Die nach dieser Maßgabe festzusetzende Kirchensteuer wird nach der Bischöflichen Anordnung vom 15.09.2012 erstattet, wenn
„die nach dem derzeitigen Hebesatz als Zuschlag zur tariflich (§ 32a EStG) festgesetzten Einkommensteuer erhobene Kirchensteuer 4 % des zu versteuernden Einkommens [übersteigt]“ (Ziff. 1 der Bischöflichen Anordnung).
Die Kirchensteuer soll auf diese Weise nach oben hin auf den genannten Prozentsatz begrenzt werden. Die Steuerbelastung steigt sodann nicht mehr progressiv (sog. Kappung der Progression). Die Kirchensteuerbelastung wird mithin von der Progression des Einkommensteuertarifs entkoppelt. Es findet vielmehr ein proportionaler Steuersatz Anwendung3.
Diese Begrenzungsregelung ist im Bereich des Beklagten allerdings nicht Regelungsbestandteil der Bemessungsgrundlage bzw. des Kirchensteuertarifs und daher nicht bereits im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen. Vielmehr wird die Anwendung der Begrenzungsregelung im Bereich des Beklagten einem gesonderten, der Kirchensteuerfestsetzung nachgelagertem Verfahren überantwortet. Besonders deutlich wird dies an Ziff. 3 der Bischöflichen Anordnung, wonach der Antrag auf Erstattung der Kirchensteuer erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in Ansehung des Steuerbescheides gestellt werden kann. Das nachgelagerte Verwaltungsverfahren ist auf den Erlass der Kirchensteuer gerichtet.
Eine solche Entscheidung über den Erlass von Kirchensteuer ist nicht der Überprüfung durch die staatlichen Gerichte entzogen (§ 14 Abs. 3 und Abs. 4 KiStG NRW4).
Der von den Klägern begehrte Erlass kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Erlass erfüllt sind.
Hieran fehlt es nach Auffassung des Finanzgerichts Münster aber im Streitfall.
Eine allgemeine Tarifkorrektur ist nicht von der Erlassermächtigung des § 227 AO i. V. m. § 8 Abs. 1, Abs. 4 KiStG NRW gedeckt und eine spezifische kirchensteuerliche Erlassermächtigung ist in NRW nicht vorhanden. Sofern man die Bischöfliche Anordnung vom 15.09.2012 überhaupt als ausreichende Erlassgrundlage ansehen wollte, wären die dort genannten Erlassvoraussetzungen nicht erfüllt.
§ 227 AO trägt den von den Klägern begehrten Erlass nicht. Nach dieser Norm, die auch für die Kirchensteuer gilt (§ 8 Abs. 1 KiStG NRW), können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Die Entscheidung über den Erlassantrag der Kläger ist eine Ermessensentscheidung, die im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin überprüft werden darf, ob die Ablehnung der Erlassentscheidung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 Satz 1 FGO). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen5.
Der Zweck des § 227 AO (und auch der des § 163 AO) liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen6. Persönliche Unbilligkeitsgründe scheiden hier offensichtlich aus, weshalb allein die sachliche Unbilligkeit in den Blick zu nehmen ist. Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme6.
Die Regelung des § 227 AO wird zum Teil als Rechtsgrundlage für die Kappung der Progression angesehen7. Es fehlt allerdings an der vorstehend skizzierten Unbilligkeit im Einzelfall. Die mit der Progression der Einkommensteuer verbundene Höhe der Kirchensteuer trifft alle Steuerpflichtigen ab einer gewissen Einkommenshöhe gleichermaßen. Nach § 3 Abs. 1 KiStO wird die Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommensteuer, Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer erhoben, was zwangsläufig zu einer Übernahme des progressiven Steuertarifs führt. Die mit der Progression verbundene Belastungswirkung für höhere Einkommen ist also gewollt. Die Kappung der Progression setzt diese Grundentscheidung hingegen außer Kraft. Sie korrigiert sie in allgemeiner Weise und nicht bloß im Hinblick auf den Einzelfall. Eine derart allgemeine Tarifkorrektur kann ihre Rechtsgrundlage nicht in § 227 AO finden8.
Kirchensteuerrechtliche Erlasstatbestände, die das Begehren der Kläger tragen könnten, existieren nach Auffassung des Finanzgerichts Münster ebenfalls nicht.
Das KiStG NRW selbst enthält keine eigenständige Regelung über den Erlass von Kirchensteuern. Insbesondere eine Regelung wie § 8 Abs. 4 KiStG NRW, wonach die Kirchen für Stundung und Erlass zuständig sind, hat das Bundesverwaltungsgericht zu Recht nicht als normative Grundlage ausreichen lassen. Denn einer solchen Regelung fehlt es an der notwendigen Vorgabe der Erlassvoraussetzungen und sei es auch nur generalklauselartig9.
Entsprechendes gilt für das nach § 16 KiStG NRW staatlich anerkannte kirchliche Steuerrecht. Die KiStO des Beklagten enthält keine Aussage zur Kappung der Progression bzw. zu einem entsprechenden Erlass. Entsprechendes gilt für den Kirchensteuerhebesatzbeschluss für das Streitjahr.
Die Kläger können, so das Finanzgericht Münster weiter, ihr Begehren schließlich auch nicht auf die Bischöfliche Anordnung vom 15.09.2012 stützen. Ungeachtet der Frage, ob die Bischöfliche Anordnung in Anbetracht der wohl fehlenden staatlichen Anerkennung (vgl. § 16 KiStG NRW) überhaupt eine ausreichende gesetzliche Grundlage für einen Kirchensteuererlass darstellen kann, liegen die dort genannten Voraussetzungen für einen Erlass nicht vor.
Der Wortlaut der Ziff. 2 ist eindeutig. Sowohl die gemäß § 32d EStG ermittelten Einkommensbeträge als auch die darauf entfallenden Kirchensteuern bleiben außer Ansatz. Der Beklagte ist in diesem Sinne verfahren.
Das Finanzgericht Münster hat die Revision nicht zugelassen.
- KiABl. 1987, Nr. 18, in der Fassung der Änderungsverordnung vom 08.09.2014, KiABl. 2015, 80 [↩]
- Kirchensteuerbeschluss für 2015, KiABl. 2015, 79 sowie die Bekanntmachung über den Kirchensteuerbeschluss für das Steuerjahr 2015 durch FM NRW vom 27.03.2015, BStBl. I 2015, 453 [↩]
- Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002, S. 362 m. w. N.). Begründet wird dies damit, dass die Kirchensteuer andere Zwecke als die staatliche Steuer verfolge und die mit der Steuerprogression verbundene Umverteilung nicht übernommen werden soll ((BVerwG, Urteil vom 21.05.2003 – 9 C 12/02, BVerwGE 118, 201 [↩]
- BFH, Urteil vom 01.07.2009 – I R 81/08, BStBl. II 2011, 379; Hammer in Pirson/Rüfner/Germann/Muckel, Handbuch des Staatskirchenrechts, Band 3, 2020, S. 3010 [↩]
- BFH, Urteile vom 26.10.1994 – X R 104/92, BStBl. II 1995, 297, BFHE 176, 3; vom 17.04.2013 – X R 6/11, BFH/NV 2013, 1537 [↩]
- BFH, Urteil vom 17.04.2013 – X R 6/11, BFH/NV 2013, 1537 [↩] [↩]
- FG Köln, Urteil vom 12.04.2000 – 11 K 1375/95, EFG 2000, 1092 [↩]
- BVerwG, Urteil vom 21.05.2003 – 9 C 12/02, BVerwGE 118, 201; FG Köln, Urteil vom 25.11.1992 – 11 K 1660/92, EFG 1993, 401; VG Wiesbaden, Urteil vom 13.03.2012 – 1 K 596/11; Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, 2002, S. 364, 468 [↩]
- BVerwG, Urteil vom 21.05.2003 – 9 C 12/02, BVerwGE 118, 201 [↩]