Hunde: Gemeinsames Spiel – Halter: gemeinsame Haftung

Das Oberlandesgericht Oldenburg urteilte über einen Fall, in dem einer der zwei sich balgenden Hunde die Halterin eines der Hunde zu Fall brachte, und verfaßte folgende Leitsätze:

1. Wenn mehrere Hunde miteinander balgend in eine Personengruppe hineinlaufen und ein Mensch zu Fall kommt, verwirklicht sich die typische Tiergefahr, auch wenn der Sturz nur auf eine Ausweichbewegung des Geschädigten zurückzuführen sein sollte.

2. Im Zweifel haftet ein jeder Halter der beteiligten Hunde für die Schadensfolgen, ohne dass es entscheidend darauf ankäme, welcher Hund konkret den Sturz verursacht hat, indem er den Geschädigten anstieß oder Anlass zu einer schadensstiftenden Ausweichbewegung gab.

Worum ging es konkret?

Die Klägerin führte am 18. August 1998 auf der sogenannten S.-allee, einem befestigten Wanderweg im Randbereich des S. Forstes, ihren Hund aus. Es handelte sich um einen weißes Tier. Gegen 17.30 Uhr traf sie dort auf den Beklagten, der seinerseits seinen Hund, einen Weimaraner ausführte. Nach § 3 Abs. 3 der Verordnung über die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung im Gebiet der Stadt O. vom 30. September 1986 bestand Leinenzwang. Dennoch ließen beide Parteien zeitweise ihre Hunde frei umherlaufen, wobei sich die Tiere auch in größerer Entfernung von den Parteien befanden. Als dann ein oder beide Tiere zurückgelaufen kamen, kam die Klägerin zu Fall. Sie wurde kurzzeitig ohnmächtig und erlitt eine Gehirnerschütterung und eine Verletzung im Bereich der Lendenwirbel.

Die Klägerin hat behauptet, in dem Zeitpunkt des Zusammentreffens der Parteien sei ihr Hund angeleint gewesen, der des Beklagten dagegen nicht. Erst als die Klägerin den Beklagten erkannt habe, habe sie auch ihren Hund losgelassen. Die Hunde hätten sich beschnuppert und seien dann jedoch jeder ihre eigenen Wege gegangen. Weil sich der Hund des Beklagten wohl zu weit entfernt habe, sei er vom Beklagten zurückgepfiffen worden. Daraufhin sei der Hund des Beklagten – allein – mit hohem Tempo zurückgelaufen und habe die Klägerin „stumpf“ umgerannt. Diesen Geschehensablauf habe der Beklagte unmittelbar nach dem Unfall gegenüber den von ihm herbeigerufenen Kindern der Klägerin und deren Freund bestätigt. Der Hund der Klägerin sei nicht in der Lage gewesen, die Klägerin umzulaufen, da das Tier dazu viel zu klein gewesen sei, während der Hund des Beklagten etwa die Größe einer Dogge habe. Die Klägerin habe dabei neben der Gehirnerschütterung nicht nur eine Prellung der Lendenwirbelsäule, sondern eine echte Fraktur erlitten. Dieses habe sich jedoch erst später im Rahmen einer Kernspintomographie herausgestellt. Durch die Fraktur eines Lendenwirbelkörpers sei die gesamte Motorik der Klägerin schwer in Mitleidenschaft gezogen. Nachdem sie sich monatelang kaum habe bewegen können, leide sie immer noch unter erheblichen Schmerzen und werde einen Dauerschaden behalten. (…)

Der Beklagte hingegen hat behauptet, zum Zeitpunkt des Zusammentreffens der Parteien sei sein Hund angeleint gewesen, während der der Klägerin nicht angeleint gewesen sei. Es sei zu einem Gespräch zwischen den Parteien gekommen. Während dieser Zeit seien die Hunde in dem dortigen Bereich frei herumgelaufen, wobei die Hunde miteinander gespielt, in verschiedenen Richtungen gerannt, die Richtung gewechselt und zurückgelaufen seien etc.. Anlässlich einer dieser Vorgänge seien die Hunde nebeneinander auf die beiden Parteien zugekommen, und zwar in der Form eines „spielerischen“ Wettlaufs. Die Klägerin habe die Hunde auf sich zukommen sehen und sei nach links ausgewichen, und zwar in den Weg der Hunde, so dass sie dort vermutlich gestreift worden und zu Fall gekommen sei. Ob die Klägerin tatsächlich von einem der Hunde „umgerannt“ worden sei und um welchen der Hunde es sich gehandelt habe, könne der Beklagte nicht beurteilen. Beide Hunde seien nebeneinander auf die Hundehalter zugelaufen. Die Klägerin habe den Unfallproblemlos dadurch vermeiden können, dass sie – ebenso wie der Beklagte – stehen geblieben wäre.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass nicht bewiesen sei, dass die Klägerin durch das Tier des Beklagten verletzt worden sei. Selbst bei Annahme einer Haftung sei aufgrund des objektiv überflüssigen Ausweichmannövers der Klägerin von einem überwiegenden Verschulden der Klägerin auszugehen, so dass im Rahmen der Haftungsabwägung gem. § 254 BGB nur eine geringfügige anteilige Haftung des Beklagten verbleibe.

Wie urteilte das Gericht?

Das Oberlandesgericht Oldenburg verurteilte den Beklagten dem Grunde nach zur Tragung von 50 % der Schäden; und zwar mit folgender Begründung:

a.) Ohne Erfolg wendet sich die Klägerin allerdings dagegen, dass die zweite Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück es als nicht bewiesen angesehen hat, dass gerade der Hund des Beklagten sie zu Fall gebracht habe. Das Landgericht hat die erhobenen Beweise zutreffend und erschöpfend gewürdigt. Zwar haben die Zeugen A., B. und C. übereinstimmend bekundet, der Beklagte habe an der Unfallstelle geäußert, sein Hund habe die Klägerin umgerannt. In der aufgeregten Situation nach dem Unfall können aber einzelne Worte des Beklagten, die von den Zeugen wiedergegeben werden, nicht auf die Goldwaage gelegt werden. Es ging den Beteiligten vor Ort nicht um eine „gerichtsfeste“ Unfallaufnahme. Deshalb können auch Wahrnehmungsfehler der Zeugen in dem Sinne, dass der Beklagte von „einem“ Hund gesprochen und die Zeugen „meinem“ Hund verstanden haben, nicht ausgeschlossen werden. Auch die Glaubwürdigkeit der Zeugen wird vom erstinstanzlichen Gericht zu Recht angezweifelt. Der Umstand, dass die Haftpflichtversicherung des Beklagten Zahlungen geleistet hat, ist nicht überzubewerten, da sie unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgt sind. Sie können auch vor dem Hintergrund einer Mitverursachung des Hundes des Beklagten gesehen werden, sind jedenfalls kein Beleg für die ausschließliche Verursachung des Sturzes der Klägerin gerade durch den Hund des Beklagten.

Auch der Inhalt der vorliegenden Schadensanzeige durch den Beklagten belegt nicht die Darstellung der Klägerin, der Hund des Beklagten sei allein auf die Parteien zurückgelaufen. Der Beklagte hat in der Schadensanzeige vielmehr mitgeteilt, die Hunde „kamen auf uns zugerannt“. Dies bestätigt das Vorbringen des Beklagten, nicht sein Hund alleine, sondern beide Hunde seien gemeinsam zurückgelaufen.

Die in das Wissen der weiteren Zeugen gestellten Behauptungen, die Klägerin habe unmittelbar nach dem Unfall anderen Personen gegenüber den Unfall so mitgeteilt, wie im anhängigen Verfahren behauptet und der Hund des Beklagten sei bereits einmal auf eine andere Person zugelaufen, sind nicht entscheidungsrelevant. Dass Hunde auf Personen zulaufen ist nichts außergewöhnliches und ist im vorliegenden Verfahren auch nicht streitig. Die Wiedergabe der Erklärung der Klägerin zum Unfallgeschehen gegenüber anderen Beteiligten ist ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Die Beweisaufnahme liefe auf die Bestätigung von Parteivorbringen hinaus. Das Interesse der Klägerin daran, eine für evtl. Haftpflichtansprüche günstige Sachverhaltsschilderung abzugeben, bestand für sie von vornherein, auch gegenüber anderen Personen. Eine unbefangene Äußerung kann von den Zeugen nicht wiedergeben werden.

b.) Der Beklagte haftet gemäß §§ 833, 847 BGB jedoch dem Grunde nach zu 50 % bereits unter Zugrundelegung seiner eigenen Darstellung des Unfallherganges, die sich die Klägerin hilfsweise zu eigen gemacht hat.

aa) Die Tierhaltereigenschaft des Beklagten ist unstreitig. Ebenso unstreitig ist, dass der Hund des Beklagten ein Haustier ist, das nicht dem Berufe, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Beklagten zu dienen bestimmt ist.

bb) Dadurch, dass, ausgehend von der Darstellung des Beklagten, beide Hunde der Parteien auf den Pfiff des Beklagten auf die Parteien zugelaufen sind, hat sich eine vom Hund des Beklagten ausgehende typische Tiergefahr verwirklicht.

Typische Gefährdungssituationen sind das Anspringen und Beißen der Hunde und beispielsweise auch ein Ausweichen eines Radfahrers vor einem Pferd, das den Weg versperrt. Soweit die Klägerin durch den Hund des Beklagten umgerannt worden ist, ist dieses Verhalten vergleichbar mit dem Anspringen durch einen Hund, also Ausdruck der Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens.

cc) Die typische Gefahr hätte sich aber auch dann verwirklicht, wenn die Klägerin einem Tier ausgewichen wäre. Denn die Laufrichtung eines heran bzw. vorbeistürzenden Hundes kann nicht sicher vorhergesagt werden. Eine falsche Einschätzung der Laufrichtung des Hundes ändert nichts daran, dass gerade das nichtvorhersehbare Vorbei bzw. Heranrasen eines Hundes typischer Ausdruck der Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens ist. Das tierische Verhalten muß dabei nicht die einzige Ursache des eingetretenen Unfallerfolges gewesen sein; Mitverursachung genügt. Der Zusammenhang zwischen der Tiergefahr und dem Verletzungserfolg kann durch Zwischenursachen vermittelt sein, insbesondere durch eine schreckhafte Reaktion auf die Begegnung mit dem Tier.

c.) Die zweite Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück hat den so definierten Zusammenhang zwischen der Tiergefahr und dem Verletzungserfolg zu eng gesehen, wenn ausschließlich die Frage danach gestellt worden ist, ob die Klägerin durch den Hund des Beklagten umgeworfen worden ist. Denn die typische Tiergefahr verwirklicht sich gerade dann, wenn mehrere Hunde miteinander balgend und spielend in eine Personengruppe hineinlaufen. Die Unberechenbarkeit des tierischen Verhaltens erhöht sich dadurch, dass mehrere Hunde miteinander spielend und balgend umherlaufen. Die Hunde wirken dann gegenseitig so aufeinander ein, dass sie entsprechend ihrer Natur unkontrolliert umherlaufen. In einer derartigen Fallkonstellation sind alle beteiligten Hundehalter nach § 833 Satz 1 BGB für Schäden ersatzpflichtig, die die Hunde einem Dritten oder, wie bei dieser Fallkonstellation, einem Halter selbst zufügen, wobei die Halter nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner zu haften hätten.

d.) Da nicht geklärt werden kann, welcher Hund die Klägerin umgelaufen hat, haften beide Tierhalter zur Hälfte, d. h. die Klägerin kann vom Beklagten dem Grunde nach Erstattung von 50 % ihres Schadens beanspruchen.

Eine andere Quotierung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Größe der Tiere ist nicht sachgerecht. Denn wenn zwei Tiere auf die Geschädigte zulaufen, ist es Zufall und im vorliegenden Fall auch nicht mehr aufklärbar, welchem Tier ausgewichen werden sollte bzw. welches Tier die verletzte Person berührt hat.

Es ist der Klägerin auch nicht als Mitverschulden anzurechnen, dass sie ggfls. eine im nachhinein betrachtet unnötige seitliche Bewegung in die Laufrichtung eines der Hunde gemacht hat. Denn im Rahmen einer schreckhaften Reaktion auf heranlaufende Hunde kann nicht erwartet werden, dass unter Berechnung der voraussichtlichen Laufrichtung der Tiere eine genau abgestimmte Reaktion der Klägerin erfolgt.

e.) Die Haftungsquote würde sich im übrigen auch dann nicht zugunsten der Klägerin verändern, wenn anzunehmen wäre, dass letztlich der Hund des Beklagten – als einer der beiden heranlaufenden Hunde – die Klägerin umgeworfen hätte. Allein deshalb, weil aus einer Gruppe von mehreren (hier: zwei) miteinander spielenden und laufenden Hunden einem der letzte, unmittelbar zum Schaden führende Beitrag zuzurechnen ist, kann diesem Verursachungsbeitrag kein größeres Gewicht als dem Beitrag der anderen Hunde (hier: des anderen Hundes) beigemessen werden. Denn der Schaden beruht hier – wie ausgeführt – auf der spezifischen Tiergefahr, die von einer Mehrheit von Hunden ausgeht, wobei es letztlich eher zufällig ist, in der rechtlichen Bewertung jedenfalls unerheblich ist, welcher konkrete Hund die Klägerin umgelaufen hat.

Eine andere Bewertung käme nur dann in Betracht, wenn die Klägerin einen Sachverhalt bewiesen hätte, aus dem sich ein vom unstreitigen vorherigen Geschehen (gemeinsames Spielen der Hunde in etwa 50 – 100 m Entfernung) abtrennbarer singulärer Verursachungsbeitrag des Hundes des Beklagten ergäbe. Die Klägerin behauptet zwar, dass der Hund des Beklagten auf dessen Pfiff hin allein zurückgelaufen sei. Der Beklagte behauptet demgegenüber, er habe seinen Hund, der seinen Pfiff kenne, zurückgepfiffen; dies sei aber auf Wunsch der Klägerin geschehen, damit der Hund der Klägerin zusammen mit seinem Hund zurückkomme. So sei es dann geschehen; auf seinen Pfiff hin sei sein Hund, wie beabsichtigt, zurückgelaufen; gleichzeitig sei aber, wie es es der natürlichen Reaktion zuvor gemeinsam spielender Hunde entspreche, auch der Hund der Klägerin zurückgelaufen; beide Hunde seien folglich gemeinsam angelaufen gekommen. Nach Auffassung des Senats ist es insoweit Sache der Klägerin, den behaupteten singulärenVerursachungsbeitrag (Zurücklaufen nur des Hundes des Beklagten) zu beweisen. Es ist nicht angängig, aus dem gesamten dem Schaden vorhergehenden Geschehensablauf einzelne für die Klägerin möglicherweise günstige Teile (vorheriges gemeinsames Spielen der Hunde in ausreichender Entfernung, Pfiff des Beklagten mit der vom Beklagten eingeräumten Folge, dass jedenfalls auch sein Hund zurücklief) isoliert zu betrachten; vielmehr muss die Klägerin den gesamten einheitlichen Geschehensablauf beweisen, jedenfalls soweit es darum geht, einen mindestens gleichwahrscheinlichen für sie ungünstigen Geschehensablauf (gemeinsames Zurücklaufen der Hunde, wenn auch verursacht durch den Pfiff des Beklagten) auszuschließen.

Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 04. Februar 2002 – 11 U 79/01