Ohne bestandskräftige Gefährlichkeit des Hundes: Sofortvollzug von Anordnungen rechtswidrig

Ordnungsbehörden haben die Möglichkeit, gegenüber Hundehaltern Ordnungsverfügungen zu erlassen und hierbei, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, die sofortige Vollziehbarkeit anzuordnen. Dies bedeutet, dass ein Widerspruch gegen den entsprechenden Bescheid keine aufschiebende Wirkung hat, sondern eben sofort vollziehbar ist.

Auch gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit kann man sich mit einem entsprechenden Antrag an das zuständige Verwaltungsgericht wenden.

Im Falle von Anordnungen gegenüber Hundehaltern erfolgen zumeist mehrere Verfügungen in einem Bescheid, nämlich zunächst die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes (z.B. wegen eines Beissvorfalls) und sodann die weiteren Anordnungen, die darauf basieren – wie z.B. Wegnahme des Hundes oder Anordnung eines Leinen- und Maulkorbzwangs etc.

Bezüglich dieser Anordnungen wird aufgrund des öffentlichen Interesses häufig zugleich die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet.

Wie sieht es aber nun aus, wenn die sofortige Vollziehbarkeit nur wegen eines Teils der Verfügungen angeordnet wird?

Über einen solchen Fall hatte nun das Verwaltungsgericht Cottbus zu entscheiden.

In dem entschiedenen Fall hatte die Behörde in einem Bescheid zunächst unter

Ziffer 1) die Gefährlichkeit eines Hundes festgestellt

und sodann Anordnungen getroffen, nämlich

Ziffer 2) geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um ein unbeabsichtigtes Entweichen seines Hundes von seinem befriedeten Besitztum zu verhindern,

Ziffer 3) ihn außerhalb des befriedeten Besitztums ständig an einer höchstens zwei Meter langen und reißfesten Leine zu führen und

Ziffer 4) ihm einen das Beißen verhindernden Maulkorb anzulegen.

Weiter wurde die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet für die Verfügungen Ziffer 2) bis 4).

Gegen diese Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit wandte sich der Hundehalter mit Erfolg an das Verwaltungsgericht Cottbus.

Bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 der VwGO gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung lässt sich ein überwiegendes privates Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die auferlegten Pflichten in den Ziffer 2 bis 4 des Bescheids des Antragsgegners feststellen.

Voraussetzung für die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Klage durch das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist, dass sich aufgrund der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung ein überwiegendes Aussetzungsinteresse des Betroffenen gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse ergibt. Hierbei ist in erster Linie darauf abzustellen, ob sich der angegriffene Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig oder offensichtlich rechtmäßig erweist.

Hiervon ausgehend fällt die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus, weil die unter den Ziffern 2 bis 4 angeordneten Verhaltenspflichten offensichtlich rechtswidrig sind, da die zugrundeliegende Feststellung der Gefährlichkeit des vom Antragsteller gehaltenen Hundes nicht sofort vollziehbar (und auch nicht bestandskräftig) ist.

Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Antragsteller getroffenen Anordnungen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um ein unbeabsichtigtes Entweichen seines Hundes von seinem befriedeten Besitztum zu verhindern (Ziffer 2), ihn außerhalb des befriedeten Besitztums ständig an einer höchstens zwei Meter langen und reißfesten Leine zu führen (Ziffer 3) und ihm einen das Beißen verhindernden Maulkorb anzulegen (Ziffer 4), ist § 13 Abs. 1 OBG. Danach können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die Voraussetzungen für ein Einschreiten des Antragsgegners liegen nicht vor.

Soweit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mit Blick auf die in den Ziffern 2 bis 4 des Bescheids ausgestalteten Gebote des § 3 Abs. 1 Satz 3 (Ziffer 3), § 3 Abs. 3 Satz 2 (Ziffer 4) und wohl des § 2 Abs. 6 Satz 1 (Ziffer 2) HundehV in Betracht kommt, setzen diese die Gefährlichkeit des Hundes voraus. Dies hat der Antragsgegner in Ziffer 1 festgestellt. Hiergegen hat der Antragsteller aber Widerspruch erhoben, so dass die als rechtliche Folge ausgestalteten Pflichten der Hundehalterverordnung noch nicht bestehen und nicht mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehen werden können.

Dies hat zur Folge, dass aus der getroffenen Feststellung keine rechtlichen oder tatsächlichen Folgerungen gezogen werden dürfen1. Denn die in den Ziffern 2 bis 4 angeordneten Verhaltenspflichten setzen die Vollziehbarkeit der Feststellung nach Ziffer 1 des Bescheids voraus2. Dies hat der Antragsgegner vorliegend nicht beachtet, indem er in Ziffer 5 des Bescheids lediglich die sofortige Vollziehung der Regelungen in den Ziffern 2 bis 4 angeordnet hat.

Dem steht nicht entgegen, dass die Hundehalterverordnung eine positive Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes nicht voraussetzt, sondern diese auch inzident erfolgen kann3. An der konkreten Ausgestaltung des Bescheids muss sich der Antragsgegner festhalten lassen, zumal er es in der Hand hat, ihn anders zu formulieren bzw. die sofortige Vollziehung des feststellenden Teils gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO anzuordnen4.

Ebenso ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die unter Ziffer 6 des Bescheids erfolgten Zwangsgeldandrohungen anzuordnen, da die Voraussetzungen für die Anwendung von Zwangsmitteln nach der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht mehr vorliegen. Es fehlt an einem vollstreckbaren Verwaltungsakt.

Auf die Frage, ob die weiteren Voraussetzungen für ein Einschreiten der Behörde vorlagen, etwa, ob der vom Antragsteller gehaltene Hund als gefährlich anzusehen ist, weil er als bissig gilt, kommt es daher nicht an.

Gleichwohl dürfte nach der im einstweiligen Verfahren gebotenen summarischen Prüfung viel für die Annahme der Gefährlichkeit des Hundes sprechen, insbesondere die übereinstimmenden Aussagen der durch den Biss verletzten Frau W und der beim Bissvorfall anwesenden Zeugin L. Soweit der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner behauptet, am Tag des Bissvorfalls den Hund „mit Gewissheit nicht dabei gehabt“ zu haben, dürfte dem entgegenstehen, dass er sich zu einem früheren Zeitpunkt dahingehend äußerte, ihm sei nicht bewusst, ob er „mit dem Fall in Verbindung stehe“ und ob der Hund jemanden gebissen habe. Dies muss aber, wie beschrieben, nicht entschieden werden. Offen bleiben kann auch, ob die (erst) in der Begründung des Bescheids genannten, sich ebenso aus der Hundehalterverordnung ergebenden weiteren Pflichten zur Haltung gefährlicher Hunde, wie etwa die Kennzeichnungspflicht, eigenständige Regelungen darstellen oder nur als Hinweise zu verstehen sind.

Verwaltungsgericht Cottbus, Beschluss vom 28.09.2021 – 3 L 259/21

ECLI:DE:VGCOTTB:2021:0928.3L259.21.00

Anmerkung:

Wie man der Entscheidung entnehmen kann, ist es gut möglich, dass die Freude über de Entscheidung nur kurz anhält, wenn die Behörde ihren Bescheid nachbessert. Aber auch dann ist die Frage, ob der Antragsteller nicht noch Argumente gegen die Feststellung der Gefährlichkeit hätte.

Man sieht an dieser Entscheidung wieder sehr schön, dass es sich lohnt, Bescheide gegenüber Hundehaltern genauer unter die Lupe nehmen zu lassen – am Besten von auf dieses Themengebiet spezialisierten Rechtsanwälten.

  1. Finkelnburg, in: ders./Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2021, Rn. 635 []
  2. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2012 – OVG 6 S 20.12; a.A. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 23.08.2010 – 12 ME 138/10 []
  3. VG Cottbus, Beschluss vom 27.05.2019 – 3 L 79/19 []
  4. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2012 – OVG 6 S 20.12 []

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