Kündigung einer Pflegehelferin wegen gefälschter Bescheinigung über eine „Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus“

Lügen sind in einem Arbeitsverhältnis immer etwas „schwierig“.

Legt ein Arbeitnehmer aber gefälschte Unterlagen zu wichtigen Punkten vor, ist auch einmal Schluss und der Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt.

Aktuell hat das Bundesarbeitsgericht eine außerordentliche fristlose Kündigung für in einem Fall für wirksam erachtet, in dem eine Pflegehelferin, anderen Arbeitsplatz eine einrichtungsbezogene Impfpflicht bestand, ihrem Arbeitgeber Anfang 2022 eine „Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus Sars-CoV-2“ vorgelegt hatte.

Worum ging es konkret?

Die Klägerin war seit 1988 in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus beschäftigt, zuletzt als Pflegehelferin.

Mit Schreiben vom 17.12.2021 informierte die Beklagte alle betroffenen Mitarbeiter über die zum 16.03.2022 in Kraft tretende sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht und bat um Vorlage der von § 20a Abs. 2 IfSG in der Fassung vom 10.12.2021 (im Folgenden IfSG aF) verlangten Nachweise, darunter ggf. ein solcher, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden konnten.

Die Klägerin legte der Beklagten eine auf den 04.01.2022 datierte „Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus Sars-CoV-2“ vor, die sie im Internet nach Zahlung einer Gebühr und Eingabe ihrer persönlichen Daten generiert und ausgedruckt hatte. In der Bescheinigung heißt es, dass „dieser Patient“ aufgrund der ärztlichen Einschätzung und Bewertung seiner Angaben vor einer Impfung mit Covid-19-Impfstoffen von einem Facharzt für Allergologie überprüft werden müsse. Bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens sei „der Patient“ zeitlich begrenzt bis zum 04.07.2022 impfunfähig und es bestehe die Gefahr, dass „der Patient“ durch eine Impfung schwere, ggf. sogar tödliche Nebenwirkungen erleben könne. Eine Kommunikation der Klägerin – und sei es fernmündlich oder digital – mit der vermeintlichen Ärztin, deren Unterschrift auf die Bescheinigung aufgedruckt ist, erfolgte nicht.

Die Beklagte informierte gemäß § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG aF das zuständige Gesundheitsamt, welches am 19.01.2022 mitteilte, dass die Bescheinigung aus dem Internet heruntergeladen sei und somit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhe. Die unterzeichnende Ärztin sei dort nicht bekannt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien – nach Anhörung des Betriebsrats – mit Schreiben vom 24.01.2022, der Klägerin am selben Tag zugegangen, außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist zum 31.08.2022.

Dagegen hat sich die Klägerin rechtzeitig mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt und u.A. geltend gemacht, die von ihr vorgelegte Bescheinigung attestiere ersichtlich keinen individuellen Gesundheitszustand, sondern gebe die allgemeine Auffassung der ausstellenden Ärztin wieder, dass jede Person vor einer Impfung gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 allergologisch untersucht werden müsse. Sie – die Klägerin – habe damit lediglich ihre generelle Sorge hinsichtlich möglicher Impfreaktionen gegenüber der Beklagten zum Ausdruck bringen wollen.

Die Beklagte hat gemeint, die Klägerin habe durch die Vorlage der Bescheinigung versucht, über eine vermeintlich in ihrer Person bestehende Impfunfähigkeit zu täuschen, um der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zu entgehen.

Das Arbeitsgericht Lübeck hat der Klage stattgegeben1, das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen2.

Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg.

Warum?

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht3.

In der unter Geltung von § 20a IfSG aF wahrheitswidrig erfolgten Behauptung durch einen in einem Krankenhaus beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung (Anamnese) sei festgestellt worden, dass – gerade – er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, lag – zumal unter Berücksichtigung des besonders vulnerable Personen schützenden Gegenstands der Nachweispflicht ((BT-Drs. 20/188 S. 2 und S. 40; BVerfG, Entscheidung vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21)) – eine erhebliche Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB, die „an sich“ als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Das gilt ungeachtet der Frage, ob der Arbeitnehmer laienhaft davon ausging, er sei tatsächlich (vorläufig) impfunfähig. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer sich wegen der Vorlage eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 277 ff. StGB strafbar gemacht hat. Maßgebend ist vielmehr der mit der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch4.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat rechtsfehlerfrei angenommen, so das Bundesarbeitsgericht weiter, die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung erwecke für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es habe ein individueller Kontakt mit einer Ärztin unter Einschluss einer Anamnese stattgefunden. Es handele sich gerade nicht um die bloße Wiedergabe einer allgemeinen medizinischen Auffassung. Das Berufungsgericht durfte bei seiner revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbaren tatrichterlichen Würdigung berücksichtigen, dass die Klägerin die Bescheinigung in Reaktion auf das Schreiben der Beklagten vom 17.12.2021 und das bevorstehende Eingreifen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht beigebracht hat. Zudem soll die Bescheinigung nach einer „ärztlichen Einschätzung und Bewertung der Angaben des Patienten“ eine vorläufige Impfunfähigkeit gerade bezogen auf eine konkrete Person, die Klägerin, attestieren. Dabei ist die Bezeichnung in der männlichen Form („dieser Patient“) irrelevant, zumal auch die ausstellende (vermeintliche) Ärztin „Arzt“ genannt wird. Die Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit ist auch nicht von vornherein unsinnig. Damit wird zwar eine in § 20a Abs. 2 IfSG aF nicht vorgesehene Kategorie eröffnet. Das ändert aber nichts daran, dass eine Aussage zur Impfunfähigkeit der Klägerin für einen bestimmten Zeitraum getroffen wurde, die es dieser ggf. ermöglichen sollte, trotz Fehlens eines Nachweises gemäß § 20a Abs. 2 IfSG aF für einen erheblichen Zeitraum über den 15.03.2022 hinaus, nämlich zumindest bis zum 04.07.2022, „sanktionslos“ für die Beklagte tätig zu sein.

Aus § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG aF, der das Gesundheitsamt ermächtigte, gegenüber einer vor dem 16.03.2022 bereits beschäftigten Person ein Betretungs- bzw. Beschäftigungsverbot auszusprechen, ergab sich keine Sperrwirkung im Hinblick auf die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB. Vielmehr kamen nach der erklärten Vorstellung des Gesetzgebers bei einem Verstoß gegen die Nachweispflicht neben öffentlich-rechtlichen Sanktionen auch arbeitsrechtliche Konsequenzen in Betracht5. Das galt umso mehr, wenn der betreffende Arbeitnehmer die Vorlage eines Nachweises nicht verweigert, sondern vorgibt, eine von ihm beigebrachte Bescheinigung über eine (vorläufige) Impfunfähigkeit beruhe auf einer ärztlichen Untersuchung.

Das Landesarbeitsgericht hat auch rechtsfehlerfrei angenommen, eine vorherige Abmahnung sei aufgrund der besonderen Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich gewesen und auch die weitere Interessenabwägung falle zulasten der Klägerin aus.

Das Berufungsgericht hält sich im Rahmen seines lediglich eingeschränkt revisiblen Beurteilungsspielraums, wenn es unter widerspruchsfreier Würdigung aller relevanten Umstände des Streitfalls annimmt, einer vorherigen Abmahnung habe es nicht bedurft, weil es sich um eine so schwere Pflichtverletzung gehandelt habe, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch die Beklagte nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für die Klägerin erkennbar – ausgeschlossen war. Die Revision zeigt insofern keine Rechtsfehler auf, sondern verkennt, dass der Kündigungsvorwurf nicht darin besteht, dass die Klägerin über eine (vorläufige) Impfunfähigkeit getäuscht hat. Vielmehr ist ihr anzulasten, dass sie bewusst wahrheitswidrig vorgegeben hat, eine solche sei von einer Ärztin aufgrund einer Untersuchung (Anamnese) festgestellt worden. Bezogen auf diesen Kündigungsvorwurf ist es zum einen irrelevant, ob die Klägerin – nunmehr – bereit wäre, sich nachträglich (wirklich) ärztlich auf eine Impfunfähigkeit untersuchen zu lassen. Zum anderen spielt die vom Landesarbeitsgericht zu ihren Gunsten unterstellte Sorge der Klägerin vor einer Schädigung ihrer Gesundheit durch die Impfung keine erhebliche Rolle. Die Klägerin hätte ihre Sorgen offenlegen und sich anschließend – weiter – um eine allergologische Begutachtung bemühen können. Dessen ungeachtet ging es bei der Täuschung nicht darum, eine Gefahr für die eigene Gesundheit abzuwenden, sondern die Klägerin wollte nach den nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO angegriffenen und deshalb nach § 559 Abs. 2 ZPO für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts „lediglich“ arbeitsrechtliche Konsequenzen, insbesondere eine Nichtbeschäftigung und damit Nichtvergütung, (vorerst) vermeiden. Das liegt auch deshalb nahe, weil sie bei Nichtvorlage eines Nachweises gemäß § 20a IfSG aF nicht „zwangsgeimpft“ worden wäre. Dagegen hätten die ihr anvertrauten Patienten hinsichtlich ihres Gesundheitsschutzes keine Wahl gehabt, sondern hätten bei einer erfolgreichen Täuschung durch die Klägerin eine Gesundheitsgefährdung hinnehmen müssen, vor der der Gesetzgeber sie – in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bewahren wollte.

Auch die vom Bundesarbeitsgericht ebenfalls nur eingeschränkt überprüfbare weitere Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Beklagten sei es nach einer umfassenden Interessenabwägung angesichts der schweren und vorsätzlichen Pflichtverletzung der Klägerin nicht zuzumuten gewesen, sie auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen, ist frei von revisiblen Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat alle wesentlichen Aspekte des Falls berücksichtigt und die beiderseitigen Interessen gut vertretbar abgewogen.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein musste der Klägerin schon deshalb keine Untauglichkeit ihres Täuschungsversuchs zugutehalten, weil es rechtsfehlerfrei gemeint hat, dass sich einem unbefangenen Leser der Bescheinigung ohne Recherche im Internet nicht unmittelbar aufdrängen musste, es könne schlechterdings kein persönlicher – und sei es fernmündlicher oder digitaler – Kontakt zwischen der Klägerin und der ausstellenden vermeintlichen Ärztin stattgefunden haben. Dessen ungeachtet kann auch ein untauglicher Täuschungsversuch das vertragsnotwendige Vertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer irreparabel zerstören.

Das Landesarbeitsgericht musste – so das Bundesarbeitsgericht – die Interessenabwägung auch nicht deshalb zugunsten der Klägerin ausfallen lassen, weil sie „nur“ über eine durch ärztliche Untersuchung festgestellte vorläufige Impfunfähigkeit getäuscht hat, während eine Täuschung über eine erfolgte Impfung oder eine Genesung noch schwerere Folgen hätte haben können, weil sie den Arbeitgeber dazu hätte veranlassen können, auch von anderen Schutzmaßnahmen abzusehen. Das Gewicht der Pflichtverletzung der Klägerin verringert sich nicht dadurch, dass noch schwerer wiegende Verstöße denkbar sind.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.12.2023 – 2 AZR 55/23

ECLI:DE:BAG:2023:141223.U.2AZR55.23.0

  1. ArbG Lübeck, Urteil vom 15.06.2022 – 4 Ca 188/22 []
  2. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.11.2022 – 4 Sa 139/22 []
  3. BAG, Urteil vom 27.06.2019 – 2 AZR 50/19 []
  4. BAG, Urteil vom 31.01.2019 – 2 AZR 426/18, BAGE 165, 255 []
  5. BT-Drs. 20/188 S. 42; BVerfG, Beschluss vom 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21, BVerfGE 161, 299 []