In einem vor dem Europäischen Gerichtshof anhängigen Verfahren „Meilicke“ hat heute die Generalanwältin ihren Schlußantrag vorgelegt und damit eine beim Bundesfinanzminsterium eine Reaktion des Entsetzens ausgelöst. Denn die von der Generalanwältin vertretene Rechtsposition in der Rechtssache „Meilicke“ würde, wenn der EuGH sie sich zu Eigen machen würde nach Berechnungen des BMF für den deutschen Fiskus zu Steuerrückzahlungen in Höhe von ca. 5 Mrd. Euro in 2006 und 2007 führen.
Worum geht es?
Das strittige Verfahren betrifft eine Regelung des bis 2000 geltenden Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens. Danach war der Anspruch auf eine Steuergutschrift für Dividenden ausgeschlossen, wenn die auszahlende Gesellschaft ihren Sitz nicht im Inland hatte. Deutschland hat das Körperschaftsteueranrechnungsverfahren bereits im Jahre 2000 abgeschafft. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung die im Streit stehende Regelung nicht mehr verteidigt, sondern – ebenso wie zahlreiche andere Mitgliedstaaten und auch die EU-Kommission – beantragt, angesichts der schwerwiegenden finanziellen Auswirkungen einer rückwirkenden Urteilskraft die zeitliche Urteilswirkung zu begrenzen.
Die Generalanwältin Stix-Hackl schlägt dem Gerichtshof nun vor, die Wirkungen des Urteils gegen allen vorgetragenen Sachverstand nicht zeitlich zu beschränken. Sie vertritt die Auffassung, für Deutschland seien Haushaltsbelastungen von bis zu 5 Mrd. Euro keine schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen. Und nur diese würden eine zeitliche Begrenzung der Urteilswirkung rechtfertigen.
Die Äußerungen der Generalanwältin sind in keiner Weise nachvollziehbar. Deutschland hat das Anrechnungsverfahren schon vor Jahren aufgehoben. In diesem Verfahren geht es also nicht darum, Deutschland an seine europarechtlichen Pflichten zu erinnern, sondern um die Aufarbeitung von Altfällen. Es muss daher der Grundsatz zum Tragen kommen, dass negative Konsequenzen für die Mitgliedstaaten vermieden werden sollen, soweit sie nicht zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts geboten erscheinen. Die Bundesregierung befindet sich dabei im Einklang mit der EU-Kommission. Sie hat ein schlüssiges Konzept vorgestellt, das die legitimen Interessen der Anleger und des deutschen Staates zu einem wohl balancierten Ausgleich bringt.
Die Bundesregierung hat in dem Verfahren deutlich gemacht, dass die von der der Generalanwältin als nur „reine finanzielle Konsequenzen“ eingestufte Defizitauswirkung für Deutschland real die Gefahr bedeuten, dass es zu einer Erhöhung des staatlichen Maastricht-Defizits im nächsten Jahr um einen Viertelprozentpunkt und einen Steuerverlust von einem Achtel der Einnahmen aus der veranlagten Einkommensteuer und sogar über ein Viertel des gesamten deutschen Aufkommens aus der Körperschaftsteuer kommen könnte. Darüber hinaus haben wir deutlich gemacht, dass der drohende Steuerverlust sich auf fast ein Viertel aller im Haushalt veranschlagten Mittel für Investitionen des Bundes beläuft. Es erscheint geradezu grotesk, dass sich die Generalanwältin über diese Argumentation hinwegsetzt, die jedem wirtschaftlich Verständigen klar machen sollte, dass es sich hierbei nicht nur um eine reine rechnerische Größe handelt. Vielmehr würde es zu unmittelbaren negativen Auswirkungen für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger kommen. Dies hatte im Übrigen auch der zunächst mit dem Verfahren befasste Generalanwalt Tizziano anerkannt und in seinen Schlussanträgen vom 10. November 2005 eine Beschränkung der Urteilswirkung vorgeschlagen.
Die Bundesregierung hofft, dass der EuGH sich dieser haltlosen und fundamentale Interessen eines Mitgliedstaates und seiner Bürgerinnen und Bürger verletzenden Rechtsauffassung der Generalanwältin nicht anschließt und dem Petitum der Bundesregierung auf zeitliche Begrenzung der Urteilswirkung nachkommt.
Man darf gespannt sein. Und betroffene Steuerbürger sollten ihre Steuerbescheide in diesen Punkten, soweit möglich, durch Einspruch und Klage offen halten.