Hundesteuer und der „gefährliche Hund“: Der Phänotyp machts!

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat erneut seine Rechtsprechung bekräftigt, dass bei der Beurteilung, ob es sich bei einem Hund um eine Kreuzung aus sog. Listenhunden handelt, der Phänotyp ausschlaggebend ist. Kurz gesagt: Bei dem zu beurteilenden Hund müssen die Kriterien eines Listenhundes deutlich hervortreten, damit er als Kreuzung von solchen anzusehen ist.

In dem entschiedenen Fall ging es um die Zahlung von Hundesteuer, wobei die Kommune dem LHundG NRW entsprechende Kriterien für die Höhe der Hundesteuer festgelegt hatte.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat nun entschieden, dass hier dieselben Kriterien wie sonst auch bei der Einstufung als „gefählicher Hund“.

Worum ging es konkret?

Die Kläger wenden sich – soweit hier von Releanz – gegen die erhöhte Besteuerung des von ihnen gehaltenen Hundes M, welcher bei der Beklagten ordnungsbehördlich als Tier der Rasse American Staffordshire Terrier Mix angemeldet wurde.

Mit Bescheide vom 20.02.2019 zog die Beklagte die Kläger für das Erhebungsjahr 2019 zur Hundesteuer für den von ihnen gehaltenen Hund, angemeldet als American Staffordshire Terrier Mix, jeweils in Höhe von 640,00 € heran. Grundlage für diese Heranziehung war die Hundesteuersatzung der Gemeinde T. vom 18.12.1997 in der Fassung der 6. Änderungssatzung vom 19.12.2018 (HStS), die zum 01.01.2019 in Kraft getreten war.

Zur Definition eines gefährlichen Hundes führt § 2 Abs. 2 HStS wie folgt aus:

Gefährliche Hunde im Sinne von Absatz 1 Buchstaben d) und e) sind solche Hunde,

a) die auf Angriffslust oder Kampfbereitschaft oder Schärfe oder andere in der Wirkung gleichstehende Zuchtmerkmale gezüchtet werden oder die eine Ausbildung zum Nachteil des Menschen, zum Schutzhund oder eine Abrichtung auf Zivilschärfe begonnen oder abgeschlossen haben. Als Ausbildung zum Schutzhund zählt nicht die von privaten Vereinen oder Verbänden durchgeführte sogenannte Schutzdienst- oder Sporthundeausbildung, sofern keine Konditionierung zum Nachteil des Menschen erfolgt;

b) die sich nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes als bissig erwiesen haben;

c) die in gefahrdrohender Weise einen Menschen angesprungen haben;

d) die bewiesen haben, dass sie unkontrolliert Wild, Vieh, Katzen oder Hunde hetzen oder reißen.

e) Gefährliche Hunde im Sinne dieser Vorschrift sind insbesondere Hunde der Rassen

1. Pitbull Terrier

2. American Staffordshire Terrier

[…]

6. American Bulldog […]

sowie deren Kreuzungen untereinander sowie mit anderen Hunden. […].

Nach § 2 Abs. 2 Buchst. e) Sätze 3 und 4 HStS sind Kreuzungen Hunde, bei denen der Phänotyp einer dort genannten Rasse deutlich hervortritt. In Zweifelsfällen hat die Halterin oder der Halter nachzuweisen, dass eine Kreuzung nicht vorliegt (§ 3 Abs. 2 des Hundegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landeshundegesetzes NRW – LHundG NRW -)).

Die Kläger haben gegen den Bescheid der Beklagten nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage erhoben.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen1.

Das Oberverwaltungsgericht Münster sieht dies anders.

Die Entscheidung:

Zur Begründung ihrer Berufung führen die Kläger aus, sie seien Halter einer als American Staffordshire Terrier Mischling angemeldeten Hündin, welche 54 cm groß und 38 kg schwer sei. Die Einstufung nach dem Landeshundegesetz sei für sie bei der Anschaffung nicht entscheidend gewesen, da sie ohnehin einer Haltungserlaubnis bedurft hätten. Bei der Hündin handele es sich jedoch nicht um einen American Staffordshire Terrier Mischling im Sinne der Hundesteuersatzung der Beklagten.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Gutachtens der Amtsveterinärin des Kreises X., Dr. T1., zu der Frage, ob bei den von den Klägern gehaltenen Hunden der Phänotyp einer Rasse des § 3 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW deutlich hervortritt. Diese hat die Sachverständige beantwortet und für die Hündin M. ausgeführt, dass bei dieser der Phänotyp eines American Bulldog hervortrete.

Die Hündin der Klägerin zu 1. ist zwischenzeitlich verstorben.

Die zulässige Klage ist begründet.

Zwar war die Klägerin zu 1. für die Hündin als Halterin gemäß § 1 Abs. 2 HStS steuerpflichtig, jedoch nur zu dem Steuersatz nach § 2 Abs. 1 Buchst. b) HStS in Höhe von 85,20 € und nicht nach § 2 Abs. 1 Buchst. d) HStS in Höhe von 560,00 €. Bei der Hündin handelte es sich nicht um einen gefährlichen Hund im Sinne von § 2 Abs. 2 Buchst. e) HStS.

Nach § 2 Abs. 2 Buchst. e) Satz 1 HStS sind gefährliche Hunde im Sinne dieser Vorschrift insbesondere Hunde der Rassen (…) American Staffordshire Terrier (Nr. 2) und (…) American Bulldog (Nr. 6) sowie deren Kreuzungen untereinander sowie mit anderen Hunden. Kreuzungen sind gemäß § 2 Abs. 2 Buchst. e) Satz 3 HStS Hunde, bei denen der Phänotyp einer dort genannten Rasse deutlich hervortritt.

Aus dem eingeholten Gutachten der Amtsveterinärin des Kreises X., Frau Dr. T1., ergibt sich, dass der Phänotyp einer der in der Hundesteuersatzung der Beklagten aufgeführten Hunderassen, insbesondere eines American Staffordshire Terriers oder eines American Bulldog nicht deutlich hervortrat.

Ein deutliches Hervortreten in diesem Sinne kann (nur) dann angenommen werden, wenn ein Hund nach seiner äußeren Erscheinung trotz der erkennbaren Einkreuzung anderer Rassen in markanter und signifikanter Weise die Merkmale einer der in der Vorschrift genannten Rassen zeigt. Die Frage, wann bei einem Hund ein so verstandenes Hervortreten gegeben ist, ist einer rein schematischen Beantwortung nicht zugänglich. Maßgeblich ist vielmehr eine wertende Betrachtung im Einzelfall, die in den Blick nimmt, ob ungeachtet des nicht zu leugnenden Einflusses auch anderer Rassen bestimmte, die in Rede stehende Rasse besonders charakterisierende Merkmale deutlich ausgeprägt sichtbar sind2.

Welche Merkmale besonders charakteristisch sind und welche äußeren Merkmale die in der Hundesteuersatzung explizit genannten Rassen grundsätzlich aufweisen, definiert die Hundesteuersatzung der Beklagten nicht selbst, sondern greift – wie auch das nordrhein-westfälische Landeshundegesetz – auf allgemein anerkannte Rassedefinitionen insbesondere durch die großen nationalen und internationalen kynologischen Fachverbände zurück, in denen eine Rasse anhand phänotypischer, durch Vererbung übertragbarer Merkmale beschrieben und so eine Zuordnung eines einzelnen Hundes zu dieser Rasse ermöglicht wird (sog. Standards)3.

Bei dieser Verweisung auf die durch private Verbände verantworteten Rassedefinitionen handelt es sich – so das Oberverwaltungsgericht Münster weiter – nicht um eine dynamische Verweisung, sondern die Hundesteuersatzung der Beklagten nimmt grundsätzlich auf die bei ihrem Inkrafttreten bestehenden Standards Bezug. Anderenfalls wäre die Definition von neuen Rassen bzw. die Veränderung von Rassestandards durch private Interessenverbände maßgeblich dafür, welche Hunde dem erhöhten oder dem regulären Hundesteuersatz unterfielen. Dies wäre mit Sinn und Zweck der Norm und dem von der Beklagten zulässigerweise verfolgten Lenkungszweck, das ordnungsrechtliche Haltungsregime steuerrechtlich zu flankieren und die Haltung potenziell gefährlicher Hunderassen im Gemeindegebiet durch eine höhere Besteuerung unattraktiv zu gestalten, nicht vereinbar3.

Angesichts des Schutzzwecks ist bei der Bewertung des deutlichen Hervortretens des Phänotyps zunächst an solche im Rassestandard aufgeführten äußeren Merkmale des jeweiligen Hundes zu denken, die konstitutionsbedingt zu der Gefährlichkeitsvermutung beitragen. Dies wird regelmäßig bei der die Kopfform mitprägenden Ausbildung von Kiefer und Gebiss, bei Hals und Brust, der Bemuskelung dieser Körperpartien, der Bemuskelung des Körpers im Ganzen sowie hiermit zusammenhängend bei Größe und Gewicht des Hundes sowie deren Verhältnis zueinander der Fall sein2.

Dieser Gedanke des Schutzzwecks ist vom Landeshundegesetz unschwer auch in den Bereich des Hundesteuerrechts übertragbar. Der im Rahmen der Aufwandssteuer zulässigerweise verfolgbare Lenkungszweck, die Haltung potenziell gefährlicher Hunderassen im Gemeindegebiet durch eine höhere Besteuerung unattraktiv zu gestalten und damit zu lenken, knüpft wie das Landeshundegesetz an die Vermutung des Gesetzgebers an, dass die besondere Gefährlichkeit von Hunden der gelisteten Rassen auch aus angeborenen – d.h. genetisch bedingten – Verhaltensbereitschaften, insbesondere einer erhöhten Aggressionsbereitschaft, resultiert. Dies zeigt sich aufgrund des Umstandes, dass der Satzungs- bzw. Gesetzgeber nicht allein auf äußere Eigenschaften der in den Rasselisten enthaltenen Hunderassen zur Begründung seiner Gefährlichkeitsvermutung abgestellt hat, denn bei den in § 2 Abs. 2 Buchst. e) Satz 1 HStS wie auch den in § 3 LHundG NRW aufgezählten Hunderassen handelt es sich weder um die größten noch die kräftigsten Hunderassen4.

Knüpft damit die Gefährlichkeitsvermutung an das genetische Potenzial an, welches unter Hinzutreten weiterer Umstände eine Gefährlichkeit des Hundes begründet, ist es nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster naheliegend, dass sich die Gefährlichkeit bei fortschreitender Kreuzung mit anderen Rassen infolge der Abnahme des genetischen Potenzials verringern dürfte. Anhaltspunkt für die Veränderung des genetischen Potenzials ist nach § 2 Abs. 2 Buchst. e) Satz 3 HStS das äußere Erscheinungsbild des Kreuzungshundes und damit verbunden die Frage, ob der Phänotyp einer von der Satzung als gefährlich eingestuften Hunderasse bei dem in Rede stehenden Kreuzungshund deutlich hervortritt.

Angesichts dessen ist ein enges Verständnis des Hervortretens des Phänotyps einer der gelisteten Rassen erforderlich. Nicht ausreichend kann es daher sein, dass ein Hund lediglich einige Merkmale der in Rede stehenden gefährlichen Hunderasse zeigt, selbst wenn diese als einzelne Merkmale deutlich hervortreten. Vielmehr muss man, auch um sowohl Behörden als auch Haltern eines Hundes die Erkennbarkeit und praktikable Handhabung zu ermöglichen, fordern, dass der Standard der in Rede stehenden Rasse im Wesentlichen erfüllt wird2.

Die das Erscheinungsbild einer Rasse regelmäßig besonders charakterisierenden Merkmale – wie insbesondere Kopfform, Größe und Gewicht und deren Verhältnis zueinander sowie generell die Proportionen der verschiedenen Körperteile zueinander – müssen im Wesentlichen vorliegen. Zudem wird man fordern müssen, dass gerade auch die oben genannten, die Gefährlichkeitseinstufung in körperlicher Hinsicht rechtfertigenden körperlichen Merkmale im Wesentlichen gegeben sind.

Gemessen an diesen Maßstäben lässt sich nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster für die Hündin der Klägerin zu 1. feststellen, dass es sich bei dieser nicht um eine Kreuzung im Sinne des § 2 Abs. 2 Buchst. e) Satz 3 HStS, insbesondere eine Kreuzung mit einem Hund der Rasse American Staffordshire Terrier oder einem American Bulldog handelte. Bei der Hündin der Klägerin zu 1. trat weder der Phänotyp eines American Staffordshire Terriers noch der einer American Bulldog deutlich in dem oben genannten Sinne hervor.

Im Gutachten der Amtsveterinärin des Kreises X. wird im Hinblick auf die Frage, ob es sich bei der Hündin um eine Kreuzung handelt, bei welcher der Phänotyp eines American Staffordshire Terriers deutlich hervortritt, diese eindeutig verneint. Am Ende des Gutachtens führt die Sachverständige unter „IV. Maßnahmen“ aus, bei beiden Hunden trete der Phänotyp der in § 3 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW genannten Rassen nicht hervor. Auch aus dem „Endgültigen Ergebnis des Phänotyps“ in der ergänzenden Stellungnahme geht ausschließlich auf die Hündin der Klägerin zu 1. bezogen hervor, dass der Phänotyp der in § 3 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW genannten Rassen – und mithin des American Staffordshire Terriers – nicht hervortrat.

Auf der Grundlage des Gutachten der Amtsveterinärin des Kreises X. sowie ihren ergänzenden Stellungnahmen und der Erläuterung ihrer schriftlichen Gutachten im Rahmen der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Oberverwaltungsgerichts Münster fest, dass bei der Hündin M auch der Phänotyp des American Bulldog nicht deutlich hervortrat. Die Sachverständige hat zwar in ihrer ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass der Phänotyp eines American Bulldog bei der Hündin der Klägerin zu 1. deutlich hervortrete, und an dieser Einschätzung auch unter Berücksichtigung der Einwände der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung festgehalten. Die für diese Einschätzung gegebene schriftliche und mündliche Begründung überzeugt den Senat jedoch nicht, da diese nicht plausibel und zum Teil widersprüchlich ist. Das Oberverwaltungsgericht Münster ist aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen vielmehr davon überzeugt, dass der Phänotyp eines American Bulldog bei der Hündin der Klägerin zu 1. nicht deutlich hervortrat.

Widersprüchlich ist insoweit die in der ergänzenden Stellungnahme dargelegte Begründung für ein deutliches Hervortreten des Phänotyps des American Bulldog bei der Hündin M. In ihrer ergänzenden Stellungnahme führt die Sachverständige unter dem Punkt „III. Beurteilung“ zum Phänotyp von M aus, dass die Hündin aufgrund des gedrungenen, molossoiden Körperbaus und des Kopfes, sowie deren unausgewogenen Verhältnisse zueinander Merkmale eines English Bulldog aufweise. Im folgenden Satz heißt es sodann, der Kopf und die Proportionen zum Körper wiesen auf einen American Bulldog hin, so dass im Gesamtbild der Phänotyp des American Bulldog deutlich hervortrete. Diese Ausführungen, die sich mit Ausnahme der Schlussfolgerung auch bereits im früheren Gutachten finden, sind in sich widersprüchlich, da der Körperbau und der Kopf sowie das unausgewogene Verhältnis des Kopfes zum Körper einerseits als Merkmal des English Bulldog und andererseits der Kopf und dessen Proportion zum Körper als Hinweis auf einen American Bulldog herangezogen wird, ohne dass diese Widersprüchlichkeit aufgelöst wird. Weder lässt sich der ergänzenden Stellungnahme eine Auflösung dieses Widerspruchs entnehmen, noch konnte die Sachverständige diesen im Rahmen der mündlichen Erläuterung ihres Gutachten in der mündlichen Verhandlung ausräumen, so das Oberverwaltungsgericht Münster weiter. Auf die Widersprüchlichkeit dieser Ausführungen angesprochen, räumte die Sachverständige zunächst eine unglückliche Formulierung ein und führte weiter aus, dass die Hündin unausgewogen wirke und man den Eindruck haben könne, in diesem Fall seien ein großer und ein kleiner Hund gekreuzt worden und dabei sei etwas Mittleres herausgekommen. Bei der Beurteilung des Phänotyps sei für sie der Kopf prägnant und Kopf und Körper seien für sie bestimmend. Im Fall der Hündin deuteten die kurzen Beine auf eine englische Bulldogge hin, jedoch würde sie nicht sagen, dass die Merkmale dieser Rasse überwiegen würden. Wie sich die Widersprüchlichkeit der angesprochenen Ausführungen auflösen lässt, wurde aus diesen und auch den weiteren Erläuterungen der Sachverständigen jedoch nicht deutlich.

Auch im Übrigen kann das Ergebnis der Begutachtung, dass der Phänotyp des American Bulldog bei der Hündin deutlich hervortrete, nach Auffasung des Oberverwaltungsgerichts Münster in Anbetracht der Zahl der Merkmale, die die Sachverständige der Rasse des English Bulldog zuordnet, nicht nachvollzogen werden. Bereits in ihrer ergänzenden Stellungnahme führte die Sachverständige aus, dass mutmaßlich durch die Einkreuzung mit einem English Bulldog der gedrungene molossoide Körper entstanden sei und die Einkreuzung eine Verkürzung der Gliedmaßen erzielt habe. Ebenso hat die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die kurzen Beine auf einen English Bulldog hindeuteten.

Zudem sind auch die Ausführungen der Sachverständigen zur Rücken- und Kruppenform der Hündin als Merkmal für den American Bulldog nicht plausibel und im Hinblick auf die Äußerungen im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Gutachtens inkonsistent. Während die Sachverständige in ihrem Gutachten bei der Hündin einen zur Kruppe hin abfallenden Rücken beschrieb und in ihrer ergänzenden Stellungnahme die Kruppen- und Rückenform als Hinweise auf den American Bulldog benannte, führte sie im Hinblick auf die ihrem Gutachten beigefügten Lichtbilder im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Gutachtens aus, dass der Rücken zur Kruppe hin ansteige und die Kruppe höher liege als die Schulter. Es sei ebenfalls ein Merkmal der Englischen Bulldogge, dass der Rücken hinten höher gestellt sei. Dies deckt sich auch mit ihren Ausführungen in ihrer ergänzenden Stellungnahme, in der sie im Zusammenhang mit den Merkmalen des English Bulldog darstellte, dass die Wirbelsäule bei dieser Rasse bis zu den Lenden ansteigen solle, wobei der oberste Punkt der Lendenpartie höher liege als die Schulter und danach die Oberlinie – einen leichten Bogen bildend – zur Rute hin steiler abfalle, was ein für diese Rasse charakteristisches Merkmal sei. Die Sachverständige erklärte zudem, dass die Hündin eine schöne rund abfallende Kruppe aufweise, was ein Merkmal von Bulldoggen insgesamt sei, sodass auch insoweit die Bewertung in der ergänzenden Stellungnahme, dass die Kruppenform auf einen American Bulldog – in Abgrenzung zu einem English Bulldog – hinweise, durch das Oberverwaltungsgericht Münster nicht nachvollzogen werden kann.

Die dargestellten Widersprüche und Unstimmigkeiten hat die Sachverständige auch nicht dadurch entkräftet, dass sie sowohl in der ergänzenden Stellungnahme als auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens ausführte, dass der Kopf der Hündin verschiedene typische Merkmale des American Bulldog aufweise. Hieran hat das Oberverwaltungsgericht Münster im Wesentlichen nichts zu erinnern, auch wenn zu berücksichtigen bleibt, dass die Sachverständige im Rahmen ihrer ergänzenden Stellungnahme hinsichtlich der Kopfform selbst die Einschränkung vorgenommen hat, dass die von frontal erscheinende runde Form des Kopfes von einem Bully-Typ des American Bulldog oder von einer Englischen Bulldogge stammen könne. Nach den Ausführungen der Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist für diese bei der Beurteilung des Phänotyps der Kopf prägnant, aber sie weist zudem darauf hin, dass für sie Kopf und Körper bestimmend seien. In Anbetracht der in Bezug auf den Körper dargestellten Merkmale, welche die Sachverständige selbst dem English Bulldog zuweist, ist daher ihr Ergebnis, dass im Gesamtbild der Phänotyp des American Bulldog deutlich hervortrat, für das Oberverwaltungsgericht Münster nicht plausibel. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Sachverständige im Rahmen ihrer mündlichen Erläuterung zum Teil lediglich von überwiegenden Merkmalen eines American Bulldogs bei der Hündin sprach.

Der Umstand, dass die Sachverständige in ihrer ergänzenden Stellungnahme darauf hinweist, dass die Hündin M für einen English Bulldog viel zu groß sowie zu lang im Rücken sei und keine kurze, stumpfe Schnauze aufweise und zudem die stark verkürzte Nase, die wenig ausgeprägten Kaumuskulatur sowie der typische Vorbiss fehle, und diese Einwände auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens wiederholt hat, ist unschädlich, da nicht die Frage zu beantworten ist, ob der Phänotyp des English Bulldog deutlich hervortrat. Vielmehr ist die Frage maßgeblich, ob in Anbetracht der verschiedenen auf einen English Bulldog hindeutenden Merkmale noch von einem deutlichen Hervortreten des Phänotyps des American Bulldogs gesprochen werden kann.

Aufgrund der genannten Widersprüche und Unstimmigkeiten in den ergänzenden Stellungnahmen der Sachverständigen ist das Oberverwaltungsgericht Münster vielmehr davon überzeugt, dass der Phänotyp eines American Bulldog bei der Hündin der Klägerin zu 1. gerade nicht deutlich hervortrat. Da die Sachverständige dem Oberverwaltungsgericht Münster nicht plausibel vermitteln konnte, warum der Phänotyp der American Bulldog bei der Hündin der Klägerin zu 1. deutlich hervortrat, ist das Oberverwaltungsgericht Münster davon überzeugt, dass dies auch tatsächlich nicht der Fall war.

Oberverwaltungsgericht NRW, Urteil vom 23.01.2023 – 14 A 516/21
ECLI:DE:OVGNRW:2023:0123.14A516.21.00

Anmerkung von Schlosser Rechtsanwälte:

Es ist sehr wohltuend, dass das Oberverwaltungsgericht Münster sich nicht nur seit einiger Zeit realistisch mit der Beurteilung des Phänotyps beschäftigt, sondern auch nicht blind den Amtstierärzten folgt. Bei selbigen muss man sich leider sehr häufig fragen, welche Qualifikation sie wirklich haben und welche Interessen sie verfolgen.

 

  1. VG Düsseldorf, Urteil vom 19.01.2021 – 25 K 3983/19 []
  2. OVG NRW, Urteil vom 03.12.2020 ‑ 5 A 1033/18 [] [] []
  3. vgl. zum Landeshundegesetz NRW: OVG NRW, Urteile vom 12.03.2019 – 5 A 1210/17; vom 17.02.2020 – 5 A 3227/17 [] []
  4. vgl. zum Landeshundegesetz NRW: OVG NRW, Urteil vom 03.12.2020 – 5 A 1033/18; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.04.2021 – 12 B 11/20 []