Es ist immer eine problematische Angelegenheit, wie eine Behörde (und ihr nachfolgend nach das Gericht) mit einem angeblichen Beissvorfall umgehen soll, für den es keine Zeugen gibt.
Insbesondere die Anordnung der Wegnahme eines Hundes im Wege des Sofortvollzuges ist dann immer mehr als fragwürdig.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte nun in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Wegnahme eines Hundes zu entscheiden in einem Fall, in dem vieles unklar war.
Aber der Reihe nach:
Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hat den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die sofort vollziehbare Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin, mit der ihr u.a. die Weiterhaltung ihrer beiden Akita Inu-Rüden gebührenpflichtig untersagt und die Verpflichtung zur Abgabe der Hunde an eine Person oder ein Tierheim, die eine Erlaubnis zum Halten eines gefährlichen Hundes besitzen, auferlegt worden ist, abgelehnt1. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung habe Vorrang vor dem privaten Interesse, vorerst von der Vollziehung verschont zu bleiben, weil sich der Bescheid voraussichtlich als rechtmäßig erweisen werde. Bei der im Eilverfahren gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung spreche Überwiegendes dafür, dass die weitere Haltung der beiden Hunde durch die Antragstellerin unzulässig sei, weil diese gefährliche Hunde im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV seien und die Antragstellerin deshalb für die weitere Haltung nach § 10 Abs. 1 HundehV einer Erlaubnis bedürfe, die sie bislang weder beantragt noch erhalten habe. Als gefährlich seien u.a. Hunde einzustufen, die als bissig gälten, weil sie einen Menschen oder ein Tier durch Biss geschädigt hätten, ohne selbst angegriffen oder dazu durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden zu sein. Dies zu Grunde gelegt seien die Hunde der Antragstellerin gefährlich im Sinne der Hundehalterverordnung. Bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände spreche nach derzeitiger Erkenntnislage Überwiegendes dafür, dass die Hunde der Antragstellerin am 16. Januar 2018 unprovoziert Schafe gebissen und dadurch erheblich verletzt hätten.
Was sagt das Oberverwaltungsgericht Berlin Brandenburg?
Der Vorwurf der Beschwerde, das Verwaltungsgericht stütze seine Feststellungen lediglich auf Vermutungen und übersehe, dass es für den Vorfall keine Zeugen gebe, verfängt nicht. Die Beschwerde verkennt nach Auffassung des Oberverwaltungsgericht Berlin Brandenburg, dass sich aus der Eilbedürftigkeit des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens Einschränkungen sowohl für die Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung nach § 86 VwGO als auch für die gerichtliche Überzeugungsbildung ergeben und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf Grund der von den Beteiligten vorgelegten oder sonst in angemessener Zeit verfügbaren (präsenten) Beweismittel ergeht. Ausgehend von diesem Maßstab wird die angefochtene Entscheidung nicht schon dadurch in Frage gestellt, dass es keinen unmittelbaren Zeugen gibt, der beobachtet hat, wie die Hunde der Antragstellerin die Schafe gebissen haben. Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hat ausgeführt, dass bei dem anlassgebenden Vorfall die Hunde der Antragstellerin in einem Schafgehege dabei angetroffen worden seien, als sie die darin befindlichen, verängstigten Schafe anbellten, die sich in ihrer Schutzhütte in einen Ecke gedrängt hätten. Unbestritten sei auch, dass der Halter bei seinem Eintreffen festgestellt habe, dass seine Schafe offene, noch nicht verschorfte Bisswunden aufwiesen. Diese von dem Verwaltungsgericht herangezogenen Tatsachen beruhen auf den Bekundungen des Halters der Schafe, der insoweit Zeuge des Geschehens war, und tragen den nahe liegenden Schluss des Verwaltungsgerichts, dass die Bisswunden von den Hunden der Antragstellerin verursacht worden sind. Hierfür spricht auch, dass ausweislich des Polizeiprotokolls nach dem Bissvorfall ein Gespräch zwischen der Antragstellerin, dem Halter der Schafe und den herbeigerufenen Polizeibeamten stattgefunden hat, als dessen Ergebnis festgehalten worden ist, dass sich die beiden von dem Grundstück der Antragstellerin verschwundenen Hunde in das Schafgehege begeben und zwei Schafe verletzt hätten.
Dem tritt die Beschwerde nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin Brandenburg nicht mit Erfolg entgegen. Soweit sie moniert, dass nicht nachvollzogen werden könne, warum den Angaben des Halters der Schafe mehr Glauben geschenkt werde als denen der Antragstellerin, liegt das daran, dass die Antragstellerin den Vorfall nicht beobachtet und sie es gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten selbst nicht ausgeschlossen hat, dass ihre Hunde den Schafen die Bissverletzungen beigebracht haben. Abgesehen davon gelingt es der Beschwerde mit ihrem Vorbringen nicht, den vom Verwaltungsgericht festgestellten Geschehensablauf in Frage zu stellen. Die Rüge, dass zu keinem Zeitpunkt festgestellt worden sei, dass sich die Hunde der Antragstellerin in das Schafgehege begeben hätten, wird durch die schriftliche Bekundung des Halters der Schafe wiederlegt, wonach sich zwei Hunde auf der Schafweide bzw. Koppel befunden hätten. Der Einwand, es sei bisher unberücksichtigt geblieben, dass die Hunde der Antragstellerin an den Hunden des geschädigten Halters vorbeigelangt seien und diese nicht angeschlagen hätten, es zudem völlig lebensfremd sei, dass die Hunde das Geflügel des geschädigten Halters unbehelligt gelassen hätten und es danach sogar nicht ausgeschlossen werden könne, dass tatsächlich ein Wolf die Schafe angegriffen habe und die Hunde der Antragstellerin diese dann vertrieben hätten, ist spekulativ und nicht geeignet, den von dem Halter der Schafe bekundeten Geschehensablauf im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Verletzung der Schafe zu erschüttern. Gleiches gilt für den Vorwurf, der geschädigte Halter der Schafe suche nur einen Sündenbock, der für den Schaden aufkomme, weil für den Fall, dass ein Wolf die Schafe angefallen hätte, die Versicherung nicht leisten würde. Der Hinweis, dass die Hunde der Antragstellerin nicht „blutverschmiert“ gewesen seien, setzt sich nicht mit den Darlegungen des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach es weder ohne weiteres als zwingend erscheine, dass das Herausreißen von Fellstücken aus der Haut der Schafe (angesichts einer möglicherweise erst danach einsetzenden Blutung) notwendig Blutspuren an den Hunden hätte hinterlassen müssen, noch Belege dafür gebe, dass die Hunde unmittelbar nach dem Angriff keinerlei Blutspuren aufgewiesen hätten.
Für die Verwirklichung des Merkmals des § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV „…einen Menschen oder ein Tier durch Biss geschädigt (…), ohne selbst angegriffen oder dazu durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden zu sein…“ und die daran anknüpfende unwiderlegliche Vermutung der Gefährlichkeit des Hundes spielt es entgegen der Annahme der Beschwerde keine Rolle, dass die Hunde der Antragstellerin bis zu dem Bissvorfall zu keinem Zeitpunkt auffällig geworden seien, der behandelnde Tierarzt den Hunden kein aggressives Verhalten bescheinigt habe und die Hunde auf einem eingefriedeten Besitztum gehalten würden. Das gilt auch für den Einwand, dass der Akita Inuk kein so genannter „Listenhund“ sei, und die Antragsgegnerin keine Beweise für ein vorhandenes Aggressionspotential der Hunde der Antragstellerin vorlege. Vorliegend beruht die normative Gefahrenprognose -im Gegensatz zu den in § 8 Abs. 2 und 3 HundehV genannten Hunderassen, die auf Grund ihrer rassespezifischen Merkmale oder Zucht als gefährlich gelten – auf dem festgestellten Bissvorfall und wird die (konkrete) Gefährlichkeit von als bissig geltenden Hunden nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV unwiderleglich vermutet2.
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.12.2018 – OVG 5 S 19.18
ECLI:DE:OVGBEBB:2018:1204.OVG5S19.18.0