Fristlose Kündigung: Die Bezeichnung als „Fotze“ für Mitarbeiterin einer Mitmieterin ist dann doch zu viel

Kündigungen von Wohnraummietverhältnisses sind schwierig – erst recht fristlose.

Eine Möglichkeit bietet sich über § 596 Abs. 2 BGB:

Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt ferner vor, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Auf diese Vorschrift werden Kündigungen gerne schon einmal gestützt, gehen aber häufig nicht durch.

Anders aber in einem Fall, den das Amtsgericht Neuruppin zu entscheiden hatte:

Der beklagte Mieter bewohnte eine Wohnung im Haus der Kläger. Mitmieter war eine Jugendhilfeeinrichtung. Deren Mitarbeiterin war Frau F., die sich in dieser Funktion regelmäßig im Haus aufhält. An einem Tag betitelte der Beklagte Frau F. als „Fotze“, als diese ihn aufforderte, den Urin zu beseitigen, den seine Hunde im Hausflur hinterlassen hatten. U.a. wegen dieses Vorfalls sprachen die Kläger gegenüber dem Beklagten die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aus.

Hiergegen wehrte sich der Mieter.

Das Amtsgericht Neuruppin kam jedoch zu der Auffassung, dass den Klägern gegenüber dem Beklagten ein Räumungsanspruch aus § 546 Abs. 1 BGB zusteht, nachdem das Mietverhältnis der Parteien durch die ausgebrachten Kündigungen seine Beendigung gefunden hat.

Die Kündigung war berechtigt, so das Amtsgericht Neuruppin, da der Beklagte den Hausfrieden derart nachhaltig gestört hat, dass unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände sowie unter Abwägung der beiderseitigen Interessen, den Klägern die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zumutbar war, §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB. Unstreitig hat der Beklagte die Frau F. als „Fotze“ betitelt, als beide im Treppenhaus des Mietobjekts zusammentrafen. Solche schweren Beleidigungen stellen Straftaten und eine nachhaltige Störung des Hausfriedens dar, auch wenn sie nicht gegenüber dem Vermieter, sondern anderen Hausbewohnern ausgebracht werden. Als Mitarbeiterin der Mieterin hält sich die Frau F. regelmäßig im Haus auf und ist damit Teil der Hausgemeinschaft und unterliegt ebenfalls dem Schutzbereich des zu wahrenden Hausfriedens. Derart schwerwiegende Beleidigungen können auch schon bei einmaliger Begehung eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Eine andere Bewertung kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Pflichtverletzung als weniger schwerwiegend darstellt, weil sie aus einer Provokation heraus oder im Zusammenhang mit einer bereits vorausgegangenen streitigen Atmosphäre erfolgt ist oder als momentane und vereinzelt gebliebene Unbesonnenheit zu bewerten ist. Bei wechselseitigen Beleidigungen kann eine Kündigung ausscheiden, ebenso wenn der Beleidigende durch sein Gegenüber durch einen abfälligen Gesprächston oder Unhöflichkeiten provoziert worden ist. Dabei ist auch das soziale Milieu bzw. die soziale Herkunft des Beleidigers zu berücksichtigen und ob der Betroffene die Beleidigung erst nimmt. Hier wendet der Beklagte lediglich ein, die Frau F. habe ihn barsch und unfreundlich sowie vorwurfsvoll aufgefordert, den Urin seiner Hundewelpen im Hausflur zu beseitigen, obwohl er schon in Begriff gewesen sei, dies zu tun. Dies allein rechtfertigt aber keine schwere Beleidigung mit Verbalinjurien der vorliegenden Art, so das Amtsgericht Neuruppin weiter. Ohne Weiteres hielt sich, so das Amtsgericht Neuruppin weiter, die beklagtenseits dargestellte Reaktion der Frau F. auch noch im Rahmen dessen, was situationsangemessen sozial üblich ist. Insbesondere hat der Beklagte nicht im Einzelnen dargetan, dass er seinerseits durch die Frau F. zuvor beleidigt worden ist oder dass diese ihn in sonst unangemessener herabwürdigender Weise angesprochen hätte. Es ist deshalb nicht ersichtlich – so das Amtsgericht Neuruppin -, dass sich der Beklagte in nachvollziehbarer Weise veranlasst gesehen haben könnte, die Frau F. in derart schwerer Weise zu beleidigen, zumal die von dem Beklagten als Mann ausgebrachte Äußerung offenbar auch darauf abzielte, die Frau F. in ihrer Eigenschaft als Frau herabzuwürdigen. Selbst bei einer unterstellten – hier ohne Weiteres nicht ersichtlichen – schlichten Persönlichkeit des Beklagten war die ausgebrachte Beleidigung deshalb aus Sicht der Frau F. auch ernstzunehmen. Zwar kann dem Beleidiger zu Gute kommen, wenn es sich lediglich um einen momentanen Kontrollverlust handelt. Selbst dies entschuldigt aber keinen derart schweren Angriff auf das Ehr- und Selbstwertgefühl eines Anderen, insbesondere wenn – wie hier – dem zugrundeliegenden Anlass, nämlich ein etwaig barsches, unfreundliches und vorwurfsvolles Auftreten der Frau F., lediglich das Gewicht einer Lappalie zukommt. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass beide im selben Haus wohnen bzw. arbeiten und sich dort immer wieder begegnen können. Dies setzt ein gewisses Vertrauensverhältnis als Mindestbasis für ihren Umgang voraus. Bei ohne adäquaten Anlass ausgebrachten schweren Beleidigungen, die geeignet sind, das Ehr- und Selbstwertgefühl des Anderen in besonderer Weise herabzusetzen, ist auch ein dafür erforderliches Mindestvertrauensverhältnis nicht mehr gegeben, so das Amtsgericht Neuruppin.

Zwar ist der hierauf gestützten Kündigung entgegen der Grundregel des § 543 Abs. 3 BGB keine Abmahnung vorausgegangen. Bei schwerwiegenden Beleidigungen kann aber bereits ein einmaliger Vorfall auch ohne Abmahnung zur Kündigung berechtigen, wenn bereits die einmalige Beleidigung in ihrer konkreten Form ein solches Gewicht hat, dass sie das erforderliche Vertrauen zerstört. Denn zerstörtes Vertrauen kann durch eine Abmahnung nicht wieder hergestellt werden. Dies ist auch hier der Fall, da – wie bereits vorstehend ausgeführt – die Art der Beleidigung zeigt, dass der Beklagte die Grundvoraussetzung für ein gedeihliches Miteinander nicht beachtet, nämlich den Respekt vor der Person und der Würde des Anderen, der auch bei Interessenskonflikten und verbalen Auseinandersetzungen zu wahren ist.

AG Neuruppin, Urteil vom 16.04.2019 – 43 C 61/18
ECLI:DE:AGNEURU:2019:0416.43C61.18.00