Durch die Steuerreform 2001 wurde mit (im Grundsatz) erstmaliger Wirkung vom Veranlagungszeitraum 2001 das System der Besteuerung von Kapitalgesellschaften grundlegend umgestellt. An die Stelle des sog. Anrechnungsverfahrens trat eine Endbesteuerung beim Anteilseigner nach dem sog. Halbeinkünfteverfahren. Um das Körperschaftsteuerguthaben aus dem bisherigen Besteuerungsverfahren möglichst bald einziehen zu können, mussten kurzfristig Ausschüttungen vorgenommen werden. Reichten Gewinn oder Eigenkapital nicht für eine Ausschüttung aus, wurde zur „Mobilisierung“ von Körperschaftsteuerguthaben empfohlen, über eine Gesellschaftereinlage handelsrechtlich einen Gewinnausweis zu veranlassen (sog. Leg-ein-Hol-zurück). Um die Liquidität der Gesellschafter zu schonen, wurde diese Maßnahme durch ein Gestaltungsmodell verfeinert, das in der breiten Öffentlichkeit als „Rücklagenmanagement“ bekannt geworden ist.
Ein derartiges Modell stellt nach einem jetzt veröffentlichten Urteil des Bundesfinanzhofs keinen Gestaltungsmissbrauch dar und ist damit steuerlich anzuerkennen. Das Steuergesetz werde durch den gewählten Gestaltungsweg nicht in missbräuchlicher Weise umgangen; es werde lediglich genutzt, um einem andernfalls drohenden Verlust der Körperschaftsteuerguthaben entgegenzuwirken. Der Bundesfinanzhof erinnerte ausdrücklich daran, dass er die gesetzlichen Übergangsvorschriften vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren in seinem Urteil vom 31. Mai 2005 I R 107/04 nur mit Blick auf solche Gestaltungsmöglichkeiten für verfassungsmäßig gehalten habe.
Das zu Beurteilung stehende Modell war folgendermaßen gestaltet: Mit der Klägerin wurde eigens eine Kapitalgesellschaft gegründet, die in einem ersten Schritt mit einer Bank die Vermittlung neu auszugebender Beteiligungen an Kapitalgesellschaften vereinbarte. Diese Vereinbarung sicherte der Bank eine Provision (von 16% der Zeichnungsbeträge) und der Gesellschaft die Finanzierung der Beteiligungskäufe. Sodann erwarb die Kapitalgesellschaft in einem zweiten Schritt Beteiligungen an Kapitalgesellschaften mit hohen Gewinnrücklagen. Dem Erwerb ging jeweils eine Kapitalerhöhung bei den Beteiligungsgesellschaften und damit verbunden die Schaffung eines Vorzugsgeschäftsanteils voraus, der zwischen 0,0001% und 0,29% des Stammkapitals ausmachte. Für diese Vorzugsgeschäftsanteile zahlte der Erwerber einen deutlich über den Nominalwert liegenden Ausgabepreis (für die erworbenen Stammeinlagen von insgesamt nominal rund 36 000 DM betrug der Zeichnungspreis rund 1,075 Mio. DM). Die Vorzugsgeschäftsanteile verschafften satzungsgemäß einen Anspruch auf eine „disquotale“ oder „inkongruente“ Vorzugsdividende in Höhe von jeweils 93,3% des Ausgabepreises sowie den Anspruch auf das Körperschaftsteuerguthaben. Zur Sicherung der Ausschüttung gewährten die erworbenen Anteile bis zum zeitnahen Ausschüttungsbeschluss die Stimmrechtsmehrheit für alle Gesellschafterbeschlüsse. Anschließend vermittelten die Anteile nur noch Stimm- und Gewinnbezugsrechte entsprechend der Beteiligungsquote. Zugleich wurden in einem dritten Schritt auf die erworbenen Anteile von der beteiligten Gesellschaft Teilwertabschreibungen vorgenommen. Das Finanzamt hatte die Gestaltung nicht anerkannt und sie statt dessen in Darlehensverhältnisse umgedeutet.
Nach gegenwärtiger Rechtslage kommt dem Gestaltungsmodell keine Bedeutung mehr zu. Die Entnahme aus dem Körperschaftsteuerguthaben ist hiernach für Gewinnausschüttungen, die nach dem 31. Dezember 2005 erfolgen, auf einen Höchstbetrag beschränkt. In der Zeit vom 11. April 2003 bis zum 31. Dezember 2005 war die Auszahlung aus dem Guthaben gänzlich ausgeschlossen (sog. Körperschaftsteuer-Moratorium).
Die „Mobilisierung“ von Körperschaftsteuerguthaben im Wege eines sog. Rücklagenmanagements und dessen modellmäßige Verwirklichung in Teilschritten zunächst durch kreditfinanzierten Erwerb eines sog. Vorzugsgeschäftsanteils (von bis zu 0,29 v.H.) am Stammkapital einer Kapitalgesellschaft mit hohen Gewinnrücklagen zu einem über dem Nominalwert liegenden Kaufpreis und anschließender Beschlussfassung einer disquotalen, durch ein Mehrstimmrecht abgesicherten Vorabausschüttung ist nicht rechtsmissbräuchlich. Der Anteilserwerb ist auch nicht in ein Darlehensverhältnis umzudeuten.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. Juni 2006 – I R 97/05