Kann man die Kosten eines Zivilprozesses im Rahmen der Einkommensteuer als aussergewöhnliche Belastung geltend machen?
Hier muss man nachfragen, worum es geht. Dementsprechend gibt es zu diesem Thema eine Vielzahl von Entscheidungen. Wir hatten unter anderem hier und hier über Entscheidungen berichtet.
Nun hat der Bundesfinanzhof über die Frage entschieden, ob die Kosten eines Prozesses wegen Baumängeln als aussergewohnliche Belastungen abgesetzt werden können.
Der Bundesfinanzhof hat gegen den Kläger entschieden und damit eine Entscheidung des Niedersächsischen Finangerichts1 aufgehoben.
In dem entschiedenen Fall erzielte der Kläger Einkünfte aus selbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb.
Es begann mit der Errichtung des Gebäudes „X-Str., W“. Es bestand die Absicht, das Gebäude ab Fertigstellung zu 33,18 % betrieblich und zu 66,82 % privat zu nutzen.
Noch im Jahr 2000 beantragte der Kläger wegen mutmaßlicher erheblicher Baumängel ein gerichtliches Beweissicherungsverfahren. Aufgrund der gutachterlich festgestellten Mängel entschloss sich der Kläger noch vor der Fertigstellung des Gebäudes im Jahre 2001 zum sofortigen vollständigen Abriss. In einem Nachtragsgutachten vom 20.07.2004 erachtete der gerichtlich bestellte Gutachter den Abriss als sachgerechte Maßnahme. Im Anschluss an den Abriss versuchte der Kläger vergeblich, den Architekten und das bauausführende Unternehmen sowie einzelne Handwerker in Haftung zu nehmen. Grund war u.a. die Insolvenz des Bauunternehmens im Jahre 2005.
Im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung begehrte der Kläger den Abzug der Baukosten, der Abrisskosten und der im Zusammenhang mit dem Abriss entstandenen Prozess-, Rechtsanwalts- und Beratungskosten in Höhe des betrieblichen Anteils als Betriebsausgaben und in Höhe des privaten Anteils als außergewöhnliche Belastungen.
Die Prozess-, Rechtsanwalts- und Beratungskosten betrugen in 2001 EUR 9.862,28. Diese machte der Kläger in Höhe von EUR 3.272,63 als Betriebsausgaben und in Höhe von EUR 6.590,65 als außergewöhnliche Belastung geltend.
Das beklagte Finanzamt folgte dem nicht. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage, der das Niedersächsische Finanzgericht im Hinblick auf die Berücksichtigung der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen stattgab. Im Übrigen wies es die Klage ab.
insoweit aufzuheben, als das FG der Klage stattgegeben hat.
Die Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts hat der Bundesfinanzhof insoweit aufgehoben, als es Prozesskosten in Höhe von 6.836,45 EUR als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt hat (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das Finanzgericht hat die Aufwendungen zu Unrecht als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG anerkannt.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind2.
Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit3. Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig angesehen, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war.
Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Allgemeinen bei einem Zivilprozess. Vielmehr sei es in der Regel der freien Entscheidung der (Vertrags-)Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess(kosten)risiko aussetzten. Als zwangsläufige en erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem üblichen Rahmen befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen.
Demgegenüber nahm der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 12.05.20114 die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Auffassung hat auch das Finanzgericht dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.
Der Bundesfinanzhof hält an seiner in dem Urteil vom 12.05.20115 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18.06.20156 entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner bisher vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück.
Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, so der Bundesfinanzhof, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.
Das Niedersächsische Finanzgericht ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.
Prozesskosten, die im Zusammenhang mit Baumängeln entstehen, können nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden7. Im Streitfall sind Umstände, die es rechtfertigen könnten, abweichend von diesem Grundsatz zu entscheiden, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ein Abzug der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen scheidet daher aus.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.03.2016 – VI R 80/14
- Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 29.10.2014 – 9 K 245/11 [↩]
- BFH, Urteile vom 29.09.1989 – III R 129/86; vom 26.06.2014 – VI R 51/13 [↩]
- BFH, Urteile vom 22.08.1958 – VI 148/57 U; vom 18.07.1986 – III R 178/80; vom 09.05.1996 – III R 224/94; vom 04.12.2001 – III R 31/00; vom 18.03.2004 – III R 24/03; vom 27.08.2008 – III R 50/06 [↩]
- BFH, Urteil vom 12.06.2011 – VI R 42/10 [↩]
- BFH, Urteil vom 12.05.2011 – VI R 42/10 [↩]
- BFH, Urteil vom 18.06.2015 – VI R 17/14 [↩]
- BFH, Urteile vom 09.08.2001 – III R 6/01; vom 20.01.2016 – VI R 19/14 [↩]