Der Käufer einer Eigentumswohnung kann nach einer Entscheidung des Kammergerichts Berlin verlangen, den Kaufvertrag wegen sittenwidrig überhöhten Kaufpreises rückabzuwickeln. Das Kammergericht bestätigte damit insoweit eine Entscheidung des Landgerichts Berlin1.
Die Sittenwidrigkeit ergebe sich aus einem auffälligen Missverhältnis zwischen dem verlangten Kaufpreis und dem tatsächlichen Wert der Wohnung, so das Kammergericht Berlin. Einem Kaufpreis in Höhe von € 76.200 habe ein sachverständig festgestellter Wohnungswert in Höhe von lediglich € 29.000 für die knapp 33 m² große Wohnung gegenübergestanden. Zu Recht habe das Landgericht daraus auf eine „verwerfliche Gesinnung“ der Verkäuferin geschlossen. Diese könne sich nicht mit einem Bericht über die Einschätzung des Verkehrswertes rechtfertigen, den sie seinerzeit eingeholt habe und der zu einem durchschnittlichen Marktwert in Höhe von € 1.790/m² gelangt sei. Dieser Bericht beruhe erkennbar auf der Annahme, dass vor dem Verkauf noch umfangreiche Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten durchgeführt würden; er bilde offensichtlich nicht den Verkehrswert Ende 2006 ab, so das Kammergericht.
Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht. Ein solches auffälliges Missverhältnis besteht bei Grundstücksgeschäften regelmäßig dann, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung2. Das Landgericht sei, so das Kammergericht, auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Verkehrswert der an die Klägerin verkauften Wohnung im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses im Jahr 2006 lediglich € 29.000 betrug. Da der im Kaufvertrag vereinbarte Kaufpreis von € 76.200 den Verkehrswert der Wohnung im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages um deutlich mehr als 100 % übersteigt, ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit erfüllt.
Auch eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten war anzunehmen.
Ein Rechtsgeschäft ist nur dann nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat. Allerdings erlaubt es das besonders grobe Äquivalenzmissverhältnis, auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu schließen. Diese tatsächliche Vermutung beruht auf dem Erfahrungssatz, dass in der Regel außergewöhnliche Leistungen nicht ohne Not oder nicht ohne einen anderen, den Benachteiligenden hemmenden Umstand zugestanden werden und der Begünstigte diese Erfahrung teilt3.
Die aus einem Äquivalenzmissverhältnis begründete tatsächliche Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung kommt allerdings dann nicht zum Tragen, wenn sie im Einzelfall durch besondere Umstände erschüttert ist3. Ein solcher besonderer Umstand kann dann vorliegen, wenn beide oder eine Vertragspartei zur Bestimmung des Kaufpreises ein Verkehrswertgutachten eingeholt haben, das erkennbar nicht grob unrichtig ist4. Derartige, die Vermutung erschütternde Umstände, die der von dem Missverhältnis Begünstigte – hier also die Beklagte – darzulegen hat3 liegen indes nicht vor.
Soweit die Beklagte diesbezüglich geltend macht, sie habe vor Annahme des Kaufvertragsabschlusses einen Bericht über die Einschätzung des Verkehrswertes des Grundstücks eingeholt und auf der Grundlage dieses Berichts den Kaufpreis ermittelt, kann dieser Umstand die Vermutung der verwerflichen Gesinnung jedenfalls nicht erschüttern.
Die Berichtersteller haben in der den Wertbericht abschließenden Zusammenfassung zwar einen durchschnittlichen Marktwert der Wohnungen in Höhe von € 1.790/m2 angenommen. Sie haben aber zugleich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die geplanten Verkaufspreise nur für den Fall der Durchführung von Modernisierungs- und Instandhaltungsarbeiten gerechtfertigt seien. Die erforderlichen umfangreichen Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten (unter anderem die vollflächige Neueindeckung des Daches sowie die Erneuerung des gesamten Fassadenanstrichs) sind in dem Wertbericht ausdrücklich beschrieben. Es handelt sich dabei um bauliche Maßnahmen, die einen erheblichen finanziellen Aufwand erfordern. Es ist somit offensichtlich, dass der Wertbericht keinesfalls den Verkehrswert des Grundstücks zum 08.11.2006 abbildet und keine geeignete Grundlage zur Ermittlung des Verkehrswertes der Wohnung sein konnte. Dies gilt um so mehr, als sich der Wertbericht nicht mit den Besonderheiten der später an die Klägerin verkauften, im Erdgeschoss gelegenen Wohnung auseinandersetzte und sich die Beklagte gegenüber der Klägerin auch nicht kaufvertraglich dazu verpflichtet hat, die erforderlichen und umfangreichen Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten am Gemeinschaftseigentum auf eigene Kosten durchzuführen. Für die Bewertung unerheblich ist es, ob die Beklagte möglicherweise nach Vertragsschluss auf ihre Kosten Sanierungsarbeiten hat durchführen lassen. Für die Feststellung eines besonders groben Missverhältnisses kommt es auf die objektiven Werte der Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses an; die gegenseitigen Leistungen sind nach den vertraglichen Vereinbarungen zu bemessen. Spätere Wertsteigerungen oder freiwillige Zuwendungen des Begünstigten bleiben unberücksichtigt.
Die Klägerin muss sich aber natürlich auf ihren zurückverlangten Kaufpreis die zwischenzeitlich erlangten Mieteinnahmen aus der Wohnung ebenso anrechnen lassen wie Nutzungsvorteile, die sie dadurch erlangt hat, dass sie die Wohnung zeitweilig selbst genutzt hat.
Kammergericht Berlin, Urteil vom 15.06.2012 – 11 U 18/11
- Landgericht Berlin, Urteil vom 15.04.2011 – 20 O 30/10 [↩]
- vgl. etwa BGH, Urteil vom 20.04.1990 – V ZR 256/88; BGH, Urteil vom 30.03.1984 – V ZR 61/83 [↩]
- BGH, Urteil vom 25.02.2011 – V ZR 208/09 [↩] [↩] [↩]
- BGH, Urteil vom 21.03.1997 – V ZR 355/95; KG, Urteil vom 22.12.2011 – 22 U 26/11 [↩]