Das Bundesverfassungsgericht hat, wie wir bereits hier berichtet haben, dem Gesetzgeber aufgegeben, die Regelungen im Sozialgesetzbuch II (SGB II) zu ändern und bei dieser Neuregelung einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs für die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten vorzusehen.
Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (BT-Drs. 17/825), in der diese anfragte:
- Was gilt nach Auffassung des BMAS als Härtefall im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, und welche Kriterien bzw. Erwägungen lagen der Aufnahme bzw. Nichtaufnahme bestimmter Fälle in den mit der BA ab- gestimmten Katalog der Härtefälle zugrunde?
- Nach welchen Erwägungen wurden laufende und wiederkehrende medizi- nische Kosten bzw. Bedarfe wie die Praxisgebühr, Zuzahlungen zu Medika- menten, die unterhalb der Höchstbelastungsgrenze bleiben, Fahrten zum Arzt und medizinische Fußpflege nicht in den Katalog aufgenommen?
- Inwiefern kann die Bestreitung der genannten Posten aus dem Regelsatz aus Sicht der Bundesregierung zur Unterdeckung des vom Bundesverfassungsgericht als Grundrecht statuierten menschenwürdigen Existenzminimums führen, und müssten diese folgerichtig über die Härtefallregelung abgedeckt werden, bzw. wie sieht die Bundesregierung diese Bedarfe gedeckt?
- Mit welcher Begründung wurde im Katalog der BA die Gewährung von Unterstützung für Putz- und Haushaltshilfen auf Rollstuhlfahrer beschränkt, wo dieser besondere Bedarf doch auch bei anderen Personengruppen aus dem Kreis der SGB-II-Beziehenden mit Behinderungen gegeben ist?
- Ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung aus der Gewährung von Unterstützung für Putz- und Haushaltshilfen für Rollstuhlfahrer und möglicherweise auch aus anderen nach der Härtefallregelung zu gewährenden besonderen Bedarfen, Kollisionen mit dem § 21 Absatz 6 SGB II, nachdem die Summe des insgesamt gezahlten Mehrbedarfs die Höhe der Regelleistung nicht übersteigen darf, und wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, dass auch bei kostenträchtigen Sonderbedarfen das Existenzminimum nicht durch diese Deckelung gefährdet wird?
- Warum wurden Brillen, Zahnersatz und orthopädische Schuhe nicht in den Härtefallkatalog aufgenommen? Notwendigkeit der Neu- bzw. Wiederbeschaffung dieser medizinischen Hilfsmittel eine Nichtaufnahme in den Katalog der Härtefälle? Rechtfertigt hier aus Sicht der Bundesregierung allein die nur periodische
- Wie begründet sich, dass Lernmittel wie Schulbücher, Hefte und Geld für Kopien sowie für schulische Aktivitäten und Schulspeisung nicht in dem Katalog enthalten sind, und wie verträgt sich dies mit den Ankündigungen der Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, mehr für Bildung und Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen zu tun?
- Wie verträgt sich die Beschränkung der Übernahme von Nachhilfekosten auf eng begrenzte Einzelfälle mit diesem Versprechen? Liegen der Entscheidung für eine solche restriktive Regelung Überlegungen zugrunde, wie die Förderung bedürftiger Kinder an staatlichen Schulen zeitnah und wirkungsvoll verbessert werden kann, und wie sehen diese aus?
- Welche Krankheiten fallen nach Auffassung der Bundesregierung unter den § 21 Absatz 5 SGB II (Mehrbedarfszuschlag für krankheitsbedingte kostenaufwändige Ernährung)? Gehört Diabetes dazu, und wenn nein, warum nicht?
- Können nach diesem Paragrafen auch Bedarfe nach besonderer Ernährung bei Unverträglichkeiten bestimmter Lebensmittel, wie Laktose oder Fruktose, die mit deutlich höheren Kosten für spezielle Nahrungsmittel einhergehen, geltend gemacht werden, und wenn nein, warum wurden solche Fälle nicht in den Härtefallkatalog aufgenommen?
- Warum wurden entgegen des ursprünglichen Plans der BA die Kosten für Besuchsfahrten eines in Haft sitzenden Ehepartners wieder aus dem Katalog gestrichen?
- Wer befindet nach welchen Kriterien darüber, ob in Umfang und Ausmaß vergleichbare Fälle vorliegen, die ebenfalls unter die Härtefallklausel fallen, da der in der Geschäftsanweisung der BA enthaltene Katalog ebendort als nicht abschließend bezeichnet wird?
- Rechnet die Bundesregierung wie die Präsidentin des Sozialgerichtstages, Monika Paulat, mit einer Klagewelle, weil Hartz-IV-Beziehende einen ver- meintlich berechtigten Anspruch, der nicht im Katalog von BMAS und BA enthalten ist, vor Gericht einklagen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, was will sie tun, um der auf die Gerichte zurollenden Klagewelle Herr zu werden, ohne dabei die Rechtsmittel und Möglichkeiten zu ihrer Ergreifung für Hartz-IV-Beziehende einzuschränken?
- Bis wann will die Bundesregierung die Härtefallregelung auf eine gesetz- liche Grundlage stellen, und wie will sie auf dem Wege dorthin die vom BMAS als nicht abschließend bezeichnete Aufzählung der Härtefälle ver- vollständigen? Welche praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse und/oder gerichtlichen Entscheidungen werden in diese Weiterentwicklung einfließen?
- Erwägt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass es immer beson- dere Fälle geben wird, die nicht gesetzlich kategorisiert worden sind, eine offene gesetzliche Härtefallregelung zu schaffen, die zuvor nicht spezifi- zierte besondere Bedarfe als Ermessensleistung ermöglicht? Wenn nein, warum nicht?
- Wird die Bundesregierung im Zuge der Schaffung einer gesetzlichen Härtefallregelung auch prüfen, ob bestimmte einmalige Bedarfe wie die Wiederbeschaffung großer Haushaltsgeräte oder der wiederkehrende Bedarf nach Bekleidung, insbesondere bei Kindern, im Bedarfsfall wieder über zusätzliche Leistungen gedeckt werden können? Wenn nein, warum erachtet sie dies nicht für notwendig?
- Wie charakterisiert die Bundesregierung die praktischen Erfahrungen von Hilfebeziehenden und Behörden mit der bei der Einführung der Grund- sicherung für Arbeitsuchende erfolgten Integration der einmaligen Leistun- gen als Pauschale in den Regelsatz, und welche politischen Schlussfolgerungen zieht sie daraus?
erklärte die Bundesregierung in ihrer Antwort (BT-Drs. 17/1070), die seitens des Bundesverfassungsgerichts angemahnte Härtefallregelung solle „zügig auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage gestellt werden“. Die Fälle sollten, so die Bundesregierung weiter, auf der Grundlage von Erfahrungen der Grundsicherungsstellen vor Ort „zu gegebener Zeit ergänzt werden“. Eine abschließende Regelung wäre mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar und sei deshalb nicht beabsichtigt, so die Bundesregierung in ihrer Antwort weiter.
und führt aus, dass die Fälle auf der Grundlage von Erfahrungen der Grundsicherungsstellen vor Ort ”zu gegebener Zeit ergänzt werden“. Eine abschließende Regelung wäre mit den Vorgaben des BVerfG nicht vereinbar und sei deshalb nicht beabsichtigt, heißt es weiter.
Ob im Einzelfall ein Härtefall vorläge, entschieden derzeit die Grundsicherungsstellen vor Ort. Maßgebend für deren Entscheidung seien die vom BVerfG vorgegebenen Kriterien. ”In Zweifelsfällen stimmen die Grundsicherungsstellen ihre Entscheidung mit der zuständigen Regionaldirektion und gegebenenfalls der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit (BA) ab“, heißt es weiter. Die Regierung verweist auf eine Weisung der BA, in der etwa bestimmte Krankheiten aufgelistet sind, bei denen die Ernährung aufwändiger ist, etwa bei Nierenversagen oder Multiple Sklerose. Auf die Frage, warum der Katalog der BA, der Härtefälle definiert, nicht auch Brillen, Zahnersatz und orthopädische Schuhe beinhalte, antwortet die Bundesregierung: Bei den genannten Posten handele es sich nicht um ”laufende, sondern um einmalige Bedarfe“. Hierfür könne aus der Entscheidung des Gerichts kein grundsätzlicher Anspruch auf die Übernahme eines Sonderbedarfs hergeleitet werden.
Es bleibt also abzuwarten, wann der Gesetzgeber reagiert und ob diese Reaktion dann den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügt.