Das Landgericht Kleve musste als Berufungsgericht über die Frage entscheiden, ob das Filmhuhn Sieglinde von dem Hund des beklagten Hundehalters totgebissen wurde und, welcher Schadenersatz hierfür seitens des Hundehalters zu zahlen war.
Von dem so ermittelten Wert des streitgegenständlichen Huhns sei ein Abschlag von 50 % zu machen. Dieser rechtfertige sich aufgrund eines Mitverschuldens der Klägerin, welches dadurch begründet sei, dass sich das Filmhuhn in einem frei zugänglichen Areal auf dem Grundstück der Klägerin befunden habe, welches von Wäldern umgeben gewesen sei. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass in einem solchen Gebiet Menschen mit Hunden spazieren gehen würden und letztere aufgrund des angeborenen Jagdtriebs verleitet würden, Kleintieren wie Hühnern nachzujagen. Dies hätte der Klägerin bewusst sein und zur Ergreifung besonderer Schutzmaßnahmen für das wertvolle Huhn veranlassen müssen.
Hiergegen legte die Klägerin Berufung zum Landgericht Kleve ein, die Beklagte Anschlußberufung.
Das Landgericht Kleve hat die Beklagte zur Zahlung von € 615,00 (nebst vorgerichtlicher Kosten und Zinsen) veruteilt und im Übrigen die Berufungen zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Landgerichts Kleve ist das Amtsgericht Geldern im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin gegenüber dem Beklagten als Halter des Hundes dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gemäß § 833 S. 1 BGB zusteht. In dem unstreitig erfolgten Angriff des Hundes des Beklagten auf das im Eigentum der Klägerin stehende Huhn hat sich dessen Jagdtrieb und damit eine spezifische Tiergefahr verwirklicht.
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist – so das Landgericht Kleve weiter -, dass das Amtsgericht Geldern nach umfangreicher Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt ist, dass es sich bei dem getöteten Tier um das Filmhuhn Sieglinde gehandelt hat. Insoweit gilt im Grundsatz gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass das Berufungsgericht an die Tatsachenfeststellungen im ersten Rechtszug gebunden ist. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, ist eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht geboten. Dies ist nach Auffassung des Landgerichts Kleve nicht der Fall. Nachvollziehbar führt das Amtsgericht Geldern nämlich aus, dass es der glaubhaften Aussage der Zeugin G entnommen habe, dass sich auf dem Hof der Klägerin ein von ihr für den Einsatz bei Film- und Fernsehproduktionen ausgebildetes braunes Huhn befunden hat. Zwar ist dem Beklagten Recht zu geben, dass aus der Aussage der vorgenannten Zeugin allein nicht geschlossen werden kann, dass es sich bei dem getöteten Huhn um dieses Filmhuhn handelte. Denn die Zeugin hat das getötete Huhn selbst nicht gesehen hat und konnte auch nicht sagen, wann sie vor dem streitgegenständlichen Ereignis zuletzt auf dem Hof der Klägerin gewesen war, weshalb nicht auszuschließen wäre, dass sich der Federviehbestand zwischenzeitlich verändert hat. Das Amtsgericht hat seine Überzeugung hinsichtlich dieser Tatsache jedoch auch nicht allein auf die Aussage der vorgenannten Zeugin gestützt, sondern ergänzend die Aussage des Zeugen T2, des Ehemanns der Klägerin, herangezogen, der bekundet hat, dass sich auf dem Hof der Klägerin nur ein einziges braunes Huhn, nämlich das Filmhuhn befunden habe. Da er mit der Klägerin auf deren Hof lebte, konnte dieser nachvollziehbar zuverlässige Angaben über den Tierbestand zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vorfalls machen. Rechtsfehlerfrei hat das Amtsgericht den Aussagen der beiden vorgenannten Zeugen unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung eine größere Überzeugungskraft beigemessen als den Bekundungen der von der Beklagtenseite benannten Zeugen. T hat es diesbezüglich ausgeführt, dass es die Aussagen der Zeugen K, Hxx und Nxx nicht für glaubhaft halte, weil es der allgemeinen Lebenserfahrung widerspräche, dass diese in der vonl ihnen geschilderten hektischen Situation allesamt das Vorhandensein der gleichen Anzahl an Hühnern wahrgenommenen hätten.
Es stand dem Amtsgericht Geldern auch frei, so das Landgericht Kleve weiter, dass durch § 287 Abs. 1 ZPO eingeräumte Ermessen dahingehend auszuüben, die Schadenshöhe im vorliegenden Fall im Schätzwege zu ermitteln. An den von Klägerseite gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens war das Gericht nicht gebunden2. Zudem hat es auch nicht die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessensspielraums überschritten. Vielmehr lag es aufgrund der Besonderheiten des Falles nahe, die der Klägerin entstandene Vermögenseinbuße mithilfe einer Schätzung zu bemessen. Denn anders als bei der Beschädigung eines Kraftfahrzeuges gibt es im Falle der Tötung eines für Filmauftritte ausgebildeten Tieres keinen anerkannten Markt, auf dem ein Wert durch Einholung von Vergleichspreisen ermittelt werden könnte. Auch ein Sachverständiger hätte demnach eine Wertermittlung nur entsprechend dem Vorgehen des Amtsgerichts vornehmen können, indem er den Anschaffungspreis für ein Huhn und die Ausbildungskosten, welche sich aus der Ausbildungsdauer und dem Lohn für eine Trainingseinheit zusammensetzen, zusammenrechnet. Da es sich bei Tieren um Lebewesen handelt, die individuell unterschiedliche Eigenschaften und Wesenszüge aufweisen, stellt sich zudem das Problem, dass die Ausbildungsdauer im Vorhinein nicht sicher abschätzbar ist, weshalb auch ein Sachverständiger allenfalls eine Prognose hätte anstellen können. Dies berücksichtigend hält das Landgericht Kleve es für interessengerecht, den durch ein Sachverständigengutachten gegenüber einer richterlichen Schätzung bestenfalls zu erwartenden mäßigen Erkenntnismehrgewinn wertungsmäßig hinter dem mit einem Vorgehen nach § 287 Abs. 1 ZPO sicher einhergehenden Kosten- und Zeitvorteil zurückstehen zu lassen. Im Übrigen sei dem Landgericht Kleve auch kein Sachverständiger für die Wertermittlung von für Filmproduktionen ausgebildeten Tieren bekannt.
Entgegen der Ansicht des Beklagten schied nach Auffassung des Landgerichts Kleve eine Schadensschätzung auch nicht deshalb aus, weil es mangels Angaben der Klägerseite zu Rasse und Alter des getöteten Huhns an den notwendigen Anknüpfungstatsachen für eine Schätzung gefehlt hätte. Denn insoweit verkennt der Beklagte, dass wegen des Fehlens eines anerkannten Marktes für Filmhühner keine verlässliche Aussage dazu möglich ist, wie sich Alter und Rasse des Huhns auf dessen Wert auswirken. So könnte sich das Alter einerseits aufgrund der der begrenzten Lebenserwartung eines Huhns negativ auf dessen Wert auswirken, andererseits wäre aber auch denkbar, dass sich die mit dem Alter bereits gewonnene Erfahrung und der Umstand, dass sich das Tier bereits in der Vergangenheit bei Arbeitseinsätzen bewährt hat, wertsteigernd auswirkt. Vor diesem Hintergrund sei es zulässig, die Schätzung ohne den von Beklagtenseite geforderten Vortrag vorzunehmen.
Entgegen der Ansicht des Beklagten ist auch die im Ausgangspunkt ermittelte Schadenshöhe nicht zu beanstanden. So lag es im Ermessen des Amtsgerichts, den vorbeschriebenen Unsicherheiten hinsichtlich des Ausbildungsaufwandes aufgrund der individuellen Unterschiede von Tieren dadurch Rechnung zu tragen, dass lediglich ein Mindestschaden ermittelt wurde, den das Gericht ausgehend von den Angaben der als Tiertrainerin arbeitenden Zeugin G mit 10 Trainingseinheiten je 60,00 € bemaß zuzüglich der Kosten für die Anschaffung eines durchschnittlichen Huhns von 15,00 €.
Das Landgericht Kleve folgt dem Amtsgericht Geldern hingegen nicht, soweit es den derart ermittelten Schaden von 615,00 € aufgrund eines Mitverschuldens der Klägerin nach § 254 Abs. 1 BGB hälftig gekürzt hat. Denn es mag sein, dass allgemein bekannt ist, dass Hundehalter ihre Tiere im Außenbereich teilweise unangeleint herum laufen lassen und dass diese bekanntermaßen über einen angeborenen Jagdtrieb verfügen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich das getötete Huhn vorliegend auf dem im Besitz der Klägerin befindlichen Grundstück aufhielt und damit innerhalb des ausschließlich ihr zustehenden Bereichs. Aus dem demnach rechtswidrigen Aufsuchen des Grundstücks durch den Hund des Beklagten lässt sich ein die Klägerin treffendes Mitverschulden nicht ableiten. Anders wäre dies gegebenenfalls gewesen, wenn sich das Huhn außerhalb des der Klägerin zugewiesenen Bereichs, beispielsweise auf einem öffentlichen Weg, aufgehalten hätte.
- AG Geldern, Urteil vom 28.12.2018 – 17 C 148/18 [↩]
- Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 287 ZPO Rn.6 [↩]