Auch der Treppenlift in den Garten ist als außergewöhnliche Belastung absetzbar

Auch die Kosten für einen Treppenschräglift, der in den Garten führt, kann als außergewöhnliche Belastung steuerlich geltend gemacht werden.

Eine stark gehbehinderte Frau, die zu 90 % schwerbehindert ist (Merkzeichen G und aG) hatte die Kosten von ca. 63.000 € für den Einbau eines Treppenschräglifts in den Garten als außergewöhnliche Belastung steuerlich geltend gemacht.

Das Finanzamt erkannte nur einen kleinen Teil der Kosten an, der sich aber nach Abzug der nach dem individuellen Einkommen bemessenen zumutbaren Belastung steuerlich nicht auswirkte. Das Finanzgericht Baden-Württemberg gab auf die Klage der Dame dieser recht und erkannte den vollen Betrag nach Abzug der zumutbaren Belastung an.

Gemäß § 33 Abs. 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung wird, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen erwachsen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Absatz 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Gemäß § 33 Abs. 2 EStG erwachsen Aufwendungen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (Satz 1). Aufwendungen, die zu den Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben gehören, bleiben dabei außer Betracht; das gilt für Aufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 7 und 9 nur insoweit, als sie als Sonderausgaben abgezogen werden können (Satz 2).

Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen regelmäßig zwangsläufig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Sie gehören aber nur dann zu den nach § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, wenn sie zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen. In diesem Sinne werden auch Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt1. Der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach bedarf es dann nicht2.

In Abgrenzung zur bisherigen Rechtsprechung bezüglich des behinderungsbedingten Einbaus von Personenaufzügen sowie behinderungsbedingter sonstiger Umbaumaßnahmen, bei denen bislang im Wesentlichen wegen Verneinung einer Belastung aufgrund der Erlangung eines Gegenwerts bzw. wegen Verneinung der Zwangsläufigkeit keine Abzugsfähigkeit der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen anerkannt wurde3 sind Treppenschräglifte nicht als Bestandteil des jeweiligen Gebäudes, sondern als medizinische Hilfsmittel anzusehen4.

Ob es sich dabei um medizinische Hilfsmittel im weiteren Sinne5, die nicht nur von erkrankten oder behinderten Menschen genutzt werden, sondern auch anderen Personen Verrichtungen des Alltags erleichtern können6, oder um medizinische Hilfsmittel im engeren Sinne handelt, also um Hilfsmittel, die, wie Brillen, Hörgeräte, Rollstühle usw., nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft werden und bei denen häufig eine Anpassung an die individuelle gesundheitliche Situation des Steuerpflichtigen erforderlich ist7 kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn im Streitfall ist die Nutzung eines Treppenlifts durch die Klägerin für das Treppensteigen angesichts ihrer außergewöhnlichen Gehbehinderung und ihres dadurch bedingten Behinderungsgrads von 90 v.H., verbunden mit den Einträgen der Merkzeichen G und aG, unzweifelhaft erforderlich.

Der Annahme der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen der Klägerin für den Erwerb und die Montage des Treppenschräglifts steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Treppenschräglift nicht innerhalb des Wohnhauses installiert wurde, sondern im dazugehörigen Garten. Denn die Anerkennung der Notwendigkeit der Nutzung eines Treppenschräglifts durch die Klägerin ist nach Überzeugung des Senats nicht auf die unmittelbare Nutzung innerhalb ihres Wohnbereichs beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf die im Streitfall gegebene Nutzung des Gartens. Der maßgebliche Grund hierfür besteht darin, dass der Zweck des Treppenschräglifts, die Behinderung der Klägerin erträglicher zu machen, unabhängig davon besteht, ob der Treppenlift innerhalb der Wohnräume der Steuerpflichtigen oder in dem zum Wohnhaus gehörenden Garten angebracht wird. Insbesondere handelt es sich bei der Nutzung des zur Wohnung der Klägerin gehörenden Gartens um eine sozialadäquate Nutzung ihres (Mit-)Eigentums, der nicht etwa mit der Begründung, es handle sich dabei um entbehrlichen „Luxus“, die Anerkennung versagt werden kann8. Es ist vielmehr so, dass die Klägerin, so das Finanzgericht Baden-Württemberg, die Einschränkungen, die ihr durch ihre schwere Behinderung auferlegt werden, im Rahmen des Möglichen abzumildern versucht. Dieses Bemühen der Klägerin ist gerade vor dem Hintergrund der gebotenen Gleichstellung von behinderten mit nichtbehinderten Personen (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz – GG -) anzuerkennen und bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Zwangsläufigkeit“ gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen. Der Argumentation des Beklagten, es sei eine Abgrenzung vorzunehmen zwischen Treppenschrägliften, die innerhalb eines Wohnhauses, und solchen, die außerhalb eines Wohnhauses angebracht würden, ist daher nicht zu folgen. Zum Einen kann von der Klägerin nicht verlangt werden, entweder von dem von ihr seit ihrer Kindheit bewohnten Hanggrundstück wegzuziehen oder aber ihren Garten nicht mehr zu nutzen. Denn das Bestehen der Entschließungsfreiheit des Steuerpflichtigen zur Beibehaltung oder zur Veränderung des bisherigen Wohnumfelds von Steuerpflichtigen, also – bezogen auf den Streitfall – die Option der Klägerin, wegzuziehen und künftig ein ebenerdig gelegenes Grundstück mit Garten zu bewohnen oder den bisher von ihr genutzten Garten künftig nicht mehr aufzusuchen, steht der Annahme der Zwangsläufigkeit behinderungsbedingter Mehraufwendungen nicht entgegen, da die Notwendigkeit einer behindertengerechten Ausgestaltung des Wohnumfelds und damit die Zwangsläufigkeit der darauf entfallenden Mehrkosten nicht auf der frei gewählten Wohnsituation der Steuerpflichtigen, sondern auf ihrer Krankheit oder Behinderung beruht. Die Frage nach zumutbaren Handlungsalternativen stellt sich in einem solchen Fall nicht9. Zum Anderen stellt die Abgrenzung zwischen dem Einbau von Treppenschrägliften innerhalb eines Wohnhauses und im Außenbereich eines Wohnhauses schon deshalb kein taugliches Abgrenzungskriterium bezüglich der Zwangsläufigkeit der hierfür entstehenden Aufwendungen dar, weil durchaus auch innerhalb eines Wohnhauses Bereiche für nicht essentiell lebensnotwendige Beschäftigungen genutzt werden können (z.B. Hobbyraum im Keller oder im Dachgeschoss), während dagegen im Bereich außerhalb des Hauses eine Nutzung denkbar ist, die der Befriedigung unmittelbarer Lebensbedürfnisse dienen kann (z.B. die Bewirtschaftung eines Nutzgartens). Außerdem würde eine so verstandene Prüfung des Tatbestandsmerkmals der „Zwangsläufigkeit“, die eine Beurteilung der Gestaltung des unmittelbaren Wohnumfelds und die Qualifizierung der Nutzung des von einem Steuerpflichtigen bewohnten Hauses in notwendige Nutzungen und nicht zwingend notwendige Nutzungen durch die Finanzverwaltung oder die Finanzgerichtsbarkeit mit sich bringen würde, ein zu starkes Eindringen in die Persönlichkeitssphäre des Steuerpflichtigen bedeuten.

Bei einem solchen zwangsläufig erworbenen medizinischen Hilfsmittel ist ein eventuell erlangter Gegenwert nicht zu berücksichtigen. Denn der behinderungsbedingte Mehraufwand der Klägerin steht so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund tritt. Behinderungsbedingte notwendige Maßnahmen begründen keinen über den individuellen Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert, sondern eine aus tatsächlichen Gründen zwangsläufige Mehrbelastung des Steuerpflichtigen10.

Auch sind die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten des Wirtschaftsguts „Treppenschräglift“ sofort in voller Höhe als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig und nicht auf die Dauer der voraussichtlichen Nutzung durch die Klägerin abzuschreiben, da die Regelung in § 33 EStG keine Verweisung auf die Vorschriften über die Absetzung für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 EStG enthält und auch keine Regelungslücke vorhanden ist, die gegebenenfalls eine analoge Anwendung dieser Vorschrift gebieten würde11.

Die Berücksichtigung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen ist nach Auffassung des Finanzgerichts Baden-Württemberg auch nicht durch § 33b EStG ausgeschlossen. Denn der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG deckt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes nur laufende und typische Mehraufwendungen des Behinderten ab, so dass „zusätzliche Krankheitskosten“ nicht von der Abgeltungswirkung des Pauschbetrags erfasst werden12.

Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

FG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.04.2011, 4 K 2647/08

  1. vgl. BFH, Urteil vom 09.08.1991 – III R 54/90, BStBl. II 1991, 920 []
  2. vgl. BFH, Urteil vom 20.03.1987 – III R 150/86, BStBl. II 1987, 596 []
  3. vgl. BFH, Urteile vom 10.10.1996 – III R 209/94: zum Neubau eines Einfamilienhauses unter behinderungsbedingtem Einbau eines Fahrstuhls; vom 06.02.1997 – III R 72/96: zum nachträglichen behinderungsbedingten Umbau eines Wohnhauses; vom 15.12.2005 – III R 10/04; vom 25.01.2007 – III R 7/06: zum nachträglichen behinderungsbedingten Anbau eines Außenaufzugs am Wohnhaus der Steuerpflichtigen; BFH, Beschluss vom 27.12.2006 – III B 107/06: zum behinderungsbedingten Einbau eines Aufzugs in eine Mietwohnung durch die Mieter; vgl. jetzt aber BFH, Urteile vom 22.10.2009 – VI R 7/09; und vom 24.02.2011 – VI R 16/10 []
  4. FG Berlin, Urteil vom 01.11.1994 – VII 369/91; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.09.1997 – 5 K 2881/96: medizinische Hilfsmittel im engeren Sinne; angedeutet auch in BFH, Urteil vom 10.10.1996; zurückhaltender: BFH, Beschluss vom 27.12.2006 – III B 107/06, wonach sich der BFH zur Thematik des Treppenschräglifts noch nicht abschließend geäußert habe; bejaht in BFH, Urteil vom 30.10.2008 – III R 97/06: Einbau eines Treppenlifts in das Wohnhaus von Eltern, deren ebenfalls dort lebender Sohn unfallbedingt querschnittsgelähmt war; zustimmend: BFH, Urteil vom 22.10.2009 – VI R 7/09 []
  5. so FG Nürnberg, Urteil vom 04.12.2003 – VI 361/2002 []
  6. zur Unterscheidung vgl. BFH, Urteil vom 09.08.1991 – III R 54/90 []
  7. so FG Berlin, Urteil vom 01.11.1994 – VII 369/91 []
  8. vgl. zum Einbau eines Treppenschräglifts in einer Zweitwohnung: FG Berlin, Urteil vom 01.11.1994 VII 369/91 []
  9. vgl. hierzu: BFH, Urteil vom 24.02.2011 – VI R 16/10 []
  10. BFH, Urteile vom 22.10.2009 – VI R 7/09; vom 24.02.2011 – VI R 16/10: zum behindertengerechten Umbau eines Hauses; vgl. auch BFH, Urteil vom 09.08.1991 – III R 54/90; FG Berlin, Urteil vom 01.11.1994 – VII 369/91; Sächsisches FG, Urteil vom 12.10.2006 – 2 K 1859/04, EFG 2007, 931 []
  11. vgl. hierzu: BFH, Urteil vom 22.10.2009 – VI R 7/09 – zum behinderungsgerechten Umbau eines Hauses []
  12. BFH, Urteile vom 22.10.2009 – VI R 7/09; vom 24.02.2011 – VI R 16/10 []