Existiert eine ordnungsbehördliche Verfügung, mit der ein Maulkorbzwang für einen Hund angeordnet wurde, so können Verstösse hiergegen nach dem LHundG NRW u.A. mit Bußgeldern geahndet werden.
Wie sieht es nun aber aus, wenn sich die Verpflichtung zum Tragen des Maulkorbs nicht auf einer Anordnung gründet, sondern auf einem Vergleich vor einem Verwaltungsgericht, bei dem es um diese Thematik ging?
Über diese Frage hat nun das Oberlandesgericht Hamm entschieden.
In dem konkreten Fall hatte das Amtsgericht Soest gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 250,- Euro verhängt gemäß § 20 Abs. 2 LHundG NRW wegen Verstoßes gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 12 LHundG NRW.
Hierzu hat das Amtsgericht Soest ausgeführt, das Ordnungsamt der Stadt T habe mit einer auf § 12 Abs. 1 LHundG NRW gestützten Ordnungsverfügung vom 22.05.2018 angeordnet, dass der Betroffene seinen Hund „Y“ bis zu einer endgültigen Feststellung von dessen Gefährlichkeit nur noch mit einem das Beißen verhindernden Maulkorb führen dürfe. Diese Ordnungsverfügung sei von dem Betroffenen in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren angefochten worden. Dieses habe mit einem Vergleich geendet, in dem der Betroffene sich verpflichtet habe, seinen Hund weiterhin bis zur Feststellung von dessen Gefährlichkeit nur mit einem Maulkorb auszuführen. Gegen diese Verpflichtung habe er am 15.08.2018 verstoßen.
Im Einzelnen hatte das Amtsgericht Soest folgende Feststellungen getroffen:
„Am 15.08.2018 gegen 11.00 Uhr hat der Betroffene seinen Hund „Y“ mit der Mikrochipnummer # im Bereich des Wirtschaftsweges zwischen E Straße, Ostraße und A 00 in T ohne Maulkorb oder eine in der Wirkung gleichstehende Vorrichtung geführt. […] Im Zuge eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg (Az.: 6 L 946/18) haben die dortigen Parteien – der Betroffene und die Stadt T – einen Vergleichsvorschlag des Gerichts mit Schriftsätzen vom 23.07.2018 und 06.08.2018, eingegangen ebenfalls am 06.08.2018, angenommen. Der Vergleich hat unter anderem folgenden Inhalt:
Der Antragsteller verpflichtet sich, nach der Mitteilung der Antragsgegnerin gemäß Ziffer 1 a) dieses Vergleichsvorschlages seinen o. g. Hund zu dem mitgeteilten Termin beim Veterinäramt des Kreises T zur Begutachtung vorzustellen.
der Antragsteller verpflichtet sich weiter, bis zur Entscheidung der Antrags-gegnerin entsprechend Ziffer 1 b) dieses Vergleichsvorschlages die Anordnungen in dem Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2018 freiwillig zu befolgen.
Für den Fall eines Verstoßes gegen die nach den Ziffer 2 b) übernommene Verpflichtung ist sich der Antragsteller bewusst, dass die Antragsgegnerin gegen ihn entsprechend der Androhung eine Zwangsgeldfestsetzung vornehmen wird.“
Mit Bußgeldbescheid vom 03.09.2018 verhängte die Stadt T gegen den Betroffenen ein Bußgeld i.H.v. 250 € wegen Verstoßes gegen die Maulkorbpflicht.“
Das Amtsgericht Soest ist der Ansicht, durch den geschlossenen Vergleich sei eine Maulkorbpflicht für den Hund „Y“ weiterhin angeordnet. Dieser sei als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu sehen, wie er gemäß § 54 S. 2 VwVfG NRW anstatt des Erlasses eines Verwaltungsaktes geschlossen werden dürfe. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der eine Regelung gemäß § 12 Abs. 1 des LHundG NRW beinhalte, stehe deshalb grundsätzlich einer einseitigen Anordnung der Behörde gemäß § 12 Abs. 1 LHundG gleich. Zudem erfülle der geschlossene Vergleich auch offensichtlich denselben Zweck, der auch mit der Ordnungsverfügung vom 22.05.2018 verfolgt worden sei. Er diene der Abwehr von Gefahren, die nach Ansicht der Behörde von dem genannten Hund ausgingen. Die Ahndung von Verstößen gegen einen öffentlich-rechtlichen Vertrag solchen Inhalts durch ein Bußgeld gemäß § 20 Abs. 2 des LHundG NRW sei zulässig.
Der Betroffene hat gegen das Urteil fristgemäß „Rechtsbeschwerde“ eingelegt, die gemäß § 300 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG (auch) als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil auszulegen ist. Zur Begründung seines Rechtsmittels führt er aus, der gegen ihn ergangene Bußgeldbescheid sei ohne rechtliche Grundlage ergangen. Der Verwaltungsakt vom 22.05.2018 sei vor dem Verwaltungsgericht aufgehoben worden. Der geschlossene Vergleich könne einen Verwaltungsakt nicht ersetzen. Dies habe insbesondere zu gelten, da in dem geschlossenen Vergleich nur von einer freiwilligen Verpflichtung seinerseits die Rede sei. Die Ordnungsbehörde könne nur eine Sanktion vor dem Verwaltungsgericht verlangen, die von ihm durch den Vergleich übernommene Verpflichtung jedoch nicht durch Erlass eines Bußgeldbescheides durchsetzen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Die Rechtsbeschwerde wurde vom Oberlandesgericht Hamm zugelassen und hatte auch in der Sache Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 80 Abs. 1 Nr. 1, 80 a Abs. 3 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen, so das Oberlandesgericht Hamm. Die Fortbildung des Rechts besteht darin, bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen1. Die Fortbildung des Rechts kommt nur bei Rechtsfragen in Betracht, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und abstraktionsfähig sind. Bei noch ungeklärten Fragen kann dabei sowohl die Fortbildung des Rechts als auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung rechtfertigen1. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm erfüllt. Die angefochtene Entscheidung wirft die klärungsbedürftige und abstrakte Frage auf, ob der Verstoß gegen eine im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Vergleichs eingegangene Verpflichtung durch die Verhängung eines Bußgeldes geahndet werden darf.
Die Beantwortung dieser Rechtsfrage führt vorliegend zur Aufhebung des angefochtenen Urteils auf die mit der Rechtsbeschwerde erhobene Sachrüge.
Noch zutreffend hat nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm das Amtsgericht Soest ausgeführt, dass gemäß § 20 Abs. 2 LHundG NRW ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Anordnung nach § 12 LHundG NRW zuwider handelt oder diese nicht befolgt. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Soest kann ein verwaltungsgerichtlicher Vergleich einer Anordnung nach § 12 LHundG jedoch nicht gleichgesetzt werden. Ein verwaltungsgerichtlicher Vergleich ist aufgrund seiner Doppelnatur sowohl Prozesshandlung als auch öffentlich-rechtlicher Vertrag, für den die materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 54 ff. VwVfG NRW gelten. Als Prozesshandlung führt er zur Prozessbeendigung, als materiell-rechtlicher Vertrag zur Streitbeendigung2.
Er hat darüber hinaus jedoch auch zur Folge, dass die Vollstreckungszuständigkeit von der beteiligten Behörde auf den Vorsitzenden des erstinstanzlichen Gerichts als Vollstreckungsbehörde übergeht. Ein Prozessvergleich nach § 106 VwGO ist gem. § 168 Abs. 1 Nr. 3 VwGO ein gerichtlicher Vollstreckungstitel, so dass nach § 169 Abs. 1 S. 2 VwGO der Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszugs die zuständige Vollstreckungsbehörde ist, soweit die Vollstreckung zugunsten der öffentlichen Hand erfolgen soll3. Wird der angefochtene Verwaltungsakt in einem gerichtlichen Vergleich ganz oder teilweise geändert, konsumiert der gerichtliche Vollstreckungstitel regelmäßig den behördlichen Vollstreckungstitel mit der Folge, dass Vollstreckungsgegenstand der gerichtliche Vergleich mit seinem vertraglich vereinbarten Inhalt ist und die Vollstreckungsbefugnis insgesamt auf den Vorsitzenden des erstinstanzlichen Gerichts übergeht4. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann nur dann angenommen werden, wenn in dem Prozessvergleich lediglich die Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheids vereinbart wurde4. Um dieses schwerfällige Vollstreckungsverfahren zu vermeiden, kann die vergleichsweise Verpflichtung des Bürgers auch in Form eines (neuen oder abgeänderten) Verwaltungsaktes der Behörde gegossen werden, etwa durch die Formulierung „Die Behörde erlässt einen neuen Bescheid, in welchem…“. Der auf Grundlage des Vergleichs ergangene neue oder abgeänderte Verwaltungsakt ist dann nach dem VwVfG vollstreckbar.
Vorliegend ist jedoch keiner dieser beiden Ausnahmefälle zu bejahen, so das Oberlandesgericht Hamm. Die zwischen dem Betroffenen und der Gemeinde T getroffene Vereinbarung stellt einen klassischen Vergleich dar, der nicht nur den Erlass eines modifizierten Verwaltungsakts zum Gegenstand hat und sich auch nicht in der Anerkennung der Bestandskraft der Ordnungsverfügung vom 22.05.2018 erschöpft.
Zudem kann aus dem Umstand, dass der verwaltungsgerichtliche Vergleich zugleich auch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist, gerade nicht geschlossen werden, dass er einer einseitigen behördlichen Anordnung gleichstehe. Richtig ist zwar, dass nach § 54 S. 2 VwVfG eine Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen kann, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde. Geht sie diesen Weg, unterwirft sie sich aber auch den Regeln, die für die Vollstreckung von öffentlich-rechtlichen Verträgen gelten. Eine hoheitliche Vorgehensweise zur Durchsetzung einer Verpflichtung aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag ist unzulässig und auch mit dem Prinzip der Gleichordnung der Vertragspartner nicht vereinbar5.
Wenn die Ordnungsbehörde sich durch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs ihrer Möglichkeit begibt, die vergleichsweise getroffene Regelung durch Mittel des Verwaltungszwangs durchzusetzen, so ist sie erst recht nicht berechtigt, zur Durchsetzung einer im Vergleichswege übernommenen Verpflichtung ein Bußgeld zu verhängen, auch wenn dies im Einzelfall möglich wäre, wenn sie eine entsprechende Verpflichtung durch Verwaltungsakt begründet hätte.
Wegen des aufgezeigten Mangels ist das angefochtene Urteil nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6 OWiG aufzuheben und der Betroffene freizusprechen.
Das Oberlandesgericht Hamm hat von der ihm in § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Möglichkeit, selbst in der Sache zu entscheiden, Gebrauch gemacht und den Betroffenen freigesprochen, denn es ist auszuschließen, dass eine neue Hauptverhandlung noch weiteren Aufschluss zu erbringen vermag. Bezogen auf den 15.08.2018 bestand gegen den Betroffenen keine vollziehbare Anordnung nach § 12 LHundG im Sinne des § 20 Abs. 2 LHundG. Die Ordnungsverfügung vom 22.05.2018 wurde durch den geschlossenen Vergleich konsumiert. Eine gleichlautende Ordnungsverfügung kann rückwirkend auch nicht mehr erlassen werden.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 05.03.2020 – 5 RBs 73/20
ECLI:DE:OLGHAM:2020:0305.5RBS73.20.00
- Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl., 2017, § 80 Rn. 3 [↩] [↩]
- BVerwG, Urteil vom 10.03.2010 – 6 C 15/09, NJW 2010, 3048 [↩]
- OVG Lüneburg, Beschluss vom 25.04.2019 – 11 LB 498/18, NVwZ-RR 2019, 791; HK-VerwR/Fehling, VwGO, 4. Aufl., 2016, § 106 Rn. 41 [↩]
- OVG Lüneburg, Beschluss vom 25.04.2019 – 11 LB 498/18, NVwZ-RR 2019, 791 [↩] [↩]
- VG Braunschweig, Beschluss vom 22.05.2000 – 8 B 205/00, NVwZ-RR 2001, 626 [↩]