Will ein Vermieter die Miete erhöhen, so muss sich die neue Miete u.A. an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientieren.
Für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete gilt nach § 558 Abs. 2 BGB:
„Die ortsübliche Vergleichsmiete wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten sechs Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen nach § 560 abgesehen, geändert worden sind.„
Zur Begründung des Mieterhöhungsverlangens gilt nach § 559 Abs. 2 BGB:
„Zur Begründung kann insbesondere Bezug genommen werden auf
-
- einen Mietspiegel (§§ 558c, 558d),
- eine Auskunft aus einer Mietdatenbank (§ 558e),
- ein mit Gründen versehenes Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen,
- entsprechende Entgelte für einzelne vergleichbare Wohnungen; hierbei genügt die Benennung von drei Wohnungen.“
In welchem Verhältnis stehen hierbei aber der Mietspiegel (Nr. 1) und das Sachverständigengutachten (Nr. 3)? Ist der Mietspiegel vorrangig oder kann sich der Vermieter aussuchen, worauf er sich stützt?
Hierüber hat nun der Bundesgerichtshof entschieden – und zugleich auch über die Frage entschieden, welcher Zeitpunkt für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete ausschlaggebend ist (Zeitpunkt des Aussprechens des Mieterhöhungsverlangens oder Zeitpunkt, zu dem die erhöhte Miete erstmals zu zahlen ist).
Der Bundesgerichtshof ist zu dem Ergebnis gekommen, dass
- ein Sachverständigengutachten zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete eingeholt werden kann, wenn der Mietspiegel Mietspannen enthält und
- ausschlaggebender Zeitpunkt für die Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete der Zeitpunkt des Aussprechens des Mieterhöhungsverlangens ist.
1. Sachverständigengutachten und Mietspiegel
Die Gerichte sind nach Auffassung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch dann berechtigt, zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein von der beweisbelasteten Partei angebotenes Sachverständigengutachten einzuholen, wenn ein Mietspiegel vorliegt, der tabellarisch Mietspannen ausweist und zusätzlich eine Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung enthält. Das gilt bei solchen Mietspiegeln nicht nur in den Fällen, in denen zwischen den Parteien Streit über die Voraussetzungen für das Eingreifen beziehungsweise die Reichweite einer dem Mietspiegel gegebenenfalls zukommenden Vermutungs- oder Indizwirkung herrscht, sondern unabhängig davon in der Regel auch dann, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete unstreitig innerhalb der für das einschlägige Mietspiegelfeld ausgewiesenen Spanne liegt und deshalb lediglich die Einordnung
der konkreten Einzelvergleichsmiete in diese Spanne einer Klärung bedarf1.
Ohne Erfolg hat in dem konkreten Fall die Revision gerügt, das Landgericht Berlin2 als Berufungsgericht hätte ein gerichtliches Sachverständigengutachten zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht einholen dürfen, ohne zuvor die zwischen den Parteien streitige Frage geklärt zu haben, ob der Berliner Mietspiegel 2017 nach Maßgabe des § 558d Abs. 1 BGB als qualifizierter Mietspiegel anzusehen sei und deshalb die gesetzliche Vermutung des § 558d Abs. 3 BGB, auf die sich die Beklagte berufen hat,
zum Tragen komme.
Nach ständiger Rechtsprechung darf die ortsübliche Vergleichsmiete im Prozess nur auf der Grundlage von Erkenntnisquellen bestimmt werden, die die tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in einer für die freie tatrichterliche Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO) hinreichenden Weise ermittelt haben3.
Dabei hat das Gericht in dem Fall, dass der (beweisbelastete) Vermieter die Qualifizierung des einschlägigen Mietspiegels im Sinne des § 558d Abs. 1 BGB hinreichend bestreitet, die Wahl, ob es sich seine richterliche Überzeugung von der Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete durch Einholung eines – vom Vermieter angebotenen – Sachverständigengutachtens verschafft oder zunächst Beweis über die Frage der Erstellung des Mietspiegels nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erhebt, um festzustellen, ob die Voraussetzungen für das Eingreifen der gesetzlichen Vermutung (§ 292 ZPO) des § 558d Abs. 3 BGB vorliegen4.
Im Streitfall kann nach Auffassung des Bundesgerichtshofs offenbleiben, ob die Klägerin die Qualifizierung des Mietspiegels – wie vom Berufungsgericht angenommen, von der Revision aber
bezweifelt – substantiiert bestritten hat. Denn unabhängig davon war eine Beweisaufnahme zu der von der Beklagten in Anspruch genommenen und von der Klägerin in Frage gestellten Qualifizierung des Berliner Mietspiegels 2017 hier bereits deshalb nicht veranlasst, weil zwischen den Parteien über die Frage, auf die sich die Vermutung gegebenenfalls bezieht, kein Streit herrscht.
Die (mögliche) Qualifizierung des Mietspiegels erstreckt sich ausschließlich auf die in der Mietspiegeltabelle ausgewiesenen Spannenwerte. Nach § 558d Abs. 3 BGB wird hier demnach gegebenenfalls vermutet, dass die ortsübliche Vergleichsmiete innerhalb der für das einschlägige Mietspiegelfeld ausgewiesenen Spanne liegt. Vorliegend stellt indes keine der Parteien in Abrede, dass sich die ortsübliche Vergleichsmiete in der für das hier unstreitig einschlägige Mietspiegelfeld D 6 aufgeführten Spanne von 5,30 €/m² bis 6,67 €/m² bewegt. Die Klägerin verlangt mit 6,20 €/m² nämlich eine Miete, die innerhalb dieser Spanne liegt.
Entgegen der Auffassung der Revision war das Berufungsgericht auch nicht verpflichtet, den Berliner Mietspiegel 2017 wenigstens als einfachen Mietspiegel heranzuziehen oder jedenfalls – vor der Einholung eines Sachverständigengutachtens – zu klären, ob dem Mietspiegel die Indizwirkung eines einfachen Mietspiegels zukommt.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs billigt dem Tatrichter zwar die Befugnis zu, einen Mietspiegel im Sinne des § 558c BGB in seine Überzeugungsbildung einfließen zu lassen. Denn ein solcher Mietspiegel stellt ein Indiz dafür dar, dass die dort angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben. Wie weit diese Indizwirkung reicht, hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere der Qualität des Mietspiegels ab5 und die – gegen die Erstellung dieses Mietspiegels nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen gerichteten – Einwendungen der Klägerin entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts nicht geeignet sind, diese Indizwirkung infrage zu stellen6, war das Berufungsgericht jedoch nicht gehalten, seine Überzeugung von der Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete unter Beachtung der Indizwirkung des Mietspiegels zu bilden, so der Bundesgerichtshof weiter.
Zum einen sind die Gerichte nicht verpflichtet, ihre Überzeugungsbildung auf – unstreitige oder festgestellte – Indizien, die einen Schluss auf die Haupttatsache zulassen, zu stützen und von der Erhebung des von der beweisbelasteten Partei zum Nachweis der Haupttatsache angebotenen Beweises abzusehen6.
Zum anderen erstreckt sich die dem Berliner Mietspiegel 2017 zukommende Indizwirkung aufgrund seiner besonderen Gestaltung als Tabellenspiegel mit einer – auf eine bloße Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO ausgerichteten – eines Sachverständigengutachtens) durchführt oder sich – in Abweichung von dem Gebot der Erschöpfung der Beweisanträge7 – mit einer Schätzung begnügt. Auch unter Berücksichtigung des aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Gebots zur fairen Verfahrensgestaltung ergibt sich nichts anderes .
Entgegen der Auffassung der Revision führt auch die größere Breite der Datengrundlage eines Mietspiegels allein nicht dazu, dass dieser einem Sachverständigengutachten überlegen wäre6. Das gilt insbesondere, wenn sich die breite Datengrundlage des Mietspiegels – wie hier – ausschließlich auf die in Tabellenform ausgewiesenen Mietspiegelfelder bezieht und im Streitfall nur die konkrete Einordnung in die Mietspiegelspanne, derentwegen der Mietspiegel lediglich eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO ermöglicht, einer Beweiserhebung bedarf.
2. Stichtag
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsgericht den für die Bildung der ortsüblichen Vergleichsmiete maßgeblichen Stichtag rechtsfehlerhaft bestimmt, indem es insoweit auf den Zeitpunkt abgestellt hat, ab dem die Beklagte die erhöhte Miete gegebenenfalls schuldete, anstatt auf denjenigen, an dem der Beklagten das Mieterhöhungsverlangen vom 20. Juli 2017 zugegangen ist.
Maßgebend für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist der Zeitpunkt, zu dem das Erhöhungsverlangen dem Mieter zugeht8 und nicht der – vom Berufungsgericht zugrunde gelegte – Zeitpunkt, ab dem der Mieter die
erhöhte Miete gegebenenfalls schuldet. Die nach § 558 Abs. 2 BGB aF maßgebliche Vierjahresfrist erstreckt sich demnach vom Zugang des Erhöhungsverlangens an vier Jahre zurück. Im Streitfall ist das Mieterhöhungsverlangen der Klägerin vom 20. Juli 2017 – wie die Parteien (auch) im Revisionsverfahren nicht in Zweifel gezogen haben – noch im Juli 2017 zugegangen und die Vierjahresfrist entsprechend zu bemessen.
Der Sachverständige – und ihm folgend das Berufungsgericht – hat seiner Ermittlung der ortüblichen Vergleichsmiete unter Anwendung des Vergleichswertverfahrens indes Mietentgelte für vergleichbaren Wohnraum zugrunde gelegt, die – entsprechend der Vorgabe des Berufungsgerichts – in dem Zeitraum vom 1. Oktober 2013 bis 1. Oktober 2017 (neu) vereinbart oder geändert worden
sind. Unschädlich ist das entgegen der Auffassung der Revision zwar insoweit, als der Sachverständige zwei der insgesamt 14 Vergleichswohnungen in seine Betrachtung einbezogen hat, für die das Mietentgelt im Jahr 2013 (neu) vereinbart beziehungsweise geändert wurde, ohne dass sich dem Gutachten entnehmen ließe, zu welchem Zeitpunkt in diesem Jahr das genau der Fall war. Denn insoweit ist nach den ausdrücklichen Angaben des Sachverständigen zum berücksichtigten Vierjahreszeitraum zweifellos davon auszugehen, dass es sich um Vereinbarungen beziehungsweise Änderungen der Miete aus dem Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2013 handelt9. Da dieser Zeitraum innerhalb der genannten hier maßgeblichen Betrachtungszeitspanne liegt, ist die Berücksichtigung der betreffenden Mietentgelte nicht zu beanstanden.
Anders verhält es sich jedoch in Bezug auf diejenigen vom Sachverständigen berücksichtigten zwei Vergleichswohnungen, für die das Mietentgelt im Jahr 2017 (neu) vereinbart beziehungsweise geändert wurde, ohne dass sich dem Gutachten entnehmen ließe, zu welchem Zeitpunkt in diesem Jahr das genau der Fall war. Hier lässt sich anhand der bisher getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausschließen, dass die herangezogenen Mietentgelte in einem außerhalb des maßgeblichen Betrachtungszeitrahmens liegenden Zeitraum – namentlich zwischen dem Zugang des Erhöhungsverlangens im Juli 2017 bis zu dem vom Berufungsgericht fehlerhaft angenommenen Stichtag am 1. Oktober 2017 – vereinbart beziehungsweise geändert wurden und der Entscheidungsfindung deshalb nicht hätten zugrunde gelegt werden dürfen9.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.05.2021 – VIII ZR 93/20
ECLI:DE:BGH:2021:260521UVIIIZR93.20.0
- BGH, Urteile vom 18.11.2020 – VIII ZR 123/20; vom 28. April 2021 – VIII ZR 22/20 [↩]
- LG Berlin, Urteil vom 10.03.2020 – 63 S 152/18 [↩]
- BGH, Urteile vom 21.11.2012 – VIII ZR
46/12, NJW 2013, 775; vom 06.11.2013 – VIII ZR 346/12, NJW 2014, 292; vom 15.03.2017 – VIII ZR 295/15, NJW 2017, 2679; vom 24.04.2019 – VIII ZR 62/18, NJW 2019, 3142; vom 18.11.2020 – VIII ZR 123/20, NJW-RR 2021, 76; vom 28.04.2021 – VIII ZR 22/20 [↩] - BGH, Urteil vom 06.11.2013 – VIII ZR 346/12, NJW 2014, 292 [↩]
- BGH, Urteile vom 16.06.2010 – VIII ZR 99/09, NZM 2010, 665; vom 21.11.2012 – VIII ZR 46/12, NJW 2013, 7750.
Ungeachtet dessen, dass dem Berliner Mietspiegel 2017 eine solche Indizwirkung grundsätzlich zukommt ((BGH, Urteile vom 27.05.2020 – VIII ZR 45/19; vom 18.11.2020 – VIII ZR 123/20; vom 28.04.2021 – VIII ZR 22/20 [↩]
- BGH, Urteile vom 18.11.2020 – VIII ZR 123/20; vom 28.04.2021 – VIII ZR 22/20 [↩] [↩] [↩]
- BGH, Urteil vom 09.10.1990 – VI ZR 291/89, NJW 1991, 1412 [↩]
- BGH, Urteile vom 29.02.2012 – VIII ZR 346/10, NJW 2012, 1351; vom 28.04.2021 – VIII ZR 22/20; vom 26.10.2005 – VIII ZR 41/05, NJW-RR 2006, 227 [↩]
- BGH, Urteil vom 28.04.2021 – VIII ZR 22/20 [↩] [↩]