Der Bundesfinanzhof hat in einem Beschluss über die Aussetzung der Vollziehung von Haftungsbescheiden ernstliche Zweifel daran geäußert, ob die Abführung von Lohnsteuern in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung darstellt, oder ob ein sog. Bargeschäft nach § 142 InsO vorliegt, das nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO angefochten werden kann.
Bei Insolvenz einer GmbH versucht das Finanzamt regelmäßig, noch offen stehende Lohnsteuerschulden per Haftungsbescheid bei dem Geschäftsführer der GmbH geltend zu machen, da dieser die steuerliche Pflicht zur Abführung der von den Gehältern einbehaltenen Lohnsteuer nicht erfüllt habe. Dem Geschäftsführer der GmbH obliegt nach § 41a Abs. 1 EStG i.V.m. § 34 Abs. 1 AO 1977 die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der Gesellschaft geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar.
Die Erfüllung des Haftungstatbestandes des § 69 AO 1977 erfordert neben einer schuldhaften Pflichtverletzung allerdings auch das Bestehen eines haftungsbegründenden ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Fehlverhalten des Vertreters und dem Eintritt des Steuerausfalls als Vermögensschaden. An dem aufgrund des Schadensersatzcharakters der Haftungsnorm zu fordernden Kausalzusammenhang fehlt es, wenn der Steuerausfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners nicht zu vermeiden gewesen wäre. Dies ist z.B. der Fall, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuer infolge bestehender Zahlungsunfähigkeit des Vertretenen Mittel zur Begleichung der Steuerschuld nicht mehr zur Verfügung gestanden haben und solche auch nicht mehr hätten beschafft werden können. Ebenso kann ein vom Verhalten des Vertreters unabhängiger Anspruch auf Rückgewähr des vom Finanzamt erlangten Steuerbetrages dazu führen, dass der Steuerausfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners nicht hätte verhindert werden können. Sofern die Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt sind, steht ein solcher Anspruch dem Insolvenzverwalter nach § 129 Abs. 1 i.V.m. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann bei Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung ein Schaden der Kasse zu verneinen sein, wenn die Beitragszahlungen im Insolvenzverfahren erfolgreich hätten angefochten werden können. In diesem Fall wäre der Schaden auch bei pflichtgemäßer Abführung der Arbeitnehmeranteile eingetreten, so dass von einer Kausalität der Unterlassung nicht mehr ausgegangen werden könne. Andererseits ist in der Rechtsprechung des BFH bisher nicht eindeutig geklärt, ob und in welchem Umfang bei der Haftung nach § 69 AO 1977 hypothetische Geschehensabläufe Berücksichtigung finden können. Diese Unsicherheiten in ihrer Beurteilung reichen aus, um dem Haftungsschuldner eine Aussetzung der Vollziehung der von ihm angefochtenen Haftungsbescheide zu gewähren.
Allen Betroffenen kann daher nur empfohlen werden, gegen ergehende Haftungsbescheide Einspruch einzulegen und die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides zu beantragen. Eine endgültige Klärung dieser Frage durch den Bundesfinanzhof wird allerdings noch etwas auf sich warten lassen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11. August 2005 – VII B 244/04