Mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Kindergeldanspruch besteht, wenn sich ein Kind im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses im Ausland befindet, hatte sich der Bundesfinanzhof erneut zu befassen.
Der Bundesfinanzhof hat seine Rechtsprechung bestätigt, dass Sprachaufenthalte im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses im Ausland grundsätzlich nur dann als Berufsausbildung anzusehen sind, wenn sie von einem durchschnittlich mindestens zehn Wochenstunden umfassenden theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden.
Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen1.
Eine Berufsausbildung kann auch im Ausland absolviert werden. Sofern ein Kind dort z.B. eine Universität oder Fachschule besucht oder ein Praktikum zur Erlangung beruflicher Qualifikationen ableistet2, kann es auch dann berücksichtigt werden, wenn zugleich ein Au-pair-Verhältnis besteht. Ein Au-pair-Verhältnis dient regelmäßig nicht der Ausbildung; es schließt die Berücksichtigung eines Kindes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wegen einer anderweitigen Ausbildung jedoch ebenso wenig aus wie ein neben der Ausbildung bestehendes Wehrdienstverhältnis3.
Nicht jeder Auslandsaufenthalt, der zu einer Verbesserung der Kenntnisse in der jeweiligen Landessprache führt, erfüllt das Tatbestandsmerkmal der Ausbildung für einen Beruf4. Zwecks Abgrenzung von längeren Urlauben und sonstigen Auslandsaufenthalten, etwa zur Persönlichkeitsbildung – z.B. zur Verbesserung der Selbstständigkeit oder um andere Länder und Kulturen kennenzulernen -, werden Sprachaufenthalte im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses nach ständiger Rechtsprechung daher nur dann als Berufsausbildung angesehen, wenn sie von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden, der nach seinem Umfang den Schluss auf eine hinreichend gründliche (Sprach-)Ausbildung rechtfertigt und grundsätzlich mindestens zehn Wochenstunden umfassen muss5. Dabei ist grundsätzlich eine Durchschnittsbetrachtung für die Dauer des gesamten Aufenthaltes anzustellen, so dass bei insgesamt hinreichend umfangreichem Unterricht die Berücksichtigung in einem Ferienmonat nicht unterbrochen wird. Bei weniger als durchschnittlich zehn Wochenstunden können ausnahmsweise einzelne Monate gleichwohl als Berufsausbildung zu werten sein, wenn sie – z.B. infolge von Blockunterricht oder Lehrgängen – durch intensiven, die Grenze von zehn Wochenstunden deutlich überschreitenden Unterricht geprägt werden.
Sprachaufenthalte im Ausland können darüber hinaus unter besonderen Umständen des Einzelfalls als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Fremdsprachenunterricht zwar weniger als zehn Wochenstunden umfasst, aber einen über die übliche Vor- und Nachbereitung hinausgehenden erheblichen zusätzlichen Zeitaufwand des Kindes erfordert. Dies kann z.B. darauf beruhen, dass Einzelunterricht oder fachlich orientierter Sprachunterricht (z.B. Englisch für Juristen) erteilt wird oder das Kind Vorträge in der Fremdsprache hält6.
Bezwecken der Auslandsaufenthalt und der Sprachunterricht, ein gutes Ergebnis in einem für die Zulassung zum Studium oder zu einer anderweitigen Ausbildung erforderlichen Fremdsprachentest zu erlangen (z.B. TOEFL oder IELTS), oder wird ein Auslandsaufenthalt von einer Ausbildungs- oder Prüfungsordnung zwingend vorausgesetzt, so kann ein Auslandsaufenthalt ebenfalls als Berufsausbildung zu qualifizieren sein, obwohl weniger als zehn Wochenstunden Sprachunterricht erteilt werden.
Ein Auslandsaufenthalt ohne gründliche Sprachausbildung gehört demgegenüber nicht bereits deshalb zur Berufsausbildung, weil er Erfahrungen und Fähigkeiten vermittelt, die sich allgemein förderlich auf die Aussichten auswirken, für einen Ausbildungsplatz oder eine Beschäftigung ausgewählt zu werden, ohne dafür indessen erforderlich zu sein. Denn derartige Vorteile können auch durch eine vorübergehende Berufstätigkeit im Ausland oder längere Besuche bei im Ausland lebenden Verwandten erreicht werden, die ebenfalls nicht als Berufsausbildung eingestuft werden könnten.
Im Übrigen berücksichtigen einige Hochschulen und Arbeitgeber bei der Bewerberauswahl auch die Ausübung von Mannschaftssportarten oder Leistungssport sowie soziales oder politisches Engagement von Jugendlichen, weil sie Kooperationsfähigkeit, Initiative oder Leistungsbereitschaft indizieren; um eine Berufsausbildung handelt es sich indessen bei der Mitgliedschaft in einer Sportmannschaft oder der Mitarbeit in einer Hilfsorganisation oder der Jugendorganisation einer politischen Partei unzweifelhaft nicht.
Die im konkreten Fall angefochtene Entscheidung des Finanzgerichts, dass die Tochter des Klägers während ihres Au-pair-Aufenthaltes nicht i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde, ist danach nach Auffassung des Bundesfinanzhofs revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Tochter des Klägers – ohne Berücksichtigung der behaupteten Unterweisung durch die Gastmutter – weniger als zehn Unterrichtsstunden wöchentlich erhalten hat. Der vom Kläger behauptete Zeitaufwand für Hausarbeiten von vier Stunden ist dabei vom Finanzgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Hinblick auf das Erfordernis von zehn Wochenstunden nicht einbezogen worden7.
Ob eine sprachliche Unterweisung durch eine Person ohne Lehrqualifikation – hier die Gastmutter – als theoretisch-systematischer Fremdsprachenunterricht zu werten ist, hat das Finanzgericht aufgrund der Umstände des Einzelfalls als Tatsacheninstanz zu entscheiden. Seine Sachverhaltswürdigung bindet den Bundesfinanzhof nach § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist und nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt.
Mangels detaillierter Angaben des gemäß § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung in erhöhtem Maße zur Mitwirkung an der Aufklärung des Auslandssachverhalts verpflichteten Klägers zu Inhalt und Form des Unterrichts (systematisches Durcharbeiten eines Lehrbuches? Konversation beim Bügeln und beim Hausputz?) und zur Vorbildung der Gastmutter (höherer Schulabschluss?) ist es nicht zu beanstanden, dass das Finanzgericht die bescheinigte Unterweisung unberücksichtigt ließ, so der Bundesfinanzhof.
Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Entscheidung des Finanzgerichts, dass es sich bei der Prüfung „ESOL Skills for Life“ nicht um einen anerkannten Prüfungsabschluss im Sinne des BFH-Urteils vom 09.06.1999 – VI R 143/988 handelt, der es rechtfertigen würde, den Au-pair-Aufenthalt trotz des weniger als zehn Wochenstunden umfassenden Unterrichts als Berufsausbildung anzusehen. Da die absolvierte Sprachprüfung für die Integration von Einwanderern konzipiert wurde und – anders als IELTS und TOEFL – für die weitere Zulassung zu einem Ausbildungsgang oder Beruf nicht unmittelbar nützlich ist, ist die Sachverhaltswürdigung des Finanzgerichts jedenfalls möglich und daher für den Bundesfinanzhof bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).
Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.03.2012 – III R 58/08
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil vom 02.04.2009 – III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl. II 2010, 298 [↩]
- BFH, Urteil vom 26.08.2010 – III R 88/08, BFH/NV 2011, 26 [↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 27.08.2008 – III R 88/07, BFH/NV 2009, 132 [↩]
- BFH, Urteil vom 19.02.2002 – VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl. II 2002, 469; BFH, Beschluss vom 31.08.2006 – III B 39/06, BFH/NV 2006, 2256; BFH, Beschluss vom 14.09.2009 – III B 119/08, BFH/NV 2010, 34 [↩]
- BFH, Urteil vom 09.06.1999 – VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl. II 1999, 701 [↩]
- BFH, Beschluss vom 31.08.2006 – III B 39/06, BFH/NV 2006, 2256 [↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 19.02.2002 – VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl. II 2002, 469 [↩]
- BFHE 189, 107, BStBl. II 1999, 710 [↩]