Es ist immer wieder spannend, worüber man sich im Zollrecht und hinsichtlich der Einfuhrabgaben streiten kann. Manchmal mag es absurd oder seltsam klingen, aber für Unternehmen ist dies wirtschaftlich (vorsichtig ausgedrückt) relevant – wenn es bei einer Nachforderung nicht sogar existenzbedrohend ist.
In dem nun vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall führte die Klägerin insgesamt 3 520 Kartons einer Ware aus China ein, die sie mit zwei Einzelzollanmeldungen als „Vorrichtungen zum Tragen am Körper, zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen, anderweit weder genannt noch inbegriffen; hier: Kniegelenkbandagen“ der Unterpos. 9021 90 90 00 1 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zur Überführung in den freien Verkehr anmeldete. Für die Einfuhren wurde zunächst nicht abschließend lediglich Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt. Aufgrund eines Einreihungsgutachtens des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung reihte das beklagte Hauptzollamt die Waren in die Unterpos. 6307 90 10 00 0 KN ein und setzte die Einfuhrabgaben abschließend fest, wobei zusätzlich Zoll in Höhe von 16.344,41 EUR nacherhoben wurde.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht Hamburg urteilte, die objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware sprächen für die vom Hauptzollamt angenommene Einreihung1. Welche Anforderungen an Kniebandagen des Kap. 90 bzw. der Pos. 9021 KN zu stellen seien, ergebe sich zum einen aus der ausweisenden Anm. 1 Buchst. b zu Kap. 90 KN und zum anderen aus der Erläuterung zum Harmonisierten System (ErlHS) zur Pos. 9021 Rz 1. Nach der Anm. 1 Buchst. b zu Kap. 90 KN gehörten in dieses Kapitel nicht Stützgürtel oder andere Stützvorrichtungen aus Spinnstoffen, deren Wirkung auf den Körperteil, der gestützt oder gehalten werden solle, sich ausschließlich aus ihrer Elastizität herleite. Ausdrücklich erwähnt seien in dieser Anmerkung Gelenkbandagen. Die ErlHS zur Pos. 9021 Rz 1 verweise auf die Anm. 6 zu Kap. 90 KN, wonach zur Pos. 9021 KN Apparate und Vorrichtungen zum Verhüten oder Korrigieren körperlicher Fehlbildungen oder zum Stützen oder Halten von Körperteilen oder Organen nach einer Krankheit, Operation oder Verletzung gehörten. Weiter listeten die ErlHS zur Pos. 9021 zahlreiche Beispiele für orthopädische Apparate und Vorrichtungen auf. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe diese Kriterien in seiner Rechtsprechung ausgelegt und präzisiert2.
Ausgehend von diesen Grundsätzen komme eine Einreihung in die Pos. 9021 KN nicht in Betracht. Insbesondere könne die Bandage nicht mit Hilfe besonderer Mechanismen, die die Ware hierfür vorsehe, an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden, um sie von gewöhnlichen Waren zu unterscheiden. Die beiden überwiegend nicht elastischen Klettverschlussbänder und die drei elastischen Klettverschlussbänder dienten der Fixierung und Stabilisierung der Bandage. Daneben hätten die Klettverschlüsse nicht nur Bedeutung für die Anpassung des Kompressionsgrades, sondern auch für den Komfort, und ermöglichten den Einsatz unabhängig von der Beindicke. In den Klettverschlüssen könne jedoch kein besonderer Mechanismus gesehen werden, der eine Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden eines Patienten ermögliche3. Es sehe sich in seiner Auffassung auch durch die Verordnung (EG) Nr. 834/95 der Kommission vom 12.04.1995 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur4 i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1966/2003 der Kommission vom 07.11.2003 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 834/95 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur5 und die nationalen Entscheidungen und Hinweise zu den Pos. 6307 bzw. 9021 KN bestätigt. Den Urteilen des Hessischen Finanzgerichts vom 18.09.20036 und des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 10.09.20097 habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Sofern das Finanzgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 09.02.20098 eine Sprunggelenkbandage in die Pos. 9021 KN eingereiht habe, sei dem nicht zu folgen, weil Klettverschlüsse nicht als besonderer Mechanismus im hier maßgeblichen Sinne angesehen werden könnten.
Gegen diese Entscheidung hat sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde an den Bundesfinanzhof gewandt wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob das Einordnungskriterium „besonderer Mechanismus“ nur auf solche Mechanismen beschränkt sei, die ausschließlich der Anpassung einer Bandage an die Funktionsschäden des Patienten dienten. Insofern sei das Finanzgericht Hamburg von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen. Darüber hinaus habe das Finanzgericht Hamburg seiner Entscheidung eine vom Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 10.09.20099 und des Fínanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 09.02.200910 abweichende Rechtsauffassung zugrunde gelegt. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Hamburg habe das Niedersächsische Finanzgericht den vom EuGH geforderten besonderen Mechanismus bejaht, obwohl sowohl das Material als auch die Zuggurte zusätzliche Aufgaben, nämlich die Fixierung der Bandage am jeweiligen Körperteil, gehabt hätten. Entsprechendes gelte auch für die Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz.
Der Bundesfinanzhof hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen, da weder die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) sei noch eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO vorliege.
Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist11. Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind.
An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist12. Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt. In seinem Urteil Lohmann und Medi Bayreuth hat der EuGH ausgeführt, dass zur Pos. 9021 KN Waren wie Handgelenkbandagen, Rückenstützgurte, Ellbogenspangen und Kniebandagen gehören, wenn diese Waren Kennzeichen aufweisen, die sie von gewöhnlichen und allgemein gebräuchlichen Gürteln und Bandagen unterscheiden, insbesondere aufgrund der verwendeten Materialien, ihrer Funktionsweise oder ihrer Eignung zur Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden der Patienten, wobei die Anpassung im Stadium der Herstellung der Ware oder auch, bei vorgefertigten Waren, später, insbesondere bei ihrem Einsatz mit Hilfe besonderer Mechanismen, die die Ware hierfür vorsieht, durch einen Arzt oder den Patienten selbst erfolgen kann. Entscheidend ist demnach, dass die zu tarifierenden Bandagen besondere Merkmale aufweisen, die sie mit hinreichender Prägnanz von herkömmlichen Bandagen unterscheiden.
Dagegen lässt sich der Entscheidung des EuGH nicht entnehmen, dass ein „besonderer Mechanismus“ nur dann vorliegt, wenn er ausschließlich der Anpassung einer Bandage an die Funktionsschäden des Patienten dient und nicht zugleich auch andere Funktionen erfüllt. Dies ergibt sich daraus, dass die Anpassung an Funktionsschäden auch (erst) beim Einsatz der Ware mit Hilfe besonderer Mechanismen erfolgen kann. Infolgedessen ist nicht ausgeschlossen, dass der besondere Mechanismus auch anderen Zwecken wie z.B. der Befestigung am Körper dient. Die Entscheidung des EuGH ist für die nationalen Gerichte bindend, weshalb es einer erneuten Klärung dieser Rechtsfragen in einem Revisionsverfahren nicht bedarf.
Die ordnungsgemäße Erhebung einer Divergenzrüge setzt voraus, dass der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des Finanzgerichts einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeitet und gegenüberstellt, um so eine Abweichung zu verdeutlichen13.
Das Finanzgericht Hamburg in seinem Urteil keinen von der EuGH-Entscheidung Lohmann und Medi Bayreuth abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Vielmehr hat es die vom EuGH entwickelten Einreihungskriterien auf den Seiten 10 und 11 seiner Entscheidung zusammengefasst und sich damit die Rechtsansicht des EuGH zu eigen gemacht. In diesem Zusammenhang hat das Finanzgericht Hamburg nicht festgestellt, dass ein besonderer Mechanismus, der eine Anpassung des Produkts an die spezifischen Funktionsschäden des Patienten ermöglicht, nur dann vorliegt, wenn mit diesem Mechanismus nicht auch andere Zwecke erfüllt werden.
Vielmehr hat das Finanzgericht ausgehend von den Grundsätzen der genannten EuGH-Entscheidung die festgestellten Merkmale der Kniegelenkbandage beurteilt und ist zu der tatrichterlichen Überzeugung gelangt, dass ein besonderer Mechanismus im oben genannten Sinne nicht vorliege, weil die Klettverschlüsse überwiegend anderen Zwecken als der Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden des Patienten dienten, nämlich der Fixierung und Stabilisierung der Bandage. Darüber hinaus ermöglichten die Klettverschlüsse, den Druck, den die Bandage auf das Gelenk ausübe, zu justieren. Ferner machten diese die Bandage für Beine unterschiedlicher Dicke geeignet und erleichterten das Anlegen. Diese Eigenschaften hat das Finanzgericht Hamburg gewürdigt und im Ergebnis nicht als ausreichend angesehen, um das Vorliegen eines besonderen Mechanismus im Sinne der oben genannten EuGH-Rechtsprechung zu bejahen.
An diese tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts Hambugr wäre der Bundesfinanzhof in einem Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Sofern die Beschwerde dahin verstanden werden könnte, dass sie sich gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung richtet, könnte eine derartige Einwendung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg führen. Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall – so sie denn vorliegen – rechtfertigen für sich genommen nicht die Zulassung der Revision14, und zwar auch dann nicht, wenn sich die vom Finanzgericht Hamburg vermeintlich falsch beantwortete Rechtsfrage in einer größeren Anzahl vergleichbarer Fälle ebenfalls stellen kann. Denn Rechtsanwendung ist Subsumtion des Sachverhalts unter die Rechtsnorm, die dem Tatrichter übertragene Würdigung der von ihm festgestellten Umstände des Einzelfalls (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO15).
Eine Ausnahme hiervon kommt nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nur dann in Betracht, wenn das angefochtene Urteil derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des Finanzgerichts „objektiv willkürlich“ erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist. Das ist im Streitfall nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht erkennbar und wird von der Klägerin nicht behauptet. Eine darüber hinausgehende Ausweitung der Zulassungsgründe ist der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht zu entnehmen16.
Das Finanzgericht Hamburg ist in seinem Urteil auch nicht von Entscheidungen anderer Finanzgerichte abgewichen.
Das Niedersächsische Finanzgericht hat in seinem Urteil vom 10.09.2009 17 einen besonderen Mechanismus, der eine Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden des Patienten ermöglicht, nicht, wovon die Klägerin auszugehen scheint, allein in dem komprimierenden Material bzw. in dessen Elastizität gesehen. Vielmehr hat es festgestellt, dass sich die Wirkung der dort zu beurteilenden Kniegelenkbandage nicht ausschließlich aus ihrer Elastizität herleite, sondern die Kompression durch eine kniescheibenumgreifende Silikonpelotte verstärkt werde. Soweit das Niedersächsische Finanzgericht in der genannten Entscheidung eine Einreihung in die Pos. 9021 KN bejaht, handelt es sich dabei um eine – nicht zuletzt den unterschiedlichen Beschaffenheitsmerkmalen der Waren geschuldete – abweichende Beweiswürdigung, die nicht zur behaupteten Divergenz führt.
Aus demselben Grund liegt auch keine Divergenz zum Urteil des Finanzgericht Rheinland-Pfalz vom 09.02.200918 vor, in dem die unelastischen Teile einer Sprunggelenkbandage und nicht ausschließlich die Elastizität der Ware als für deren Stützwirkung maßgeblich angesehen worden sind.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 03.09.2015 – VII B 186/14
- FG Hamburg, Urteil vom 13.11.2014 – 4 K 97/14 [↩]
- EuGH, Urteil vom 07.11.2002 – C-260/00 bis C-263/00, Lohmann und Medi Bayreuth [↩]
- BFH, Beschluss vom 03.08.2010 – VII B 71/10 [↩]
- Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 84/1 [↩]
- Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 290/35 [↩]
- Hessisches FG, Urteil vom 18.09.2013 – 7 K 4003/02 [↩]
- Niedersächsischen Finanzgerichts vom 10.09.2009 – 16 K 180/07 [↩]
- FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.02.2009 – 6 K 1699/07 Z [↩]
- Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 10.09.200916 – K 180/07 [↩]
- FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.02.2009- 6 K 1699/07 Z [↩]
- BFH, Beschlüsse vom 21.04.1999 – I B 99/98; vom 16.07.1999 – IX B 81/99; vom 08.07.2014 – VII B 129/13 [↩]
- BFH, Beschluss vom 21.02.2014 – X B 142/13 [↩]
- BFH, Beschluss vom 12.07.2002 – II B 33/01 [↩]
- BFH, Beschluss vom 04.08.2010 – X B 198/09 [↩]
- BFH, Beschluss vom 13.05.2013 – VII B 146/12 [↩]
- BFH, Beschluss vom 14.12.2011 – X B 85/11 [↩]
- Niedersächsisches FG, Urteil vom 10.09.2009 – 16 K 180/07; BFH, Beschluss vom 11.02.2010 – VII B 234/09 [↩]
- FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.02.2009 – 6 K 1699/07 Z [↩]