Gefährlicher Hund: Kein Mindestalter für die phänotypische Rassebestimmung

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte im Rahmen eines Eilverfahrens darüber zu entscheiden, ob die Anordnung des Sofortvollzugs einer Haltungsuntersagung gegenüber dem  Halter (Antragsteller) eines Hundes, der von der beklagten Behörde (Antragsgegnerin) als „gefährlicher Hund“, sog. „Listenhund“, eingestuft wurde, rechtens war.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Verwaltungsakt wiederherstellen, dessen sofortige Vollziehung die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO kann das Gericht zudem die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn der Verwaltungsakt – wie hier die Androhung von Zwangsmitteln in Ziffer 5 der angefochtenen Ordnungsverfügung – bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 112 JustG NRW). Die Entscheidung des Gerichts hängt von einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit mit dem privaten Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen Aufschub der Vollziehung ab. Für die Interessenabwägung fallen die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt bzw. angeordnet werden soll, wesentlich ins Gewicht. Sind die Erfolgsaussichten bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offen zu beurteilen, findet eine Abwägung der für und gegen die sofortige Vollziehung sprechenden Interessen statt.

Gemessen daran überwiegt in dem entschiedenen Fall nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf betreffend die verfügte Haltungsuntersagung, die im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung eine den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügende Begründung enthält, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, weil sich diese Maßnahme bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist und auch sonst ein Überwiegen des Suspensivinteresses des Antragstellers nicht erkennbar ist.

Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW soll das Halten eines gefährlichen Hundes u.a. dann untersagt werden, wenn die Erlaubnisvoraussetzungen nicht erfüllt sind oder eine erforderliche Erlaubnis versagt wurde. Gefährliche Hunde sind gemäß § 3 Abs. 1 LHundG NRW Hunde, deren Gefährlichkeit nach Absatz 2 vermutet wird oder nach Absatz 3 im Einzelfall festgestellt worden ist. (Abstrakt) Gefährliche Hunde sind nach § 3 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW Hunde der Rassen Pittbull Terrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier und Bullterrier und deren Kreuzungen untereinander sowie deren Kreuzungen mit anderen Hunden. Dabei sind Kreuzungen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW Hunde, bei denen der Phänotyp einer der dort genannten Rassen deutlich hervortritt.

So die allgemeinen rechtlichen Regelungen, nun der konkrete Fall:

Gemessen daran handelt es sich zunächst bei dem von dem Antragsteller gehaltenen Hund N.       aller Voraussicht nach um einen gefährlichen Hund im Sinne des § 3 Abs. 2 LHundG NRW, nämlich jedenfalls um die Kreuzung eines American Staffordshire Terriers mit einem anderen Hund.

Nachdem bereits anlässlich einer Vorsprache des Antragstellers bei der Antragsgegnerin durch Letztere festgestellt wurde, dass der Hund N. phänotypisch in Richtung eines Hundes nach § 3 LHundG NRW gehe, fand in der Folge aus Anlass einer überwachten Speichelprobenentnahme eine amtstierärztliche Rassebeurteilung statt. Danach seien aus fachlicher Sicht bei der vorgestellten Hündin N. überwiegend phänotypische Rassemerkmale eines American Staffordshire Terriers festzustellen. Lediglich die Ohren erschienen für einen Hund dieser Rasse für den aktuellen Entwicklungsstand noch etwas zu groß. Zu dieser Beurteilung gelangte die Amtsveterinärin auf der Grundlage u.a. folgender Feststellungen:

Größe: aktuell 42 cm,

Gewicht: aktuell 19,8 kg,

Fellfarbe: Blaugrau (blueline) mit weißen Abzeichen,

Kopf: Breiter Kopf mit deutlichem Stop und Stirnfurche,

deutlich ausgeprägte Wangenmuskulatur,

leicht verkürzter Fang,

hoch angesetzte dreieckige Kipp-Stehohren,

relativ groß,

weit auseinanderliegende mandelförmige helle Augen;

leichte Wamme.

Zudem hat die vom Antragsteller initiierte genetische Rasseeinstufung ergeben, dass ein Elternteil von N. ein reinrassiger Vertreter der Rasse American Staffordshire Terrier und der zweite Elternteil ein Mix aus den Rassen American Staffordshire Terrier und Englische Bulldogge ist. Auch wenn derartige genetische Rassezertifikate zur verlässlichen Bestimmung der Rasse nicht 100-prozentig geeignet sein sollten1 , so entfalten sie jedoch eine nicht außer Acht zu lassende Indizwirkung. Im vorliegenden Fall rechtfertigen die entsprechenden Feststellungen des Labors in Zusammenschau mit der erwähnten amtstierärztlichen Rassebeurteilung ohne Weiteres den Schluss, dass es sich bei dem Hund des Antragstellers um einen gefährlichen Hund im Sinne des § 3 Abs. 2 LHundG NRW handelt, so das Verwaltungsgericht Düsseldorf.

Denn die diesbezügliche amtstierärztliche Einschätzung erweist sich vor dem Hintergrund der erhobenen Parameter als plausibel und nachvollziehbar. Die insoweit vorgetragenen Einwendungen des Antragstellers rechtfertigen eine abweichende Einschätzung nicht. Soweit er geltend macht, die Amtstierärztin habe zu große Ohren sowie das Vorhandensein einer Wamme festgestellt, welche die Rasse American Staffordshire Terrier auch in jungem Alter nicht aufweise, handelt es sich um phänotypische Erscheinungen, die (lediglich) belegen, dass es sich bei dem Hund des Antragstellers nicht um einen reinrassigen American Staffordshire Terrier handelt. Das ergibt sich eindeutig aus der amtstierärztlichen Formulierung „lediglich die Ohren erscheinen für einen Hund dieser Rasse für den aktuellen Entwicklungsstand noch etwas zu groß“. Insoweit wurde offenbar die Feststellung getroffen, dass das Erscheinungsbild des Hundes des Antragstellers ganz wesentlich das eines American Staffordshire Terriers ist und es in phänotypischer Hinsicht nur geringe Abweichungen zu einem reinrassigen American Staffordshire Terrier gibt. Vor dem Hintergrund, dass für das Vorliegen einer Kreuzung im Sinne der Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW nicht (einmal) erforderlich ist, dass ein Elternteil ein reinrassiger Hund der in § 3 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW genannten Rassen ist, und daher nicht nur Mischlingshunde der F1-Generation, sondern auch grundsätzlich solche der nachfolgenden Generationen in den Regelungsbereich des § 3 Abs. 2 LHundG NRW einzubeziehen sind2, ist die hier getroffene phänotypische Feststellung eindeutig und ohne Weiteres geeignet, eine Kreuzung im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW zu belegen.

Auch mit seinem Vortrag, der Hund sei im Zeitpunkt der amtstierärztlichen Begutachtung noch zu jung für eine (endgültige) Rassefeststellung gewesen, konnte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Düsseldorf nicht durchdringen.

Insoweit ist zu konstatieren, dass gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW Kreuzungen nach Satz 1 Hunde sind, bei denen der Phänotyp einer der dort genannten Rassen deutlich hervortritt. Einen Zeitpunkt, zu dem diese Feststellung (nur) zu treffen ist, gibt das Gesetz nicht vor. Ein deutliches Hervortreten von Merkmalen eines gefährlichen Hundes im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW war vorliegend (bereits) im Zeitpunkt der amtstierärztlichen Begutachtung vom 14. November 2019 festzustellen. Vor dem Hintergrund des zwar nur als Indiz heranzuziehenden, jedoch vom Ergebnis sehr eindeutigen Gentests ist ferner nicht davon auszugehen, dass sich die phänotypische Entwicklung des Hundes in der Folgezeit so wesentlich verändert hat bzw. noch verändert, dass im Erwachsenenalter des Hundes des Antragstellers ein deutliches Hervortreten des Phänotyps eines American Staffordshire Terriers nicht zu erwarten ist. Jedenfalls ist eine Qualifizierung als gefährlicher Hund trotz des jungen Alters aufgrund der Zweifelsregelung in § 3 Abs. 2 Satz 3 LHundG NRW gerechtfertigt. Nachdem – wie bereits ausgeführt – zum Zeitpunkt der amtstierärztlichen Untersuchung die phänotypischen Merkmale eines American Staffordshire Terriers deutlich hervortraten, wäre es die Obliegenheit des Antragstellers gewesen nachzuweisen, dass es sich (dennoch) nicht um eine Kreuzung im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW handelt.

Handelt es sich bei dem Hund des Antragstellers aller Voraussicht nach um die Kreuzung eines American Staffordshire Terriers mit einem anderen Hund, mithin um einen gefährlichen Hund nach § 3 Abs. 2 LHundG NRW, liegen auch – sogar – zwei der weiteren, nur alternativ zu fordernden tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haltungsuntersagung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW vor. Insoweit soll das Halten eines gefährlichen Hundes unter anderem untersagt werden, wenn eine erforderliche Erlaubnis versagt wurde. Dies ist hier der Fall. In Ziffer 1 der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 4. Februar 2020 hat die Beklagte den vom Antragsteller am 25. Oktober 2019 gestellten Antrag zum Halten eines Hundes nach § 4 LHundG NRW abgelehnt. Diese ablehnende Entscheidung ist wirksam. Daran ändert auch die gegen die genannte Ordnungsverfügung erhobene Klage nichts, mit der – ohnehin nur vorsorglich und damit hilfsweise – begehrt wird, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Haltungserlaubnis zu erteilen.

Ungeachtet dessen und selbständig tragend liegt mit Blick auf § 12 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW daneben auch die tatbestandliche Voraussetzung des Nichterfüllens der Erlaubnisvoraussetzungen vor. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW wird die Erlaubnis zum Halten eines gefährlichen Hundes im Sinne des § 3 Abs. 2 LHundG NRW oder des § 3 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 LHundG NRW nur erteilt, wenn ein besonderes privates Interesse nachgewiesen wird oder ein öffentliches Interesse an der weiteren Haltung besteht. Ein besonderes privates Interesse des Antragstellers (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 LHundG NRW), ist weder nachgewiesen noch sind hierfür sonst Anhaltspunkte ersichtlich. Auch ein öffentliches Interesse an der weiteren Haltung des Hundes N. durch den Antragsteller besteht nicht.

Hintergrund des Erfordernisses eines besonderen privaten oder eines öffentlichen Interesses an der Haltung ist der Umstand, dass die Haltung eines gefährlichen Hundes ein gesteigertes Risiko für die Bevölkerung bedeutet. Dabei kann ein öffentliches Interesse an der weiteren Haltung beispielsweise aus Gründen des Tierschutzes gegeben sein, wenn ein Hund aus einem Tierheim oder einer vergleichbaren Einrichtung an eine Privatperson vermittelt werden soll.

Hintergrund dieser Erwägung war der Umstand, dass sich im Zeitpunkt der Erarbeitung des Landeshundegesetzes viele sogenannte Listenhunde nach der LandeshundeVO in Tierheimen aufhielten.

Der Gesetzgeber hatte mithin nicht die Konstellation im Blick, dass ein (illegal) gehaltener gefährlicher Hund vom bisherigen Halter weiter gehalten werden darf, um einen Aufenthalt im Tierheim künftig zu vermeiden.

Daneben ist zu berücksichtigen, dass der Begriff des öffentlichen Interesses – wie auch in anderen Rechtsgebieten – naturgemäß rein objektiv zu verstehen ist3.

Insoweit stellt sich ausschließlich die Frage, ob ein bestimmter Umstand geeignet ist, übergeordneten Interessen der Öffentlichkeit zu dienen. Subjektive Interessen einzelner Individuen – wie z.B. die zu einem Hund bereits aufgebaute Bindung des bisherigen Halters – können mithin für die Begründung eines öffentlichen Interesses nicht herangezogen werden.

Ob vor dem Hintergrund dieser Erwägungen ein öffentliches Interesse i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW auch im Falle einer ununterbrochenen weiteren Haltung eines – bisher ohne Erlaubnis gehaltenen – gefährlichen Hundes und der damit einhergehenden Vermeidung eines künftigen Tierheimaufenthaltes eines Hundes abgeleitet werden kann, soll – obwohl sich der Hund des Antragstellers im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Ordnungsverfügung (noch) nicht in einem Tierheim oder einer ähnlichen Einrichtung befand – offenbleiben. Allerdings geht das Verwaltungsgericht Düsseldorf davon aus, dass diese Frage4 bisher obergerichtlich nicht geklärt ist. Soweit in dem Beschluss des OVG NRW vom 21.10.2019 eine entsprechende Möglichkeit anklingt5, kann der Passage nicht die Wertung des Obergerichts entnommen werden, dass in diesen Fällen ein öffentliches Interesse zu bejahen ist. Denn das OVG NRW hat zum Beleg seiner Ansicht eine Entscheidung des seinerzeit ebenfalls erkennenden 5. Senats in Bezug genommen, die eine entsprechende Aussage gerade nicht enthält. In dem in Bezug genommenen Beschluss des OVG NRW vom 19.05.20106 werden Ausführungen nur zu dem dort zur Entscheidung stehenden Fall getroffen, in dem sich der Hund bei Erlass der angefochtenen Verfügung bereits seit einigen Wochen in einem Tierheim aufhielt. Auch der Verweis auf den Gesetzeswortlaut (öffentliches Interesse an der weiteren Haltung) vermag nicht zu begründen, dass eine ununterbrochene weitere Haltung eines bisher illegal gehaltenen gefährlichen Hundes – vorbehaltlich etwaiger Rechtsmissbrauchsgesichtspunkte – geeignet ist, ein öffentliches Interesse zu begründen. Denn von dem Begriff der weiteren Haltung ist auch die Haltung im Anschluss an einen (vorübergehenden) Tierheimaufenthalt abgedeckt. Dieses Begriffsverständnis hat der Gesetzgeber sogar (primär) zugrunde gelegt.

Jedenfalls scheidet die Annahme eines öffentlichen Interesses vorliegend aus anderen Gründen aus, so das Verwaltungsgericht Düsseldorf. Zum einen bedeutet der Umstand, dass die Vermeidung eines künftigen Tierheimaufenthalts ein öffentliches Interesse begründen kann, nicht automatisch die Annahme, dass in jedem Fall der weiteren Haltung eines bisher illegal gehaltenen gefährlichen Hundes ein öffentliches Interesse auch tatsächlich besteht. Insoweit ist das Vorliegen eines öffentlichen Interesses positiv festzustellen. Eine solche Feststellung erfordert die Gewissheit, dass allein die weitere Haltung durch den bisherigen Halter und Erlaubnisantragsteller geeignet ist, dem öffentlichen Interesse, namentlich Tierschutzgesichtspunkten, gerecht zu werden. Dies bedeutet im Umkehrschluss die Feststellung, dass keine anderen Möglichkeiten der tierschutzgerechten Unterbringung bzw. Haltung bestehen. Solche Möglichkeiten sind insbesondere in der Haltung durch andere (private) Personen zu sehen, die ihrerseits die Voraussetzungen für die Haltung eines gefährlichen Hundes erfüllen. In Betracht kommen aber auch längerfristige Unterbringungen in Einrichtungen, in denen den betreffenden Hunden ein tierschutzgerechtes Leben möglich ist.

Dies zugrunde gelegt, lässt sich ein öffentliches Interesse im Rahmen des hiesigen Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach Auffassung der Verwaltungsgerichts Düsseldorf nicht positiv feststellen. Insoweit fehlt es an Erkenntnissen, ob bzw. inwieweit dem öffentlichen Interesse an einer tierschutzgerechten Haltung des Hundes des Antragstellers auch durch andere Personen bzw. Stellen Rechnung getragen werden kann. Insoweit wäre im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zunächst näher zu betrachten, ob dem öffentlichen Interesse nicht bereits durch die derzeitige Unterbringung des Hundes des Antragstellers bei dem M. -Nothilfe e.V., die im Rahmen eines Pflegevertrages erfolgt ist, Genüge getan ist. Ferner wäre zu prüfen, ob der Hund des Antragstellers nach entsprechender Annoncierung relativ zügig weitervermittelt werden kann. Auch in einem solchen Fall der nur kurzfristigen Unterbringung in einem Tierheim oder einer tierheimähnlichen Einrichtung wäre ein öffentliches Interesse an der weiteren Haltung durch den Antragsteller zu verneinen7.

Vom Vorliegen eines öffentlichen Interesses kann – darüber hinaus und selbständig tragend – auch aus einem weiteren Grund nicht ausgegangen werden. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen soll ein öffentliches Interesse im Sinne des § 4 Abs. 2 LHundG NRW jedenfalls dann ausscheiden, wenn die Vorgaben dieser Norm bewusst umgangen werden. Gleiches gelte unter Rechtsmissbrauchsgesichtspunkten, wenn ein Betroffener einen gefährlichen Hund ohne die erforderliche Erlaubnis in Obhut nehme oder bzw. und behalte, obwohl er dessen Eigenschaft als gefährlich kenne oder kennen müsse8.

Hierbei seien wegen der von gefährlichen Hunden ausgehenden Gefahren grundsätzlich hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, wobei jeweils die Besonderheiten des zugrundeliegenden Falles zu beachten seien9.

Zu den Besonderheiten des Falles gehörten dabei die Art des Erwerbs (vom Züchter bzw. Besitzer eines Elterntieres oder vom Besitzer nur des verkauften Hundes) sowie die Umstände des Kaufes. Diesbezüglich hat das OVG NRW zuletzt insbesondere zwischen dem Erwerb vom Züchter und dem Erwerb von Personen differenziert, die nicht im Besitz eines Elterntieres waren. Soweit dem Beschluss vom 21.10.20199 zu entnehmen sein sollte, dass bezüglich des Erwerbs von letztgenannter Personengruppe geringere Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, ist dem nicht zu folgen. Um dem Gesetzeszweck, namentlich der Eindämmung von gesteigerten Risiken durch die Haltung gefährlicher Hunde, Rechnung zu tragen, sind in allen Einzelfällen gleich hohe Anforderungen an die Sorgfalt zu stellen. Wenn es sich bei dem Kauf eines Tieres vom Züchter bzw. von dem Besitzer des Muttertieres aufdrängen muss, sich nach diesem Muttertier oder nach Abstammungsnachweisen zu erkundigen9, können die Sorgfaltsanforderungen beim Kauf von Personen, die nicht im Besitz eines Elterntieres des Hundes sind, nicht geringer sein. Da insoweit noch nicht einmal die Möglichkeit besteht, Elterntiere in Augenschein zu nehmen, erscheint es umso gebotener, sich nach Herkunft und Abstammung des Hundes zu erkundigen und entsprechende Nachweise bzw. Informationen vom Verkäufer aktiv einzufordern. Anderenfalls hat der Käufer selbst keine annähernd zuverlässige Kenntnis über den gekauften Hund und ist nicht in der Lage, den Anforderungen des Landeshundegesetzes Rechnung zu tragen. Dies gilt auch und erst recht für den Kauf von Hundewelpen, bei denen aufgrund des Alters eine ‑ zumal zuverlässige – Feststellung der Rasse anhand phänotypischer Merkmale noch nicht möglich ist. Unterlässt der Käufer entsprechende Nachforschungen, kann er sich später nicht darauf berufen, nicht gewusst zu haben, dass er einen gefährlichen Hund erworben hat.

Dies zugrunde gelegt, scheidet – so das Verwaltungsgericht Düsseldorf weiter – die Annahme eines öffentlichen Interesses im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW (auch) deshalb aus, weil der Antragsteller sich wegen Verletzung bestehender Sorgfaltsanforderungen zurechnen lassen muss, bei dem Kauf des Hundes N. dessen Eigenschaft als gefährlich im Sinne des § 3 Abs. 2 LHundG NRW gekannt haben zu müssen, sowie – zusätzlich – auch deshalb, weil er den Hund behalten hat, nachdem er dessen Eigenschaft als gefährlich kannte oder kennen musste10.

Dies gilt ungeachtet dessen, ob der Antragsteller den Hund vom Besitzer eines der Elterntiere erworben hat. Insofern ist in tatsächlicher Hinsicht zum einen von einem Erwerb von privat die Rede, zum anderen ist ein Erwerb vom Hobbyzüchter zitiert. Fest steht, dass beim Kauf des Hundes keines der Elterntiere vor Ort gewesen ist und der Antragsteller auch nicht im Besitz von Fotos der Elterntiere ist. Auch kann der Antragsteller weder die Verkaufsanzeige noch einen Kaufvertrag vorlegen. Soweit der Antragsteller in einer E-Mail gegenüber der Antragsgegnerin sinngemäß geltend gemacht hat, der Kauf sei ohne Kaufvertrag erfolgt, da es sich um einen „Ausversehenwurf“ gehandelt habe, erschließt sich nicht, warum in einem solchen Fall eine schriftliche Fixierung der Kaufumstände unterbleibt. Auch in Anbetracht der offenbar über das Internetportal eBay Kleinanzeigen zustande gekommenen Kaufgelegenheit hätte es nahegelegen, weitere Erkundigungen über den Hund einzuziehen und entsprechende Nachweise (die Inaugenscheinnahme der Elterntiere bzw. zumindest die Vorlage entsprechender Fotos) zu fordern. Insoweit durfte sich der Antragsteller insbesondere nicht auf die Angaben des ihm bei Gelegenheit des Kaufes ausgehändigten Impfausweises verlassen. Denn bei diesem handelte es sich ausweislich der angebrachten Aufschrift um ein Duplikat und mithin nicht um ein Originaldokument. Ferner löste der Umstand, dass es sich um ein Duplikat handelte, weitere Nachforschungspflichten des Antragstellers aus, denen der Antragsteller nicht nachgekommen ist. Vor dem Hintergrund, dass bereits danach eindeutig von einer Verletzung der Sorgfaltspflichten auszugehen ist, ist nicht (mehr) von Relevanz, dass der im Duplikat des Impfausweises genannte Verkäufer, Herr D. , im Zeitpunkt des behaupteten Kaufes des Hundes nicht unter der im Impfausweis genannten Adresse, sondern woanders gemeldet war.

Darüber hinaus ist ein öffentliches Interesse auch deshalb zu verneinen, weil der Antragsteller den Hund N. behalten hat, nachdem er dessen Eigenschaft als gefährlich kennen musste. Insoweit stand nach der amtstierärztlichen Rassebeurteilung fest, dass der Hund überwiegende phänotypische Merkmale eines American Staffordshire Terrier aufwies. Dennoch hat der Antragsteller den Hund – selbst über den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Ordnungsverfügung hinaus – in Obhut behalten und ihn erst als Reaktion auf die Ordnungsverfügung bei dem M. -Nothilfe e.V. in Pflege gegeben.

Liegen danach die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haltungsuntersagung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW vor, bestehen ferner keine Bedenken gegen die ausgesprochene Rechtsfolge der Untersagung der Haltung, die das Gesetz als regelmäßige Folge vorsieht („soll“).

Auch die Rechtmäßigkeit der in Ziffer 3 der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 4. Februar 2020 verfügten Aufforderung zur Abgabe des Hundes unterliegt keinen beachtlichen Zweifeln. Insoweit kann gemäß § 12 Abs. 2 Satz 4 LHundG NRW im Falle der Untersagung angeordnet werden, dass der Hund der Halterin oder dem Halter entzogen wird und an eine geeignete Person oder Stelle abzugeben ist. Zwar enthält die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin nur die Aufforderung, den Hund an eine geeignete Person oder Stelle abzugeben. Jedoch ist eine solche separate Abgabeaufforderung auch ohne ausdrückliche Entziehungsanordnung rechtlich nicht zu beanstanden. Vor dem Hintergrund, dass derjenige, dem die Haltung seines Hundes untersagt wurde und der nicht über eine entsprechende Erlaubnis zum Halten des Tieres verfügt, mit dem Tier nicht mehr umgehen soll, ist die Entziehung auch ohne ausdrückliche Tenorierung in der Ordnungsverfügung von der ausgesprochenen Abgabeaufforderung mit umfasst, weil die Abgabe des Hundes denknotwendig dessen Entzug voraussetzt11.

Diese Einschätzung gilt vorliegend umso mehr, so das Verwaltungsgericht Düsseldorf, als in der Begründung der Ordnungsverfügung auf die Entziehung ausdrücklich Bezug genommen wird und lediglich von einem Versäumnis auszugehen ist, die entsprechende Passage in die Tenorierung mit aufzunehmen. Sofern in Ziffer 3 der angefochtenen Ordnungsverfügung weiter die Aufforderung enthalten ist, die Abgabe bis zum Ablauf der genannten Frist nachzuweisen, geht das Gericht davon aus, dass es sich lediglich um einen Hinweis auf die geltende Rechtslage (§ 8 Abs. 1 LHundG NRW) handelt. Im Übrigen wäre die Antragsgegnerin nach summarischer Prüfung trotz der gesetzlichen Normierung in § 8 Abs. 1 LHundG NRW berechtigt gewesen, eine entsprechende Aufforderung mit Verwaltungsaktqualität zu erlassen. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass die in § 8 LHundG NRW normierten Pflichten lediglich für gefährliche Hunde gelten und der Antragsteller nach seinem Vortrag der Ansicht ist, bei seinem Hund stehe keinesfalls fest, dass es sich um einen gefährlichen Hund im Sinne des § 3 LHundG NRW handele.

Erweisen sich die Regelungen in den Ziffern 2 und 3 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin voraussichtlich als rechtmäßig, sind Umstände, die dennoch ein Überwiegen des Suspensivinteresses des Antragstellers bewirken, nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach den obigen Ausführungen im Rahmen der Frage des zwischen den Beteiligten in Streit stehenden öffentlichen Interesses an der Haltung eines gefährlichen Hundes subjektive Interessen des Antragstellers, wie die zu dem Hund aufgebaute Bindung, nicht von rechtlicher Relevanz sind.

Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 04.05.2020 – 18 L 470/20
ECLI:DE:VGD:2020:0504.18L470.20.00

  1. OVG Münster, Beschluss vom 12.03.2019 – 5 A 1210/17 []
  2. OVG NRW, Beschluss vom 12.03.2019 – 5 A 1210/17 []
  3. VG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2014 – 18 L 1463/14; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.07.2016 – 19 K 2027/15 []
  4. offengelassen in OVG NRW, Beschluss vom 06.01.2011 – 5 E 888/10; ablehnend: VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.07.2016 – 19 K 2027/15 []
  5. OVG Münster, Beschluss vom 21.10.2019 – 5 B 761/19; OVG Münster, Beschluss vom 20.04.2020 ‑ 5 B 102/20 []
  6. OVG Münster, Beschluss vom 19.05.2010 – 5 B 159/10 []
  7. OVG Münster, Beschluss vom 19.05.2010 – 5 B 159/10, 5 E 127/20, wonach für die Bejahung eines öffentlichen Interesses ein fortbestehendes Vermittlungsinteresse des Tierheims, d.h. der längere erfolglose Versuch einer Weitervermittlung erforderlich ist []
  8. OVG Münster Beschlüsse vom 12.06.2014 – 5 B 446/14, 5 E 451/14; vom 06.01.2011 – 5 E 888/10 []
  9. OVG Münster, Beschluss vom 21.10.2019 – 5 B 761/19 [] [] []
  10. OVG Münster, Beschluss vom 06.01.2011 – 5 E 888/10 []
  11. OVG Münster, Beschluss vom 12.12.2017 – 5 A 2152/16 []