Auswirkungen eines Verfassungsschutzberichtes auf die Gemeinnützigkeit eines islamischen Vereins

Der Bundesfinanzhof hatte über die Anerkennung eines islamisch-salafistischen Verein für das Jahr 2008 als gemeinnützig zu entscheiden.

Der Verein betrieb eine Moschee und bezweckte nach seiner Satzung u.a. die Förderung der Religion.

Das Finanzamt hatte dem Verein für das Jahr 2008 die Gemeinnützigkeit aberkannt, weil er in einem Landesverfassungsschutzbericht für jenes Jahr wegen Einbindung in demokratiefeindliche salafistische Netzwerke erwähnt worden war. Es stützte sich dabei auf eine im Jahr 2009 eingeführte gesetzliche Vermutung, nach der bei Körperschaften, die in einem Bundes- oder Landesverfassungsschutzbericht „als extremistische Organisation aufgeführt“ sind, davon auszugehen ist, dass sie die Gemeinnützigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllen.

Im Verfassungsschutzbericht des Landes Y für das Jahr 2008 finden sich im Kapitel „Ausländerextremismus“ folgende Ausführungen im Zusammenhang mit dem Kläger:

Eine zunehmende Rolle spielen salafistische Bestrebungen im Raum X. Diese islamistische Strömung gewinnt nicht nur im Land Y und Deutschland zunehmend an Bedeutung, sondern auch europaweit. In Deutschland haben sich bereits salafistische Netzwerke herausgebildet, in die auch der (Kläger) eingebunden ist. Dessen Aktivitäten strahlen auf das gesamte Bundesgebiet aus. Das salafistische Gedankengut, so wie es im (Kläger) als politische Bestrebung verbreitet wird, ist in Teilen als demokratiefeindlich einzustufen. Von Menschen erdachte Konzepte, wie z.B. Demokratie, gelten als unvereinbar mit dem islamischen Glauben salafistischer Lesart. Ein wesentliches Glaubensfundament besteht beispielsweise darin, Gott als einzigen Gesetzgeber anzusehen. Die Akzeptanz und Ausführung eines säkularen, also nicht auf göttlichem Gesetz basierenden Rechtsystems wird als ‚Akt des Unglaubens‘ bezeichnet und abgelehnt. Die salafistischen Bestrebungen sind dazu geeignet, einer Integration von Muslimen abträglich zu sein und die Herausbildung und Festigung von Parallelgesellschaften zu fördern. So wird in frei zugänglichen Schriften und auf mit dem (Kläger) in Verbindung stehenden Internetseiten dazu aufgerufen, sich von Juden und Christen, die insgesamt als Ungläubige diffamiert werden, zu lösen, sie zu hassen und Feindschaft gegen sie zu hegen. Freundschaft und Gehorsam ihnen gegenüber würden einen Muslim des Glaubens abtrünnig machen. Das verbreitete Gedankengut kann den Nährboden für eine islamische Radikalisierung und ggf. Rekrutierung bilden. Gleichwohl gibt es keine Belege für eine ausdrückliche Befürwortung von Gewalt. Der (Kläger) verbreitet seine Sichtweisen z.B. über die bundesweite Durchführung von Islamseminaren und Vortragsveranstaltungen sowie über wöchentliche Infostände in der Innenstadt von X. Dort werden auch zahlreiche Publikationen salafistischen Inhalts verteilt. Darüber hinaus lassen sich einige Internetseiten salafistischer Ausrichtung mit dem (Kläger) in Verbindung bringen.

Das Finanzamt erkannte den Verein für 2008 nicht als gemeinnützig an und setzte die Körperschaftsteuer fest.

Die deswegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Sächsische Finanzgericht hat den Körperschaftsteuerbescheid aufgehoben.

Der Bundesfinanzhof hat diese Entscheidung bestätigt und hat entschieden, dass die gesetzliche Vermutung, auf die sich das Finanzamt bezogen hat, nur eingreift, wenn die betreffende Organisation in dem Verfassungsschutzbericht ausdrücklich als extremistisch eingestuft wird, was hier nicht der Fall war. Konkrete Belege für extremistische Aktivitäten des Vereins im Jahr 2008 konnte das Finanzgericht nicht feststellen, so dass für jenen Veranlagungszeitraum keine Grundlage für einen Entzug der Gemeinnützigkeit bestand, so der Bundesfinanzhof.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 2002 sind von der Körperschaftsteuer befreit Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 der Abgabenordnung in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung vor Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19.12.20081 -AO a.F.-). Voraussetzung für die Gewährung der Steuervergünstigung ist, dass sich aus der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung ergibt, welchen Zweck die Körperschaft verfolgt, dass dieser Zweck den Anforderungen der §§ 52 bis 55 AO a.F. entspricht und dass er ausschließlich und unmittelbar verfolgt wird (§ 59 AO a.F.). Die tatsächliche Geschäftsführung der Körperschaft muss auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sein und den Bestimmungen entsprechen, die die Satzung über die Voraussetzungen für Steuervergünstigungen enthält (§ 63 Abs. 1 AO a.F.).

Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern (§ 52 Abs. 1 Satz 1 AO a.F.). Unter diesen Voraussetzungen ist als Förderung der Allgemeinheit auch die Förderung der Religion anzuerkennen (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO a.F.).

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts, gegen die keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht worden sind und an die der Bundesfinanzhof deshalb gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, betrieb der Kläger im Streitjahr nach seiner Satzung und nach seiner tatsächlichen Geschäftsführung die Förderung der Religion i.S. von § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO a.F. und verfolgte damit grundsätzlich einen gemeinnützigen Zweck.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist der Sinngehalt des unbestimmten Rechtsbegriffes „Förderung der Allgemeinheit“ in § 52 Abs. 1 Satz 1 AO allerdings wesentlich geprägt durch die objektive Wertordnung, wie sie insbesondere im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt. Eine Tätigkeit, die mit diesen Wertvorstellungen nicht vereinbar ist, ist keine Förderung der Allgemeinheit2. Als Förderung der Allgemeinheit sind danach solche Bestrebungen nicht anzuerkennen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung Deutschlands richten.

Dem entspricht der Sache nach die Regelung des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO i.d.F. des JStG 2009 (AO n.F.), nach der eine Steuervergünstigung auch voraussetzt, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen i.S. des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt3.

Die objektive Feststellungslast für die Tatsachen, aus denen sich die Gemeinnützigkeit ergibt, trägt grundsätzlich die Körperschaft4. Dass die Körperschaft im Rahmen ihrer tatsächlichen Geschäftsführung nicht gegen die Wertordnung des GG verstößt, ist allerdings eine negative Tatsache, die von der Körperschaft nur dann darzutun ist, wenn die Finanzbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass das nicht der Fall ist. Als ein solcher Anhaltspunkt kommt die Erwähnung der Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes in Betracht.

Entgegen der Auffassung des BMF ist die gesetzliche Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO n.F., nach der bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, widerlegbar davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO n.F. nicht erfüllt sind, im Streitfall nicht einschlägig. Offenbleiben kann insoweit, ob die Vorschrift für das Streitjahr überhaupt anwendbar ist. Gemäß Art. 97 § 1d Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (i.d.F. des JStG 2009) ist das zwar ab dem 01.01.2009 der Fall. Diese Übergangsregelung lässt indessen nicht eindeutig erkennen, ob die Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO n.F. „rückwirkend“ auch für bereits abgelaufene Veranlagungszeiträume gelten soll, solange die betreffenden Steuerfestsetzungen noch nicht bestandskräftig geworden sind5, oder ob die Vermutung nur für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht beendeten Veranlagungszeiträume Anwendung finden soll.

Die Frage muss hier nicht entschieden werden, weil der Tatbestand des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO n.F. im Streitfall nicht gegeben ist. Dieser setzt voraus, dass die betreffende Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht „als extremistische Organisation aufgeführt“ ist, was nur der Fall ist, wenn sie dort ausdrücklich als extremistisch bezeichnet wird, nicht aber wenn die Körperschaft nur als Verdachtsfall oder sonst beiläufig Erwähnung findet6. Wie das Finanzgericht zutreffend angenommen hat, ist der Kläger in dem Verfassungsschutzbericht des Landes Y für 2008 nicht ausdrücklich als extremistisch bezeichnet worden. Die tatsächlichen Hinweise in der oben zitierten Passage des Berichts sind derart pauschal und nicht konkret auf bestimmte Verhaltensweisen des Vorstands des Klägers im Streitjahr bezogen, dass daraus allein eine Klassifikation der tatsächlichen Geschäftsführung des Klägers im Streitjahr als „extremistisch“ i.S. des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO n.F. nicht abgeleitet werden kann.

Die vom BMF mit der Schaffung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO n.F. für geboten gehaltene ausdrückliche Unterscheidung der in den Verfassungsschutzberichten erwähnten Organisationen in belegbar extremistische Organisationen einerseits und bloße Verdachtsfälle andererseits wird in dem streitbefangenen Bericht für das Jahr 2008 offenkundig noch nicht vollzogen. Deshalb hilft für den Streitfall auch der Verweis auf den Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2009 nicht weiter, in dem nach der Darstellung des BMF alle als extremistisch eingeschätzten Gruppierungen alphabetisch geordnet in einem Anhang aufgeführt sind.

Die fehlende Anwendbarkeit des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO n.F. ändert indes nichts daran, dass der Verfassungsschutzbericht des Landes Y für 2008 für die Beurteilung der Aktivitäten des Klägers im Streitjahr ausgewertet und zum Anlass für weitere Ermittlungen genommen werden durfte. Jedoch ergibt sich daraus nach der Beurteilung des FG kein hinreichend konkreter Anhaltspunkt dafür, dass die tatsächliche Geschäftsführung des Klägers im Streitjahr auf die Förderung extremistischer Bestrebungen ausgerichtet war. Hieran ist der Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.

Die Feststellung, ob eine Körperschaft im Rahmen ihrer tatsächlichen Geschäftsführung extremistische oder sonstige verfassungsfeindliche Bestrebungen fördert, obliegt im gerichtlichen Verfahren in erster Linie dem Finanzgericht als Tatsachengericht. Dessen Wertung kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob sie in verfahrensfehlerhafter Weise zustande gekommen ist oder ob sie gegen Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt.

Das Finanzgericht hat insoweit ausgeführt, die im Streitfall vorliegenden Beweismittel belegten nicht zur vollen Überzeugung des Senats, dass der Kläger ein extremistischer Verein sei. Es komme in dem Verfassungsschutzbericht für 2008 nicht klar zum Ausdruck, dass der Kläger selbst extremistisch sei. Es sei auch ein Verständnis des Berichts dahin möglich, dass der Kläger vom Verfassungsschutz beobachtet worden sei, weil seine Aktivitäten potenziell gefährlich werden könnten, er selbst aber kein extremistischer Verein sei. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen belegten, dass seine Aktivitäten seiner Satzung entsprächen. Damit habe er die Aussagen im Verfassungsschutzbericht hinsichtlich seiner Überzeugungen und seiner tatsächlichen Geschäftsführung widerlegt.

Einen Link im Internet-Auftritt des Klägers auf die Seite „X.de“ hat das Finanzgericht als für die Annahme einer satzungswidrigen tatsächlichen Geschäftsführung nicht hinreichend bewertet. Denn zum einen habe der Kläger auf der eigenen Internet-Seite ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er für die Inhalte der verlinkten Seiten nicht verantwortlich sei. Zum anderen sei den verlinkten Inhalten jeweils vorangestellt, dass es sich um die Darstellung von gewissen Praktiken eines islamischen Staats mit islamischer Gesetzgebung handele, die im Widerspruch zur hiesigen Ordnung stünden und dass die Darstellung solcher Inhalte keinesfalls als Aufruf zur Umsetzung, sondern nur als Aufklärung über die islamische Sichtweise zu verstehen sei.

Diese Beweiswürdigung des Finanzgerichts ist möglich und verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze. Soweit Finanzamt und BMF in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit Blick auf Erkenntnisse aus einem zwischenzeitlich durchgeführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betreffend die Erwähnung des Klägers in künftigen Verfassungsschutzberichten des Landes Y eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung durch das FG gerügt haben, können sie damit schon deshalb keinen Erfolg haben, weil das Finanzamt ausweislich des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) durch das Finanzgericht nicht gerügt hat. Die Verletzung der Sachaufklärungspflicht gehört indes zu den „verzichtbaren“ Verfahrensmängeln, die nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden können, wenn die Beteiligten sie nicht in der nächsten mündlichen Verhandlung rügen. Die Sachaufklärungsrüge kann nicht dazu dienen, Beweisanträge oder Fragen zu ersetzen, welche ein fachkundig vertretener Beteiligter – wie das Finanzamt – selbst in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch im finanzgerichtlichen Verfahren zu stellen unterlassen hat7.

Soweit das Finanzamt schließlich noch nachgetragen hat, der Kläger werde in dem Verfassungsschutzbericht des Landes Y für das Jahr 2010 ausdrücklich als „extremistische Bestrebung“ bezeichnet, ist das zum einen als neues tatsächliches Vorbringen in der Revisionsinstanz unbeachtlich. Zum anderen ist nicht ersichtlich, inwiefern sich diese Beurteilung bereits auf Verhaltensweisen des Klägers aus dem Streitjahr 2008 stützt.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.04.2012 – I R 11/11

  1. BGBl. I 2008, 2794, BStBl. I 2009, 74 []
  2. BFH, Urteil vom 13.12.1978 – I R 39/78, BFHE 127, 330, BStBl. II 1979, 482; BFH, Urteil vom 29.08.1984 – I R 215/81, BFHE 142, 243, BStBl. II 1985, 106; BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 105/04, BFH/NV 2005, 1741; BFH, Beschluss vom 16.10.1991 – I B 16/91, BFH/NV 1992, 505; ebenso Anwendungserlass zur Abgabenordnung i.d.F. des BMF-Schreibens vom 02.01.2008, BStBl. I 2008, 26, Nr. 16 zu § 52 AO []
  3. zur Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum JStG 2009, BTDrs. 16/10189, S. 79 []
  4. BFH, Beschluss vom 28.10.2004 – I B 95/04, BFH/NV 2005, 160 []
  5. so AEAO i.d.F. des BMF-Schreibens vom 17.01.2012, BStBl. I 2012, 83 -AEAO n.F.- Nr. 10 Satz 1 zu § 51 Abs. 3 []
  6. vgl. auch AEAO n.F. Nr. 10 Satz 2, Nr. 11 zu § 51 Abs. 3 []
  7. BFH, Beschluss vom 22.10.2009 – V B 108/08, BFH/NV 2010, 170, m.w.N. []

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