Die Windkraftanlage des Nachbarn und die Baulast

Das Oberlandesgericht Hamm hat über einen Fall entschieden, in dem es um die Frage der Wirksamkeit der Vereinbarung einer Baulast für den Bau einer Windkraftanlage auf dem Nachbargrundstück ging.

Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass, wenn Nachbarn vereinbaren, dass der eine Nachbar auf seinem Grundstück eine „Baulast“ für den Bau einer Windkraftanlage auf dem Grundstück des anderen Nachbarn übernehmen soll, die Vereinbarung unwirksam ist, wenn die Nachbarn den Begriff der „Baulast“ unterschiedlich verstanden haben und die Auslegung ihrer Erklärungen auf kein gemeinsames Verständnis schließen lässt.

In dem entschiedenen Fall stammten beide Parteien aus Marsberg. Der Kläger, Architekt, beteiligt sich an der Projektierung von Windkraftanlagen. Der Beklagte, Landwirt, ist Eigentümer von landwirtschaftlichen Flächen in Meerhof.

Zwecks Errichtung einer Windkraftanlage erwarb der Kläger im Jahre 2012 benachbarte Grundstücke zum Grundbesitz des Beklagten. Der Kläger plante eine Windkraftanlage, die den bauordnungsrechtlich vorgeschriebenen Abstand zum Grundstück des Beklagten nicht einhalten sollte. Aus diesem Grund benötigte der Kläger zur Erlangung der – bauordnungsrechtliche Belange einschließenden – Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (jedenfalls) die Bewilligung einer öffentlich-rechtlichen Abstandsflächenbaulast durch den Beklagten. Nach der Planung des Klägers sollten die Rotorblätter seiner Windkraftanlage außerdem über das Grundstück des Beklagten streichen. Aus diesem Grund verlangte die zuständige Behörde, eine – über eine Abstandsflächenbaulast – hinausgehende Vereinigungsbaulast auf dem Grundstück des Beklagten einzutragen. Nur mit einer solchen Baulast hätte der Kläger die erforderliche Genehmigung erhalten können, weil er dann – aus bauordnungsrechtlicher Sicht – zur Errichtung seiner Windkraftanlage beide Grundstücke in Anspruch nehmen konnte.

Die Parteien streiten darüber, ob dem Beklagten der zuletzt genannte Umstand der überstreifenden Rotorblätter bekannt war, als er mit dem Kläger im Juni 2012 die Übernahme einer – im Vertrag nicht näher umschriebenen – „Baulast“ auf seinem Grundstück für den Bau der Windkraftanlage durch den Kläger vereinbarte.

Zur Bestellung der erforderlichen Vereinigungsbaulast durch den Beklagten kam es in der Folgezeit nicht, u.a. deswegen, weil sich der Beklagte vor dem Vertragsschluss mit dem Kläger gegenüber einer anderen Gesellschaft verpflichtet hatte, dieser die Errichtung einer Windkraftanlage auf seinem Grundstück zu ermöglichen.

Die von ihm geplante Windkraftanlage konnte der Kläger mangels erteilter Genehmigung nicht errichten. Hierfür macht er den Beklagten verantwortlich, weil dieser die Vereinigungsbaulast nicht bewilligt habe. Den Beklagten nimmt er auf Schadensersatz für den ihm, dem Kläger, entgangenen Gewinn in Anspruch, den er auf ca. 515.000 Euro beziffert.

Der Beklagte meint, dem Kläger in dem im Juni 2012 abgeschlossenen Vertrag allenfalls die Bewilligung eine Abstandsflächenbaulast, nicht aber die einer Vereinigungsbaulast zugesagt zu haben, und deswegen keinen Schadensersatz zu schulden.

Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm ist das Schadensersatzbegehren des Klägers erfolglos geblieben. Dem Kläger steht gegen den Beklagten nach Auffassung des Oberlandesgerichts kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz wegen der Weigerung des Beklagten zu, die Eintragung einer Vereinigungsbaulast für das Bauvorhaben des Klägers zu bewilligen.

Es fehle bereits an einer vertraglichen Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger für sein Bauvorhaben eine solche Baulast zu bewilligen. Eine solche Verpflichtung werde durch den im Juni 2012 abgeschlossenen Vertrag der Parteien nicht begründet. Äußerlich übereinstimmend hätten die Parteien in dem Vertrag zwar vereinbart, dass der Beklagte dem Kläger die Eintragung einer „Baulast“ auf seinem Grundstück bewillige. Dabei hätten die Parteien der Bezeichnung „Baulast“ allerdings eine unterschiedliche Bedeutung beigemessen, so dass der Vertrag einen versteckten Einigungsmangel (Dissens) aufweise. Das ergebe die Auslegung der Vertragserklärungen der Parteien.

Der Begriff der „Baulast“ sei objektiv mehrdeutig. Von den Parteien sei er beim Vertragsschluss unterschiedlich verstanden worden. Der Kläger habe den Begriff in dem Sinne verstanden, dass ihm der Beklagte die Baulast einräume, die er, der Kläger, für sein Bauvorhaben benötige. Das schließe die Bewilligung einer Vereinigungsbaulast ein. Demgegenüber habe der Beklagte die Vorstellung gehabt, dass lediglich eine Abstandsflächenbaulast gemeint sei. Dafür, dass der Beklagte dem Kläger keine Vereinigungsbaulast habe zusagen wollen, mit der der Kläger – aus bauordnungsrechtlicher Sicht – das Grundstück des Beklagten unbeschränkt habe bebauen dürfen, spreche u.a., dass der Beklagte dann der zuvor gegenüber einer anderen Gesellschaft übernommenen Verpflichtung, den Bau einer Windkraftanlage dieser Gesellschaft auf seinem Grundstück zu dulden, zuwidergehandelt hätte.

Ein geschütztes Vertrauen der Parteien, dass der Begriff der „Baulast“ nur in einem einzigen Sinne aufgefasst werden könne, sei nicht festzustellen. Der Begriff der „Baulast“ sei nicht eindeutig, weil es mehrere Arten von Baulasten gebe, die damit gemeint sein könnten. Es gebe auch keine Verkehrssitte, nach der der Begriff immer in einem bestimmten Sinn gebraucht werde. Wortlaut und Zweckbestimmung des Vertrages der Parteien sprächen nicht eindeutig für ein Vertragsverständnis im Sinne einer der Parteien. Ein solches Verständnis ergebe sich auch nicht aus ihrer Interessenlage. Dem Interesse des Klägers, die bauordnungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit seines Bauvorhabens sicherzustellen, entspreche das auf die Bewilligung einer Vereinigungsbaulast gerichtete Vertragsverständnis. Demgegenüber werde dieses Verständnis den Interessen des Beklagten nicht gerecht, weil er mit einer solchen Baulast gegen eine andere, bereits zuvor begründete vertragliche Verpflichtung verstoßen hätte.

Der versteckte Dissens bewirke, so das Oberlandesgericht Hamm, dass der von den Parteien im Juni 2012 intendierte Vertrag nicht zustande gekommen sei, und daher keine Rechtsgrundlage für das Schadensersatzbegehren des Klägers darstellen könne.

OLG Hamm, Urteil vom 16.05.2017 – 10 U 24/16

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