Behörde schießt über das Ziel hinaus: Kein Leinen- und Maulkorbzwang auf Privatgelände

Kommt es zu einem Beißvorfall mit einem Hund, so kann die zuständige Behörde Sicherungsmaßnahmen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zur Begutachtung des Hundes anordnen, insbesondere einen Leinen- und Maulkorbzwang.

Darf sich diese Anordnung aber auf alle Lebensbereiche des Hunde beziehen, also auch das Grundstück des Halters, sein befriedetes Besitztum?

Diese Frage hat das Verwaltungsgericht Köln nun verneint.

Warum?

Das Verwaltungsgericht Köln hat keine Zweifel daran, dass hier auf der Grundlage einer bei der Antragsgegnerin eingegangenen schriftlichen Beschwerde gemäß § 12 Abs. 1 LHundG NRW die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen bis zu einer Begutachtung des Hundes durch das Kreisveterinäramt zur endgültigen Klärung einer von diesem ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt war. Es ist im Ordnungsrecht anerkannt, dass die Ordnungsbehörden bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts befugt sind, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, bis der Sachverhalt endgültig geklärt ist1.

Es ist unstreitig, dass es zu einem Beißvorfall zwischen dem Hund des Antragstellers und dem Hund der Beschwerdeführerin bzw. deren Schwester gekommen ist, bei dem der Hund der Schwester angegriffen und so erheblich verletzt wurde, dass er noch an Ort und Stelle verstarb. Der Antragsteller hat der Darstellung des Vorfalls durch die Betroffenen nicht widersprochen. Auch der Darstellung eines später angezeigten Vorfalls, bei dem ebenfalls ein anderer Hund und dessen Halter nicht unerheblich verletzt wurden, hat der Antragsteller nicht widersprochen.

Die angeordneten Maßnahmen erweisen sich vor diesem Hintergrund nach derzeitigem Sach- und Streitstand im Wesentlichen als verhältnismäßig, insbesondere führen sie nicht zu einem Nachteil, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (vgl. § 15 Abs. 2 OBG NRW). Angesichts der Tatsache, dass die Maßnahmen dem Schutz anderer Hunde und auch der körperlichen Unversehrtheit von Menschen dienen und zu diesem Zweck sowohl geeignet als auch erforderlich sind, handelt es sich bei dem von der Antragsgegnerin verhängten Leinen- und Maulkorbzwang um einen denkbar geringen Eingriff. Die Antragsgegnerin hat den Leinen- und Maulkorbzwang auch nur vorläufig angeordnet und nicht dauerhaft2.

Ebenso wenig ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu beanstanden, dass der Leinen- und Maulkorbzwang auch innerhalb ausgewiesener Hundeauslaufbereiche gilt. In Konstellationen der vorliegenden Art, in denen es bereits zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist, bei denen andere Hunde und auch Menschen verletzt wurden und in denen daher eine Feststellung der Gefährlichkeit nach § 3 Abs. 3 LHundG NRW im Raum steht, ist die Gewährung von Freilaufmöglichkeiten außerhalb von ausbruchsicheren Geländen auch aus Tierschutzgründen zur Überzeugung des Gerichts nicht geboten. Die gegenteilige Auffassung3 teilt das Verwaltungsgericht Köln nicht, da ein effektiver Schutz vor Rechtsgutverletzungen Unbeteiligter anders nicht gewährleistet werden kann.

Auf Bedenken stößt unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten allerdings, so das Verwaltungsgericht Köln weiter, dass nach dem Wortlaut von Ziffer 1 und 2 der Ordnungsverfügung der räumliche Geltungsbereich des angeordneten Leinen- und Maulkorbzwangs über die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW für gefährliche Hunde hinausgeht, ohne dass dies näher begründet wird. Denn Halter gefährlicher Hunde sind gemäß § 5 Abs. 1 LHundG NRW verpflichtet, diese so zu halten, dass sie das befriedete Besitztum gegen den Willen des Halters nicht verlassen können. Auf der anderen Seite sind unbeteiligte Dritte oder Tiere potentiellen Gefahren innerhalb befriedeter Besitztümer – anders als in Hundefreilaufbereichen – grundsätzlich nicht unfreiwillig ausgesetzt. Insoweit war die aufschiebende Wirkung der Klage daher wiederherzustellen bzw. anzuordnen.

Verwaltungsgericht Köln, Beschluss vom 16.01.2023 – 20 L 1998/22
ECLI:DE:VGK:2023:0116.20L1998.22.00

  1. OVG NRW, Beschluss vom 14.02.2005 – 5 B 2488/04 []
  2. OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2013 – 5 B 592/13 []
  3. VG Aachen, Beschluss vom 10.03.2022 – 6 L 557/21 []