einer absolut getreuen Nachbildung historischen Geschehens in den vergangenen Jahren faktisch entfernt. Neben das Erinnern an Traditionen ist gleichermaßen der Spaßfaktor getreten. Das originalgetreue Nachbilden einer vermeintlichen Tradition steht damit jedenfalls auch faktisch nicht mehr im Vordergrund des praktischen Vereinslebens – so das Landgericht Memmingen.

Die Tradition wurde unstreitig bereits in mehrfacher Weise aufgeweicht, indem beispielsweise die Zugangsvoraussetzungen zur Teilnahme für Männer herabgesetzt wurden. Das Teilnahmerecht erfordert nicht mehr wie früher einen mindestens zehn Jahre dauernden Wohnsitz, sondern jetzt nur noch fünf Jahre. Nach einer fünfjährigen Zugehörigkeit zur Untergruppe der Stadtbachfischer entfällt das Teilnahmerecht auch nicht mehr nach einem Wegzug aus Memmingen.

Dass der Verein nicht sklavisch an vermeintlichen Traditionen festhält, zeigt sich insbesondere auch daran, dass bei den Stadtbachfischern keine traditionelle historische Kleidung getragen werden muss und bei dem (vom Verein ebenfalls ausgerichteten) Wallensteinfest Frauen ohne weiteres in Männerkleidung auch traditionelle Männerrollen wie diejenigen von Soldaten übernehmen.

Das Landgericht Memmingen konnte bei dieser Sach- und Rechtslage, bei der ein Aufnahmeanspruch der Klägerin schon aus vereinsrechtlichen Gründen besteht, nach seiner Meinung offen lassen, ob das verfassungsrechtliche Gebot von Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG, d. h. für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, auch zwischen den Parteien, somit im Privatrecht, im Wege einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte anzuwenden ist.

Das Landgericht Memmingen hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit und zur Fortbildung des Rechts die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Landgericht Memmingen, Urteil vom 28.07.2021 – 13 S 1372/20

  1. AG Memmingen, Urteil vom 31.08.2020 – 21 C 952/19 []