Mutterschutz in der Rentenversicherung

Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, die Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung neu zu regeln.

Es ist mit Art. 6 Abs. 4 GG unvereinbar, wenn Zeiten, in denen Frauen wegen der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote ihre versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrechen, bei der Berechnung der Anwartschaftszeit in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung nicht berücksichtigt werden.

Nach dem vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Recht wurden Zeiten, in denen Frauen wegen der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote ihre versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrachen, bei der Berechnung der Anwartschaftszeit in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung nicht berücksichtigt. Dies ist mit Art. 6 Abs. 4 GG (Schutz- und Fürsorgeanspruch der Mutter) nicht vereinbar, entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts anlässlich einer Vorlage durch das Bundessozialgericht.

Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bis zum 31. März 2007 für den betroffenen Zeitraum eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossene Gerichts- und Verwaltungsverfahren bleiben ausgesetzt oder sind uszusetzen, um den Betroffenen die Möglichkeit zu erhalten, aus der vom Gesetzgeber zu
treffenden Regelung Nutzen zu ziehen. Bereits bestandskräftig gewordene Verwaltungsentscheidungen bleiben von der vorliegenden Entscheidung unberührt. Es ist dem Gesetzgeber aber unbenommen, die Wirkung dieser Entscheidung auch auf bereits bestandskräftige Bescheide zu erstrecken.

Rechtlicher Hintergrund:
Nach dem Mutterschutzgesetz dürfen Frauen, die den Schutz des Gesetzes genießen, sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt werden. Sie erhalten für die Dauer der Beschäftigungsverbote Lohnersatz in der Form des Mutterschaftsgeldes und eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld durch den Arbeitgeber in Anknüpfung an die Höhe ihres Arbeitsentgelts.

Voraussetzung für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ist die Erfüllung der Anwartschaftszeit. Nach der gesetzlichen Regelung hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in den letzten drei Jahren („Rahmenfrist“) vor der Arbeitslosmeldung und der eingetretenen Arbeitslosigkeit mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. In dem hier maßgeblichen Zeitraum von 1998 bis 2002 begründete der Bezug von Mutterschaftsgeld
kein Versicherungspflichtverhältnis mit der Folge, dass die Zeiten der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote nicht zur Erfüllung der Anwartschaft für den Bezug von Arbeitslosengeld beitrugen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Untersagt der Gesetzgeber – wie in den Regelungen zum Mutterschutzgesetz – der Frau für eine bestimmte Zeit vor oder nach der Geburt eines Kindes die Fortsetzung oder Wiederaufnahme ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung, so ist er auf Grund seines Schutzauftrages aus Art. 6 Abs. 4 GG gehalten, die sich aus diesem Verbot unmittelbar ergebenden sozialrechtlichen Nachteile soweit wie möglich auszugleichen. Denn sonst
bliebe der mit den Beschäftigungsverboten angestrebte Schutz von Mutter und Kind unvollständig. Es ist daher mit Art. 6 Abs. 4 GG unvereinbar, wenn Zeiten der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote bei der Berechnung der Anwartschaftszeit in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung nicht berücksichtigt werden.

Das Bedürfnis nach Berücksichtigung der Zeit des Beschäftigungsverbots im Rahmen der Berechnung der Anwartschaftszeit entfällt nicht dadurch, dass die Mutter berechtigt ist, ihr versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bis zur Geburt aufrechtzuerhalten. Diese
Möglichkeit wurde der schwangeren Frau nicht eröffnet, damit sie den in Frage stehenden sozialversicherungsrechtlichen Nachteil vermeiden kann. Vielmehr liegt der Ausnahmeregelung die Erfahrung zu Grunde, dass es für die Schwangere im Einzelfall psychisch günstiger sein kann, sich durch die bisherige, gewohnte Arbeit abzulenken.

Auch die dreijährige Rahmenfrist (ursprünglich zwei Jahre) gleicht den sozialversicherungsrechtlichen Nachteil nicht hinreichend aus. Zwar kam eine verlängerte Rahmenfrist auch den Müttern zugute, die in Folge der Beschäftigungsverbote ihre Erwerbstätigkeit für einige Zeit unterbrochen hatten. Bei einem – keineswegs atypischen – Wechsel von Beschäftigung, Mutterschutzzeit und Arbeitslosigkeit war sie jedoch nicht hinreichend geeignet, in einer dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG genügenden Weise für den Fall der Arbeitslosigkeit sozialversicherungsrechtlich vorzusorgen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. März 2006 – 1 BvL 10/01

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