Das Kleingedruckte gibt bei Verträgen immer wieder Probleme. Aber auch in den Anleitungen zur Steuererklärung können Dinge versteckt sein, die man übersieht. Dass sich das Finanzamt nicht immer darauf berufen kann, dass der Steuerpflichtige dies hätte sehen müssen, hat das Finanzgericht Hamburg entschieden und damit der Klage eines Unterhaltspflichtigen, der nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides die Unterhaltsaufwendungen an die Mutter des gemeinsamen Kindes steuermindernd geltend gemacht hatte, gegen die Ablehnung der Änderung eines Steuerbescheides stattgegeben.
Steuerbescheide sind gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist dabei anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße verletzt. Ein solches grobes Verschulden kann vorliegen, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt.
Gemäß § 150 Abs. 2 S. 1 AO sind die Angaben in den Steuererklärungen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Um die Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß abgeben zu können, muss der Steuerpflichtige das Erklärungsformular gewissenhaft durchlesen. Deshalb handelt ein Steuerpflichtiger regelmäßig grob schuldhaft, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet1. Das Finanzgericht Hamburg folgt dieser Rechtsprechung und sieht keinen Anlass, für die Abgabe einer elektronischen Steuererklärung über ElsterFormular andere Maßstäbe anzulegen als für die Abgabe einer Steuererklärung in Papierform. Dies schließt jedoch nicht aus, Besonderheiten in der Übersichtlichkeit der elektronischen Steuererklärung zu berücksichtigen.
Nach Auffassung des Finanzgerichts Hamburg ist ElsterFormular 2008/2009 zur Einkommensteuer für 2008 bezüglich Unterhaltsleistungen an die Kindesmutter als gesetzlich Unterhaltsberechtigte nicht so gestaltet, dass dem Kläger der Vorwurf groben Verschuldens im Hinblick darauf gemacht werden könnte, die Unterhaltsleistungen nicht bereits in der elektronisch übermittelten Einkommensteuererklärung angegeben zu haben. Während in der Entscheidung des Finanzgerichts München vom 18.10.2006 – 1 K 1364/06 – zu Grunde liegenden Jahr 2003 bereits im Mantelbogen zur Einkommensteuererklärung der Unterhalt für bedürftige Personen detailliert abgefragt und dabei auch die Möglichkeit der gesetzlichen Unterhaltsberechtigung als Kindesmutter in Zeile 109 angesprochen worden ist, enthält der Hauptvordruck in ElsterFormular 2008/2009 zur Einkommensteuer für 2008 wie der Mantelbogen zur Einkommensteuererklärung für 2008 lediglich den Hinweis auf die Anlage Unterhalt bezüglich des Unterhalts für bedürftige Personen. In der Anlage Unterhalt ist dann auch die Möglichkeit der gesetzlichen Unterhaltsberechtigung als Kindesmutter angesprochen. Bei Verwendung der elektronischen Steuererklärung über ElsterFormular 2008/2009 gibt es keine Erläuterungen zum Hauptvordruck Zeile 102 (Unterhalt für bedürftige Personen). Hier wird lediglich auf die Anlage Unterhalt hingewiesen. In der Hilfe zur Anlage Unterhalt findet sich dieselbe Erläuterung wie in der Anleitung zur Einkommensteuererklärung in Papierform: „Haben Sie bedürftige Personen unterhalten, für die niemand Anspruch auf Kindergeld oder Freibeträge für Kinder hat und die Ihnen oder Ihrem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigt sind, z. B. Eltern, Großeltern und Kinder, können Sie ihre nachgewiesenen Aufwendungen für jede unterhaltene Person bis zu 7.680 € jährlich geltend machen, wenn die unterhaltene Person kein oder nur geringes Vermögen besitzt.“ Hinweise auf die Mutter eines gemeinsamen Kindes finden sich dort nicht.
Dem Kläger, dem seine Unterhaltsverpflichtung und die Möglichkeit der Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastung nicht bekannt gewesen sind, hat sich angesichts dieser Erläuterung und der z. B. gegenüber 2003 für den Steuerpflichtigen unübersichtlicheren Vordruckgestaltung nicht aufdrängen müssen, auch Unterhaltsleistungen an seine mit ihm nicht verwandte und nicht verheiratete Lebensgefährtin eintragen zu können und zu müssen. Vielmehr hat der Kläger der Erläuterung keinen Anhaltspunkt dafür entnehmen können, dass die von ihm geleisteten Unterhaltszahlungen einzutragen sein könnten. Dies hätte sich erst bei genauer Durchsicht der Anlage Unterhalt an deren Ende ergeben, wobei ein Überblick über die ausfüllbaren Felder in ElsterFormular deutlich schwieriger zu erlangen ist als in der Steuererklärung in Papierform. Angesichts des Erläuterungstextes zur Anlage Unterhalt hat der Kläger jedoch keinen Anlass gehabt, sich diese Anlage genau durchzulesen. Nach Auffassung des Finanzgerichts Hamburg würden überzogene Anforderungen an das Erklärungsverhalten des Steuerpflichtigen gestellt, wenn dieser bei Verwendung von ElsterFormular zur Vermeidung des Vorwurfs groben Verschuldens alle dort angebotenen 23 Anlagen bearbeiten müsste unabhängig davon, ob nach der Bezeichnung des Gegenstandes der Anlage und der in der Hilfe gegebenen Erläuterung sowie nach seinen persönlichen Kenntnissen die jeweilige Anlage für ihn bedeutsam erscheint und damit ein konkreter Anlass zur näheren Befassung mit der jeweiligen Anlage besteht. Auch bei der Abgabe der Steuererklärung in Papierform kann nicht verlangt werden, dass sich der Steuerpflichtige alle Anlagen für die Abgabe der Steuererklärung beschafft, wenn anhand der Erläuterungen in der Anleitung zur Steuererklärung und nach seinen persönlichen Kenntnissen kein Anlass dazu besteht.
Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 27.09.2011 – 1 K 43/11
- st. Rspr., Bundesfinanzhof, Urteile vom 29.06.1984 – VI R 181/80, BFHE 141, 232; vom 22.05.1992 – VI R 17/91, BFHE 168, 221; vom 19.08.2008 – III B 155/07; vom 10.12.2009 – X B 199/09, BFH/NV 2010, 598; Finanzgericht München, Urteil vom 18.10.2006 – 1 K 1364/06; Finanzgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.06.2010 – 2 K 742/09 [↩]