Wenn es zu einer Verletzung eines Menschen durch einen Hund gekommen sein soll, kommt es immer wieder zum Streit darüber, was eine Behörde kurzfristig im Sofortvollzug anordnen darf.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat nun in einem Eilverfahren entschieden, dass, wenn sich ein Beissvorfall in einem Klageverfahren voraussichtlich als zutreffend erweisen wird, die Behörde im Sofortvollzug anordnen darf, dass der Hund einem Amtsveterinär zur Beurteilung der Gefährlichkeit vorzustellen ist und, dass er nur mit Leine und Maulkorb ausgeführt werden darf.
Betont hat das Verwaltungsgericht hierbei allerdings, dass die Anordnung des Leinen- und Maulkorbzwangs nur befristet ausgesprochen werden darf – im entschiedenen Fall längstens für 14 Tage nach erfolgter Begutachtung, da dann die Behörde eine abschließende Entscheidung zu treffen hat.
Da in dem entschiedenen Fall die Behörde (Antragsgegnerin) diese Vorgaben eingehalten hatte, war ein Eilantrag gegen eine entsprechende Verfügung erfolglos.
Aber im Einzelnen:
Aufgrund eines von dem Geschädigten G behaupteten Bisses des Hundes B hatte die Antragsgegnerin angeordnet, dass der Hund B der Amtsveterinärin zur Beurteilung vorzustellen sei, um festzustellen, ob er gefährlich sei. Zugleich wurde ein Leinen- und Maulkorbzwang bis 14 Tage nach der Begutachtung angeordnet.
Bezüglich beider Punkte wurde die sofortige Vollziehung angeordnet, d.h. dass eine Klage gegen den Bescheid keine aufschiebende Wirkung entfaltet.
Die Hundehalterin (Antragstellerin) wehrte sich hiergegen in einem gerichtlichen Eilverfahren.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat den Antrag zurückgewiesen.
Warum?
Die angegriffenen Regelungen erweisen sich nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen bei der im Eilverfahren zu erfolgenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtmäßig. Zudem bestehe ein besonderes Vollzugsinteresse.
Die Antragsgegnerin stützt ihre Anordnung gegenüber der Antragstellerin, ihren Hund B einer Untersuchung zur Feststellung seiner individuellen Gefährlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 3 LHundG NRW der amtlichen Tierärztin zuzuführen zurecht auf § 12 Abs. 1 LHundG NRW.
Die Anordnung ist auch materiell rechtmäßig.
Nach der Vorschrift des § 12 Abs. 1 LHundG NRW kann die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere Verstöße gegen Vorschriften dieses Gesetzes, abzuwehren. Nach der Konzeption des Landeshundegesetzes NRW kann ein Sachverhalt, der möglicherweise unter § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW fällt, Anlass zu einer Begutachtung durch den amtlichen Tierarzt geben. Dies ergibt sich aus § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW, wonach die Feststellung der Gefährlichkeit nach Satz 1 durch die zuständige Behörde nach Begutachtung durch den amtlichen Tierarzt erfolgt.
In diesem Stadium der Gefahrerforschung ermächtigt die hunderechtliche Generalklausel in § 12 Abs. 1 LHundG NRW die Behörde, die erforderlichen vorläufigen Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit zu ergreifen sowie zur Gefahrerforschung und Vorbereitung einer Entscheidung über die Gefährlichkeit des Hundes nach § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW eine zeitnahe Begutachtung durch den Tierarzt anzuordnen. Besteht in diesem Sinne ein hinreichender Gefahrenverdacht, kann zur weiteren Aufklärung der verantwortliche Hundehalter auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 LHundG NRW auch zu einer Mitwirkung verpflichtet werden, indem er dem amtlichen Tierarzt die Begutachtung des Hundes ermöglicht (§ 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW)1.
Gemessen an diesen Vorgaben ist die durch die Antragsgegnerin getroffene Untersuchungsanordnung offensichtlich rechtmäßig.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen besteht ein die Anordnung rechtfertigender Gefahrenverdacht, weil der im Verwaltungsvorgang dokumentierte Vorfall jedenfalls ganz erhebliche Anhaltspunkte dafür aufzeigt, dass der Hund B nach Maßgabe des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Nr. 5 LHundG NRW ein gefährlicher Hund ist.
Nach diesen Vorschriften ist ein Hund im Einzelfall gefährlich, wenn er einen Menschen gebissen hat, sofern dies nicht zur Verteidigung anlässlich einer strafbaren Handlung geschah (Nr. 3), bzw. wenn er einen anderen Hund durch Biss verletzt hat, ohne selbst angegriffen worden zu sein (Nr. 5 Halbsatz 1).
Vorliegend hat der mutmaßliche Geschädigte gegenüber der Antragsgegnerin erklärt, der Hund B sei in Angriffsstellung auf seinen Hund zugestürmt. Er habe versucht, ihn – u.a. mit Tritten – abzuwehren. Daraufhin habe der Hund B ihn in die Hand gebissen und sodann auch seinen Hund „wie im Blutrausch“ gebissen. Im Verwaltungsvorgang finden sich Lichtbilder der stark blutenden Hand des Herrn G sowie einer Bisswunde bei seinem Hund. Ausweislich der ebenfalls im Verwaltungsvorgang befindlichen Arztbriefe wies die Hand des Herrn G eine ca. 15 cm lange Wunde auf, was eine Operation erforderlich machte.
Die Antragstellerin hat sich zu dem Vorfall dahingehend eingelassen, beide Hunde seien aggressiv gewesen und hätten sich gebissen. Herr G habe den Hund B zudem mehrmals grundlos getreten. Der Hund des Herrn G habe außerdem schon mehrmals andere Hunde gebissen.
Diese Umstände begründen – so das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen weiter – einen Gefahrenverdacht in dem oben genannten Sinne. Denn die detaillierten Schilderungen des Herrn G, die durch die vorgelegten Arztberichte und Lichtbilder plausibilisiert werden, erfüllen bei Wahrunterstellung offensichtlich jedenfalls die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 LHundG NRW, weil der Hund B ihn gebissen haben soll. Nach seinen Schilderungen geschah dies auch nicht zur Verteidigung anlässlich einer strafbaren Handlung, insbesondere stellen die Tritte gegen B keine solche dar, weil sie angesichts der von B ausgehenden Gefahr jedenfalls nach § 34 StGB gerechtfertigt wären. Die Schilderungen dürften bei Wahrunterstellung zudem auch die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Halbsatz 1 LHundG NRW erfüllen, weil der Hund B demnach den Hund des Herrn G angegriffen hätte, ohne selbst zuvor angegriffen worden zu sein.
Die Einlassungen der Antragsgegnerin vermögen nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen die plausible Schilderung nicht im Ansatz zu widerlegen oder auch nur in einem Ausmaß in Frage zu stellen, das bereits einen Gefahrenverdacht entfallen ließe. Im Gegenteil hat die Antragstellerin den Vorgang hinsichtlich des Rahmengeschehens im Kern eingeräumt und bestreitet im Wesentlichen, dass es B gewesen sein soll, der Herrn G gebissen habe. Gerade diese Frage bedarf aber der weiteren Aufklärung durch die Antragsgegnerin, zu der die verfügte Begutachtung dienen kann. In keiner Weise überzeugend ist es jedenfalls, wenn die Antragstellerin behauptet, der Hund B könne Herrn G nicht in die Hand gebissen haben, wenn er gleichzeitig versucht habe, diesen wegzuziehen. Entgegen der Annahme der Antragstellerin ist dies in keiner Weise „denklogisch ausgeschlossen“. Soweit die Antragstellerin außerdem erklärt hat, die Hunde seien beide aggressiv gewesen und hätten sich gegenseitig gebissen, ist ihr Vortrag bereits unergiebig, weil sie damit der Schilderung des Herrn G, der Hund B sei zuerst auf seinen Hund losgestürmt und habe ihn angegriffen, nicht näher entgegentritt. Die übrigen Einwände der Antragstellerin, wonach die Gefährlichkeit von B nach § 3 Abs. 3 LHundG NRW nicht erwiesen sei, gehen an dem oben dargestellten Maßstab des Gefahrenverdachts vorbei.
Die Untersuchungsanordnung lässt auch Fehler bei der Ausübung des behördlichen Ermessens, die das Gericht nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO überprüft, nicht erkennen. Die Anordnung wahrt namentlich die gesetzlichen Grenzen der Verhältnismäßigkeit. Die angeordnete Untersuchung gerade durch die amtliche Tierärztin ist die einzige geeignete Maßnahme, um die gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW gesetzlich geforderte Mitwirkung des amtlichen Tierarztes bei der Sachverhaltsaufklärung zur Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes zu ermöglichen.
Der von der Antragstellerin gerügte Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. In dem Umstand, dass die Antragsgegnerin gegen Herrn G bislang keine vergleichbaren Maßnahmen getroffen hat, liegt schon keine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Dem steht bereits entgegen, dass hinsichtlich des Hundes der Antragstellerin ein Gefahrenverdacht auch hinsichtlich des Beißens von Menschen besteht, während der Hund des Herrn G nach den Behauptungen der Antragstellerin lediglich ihren Hund angegriffen habe. Zudem hat die Antragsgegnerin erklärt, sie werde – wenn sich die Angaben der von der Antragstellerin benannten Zeugen als glaubhaft erwiesen – gegen Herrn G ebenfalls entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Schließlich trifft es auch nicht zu, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit der Bezeichnung einer konkreten Amtstierärztin ohne Not eine Auswahlmöglichkeit nehme. Die Zuständigkeit des amtlichen Tierarztes der Antragsgegnerin für den vorliegenden Fall ist gesetzlich vorgesehen (§§ 3 Abs. 3 Satz 2, 13 Satz 1 LHundG NRW i.V.m. § 4 Abs. 1 OBG NRW und § 2 Abs. 1 AG TierGesG TierNebG NRW).
Die Anordnung eines Leinen- und Maulkorbzwanges (Ziff. II. der Ordnungsverfügung) ist nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 LHundG NRW ebenfalls offensichtlich rechtmäßig, so das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen weiter. In dem hier vorliegenden Stadium der Gefahrerforschung ermächtigt die hunderechtliche Generalklausel in § 12 Abs. 1 LHundG NRW neben Gefahrerforschungsmaßnahmen auch zu vorläufigen Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr, indem etwa ein vorläufiger Leinen- und/oder Maulkorbzwang angeordnet werden kann. Der Abschluss der amtstierärztlichen Begutachtung bildet sodann eine Zäsur. Die Behörde wird anschließend regelmäßig eine abschließende Entscheidung darüber treffen, ob gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW die Gefährlichkeit des Hundes festgestellt wird oder nicht. Je nach Lage der Dinge kommen ggf. auch Maßnahmen nach § 12 Abs. 1 LHundG NRW in Betracht. Hierüber ist jedoch eine neue, den gesamten, näher aufgeklärten Sachverhalt einbeziehende Entscheidung zu treffen2.
Diesen Vorgaben genügt der angeordnete Leinen- und Maulkorbzwang. Der erforderliche Gefahrenverdacht bzgl. der Gefährlichkeit des Hundes B liegt, wie dargestellt, vor.
Die Antragsgegnerin hat auch die ihr durch die Regelungssystematik des LHundG NRW vorgegebenen Grenzen gewahrt, indem sie diese Maßnahmen ausdrücklich nur vorläufig – bis zu einer Entscheidung über eine etwaige Gefährlichkeitsfeststellung und längstens für 14 Tage nach erfolgter Begutachtung – angeordnet hat. Die Regelungen unter Ziff. II. wahren zudem auch die nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO zu überprüfenden Grenzen des Ermessens; sie sind insbesondere – wie sich aus den obigen Erwägungen ebenfalls ergibt – verhältnismäßig.
Es besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der vorläufigen Anordnungen der Ordnungsverfügung. Das dargelegte Ziel der vorläufigen Sicherung für den Zeitraum bis zur Begutachtung des Hundes würde verfehlt, wenn die Anordnungen gerade in diesem Zeitraum bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens suspendiert wären.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 03.07.2024 – 19 L 960/24
ECLI:DE:VGGE:2024:0703.19L960.24.00
- OVG NRW, Beschluss vom 23.12.2015 – 5 B 850/15 [↩]
- OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2013 – 5 B 592/13 [↩]