Der Kiosk, der Gebrauchtwagen und die Differenzbesteuerung

Der Bundesfinanzhof hat entschieden, daß die Veräußerung eines PKW, den ein Kioskbetreiber als Gebrauchtwagen ohne Vorsteuerabzugsberechtigung erworben und in seinem Unternehmen betrieblich genutzt hat, bei richtlinienkonformer Auslegung nicht der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG unterliegt, sondern nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes zu versteuern ist.

Nach § 25a Abs. 1 UStG setzt die Differenzbesteuerung für Lieferungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG von beweglichen körperlichen Gegenständen voraus, dass der Unternehmer ein Wiederverkäufer ist (Nr. 1), die Gegenstände an den Wiederverkäufer im Gemeinschaftsgebiet geliefert wurden und für diese Lieferung Umsatzsteuer nicht geschuldet oder nach § 19 Abs. 1 UStG nicht erhoben oder die Differenzbesteuerung vorgenommen wurde (Nr. 2) und es sich bei den Gegenständen nicht um Edelsteine oder Edelmetalle handelt (Nr. 3).

Der Umsatz wird dabei gemäß § 25a Abs. 3 Satz 1 UStG nach dem Betrag bemessen, um den der Verkaufspreis den Einkaufspreis für den Gegenstand übersteigt; bei Lieferungen i.S. des § 3 Abs. 1b UStG und in den Fällen des § 10 Abs. 5 UStG tritt an die Stelle des Verkaufspreises der Wert nach § 10 Abs. 4 Nr. 1 UStG.

Die Regelung bewirkt, dass der Wiederverkäufer durch den Abzug des Vorumsatzes im Ergebnis so gestellt wird, als hätte ihm aus dem Erwerb der Ware ein Vorsteuerabzug zugestanden1. Dadurch sollen insbesondere Wettbewerbsnachteile vermindert werden, die sich für unternehmerisch tätige Wiederverkäufer im Verhältnis zu privaten (nichtunternehmerischen) Verkäufern ohne die Sonderregelung des § 25a UStG ergeben würden2.

Als Wiederverkäufer gilt nach § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG, wer gewerbsmäßig mit beweglichen körperlichen Gegenständen handelt oder solche Gegenstände im eigenen Namen öffentlich versteigert.

§ 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG ist richtlinienkonform auszulegen3.

Die zum 01.01.1995 in Kraft getretene Neufassung des § 25a UStG beruht nach der Gesetzesbegründung4 auf Art. 26a der Richtlinie 77/388/EWG i.d.F. des Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 94/5/EG5.

Die Auslegung des einzelstaatlichen Steuergesetzes, das –wie hier § 25a UStG– Unionsrecht umsetzt, ist richtlinienkonform vorzunehmen. Sie hat sich soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten und muss die dazu ergangenen Erkenntnisse des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) berücksichtigen6.

Zwar hat der Gesetzgeber die Differenzbesteuerung durch § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG im Gegensatz zu Art. 26a Teil B Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG nicht auf die Lieferung von Gebrauchtgegenständen, Kunstgegenständen und Antiquitäten beschränkt, sondern auf sämtliche bewegliche Gegenstände erstreckt. Ausweislich der Gesetzesbegründung geschah dies zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten; stattdessen wurde allgemein auf die in § 25a Abs. 1 Nr. 2 UStG bezeichnete Voraussetzung abgestellt, dass für den Erwerb der Gegenstände kein Vorsteuerabzugsrecht bestand7.

Dadurch wird aber nicht ausgeschlossen, den Begriff des Wiederverkäufers in § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG im Übrigen –also abgesehen von den von der Vorschrift erfassten Gegenständen– richtlinienkonform auszulegen.

Nach Art. 26a Teil A Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG ist „steuerpflichtiger Wiederverkäufer“ jeder Steuerpflichtige, der im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten kauft oder zur Deckung seines unternehmerischen Bedarfs verwendet oder zum Zwecke des Wiederverkaufs einführt, gleich, ob er auf eigene Rechnung oder aufgrund eines Einkaufs- oder Verkaufskommissionsvertrags auf fremde Rechnung handelt.

Wie der EuGH dazu klargestellt hat, bezieht sich die Wendung „zum Zwecke des Wiederverkaufs“ nicht nur auf das ihr unmittelbar nachfolgende Verb „einführt“, sondern auch auf Erwerbsumsätze und auf Umsätze zur Deckung des unternehmerischen Bedarfs. Auch dabei muss der Wiederverkäufer also „zum Zwecke des Wiederverkaufs“ handeln8.

Dementsprechend wird der „steuerpflichtige Wiederverkäufer“ seit dem 01.01.2007 in Art. 311 Abs. 1 Nr. 5 MwStSystRL definiert als „jeder Steuerpflichtige, der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zum Zwecke des Wiederverkaufs Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten kauft, seinem Unternehmen zuordnet oder einführt …“.

Eine inhaltliche Änderung des zuvor geltenden Rechts bedeutet diese Klarstellung nicht (vgl. Nr. 3 der Vorbemerkungen zur MwStSystRL).

Allerdings kann als „steuerpflichtiger Wiederverkäufer“ i.S. von Art. 26a Teil A Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG (auch) ein Unternehmen angesehen werden, das „im Rahmen seiner normalen Tätigkeit“ Fahrzeuge wieder verkauft, die es für seine Leasingtätigkeit als Gebrauchtwagen erworben hatte, und für das der Wiederverkauf im Augenblick der Anschaffung des Gebrauchtgegenstandes nicht das Hauptziel, sondern nur sein zweitrangiges und dem der Vermietung untergeordnetes Ziel darstellt9.

Danach ist § 25a Abs. 1 Nr. 1 UStG dahin zu verstehen, dass der Unternehmer bei der konkreten Lieferung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, die der Differenzbesteuerung unterworfen werden soll, als Wiederverkäufer gehandelt haben muss10.

Dies ist nur der Fall, wenn der gelieferte Gegenstand –zumindest nachrangig– zum Zweck des Wiederverkaufs erworben wurde und der Wiederverkauf zur normalen Tätigkeit des Unternehmers gehört.

Dieses Auslegungsergebnis entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der dem Begriff des Wiederverkäufers in § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG solche gewerbsmäßigen Händler zuordnen wollte, „die im Rahmen ihres Unternehmens oder eines abgrenzbaren Teilbereichs üblicherweise Gegenstände zum Zwecke des Wiederverkaufs einkaufen und sie anschließend, ggf. nach Instandsetzung, wieder verkaufen“7.

Nur diese Auslegung des Wortlauts des § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG wird dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer gerecht. Dieser verlangt, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich behandelt werden11.

Es würde aber zu einer sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung gleichartiger Umsätze führen, wenn die Veräußerung von unternehmerisch genutzten Gegenständen, die ohne Vorsteuerabzug erworben wurden, umsatzsteuerrechtlich allein deshalb unterschiedlich behandelt würde, weil der eine Unternehmer ein Händler ist und der andere Dienstleistungen erbringt.

 

Die Anwendung der Differenzbesteuerung kann in beiden Fällen nur dann gerechtfertigt sein, wenn der Wiederverkauf des Gegenstandes bei seinem Erwerb zumindest nachrangig beabsichtigt war und dieser Wiederverkauf aufgrund seiner Häufigkeit zur normalen Tätigkeit des Unternehmers gehört. Nur in einem solchen Fall würde die Versagung der Differenzbesteuerung zu einem sachlich nicht gerechtfertigten Vorteil für Gebrauchtwarenhändler führen, die in den Genuss der Regelung über die Differenzbesteuerung kommen12.

 

In dem entschiedenen Fall stellte der Bundesfinanzhof zudem klar, dass er, anders als der Kläger gerügt hatte,  mit dieser Gesetzesauslegung die ihm zustehenden Befugnisse nicht überschreite, da der Richter am Wortlaut einer Norm nicht haltmachen müsse. Seine Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes) bedeutet nicht Bindung an dessen Buchstaben mit dem Zwang zu wörtlicher Auslegung, sondern Gebundensein an Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Interpretation ist Methode und Weg, auf dem der Richter den Inhalt einer Gesetzesbestimmung unter Berücksichtigung ihrer Einordnung in die gesamte Rechtsordnung erforscht, ohne durch den formalen Wortlaut des Gesetzes begrenzt zu sein13, so der Bundesfinanzhof.

Eine einschränkende Auslegung des Wortlauts einer Norm im Wege einer teleologischen Reduktion gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden14.

So könne auch eine richtlinienkonforme Auslegung dazu führen, so der Bundesfinanzhof weiter, dass eine nach ihrem Wortlaut weit gefasste Vorschrift einschränkend auszulegen ist15.

 

Im Streitfall hat danach der Kläger als Betreiber einer Lotto- und Totoannahmestelle, eines Einzelhandels (Kiosk) mit Tabakwaren, Zeitungen, Zeitschriften und Süßwaren sowie einer Reiseagentur den PKW nicht „im Rahmen seiner normalen Tätigkeit“ veräußert. Der An- und Verkauf von PKW gehört nicht zum „normalen Tätigkeitsfeld“16 des Klägers, ebenso wenig wie dies bei einer Steuerberatungsgesellschaft der Fall ist17.

Dass vorliegend der Kläger in regelmäßigen Abständen (ca. alle zwei Jahre, einmal nach ca. einem Jahr) einen neuen oder gebrauchten PKW kaufte, den er jeweils seinem Unternehmen zuordnete und den er im Zusammenhang mit einer Ersatzbeschaffung jeweils in Zahlung gab, reicht nicht aus, um dies als seine normale Tätigkeit anzusehen.

Der Kläger ist mithin – was er und das Finanzgericht übersehen – nicht schon deshalb Wiederverkäufer i.S. des § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG, weil er im Rahmen seines Einzelhandels (Kiosk) gewerbsmäßig mit beweglichen körperlichen Gegenständen wie Tabakwaren, Zeitungen, Zeitschriften und Süßwaren handelt.

 

Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.06.2011 – XI R 15/10

  1. vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.04.1997 – XI R 87/96, BFHE 182, 444, BStBl II 1997, 585, unter II.5.a []
  2. vgl. Bundesfinanzhof, Urteil in BFHE 182, 444, BStBl II 1997, 585, unter II.5.a; Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.04.2009 – V R 52/07, BFHE 226, 123, BStBl II 2009, 860, unter II.1.c cc []
  3. vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 02.03.2006 – V R 35/04, BFHE 213, 139, BStBl II 2006, 675, unter II.2.; Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.12.2008 – V R 73/07, BFHE 223, 546, BStBl II 2009, 612, unter II. 2.; Bundesfinanzhof, Urteil in BFHE 226, 123, BStBl II 2009, 860, unter II.1.c dd []
  4. BTDrucks. 12/7686, S. 7 []
  5. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1994 Nr. L 60, S. 16 []
  6. vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 02.04.1998 – V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, unter II.3.b bb; Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. 06.2004 – V R 61/00, BFHE 206, 457, BStBl II 2004, 970, unter II.2.; Bundesfinanzhof, Urteil vom 27. 04.2006 – V R 53/04, BFHE 213, 256, BStBl II 2007, 16, unter II.1.c []
  7. vgl. BTDrucks 12/7686, S. 7 [] []
  8. vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 08.12.2005 – Rs. C-280/04 -Jyske Finans-, Slg. 2005, I-10683, BFH/NV Beilage 2006, 131, Internationales Steuerrecht -IStR- 2006, 58, Rz 30 bis 32 []
  9. vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil in Slg. 2005, I-10683, BFH/NV Beilage 2006, 131, IStR 2006, 58, Rz 44 []
  10. vgl. auch Bundesfinanzhof, Urteil in BFHE 213, 139, BStBl II 2006, 675, unter II.2.; Finanzgericht Köln, Urteil vom 15.04.2004 – 11 K 2507/03, EFG 2004, 1333; Mößlang in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 25a Rz 17; Radeisen in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 25a Rz 39; wohl a.A. Meyer, EFG 2010, 1460 []
  11. vgl. z.B. Europäischer Gerichtshof, Urteil in Slg. 2005, I-10683, BFH/NV Beilage 2006, 131, IStR 2006, 58, Rz 39 []
  12. vgl. dazu Europäischer Gerichtshof, Urteil in Slg. 2005, I-10683, BFH/NV Beilage 2006, 131, IStR 2006, 58, Rz 40 []
  13. vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 19.06.1973 – 1 BvL 39/69 -, 1 BvL 14/72, BVerfGE 35, 263, unter C.III., m.w.N. []
  14. vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30.03.1993 – 1 BvR 1045/89, 1 BvR 1381/90, 1 BvL 11/90, BVerfGE 88, 145, unter C.II.2., m.w.N. []
  15. vgl. z.B. Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.09.2010 – XI R 40/08, BFHE 231, 343, BFH/NV 2011, 538, unter II.4.c []
  16. vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil in Slg. 2005, I-10683, BFH/NV Beilage 2006, 131, IStR 2006, 58, Rz 42 []
  17. vgl. dazu Bundesfinanzhof, Urteil in BFHE 213, 139, BStBl II 2006, 675, unter II.2.b []

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