Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat heute die Neuregelung der Pendlerpauschale für verfassungswidrig erklärt. Doch welche Folgen hat dieses Urteil jetzt für den steuerpflichtigen Bürger?
Die Regelung bis 2006
Die Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte konnten bis zum Jahr 2006 als Werbungskosten nach § 9 EStG oder als Betriebsausgaben nach § 4 EStG bei den einkommensteuerpflichtigen Einkünften abgezogen werden. Dies geschah grundsätzlich in Form einer von tatsächlich entstandenen Kosten unabhängigen Pauschale je Arbeitstag in Höhe von zuletzt 0,30 € pro Entfernungskilometer (Entfernungspauschale, sog. Pendlerpauschale).
Die verfassungswidrige Neuregelung zum 2007
Mit Wirkung ab 2007 bestimmte der Bundesgesetzgeber in § 9 Abs. 2 EStG sowie entsprechend auch in § 4 Abs. 5a EStG, dass die Aufwendungen für die Wege zur regelmäßigen Arbeitsstätte keine Werbungskosten sind (§ 9 Abs. 2 S. 1 EStG), dass aber „zur Abgeltung erhöhter Aufwendungen“ für Fahrten ab dem 21. Entfernungskilometer eine Pauschale von 0,30 € „wie Werbungskosten“ anzusetzen ist (§ 9 Abs. 2 S. 2 EStG). Die grundsätzliche Einführung des sog. Werkstorprinzips nach Satz 1 wurde im Gesetzgebungsverfahren mit dem Ziel notwendiger Konsolidierung des übermäßig verschuldeten Staatshaushalts (durch erwartete jährliche Mehreinnahmen von rund 2,53 Mrd €) begründet, die verbliebene Abzugsfähigkeit der erhöhten Aufwendungen für längere Wegstrecken als ergänzende Härtefallregelung.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:
Auf die Vorlagen der Finanzgerichte Niedersachsens und des Saarlandes sowie des Bundesfinanzhofs entschied jetzt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass diese Neuregelungen mangels verfassungsrechtlich tragfähiger Begründung mit den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG an eine folgerichtige Ausgestaltung einkommensteuerrechtlicher Belastungsentscheidungen nicht vereinbar und verfassungswidrig sind.
Gleichzeitig verpflichtete das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber, rückwirkend auf den 1. Januar 2007 die Verfassungswidrigkeit durch Umgestaltung der Rechtslage zu beseitigen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung ist die Pauschale des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG – vorläufig – ohne die Beschränkung auf Entfernungen erst ab dem 21. Kilometer anzuwenden.
Die Folgen:
Zunächst einmal gilt: Die zum 1. Januar 2007 eingeführte Beschränkung auf Entfernungen ab 21 km gilt nicht, sie wurde vom Bundesverfassungsgericht rückwirkend beseitigt. Gleichzeitig hat das BVerfG angeordnet, dass bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber die Entfernungspauschale in der bisherigen Höhe von 0,30 € je Entfernungskilometer wieder ab dem 1. Entfernungskilometer zu berücksichtigen ist. Für die Jahre 2007 und 2008 wie auch für die kommenden Jahre gilt damit wieder das alte Recht.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber zwar die Möglichkeit gelassen, die verfassungswidrigen Neuregelung durch eine verassungskonforme zu ersetzen, diese dürfte nach den eindeutigen Worten des BVerfG aber keine Einschränkung auf eine “Mindestentfernung” oder Ähnliches mehr enthalten. Doch der Bundesfinanzminister hat bereits erklärt, dass eine Neuregelung nicht mehr für 2009, sondern wenn, dann erst für die Jahre ab 2010 erfolgen soll. Für die Jahre 2007, 2008 und 2009 bleibt alles beim Alten, nämlich bei der auch schon bis 2006 gültigen Regelung von 0,30 € ab dem ersten Entfernungskilometer.
In der Einkommensteuererklärung für 2008 können Sie die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitstätte daher wieder ab dem ersten Entfernungskilometer ansetzen.
Das Gleiche gilt, soweit Sie Ihre Einkommensteuererklärung für 2007 noch nicht abgegeben haben sollten. Haben Sie Ihre Einkommensteuererklärung für 2007 wegen der Pendlerpauschale mit einem Einspruch angefochten, erfolgt die Berücksichtigung des Verfassungsgerichtsurteils im Rahmen der Einspruchentscheidung.
Soweit Sie keinen Einspruch eingelegt haben, erfolgt die Änderung aufgrund des (hoffentlich in Ihrem Steuerbescheid hinsichtlich der Pendlerpauschale vorhandenen) Vorläufigkeitsvermerks von Amts wegen durch das Finanzamt.
Und wenn Sie in Ihrer Steuererklärung 2007 im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Gesetzesänderung keine Angaben zur Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und der Zahl der Arbeitstage gemacht hat, dann sollten Sie dies nunmehr Ihrem Finanzamt mitteilen, das dann auch von Amts wegen die Änderung der Steuerfestsetzung für 2007 zu veranlassen hat.
Und wenn Sie wissen wollen, wie hoch das Weihnachtsgeschenk des Bundesverfassungsgerichts ausfällt, hier noch ein Zitat aus der Pressemitteilung des Bundesfinanzministers:
Für einen durchschnittlichen Arbeitnehmer bedeutet dies – unter der Annahme, dass der Arbeitnehmerpauschbetrag schon durch andere Werbungskosten vollständig ausgeschöpft ist – bei einer Entfernung zum Arbeitsort von der Wohnung von 20 km und 220 Arbeitstagen, dass sich die steuerliche Bemessungsgrundlage um 1.320 € und die Steuerschuld um rund 350 € (je nach individuellem Grenzsteuersatz) je Jahr verringert.
Und dieses “Weihnachtsgeschenk” soll auch zügig ankommen: Die Finanzämter sollten, so der Bundesfinanzminister in seiner Presseerklärung, nunmehr angewiesen werden, die von Amts wegen zu veranlassenden Rückzahlungen für das Jahr 2007 möglichst schon in den ersten drei Monaten des Jahres 2009 zu leisten.
Passend dazu auch eine Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes: In dem derzeit letzten vom Statistischen Bundesamt ausgewerteten Veranlagungsjahr 2004 haben 15,0 Millionen Bundesbürger von der damaligen Entfernungspauschale, die keine Kilometerbeschränkung vorsah, profitiert. Dabei legten sie täglich durchschnittlich 26,0 Kilometer auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle zurück. 7,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben in ihren Einkommensteuererklärungen eine Entfernung zur Arbeitsstelle von mehr als 20 Kilometer geltend gemacht, bei 7,4 Millionen betrug die Entfernung bis zu 20 Kilometer. Insgesamt wurden 69,1 Milliarden Kilometer anerkannt. Drei Viertel davon entfielen auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mehr als 20 Kilometer Entfernung zur Arbeitsstätte.
Eine einfache Rechnung zum Schluss: Bei einer steuerlichen Auswirkung von ca. 350,- € je steuerpflichtigem Bürger und 7,6 Mio betroffenen Bürgern macht die jetzt für verfassungswidrig erklärte Kürzung der Pendlerpauschale pro Jahr 2,66 Mrd. € aus.