Das niedersächsiche Finanzgericht hatte sich mit einer interessanten Frage auseinanderzusetzen:
Erbringt ein Psychotherapeut, der zwar nicht über einen Abschluss nach dem deutschen Psychotherapiegesetz, wohl aber über das „European Certificate of Psychotherapy“ verfügt, nach § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreite Umsätze?
Diese Frage hat das Gericht bejaht.
Zugrunde lag folgender Sachverhalt:
Der Kläger ist … Theologe. Er ist selbständig tätig und betreibt das … Institut für Existenzanalyse und Logotherapie. Für seine Tätigkeit hat er sich eine Ausbildung als Psychotherapeut angeeignet, verfügt aber nicht über eine abgeschlossene inländische Hochschulausbildung als Psychologischer Psychotherapeut im Sinne des Psychotherapiegesetzes. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Psychotherapeut wendet er als Behandlungsmethode auch die Logotherapie und die Existenzanalyse an.
Am 19. Januar 1999 stellte der Kläger einen Antrag auf Mitgliedschaft im Europäischen Verband für Psychotherapie. Dieser Antrag wurde durch den Vorstand des Deutschen Dachverbands für Psychotherapie am 24. November 1999 befürwortet. Am 19. Februar 2000 erteilte der Europäische Verband für Psychotherapie dem Kläger das „European Certificate of Psychotherapy (im Folgenden: ECP)“. Darin wird bescheinigt, dass der Kläger eine Ausbildung entsprechend den Regeln des Europäischen Verbandes für Psychotherapie absolviert hat. Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Verleihung des Zertifikats wird auf das Statut des Europäischen Verbandes für Psychotherapie (Bl. 57 ff Klageakte) verwiesen. Schließlich ist der Kläger am 12. April 2007 vom Österreichischen Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend gem. dem Österreichischen Psychotherapiegesetz in die Psychotherapeutenliste eingetragen worden.
Der Kläger behandelte die Umsätze, die er als Psychotherapeut erzielt hatte, in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 1997-2000 jeweils als steuerfrei gem. § 4 Nr. 14 UStG. Der Beklagte folgte dem in den Umsatzsteuerbescheiden 1997 vom 26. Januar 2000 sowie 1998-2000, jeweils vom 4. Oktober 2002, nicht, sondern unterwarf die Umsätze unter Herausrechnung der Umsatzsteuer dem Regelsteuersatz der Umsatzsteuer. Im Gegenzug berücksichtigte er die auf diese Umsätze entfallende Vorsteuer.
Der Beklagte bezweifelt, dass das vom Kläger vorgelegte Zertifikat tatsächlich den Abschluss einer Ausbildung dokumentiere, die der eines Psychologischen Psychotherapeuten nach dem Psychotherapiegesetz vergleichbar ist. Darauf deute auch hin, dass der Kläger erst 2007 in Österreich in die Psychotherapeutenliste eingetragen worden ist.
Darüber hinaus handele es sich um eine Eintragung in Österreich. In Österreich sei im Gegensatz zu Deutschland seit dem 7. Juni 1990 eine akademische Ausbildung nicht mehr Voraussetzung für die Ausübung des Berufes des Psychotherapeuten. In Deutschland liege nach wie vor keine entsprechende Approbation vor, obwohl das Psychotherapiegesetz die Möglichkeit zur Erlangung einer Approbation auf der Grundlage einer im Ausland absolvierten Ausbildung zulässt. Aus diesem Grund seien die Umsätze auch für die Zeit nach der Erteilung des ECP nicht steuerbefreit.
Der Kläger könne auch keine Zulassung nach § 124 Abs. 2 SGB V vorweisen.
Das Gericht hat dem Kläger durch Verfügung vom 19. Dezember 2008 unter Setzung einer Ausschlussfrist gem. § 79 b Abs. 2 FGO bis zum 29. Januar 2009 aufgegeben Unterlagen vorzulegen, aus denen sich ergibt, dass der Kläger bereits vor dem Jahr 2000 ausgebildeter Psychotherapeut ist. Der Kläger hat daraufhin vorgetragen, dass auf den Zeitpunkt der Antragstellung auf Mitgliedschaft im ECP abzustellen sei und hat ein Schreiben des Europäischen Verbands für Psychotherapie vom 26. Januar 1999 vorgelegt, in dem der Eingang des Beitrittsantrags des Klägers vom 19. Januar 1999 bestätigt wird.
Das Finanzgericht entschied:
Die Klage wegen Umsatzsteuer 2000 ist teilweise begründet. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Gem. § 4 Nr. 14 UStG sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker steuerfrei.
Diese Vorschrift setzt bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und dass er dafür die erforderliche Qualifikation besitzt (vgl. Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften –EuGH — vom 6. November 2003 Rs. C 45/01, Christoph-Dornier-Stiftung, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2003, 585 Rz. 5; vom 27. April 2006 C-443/04 und C444/04, Solleveld u.a., BFH/NV Beilage 2006, 299, UR 2006, 587 Rz 24, 37; Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH — vom 7. Juli 2005 V R 23/04, BStBl. II 2005, 904; vom 18. August 2005 V R 71/03, BStBl. II 2006, 143).
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern77/388/EWG (6. EG-Richtlinie) umfassen Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung, der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen für bestimmte Patienten ausgeführt werden (BFH-Urteile vom 30. Juni 2005 V R 1/02, BStBl. II 2005, 675; vom 13. Juli 2006 V R 7/05, BFH/NV 2006, 2387, Deutsches Steuerrecht 2006, 1982, m.w.N.).
Im Urteil „Solleveld“ in BFH/NV Beilage 2006, 299, UR 2006, 587 hat der EuGH die Grundsätze für die Definition der „arztähnlichen Berufe“ durch die Mitgliedstaaten präzisiert:
Die Mitgliedstaaten haben nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie bei der Definition der arztähnlichen Berufe ein Ermessen, das sich nicht nur auf die für die Ausübung dieser Berufe erforderliche Qualifikation, sondern auch auf die Festlegung der spezifischen Heiltätigkeiten bezieht, die zu diesen Berufen gehören. Die Mitgliedstaaten können einzelne Berufe von den arztähnlichen Berufen ausnehmen, selbst wenn sie hinsichtlich bestimmter Aspekte im nationalen Recht besonders geregelt sind.
Begrenzt wird dieses Ermessen jedoch zum einen durch das Ziel der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie aufgestellten Voraussetzung, „dass die Befreiung nur für Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gilt, die von Personen erbracht werden, die die erforderlichen beruflichen Qualifikationen besitzen. Daher sind nicht alle Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Mehrwertsteuer befreit, sondern nur diejenigen, die unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der Behandelnden eine ausreichende Qualität aufweisen“.
Zum anderen verbietet zwar der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, gleichartige und deshalb miteinander im Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. „Bei der Prüfung, ob Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gleichartig sind, sind jedoch die beruflichen Qualifikationen der Behandelnden zu berücksichtigen.“
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hängt der Nachweis der erforderlichen Qualifikation nach der Rechtsprechung des BFH nicht ausschließlich von einer berufsrechtlichen Regelung und deren Erfüllung ab. Indizien für das Vorliegen einer beruflichen Qualifikation sind die Zulassung des jeweiligen Unternehmers oder die regelmäßige Zulassung seiner Berufsgruppe gemäß § 124 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Sozialversicherung oder die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nach § 92 SGB V (BFH-Urteil vom 7. Juli 2005 V R 23/04, BStBl. II 2005, 904, m.w.N.). Weiteres Indiz ist, dass der Behandelnde die Qualifikation hat, die in einem Versorgungsvertrag gemäß § 11 Abs. 2, §§ 40, 111 SGB V für Leistungen von Fachkräften zur medizinischen Rehabilitation benannt ist (BFH-Urteil vom 25. November 2004 V R 44/02, BStBl. II 2005, 190, unter II.2.c).
Es ist unstreitig, dass Psychologische Psychotherapeuten, die über eine abgeschlossene Ausbildung im Sinne von § 5 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PsychThG) bzw. der auf Grundlage des § 8 PsychThG ergangenen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychothetherapeuten (PsychThAPrV) verfügen, eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit nach § 4 Nr. 14 UStG ausüben (Abschnitt 90 Abs. 2 Umsatzsteuerrichtlinien 2008; Sölch/Ringleb, Kommentar zum UStG, § 4 Nr. 14 Rz. 72).
Allerdings verfügte der Kläger in den Streitjahren 1997-1999 noch nicht über einen entsprechenden berufsqualifizierenden Abschluss. Insoweit kann einerseits auf das Klageverfahren verwiesen werden, welches der Kläger bereits für die Streitjahre 1992-1994 vor dem Niedersächsischen Finanzgericht geführt hatte (Urteil vom 16. Mai 2002 5 K 95/98), andererseits auf das sich anschließende Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof (Urteil vom 23. August 2007 V R 38/04, BStBl. II 2008, 37). Hinsichtlich der für den Streitfall maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse hat sich in den Jahren 1997 und 1998 gegenüber den Jahren 1992-1994 nichts geändert. Der Kläger hat innerhalb der ihm gesetzten Ausschlussfrist nicht dargetan, dass er in diesen Jahren bereits über einen Abschluss als Psychotherapeut verfügte. Er hat dieses in der mündlichen Verhandlung letztlich auch nicht behauptet.
Auch für das Jahr 1999 ergibt sich nichts anderes. Der für die Steuerbefreiung einer arztähnlichen Leistung erforderliche berufliche Befähigungsnachweis wird durch das Zeugnis dokumentiert, das die die berufliche Qualifikation des Unternehmers prüfende Institution verleiht; erst vom Zeitpunkt der Verleihung des Zeugnisses an darf der Unternehmer die entsprechende Berufsbezeichnung führen. Im Jahre 1999 hat der Kläger lediglich einen Antrag auf Verleihung des ECP gestellt und hat der Vorstand des Deutschen Dachverbands für Psychotherapie diesen Antrag befürwortet. Dies stellt für sich noch keinen berufsqualifizierenden Abschluss dar.
Im Jahre 2000 hat jedoch der Kläger mit dem ECP den Nachweis seiner beruflichen Qualifikation als Psychotherapeut erworben. Zwar verfügte der Kläger auch weiterhin nicht über einen nationalen Abschluss im Sinne des PsyhThG bzw. der PsychThAPrV. Dies ist aber nicht erforderlich, wenn der Kläger stattdessen über einen berufsqualifizierenden Abschluss eines anderen EU-Mitgliedstaats verfügt, der qualitativ mit dem nationalen Abschluss im Wesentlichen vergleichbar ist. Die PsychThAPrV setzt für den Ausbildungsabschluss eine Ausbildung von mindestens 4.200 Stunden voraus, die aus einer praktischen Tätigkeit, einer theoretischen Ausbildung einer praktischen Ausbildung mit Krankenbehandlungen unter Supervision sowie einer Selbsterfahrung, die die Ausbildungsteilnehmer zur Reflexion eigenen therapeutischen Handelns befähigt. Ziffer 5 des Statuts über die Verleihung des ECP verlangt demgegenüber eine 7-jährige Ausbildung und umfasst nicht weniger als 3.200 Stunden. Die letzten vier Jahre müssen in einer psychotherapeutischen Fachausbildung geleistet werden. Die Ausbildung muss die Bereiche Psychotherapeutische Selbsterfahrung oder Gleichwertiges, ein Theoretisches Studium in form eines Universitätsstudiums oder einer Berufsausbildung und eines Fachspezifikums für Psychotherapie, Praktische Erfahrung und Praktikum in einer Einrichtung des Gesundheitswesens oder gleichwertiger Berufserfahrung umfassen. Für das Fachspezifikum sind die Ausbildungsbereiche in Ziffern 5.4.2.1 – 5.4.2.6. im Einzelnen ausgeführt. Weiterhin ist festgelegt, dass Supervision und Lehrtherapie von den Psychotherapeuten angeboten werden muss. Damit sind die Ausbildungsinhalte nach der PsychThAPrV und dem Statut für die Verleihung des ECP weitgehend identisch; der Umfang der Ausbildung weicht mit 3.200 Stunden nicht erheblich von dem nach der nationalen Prüfungsordnung von 4.200 Stunden ab. Der Kläger ist infolgedessen als hinreichend beruflich qualifiziert anzusehen; seine als Psychotherapeut erzielten Umsätze sind von der Verleihung des ECP an nach § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreit.
Die Klage für das Jahr 2000 hat allerdings nur insoweit Erfolg, als die Umsätze auf den Zeitraum nach Verleihung des ECP am 19. Februar 2000 entfallen. Da keine Unterlagen vorliegen, die eine präzise Aufteilung der Umsätze und der damit in Zusammenhang stehenden Vorsteuern auf die Zeit vor und nach Erteilung des ECP ermöglichen, ist die Aufteilung gem. § 162 AO im Schätzungswege vorzunehmen. Mit den Verfahrensbeteiligten wurde Einvernehmen erzielt, dass eine den tatsächlichen Verhältnissen möglichst nahekommende Schätzung mit einer zeitraumbezogenen Aufteilung im Verhältnis 1,5/12 zu 10,5/12 erreicht wird.
Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 20. April 2009 – 16 K 113/08 – nicht rechtskräftig