Behandlungsfehler trotz Behandlungsverweigerung

Die mangelnde Mitwirkung (non-compliance) des Patienten an einer medizinisch gebotenen Behandlung schließt einen Behandlungsfehler nicht aus, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt worden ist. Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil.

Der Umstand, dass die vom Arzt geschuldete therapeutische Beratung zu den selbstverständlichen ärztlichen Behandlungspflichten gehört1, rechtfertigt es nach Auffassung des BGH für sich allein dagegen nicht, der Behandlungsseite die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass die Verletzung dieser Pflicht für die eingetretene Gesundheitsschädigung nicht ursächlich geworden ist. Nach gefestigter Rechtsprechung ist eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehler und einem eingetretenen Gesundheitsschaden nur dann gerechtfertigt, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf2. Die Umkehr der Beweislast stellt keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden dar, sondern knüpft daran an, dass wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers die Aufklärung des Behandlungsgeschehens in besonderer Weise erschwert worden sein kann3. Diese Voraussetzung ist aber entgegen der Auffassung der Revision bei einer fehlerhaften therapeutischen Aufklärung nicht von vornherein zu bejahen, sondern hängt auch hier vom jeweiligen Einzelfall ab. Deshalb trägt der Patient – wie bei jedem anderen Behandlungsfehler auch – grundsätzlich die Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Behandlung und dem Gesundheitsschaden4. Eine Beweislastumkehr ist wie auch sonst bei Behandlungsfehlern nur gerechtfertigt, wenn sich der bei der therapeutischen Aufklärung unterlaufene Pflichtenverstoß des Arztes als grober Behandlungsfehler darstellt5.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. Juni 2009 – VI ZR 157/08

  1. BGHZ 107, 222, 227 m.w.N. []
  2. vgl. u.a. BGH, Urteil vom 3. Juli 2001 – VI ZR 418/99VersR 2001, 1116, 1117 []
  3. st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 24. September 1996 – VI ZR 303/95VersR 1996, 1535, 1536 []
  4. BGH, Urteil vom 24. Juni 1986 – VI ZR 21/85VersR 1986, 1121, 1122 []
  5. vgl. BGHZ 159, 48, 53 ff. m.w.N. []

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