Beschränkte Erbschaftsteuerpflicht

Die Regelung des § 16 Abs. 2 ErbStG, die bei beschränkter Erbschaftsteuerpflicht (Wohnsitz von Erblasser und Erbe im Ausland) einen geringeren Freibetrag als bei unbeschränkter Steuerpflicht (Wohnsitz im Inland) vorsieht, verstößt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs zwar nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, allerdings hat es der BFH im entschiedenen Fall ausdrücklich offen gelassen, ob der Anwendung des § 16 Abs. 2 ErbStG der Vorrang europäischen Rechts entgegensteht, ob also diese Vorschrift des deutschen Erbschaftsteuerrechts vielleicht gegen EU-Recht verstößt ist.

Nach der Rechtsprechung des EuGH sind auch die nationalen Regelungen über die Erbschaftsteuer einer Prüfung auf ihre Vereinbarkeit mit den durch den EGVtr gewährleisteten Grundfreiheiten, insbesondere der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EGVtr, zugänglich (EuGH-Urteil vom 11. Dezember 2003 C-364/01, Slg. 2003, I-15013 RandNr. 58, 62 – Erben von Barbier; vgl. auch Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 10. März 2005 II B 120/04, BFHE 208, 451, BStBl II 2005, 370, unter II.c aa), da Erbschaften unter den gemeinschaftsrechtlichen Begriff des Kapitalverkehrs fallen.

In seiner bisherigen –vor allem anhand von Fallgestaltungen aus dem Ertragsteuerrecht entwickelten– Rechtsprechung zum Recht der direkten Steuern differenziert der EuGH hinsichtlich des Vorliegens einer in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fallenden Diskriminierung durch Normen, die für beschränkt Steuerpflichtige gelten, zwischen Regelungen zum Steuerobjekt einerseits und Regelungen zur Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse andererseits. So sind bei nationalen Vorschriften, die die Ermittlung der objektiven Bemessungsgrundlage einer direkten Steuer zum Gegenstand haben, Differenzierungen nach dem Wohnsitz oder Kapitalanlageort grundsätzlich nicht zulässig (zur Einkommensteuer EuGH-Urteil vom 12. Juni 2003 C-234/01, Slg. 2003, I-5933 RandNr. 27-29 – Gerritse; zur Vermögensteuer EuGH-Urteil vom 13. April 2000 C-251/98, Slg. 2000, I-2787 – Baars; zur Erbschaftsteuer EuGH-Urteil in Slg. 2003, I-15013 RandNr. 68 – Erben von Barbier). Gleiches gilt für Vorschriften über die Höhe der Steuersätze (EuGH-Urteile vom 27. Juni 1996 C-107/94, Slg. 1996, I-3089 – Asscher, und in Slg. 2003, I-5933 RandNr. 52-54 – Gerritse).

Dient eine nationale steuergesetzliche Regelung hingegen der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse, erkennt der EuGH an, dass sich Gebietsansässige und Gebietsfremde insoweit grundsätzlich nicht in einer vergleichbaren Situation befinden (grundlegend EuGH-Urteil vom 14. Februar 1995 C-279/93, Slg. 1995, I-225 RandNr. 30-35 – Schumacker). Im Allgemeinen verfügt nur der Wohnsitzstaat über alle erforderlichen Informationen für die Beurteilung der Gesamtsteuerkraft unter Berücksichtigung der persönlichen Lage. Damit scheidet in derartigen Fällen mangels Vergleichbarkeit der Situationen von Gebietsansässigen und Gebietsfremden bereits die Annahme einer in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fallenden Diskriminierung aus, ohne dass es noch einer Prüfung etwaiger Rechtfertigungsgründe bedürfte.

Dies gilt jedoch nicht, wenn nahezu die gesamten Einkünfte bzw. Vermögenswerte dem Staat der beschränkten Steuerpflicht zugeordnet sind und der Wohnsitzstaat die persönlichen Verhältnisse daher nicht angemessen berücksichtigen kann (EuGH-Urteile in Slg. 1995, I-225 RandNr. 36-38 – Schumacker; vom 11. August 1995 C-80/94, Slg. 1995, I-2493 RandNr. 18-22 – Wielockx, und vom 12. Dezember 2002 C-385/00, Slg. 2002, I-11819 RandNr. 89 – de Groot). Zwischen der Situation eines solchen Gebietsfremden und der eines Gebietsansässigen besteht kein objektiver Unterschied; die persönliche Lage eines solchen Steuerpflichtigen würde weder im Wohnsitzstaat noch im Tätigkeits- bzw. Belegenheitsstaat berücksichtigt. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der EuGH eine einkommensteuerrechtliche Regelung gebilligt, die die Gewährung personenbezogener Steuervergünstigungen an beschränkt Steuerpflichtige davon abhängig macht, dass diese mindestens 90 % ihres Welteinkommens im Tätigkeitsstaat erzielen oder ihre außerhalb des Tätigkeitsstaats erzielten Einkünfte einen absoluten Betrag in Höhe des Grundfreibetrags nicht übersteigen (EuGH-Urteil vom 14. September 1999 C-391/97, Slg. 1999, I-5451 RandNr. 32 – Gschwind). Gleiches gilt für die persönlichen Freibeträge bei der Vermögensteuer (EuGH-Urteil vom 5. Juli 2005 C-376/03, Deutsches Steuerrecht –DStR– 2005, 1219 RandNr. 30 – D.).

b) Es spricht vieles dafür, dass diese Grundsätze auch auf solche erbschaftsteuerrechtlichen Regelungen übertragbar sind, die –wie § 16 ErbStG (vgl. oben 2.a)– nicht der Ermittlung des Steuerobjekts, sondern der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse dienen (so die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur; vgl. Dautzenberg, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht –EWS– 1998, 86, 91; Tumpel, Steuern und Wirtschaft International –SWI– 2000, 27, 33; Schaumburg, Recht der internationalen Wirtschaft –RIW– 2001, 161, 166; Busch, Internationales Steuerrecht –IStR– 2002, 448, 451; Wachter, DStR 2004, 540, 542; Schnitger, Finanz-Rundschau –FR– 2004, 185, 193; Jochum, Zeitschrift für die Steuer- und Erbschaftspraxis –ZErb– 2004, 253, 259; Hahn, Deutsche Steuer-Zeitung –DStZ– 2005, 469, 472 Fn. 224; Kaass, Europäische Grundfreiheiten und deutsche Erbschaftsteuer, 2000, S. 133 ff.; Troll/ Gebel/Jülicher, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, Einf. Rn. 52, § 16 Rn. 21, Stand März 2005; unentschieden hingegen Höninger, Die Information über Steuer und Wirtschaft –Inf– 2004, 335, 339; Wachter, IStR 2004, 361, 365; a.A. Müller-Etienne, Die Europarechtswidrigkeit des Erbschaftsteuerrechts, 2003, S. 180 ff.).

Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. September 2005 – II R 56/03

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