Ein im Ausland wohnender Künstler ist bei einem Auftritt im Inland mit seinem Honorar beschränkt einkommensteuerpflichtig. Die Steuer wird vom Veranstalter unmittelbar bei Auszahlung des Honorars abgezogen. Erwerbsaufwendungen werden hierbei grundsätzlich nicht berücksichtigt. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat in einem Urteil vom 12. Juni 2003 und in einem weiteren Urteil vom 3. Oktober 2006 entschieden, dass der Steuerabzug an der „Quelle“ aus Gründen des effektiven Steuervollzugs in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht steht, dass hierbei allerdings Aufwendungen des Künstlers berücksichtigt werden müssen, die diesem in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit seinem Auftritt entstanden sind. Die Urteile des EuGH sind in der Fachwelt als das „Gerritse“- und das „Scorpio“-Urteil bekannt geworden.
Der Bundesfinanzhof hat nun abschließend über die Rechtssache „Gerritse“ zu entscheiden: Herr Gerritse ist ein in den Niederlanden wohnender niederländischer Staatsangehöriger, der in Deutschland ein Honorar für einen Solo-Auftritt als Schlagzeuger erhielt. Er wollte wie ein inländischer Künstler zur Einkommensteuer veranlagt werden. Dabei sollten seine bislang nicht berücksichtigten Betriebsausgaben angesetzt und sollte ihm außerdem der sog. Grundfreibetrag gewährt werden. Der BFH lehnte beides ab: Es genüge, wenn Herrn Gerritse für die Betriebsausgaben die Möglichkeit eines vereinfachten Erstattungsverfahrens gegeben werde. Ein Anspruch auf Steuerveranlagung und auf den Grundfreibetrag stehe ihm weder aus Gründen des Verfassungs- noch des Gemeinschaftsrechts zu.
Zu beachten ist, dass das Verfahren das Streitjahr 1996 betraf. Seit Mitte 2002 ist die (geänderte) Beitreibungs-Richtlinie 2001/44/EG der Europäischen Gemeinschaft in Kraft. Der EuGH hat in dem „Scorpio“-Urteil zu erkennen gegeben, dass im Hinblick hierauf der Abzug der Einkommensteuer an der „Quelle“ durch den inländischen Veranstalter des Künstlerauftritts möglicherweise nicht mehr gerechtfertigt sein könnte. Dementsprechend hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft gegen die Bundesrepublik am 26. März 2007 auch bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.
1. Ein beschränkt Steuerpflichtiger mit Einkünften gemäß § 50a Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG 1990 unterliegt im Veranlagungszeitraum 1996 dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 Satz 3 und 4 EStG 1996 mit seinen Bruttoeinnahmen. Hat der beschränkt Steuerpflichtige jedoch Ausgaben, welche unmittelbar mit der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen, aus der die zu versteuernden Einkünfte erzielt worden sind, und werden diese Ausgaben dem Vergütungsschuldner mitgeteilt, so sind die Ausgaben regelmäßig bereits im Rahmen des Abzugsverfahrens zu berücksichtigen. Soweit § 50a Abs. 4 Satz 4 EStG 1990 dies ausschließt, verstößt die Vorschrift gegen Gemeinschaftsrecht (Anschluss an EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006 Rs. C-290/04 „Scorpio“, BFH/NV 2007, Beilage 1, 36).
2. Wenn und soweit unmittelbar mit der Tätigkeit zusammenhängende Aufwendungen im Abzugsverfahren nicht berücksichtigt worden sind, kann der beschränkt Steuerpflichtige deren Erstattung in unmittelbarer oder analoger Anwendung des § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 3 EStG 1990 (i.d.F. des JStG 1997), ggf. auch des § 50d Abs. 1 Satz 3 EStG 1990 beantragen. Die wahlweise Beantragung eines Veranlagungsverfahrens scheidet aus. Ein solches Wahlrecht ist weder aus Gründen des Verfassungs- noch des Gemeinschaftsrechts geboten.
3. Der Mindeststeuersatz gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1990 von 25 v.H. des Einkommens eines gebietsfremden beschränkt Steuerpflichtigen aus selbständiger Arbeit verstößt weder gegen Gemeinschafts- noch gegen Verfassungsrecht, sofern er nicht höher ist als der Steuersatz, der sich für den betroffenen Steuerpflichtigen tatsächlich aus der Anwendung des progressiven Steuertarifs auf die Nettoeinkünfte zuzüglich eines Betrages in Höhe des Grundfreibetrages ergeben würde (Bestätigung des Senatsurteils vom 19. November 2003 I R 34/02, BFHE 204, 449, BStBl II 2004, 773; Anschluss an EuGH-Urteil vom 12. Juni 2003 Rs. C-234/01 „Gerritse“, EuGHE I 2003, 5933, BStBl II 2003, 859).
Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. Januar 2007 – I R 87/03