Immer wieder kommt es in Mietverhältnissen zu dem Problem, dass sich der Mieter durch Einflüsse Dritter beeinträchtigt fühlt und daher gegenüber dem Vermieter deshalb die Miete mindert.
Solche Dreiecksverhältnisse sind immer problematisch – zumal auch noch die Frage im Raum steht, ob der Vermieter sich denn dann die Mietausfälle von dem Dritten wiederholen kann (in der Regel nach § 906 BGB).
Das Kammergericht Berlin hat nun im Rahmen eines Gewerberaummietverhältnisses entschieden, dass Lärm und Erschütterungen von einer benachbarten Baustelle im Hinblick auf den mietvertraglichen vereinbarten Nutzungszweck einen Mangel der Mietsache begründen, ohne dass es auf Abwehr- oder Entschädigungsansprüche des Vermieters gegen den Bauherren nach § 906 BGB ankommt.
Worum ging es?
In dem entschiedenen Fall haben die Kläger vom beklagten Teileigentümer Gewerberäume zur Nutzung als „Thai-Massagesalon“ gemietet.
Ab März 2018 ließ die Streithelferin auf dem Nachbargrundstück das vorhandene Gebäude abreißen und ein neues Gebäude errichten.
Das Landgericht Berlin hat die Klage der Mieter auf Mietrückzahlung in Höhe von 6.828,39 EUR und auf Feststellung einer Mietminderung um 20 % während der Abriss- und Neubauarbeiten abgewiesen1.
Die Entscheidung:
Die Berufung zum Kammergericht Berlin hatte überwiegend Erfolg.
Die Klage auf Mietrückzahlung für den Zeitraum bis März 2019 ist insgesamt begründet und der zulässige Antrag auf Feststellung einer Mietminderung während der Abriss- und Neubauarbeiten am Nachbargebäude ist teilweise begründet. Die von den Klägern geschuldete Miete ist wegen des benachbarten Bauvorhabens gemäß § 536 BGB gemindert gewesen.
Das Mietobjekt wurde von dem Bauvorhaben nämlivh nach Auffassung des Kammergerichts Berlin gravierend betroffen:
Es mag dahinstehen, ob das angefochtene Urteil dahin zu verstehen ist, dass es eine Beeinträchtigung des Massagesalons der Kläger durch Lärm, Schmutz und Erschütterungen einer Großbaustelle feststellt. Für den erkennenden Senat steht außer Frage, dass die Mieträume solchen Immissionen durch den unmittelbar (Wand an Wand) angrenzenden Abriss und Neubau in erheblicher Weise ausgesetzt waren. Zwar können typische Baustellenemissionen nicht schlicht unterstellt werden2. Indes wird von den Klägern in zweiter Instanz unbestritten vorgetragen und durch Fotos substantiiert, dass die Abrissarbeiten zu Rissen in Wänden und Decke des Mietobjekts führten, die sich durch die Tiefbauarbeiten vergrößerten. Die Streithelferin rügt erfolglos die Verspätung dieses Vorbringens, denn Unstreitiges ist stets zu berücksichtigen3. Die Risse belegen, dass der Bau zu Erschütterungen im Mietobjekt geführt hat, und sind auch Indiz für eine starke Lärmbelastung. Diese ergibt sich auch für die Rohbauphase u. a. aus dem Einsatz von Betonmischern unmittelbar vor und neben den Mieträumen, der als solcher nicht im Streit ist. Ferner hatte die Streithelferin mit e-Mail vom 28.02.2018 dem Beklagten zu 2. eine „höhere Lärmbelastung“ während des Komplettabbruchs des Bestandsgebäudes in den kommenden zwei bis drei Monaten sowie im Zuge der Unterfangungsarbeiten der Giebelwand (voraussichtlich in den ersten vier Wochen ab ca. Mitte Mai) angekündigt und angeregt, sich wegen der Lärmbelastung während der ab September vorgesehenen Rohbauarbeiten, die immer wieder unterschiedlich sei und noch nicht angegeben werden könne, ab Mitte des Jahres zu verständigen.
Das Mietobjekt blieb erreichbar, doch war nach den eingereichten Fotos der Gehweg zum Bauvorhaben hin abgesperrt, befanden sich Absperrgitter zeitweise auch auf dem Gehweg vor dem Geschäft, gehörte die Fahrbahn vor dem Objekt zur Baustelleneinrichtungsfläche und standen dort wiederholt Baufahrzeuge. Dadurch war der Massagesalon schlechter sichtbar und der Passantenverkehr wurde vom Gehweg vor dem Mietobjekt weg auf die Fahrbahn geleitet, wo sich vor der Baustelle ein Laubengang anschloss.
Aufgrund dieser Beeinträchtigungen durch das Bauvorhaben und insbesondere durch den Baulärm von Abriss-, Tiefbau- und Rohbauarbeiten wurde die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB nicht unerheblich gemindert:
„Gemäß § 536 Abs. 1 BGB ist die vereinbarte Miete kraft Gesetzes gemindert, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht. Ein derartiger Mangel ist dann gegeben, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht. Der vertraglich geschuldete Zustand bestimmt sich in erster Linie nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Mietvertragsparteien, die auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) getroffen werden können. Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung können dabei auch Umstände sein, die von außen auf die Mietsache unmittelbar einwirken (sog. Umweltfehler), wie etwa Immissionen, denen die Mietsache ausgesetzt ist. Soweit allerdings Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nach der Verkehrsanschauung bestimmt.“4.
Eine ausdrückliche oder konkludente Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien, dass das Mietobjekt keinen höheren Immissionen als zu Vertragsbeginn ausgesetzt sein dürfe, ist hier nach Auffassung des Kammergerichts Berlin nicht festzustellen. Der Bundesgerichtshof hat die diesbezüglichen Anforderungen aus dem Urteil vom 29.04.2015 mit Urteil vom 29.04.20202 bekräftigt:
„Nach der Rechtsprechung des Senats setzt auch eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Zur konkludent geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung werden die von dem Mieter wahrgenommenen „Umweltbedingungen“ der Wohnung nur, wenn der Vermieter aus dem Verhalten des Mieters nach dem objektiv zu bestimmenden Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) erkennen musste, dass der Mieter die Fortdauer dieses bei Vertragsschluss bestehenden Umstands über die unbestimmte Dauer des Mietverhältnisses hinweg als maßgebliches Kriterium für den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung ansieht, und der Vermieter dem zustimmt. Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Mieters genügt für die Annahme einer diesbezüglichen Willensübereinstimmung selbst dann nicht, wenn sie dem Vermieter bekannt ist. Erforderlich ist jedenfalls, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert.“
Dem ist trotz gegenteiliger Stimmen – etwa von Eisenschmid5 – zu folgen. Dass die meisten Mietobjekte nicht von erheblichen zusätzlichen Immissionen betroffen sein mögen, reicht nach Auffassung des Kammergerichts Berlin entgegen den Urteilen des Landgerichts Berlin6 nicht aus, um eine Freiheit von Baulärm als stillschweigend vereinbart anzusehen.
Andererseits ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass bei Abschluss des Mietvertrages der Parteien im Jahre 2015 konkrete Anhaltspunkte für einen anstehenden Abriss und eine Neubebauung auf dem Nachbargrundstück erkennbar waren. Es bedarf daher keiner Erörterung, ob der Mieter bei Baulücken im innerstädtischen Bereich mit einer Bebauung rechnen muss und diese dann nicht zu einer Minderung führt7.
Mangels (konkreter) Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache beantwortet sich „die Frage, was im Einzelnen zu dem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand der in Rede stehenden Wohnung gehört, den der Vermieter gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB während der Mietzeit zu erhalten hat, nach den gesamten Umständen des Mietverhältnisses und den daraus in – gegebenenfalls ergänzender – Auslegung abzuleitenden Standards, insbesondere nach der Mietsache und deren beabsichtigter Nutzung sowie der Verkehranschauung unter Beachtung des in § 242 normierten Grundsatzes von Treu und Glauben.“2.
Erhebliche Nutzungsbeeinträchtigungen durch Lärm können nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ohne weiteres einen Mangel einer gemieteten Wohnung darstellen8. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des XII. und des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs für Gewerberäume9 und Ferienunterkünfte10.
Zwar betreffen die vorstehend zitierten Urteile des VIII. Zivilsenats jeweils Lärmbeeinträchtigungen aus dem Gebäude, in dem die gemietete Wohnung liegt. Einem Mangel im Sinne von § 536 BGB steht aber nicht nach Treu und Glauben entgegen, dass es sich um Umwelteinwirkungen handelt, die nicht vom Vermieter verursacht worden sind. Gebrauchsbeschränkungen aufgrund von Beschaffenheit oder Lage des Mietobjekts fallen in seinen Risikobereich11. Eine Mietminderung setzt kein Verschulden auf Seiten des Vermieters voraus, sondern der Mieter kann selbst dann mindern, wenn der Vermieter nicht über die Möglichkeit zur Beseitigung des Mangels verfügt9.
Es entspricht der Verkehrsanschauung, dass sich eine erhebliche Lärmbelastung gemieteter Räume tendenziell mietsenkend auswirkt. Die ortsübliche Vergleichsmiete für Wohnraum hängt gemäß § 558 Abs. 2 BGB von der „Lage“ ab und damit auch von Beeinträchtigungen durch Lärm12. Dem entsprechend sehen die Orientierungshilfen für die Spanneneinordnung zu den Berliner Mietspiegeln 2017 und 2019 das negative Wohnwertmerkmal „besonders lärmbelastete Lage“ und das positive Wohnwertmerkmal „besonders ruhige Lage“ vor. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Urteil vom 19.12.201213 zwar in einer vorübergehend erhöhten Verkehrslärmbelastung aufgrund von Straßenbauarbeiten keinen zur Minderung berechtigenden Mangel gesehen, aber zur Begründung auch darauf abgestellt, dass sie sich nach der im Mietspiegel aufgestellten Grenze im Rahmen des Üblichen hielt. Dass die nach wissenschaftlichen Grundsätzen aufgestellten Mietspiegel an die Lärmbelastung anknüpfen, rechtfertigt die Annahme, dass die Höhe der vereinbarten Miete regelmäßig davon abhängt, welches Immissionsniveau die Parteien bei Abschluss des Mietvertrages zugrunde legen. Dies gilt auch für Gewerberäume, wenn die Immissionen – wie hier – für die vertraglich vorgesehene Nutzung relevant sind, so das Kammergericht Berlin.
Den Mitgliedern des erkennenden Senats – so das Kammergericht Berlin weiter – ist aus der Befassung mit Gewerberaummietsachen über viele Jahre und insbesondere aus Sachverständigengutachten bekannt, dass die Lage eines Objekts ganz wesentliche Bedeutung für die Höhe der marktüblichen Miete hat.
Hier ist von Immissionen durch die Baustelle, insbesondere Lärm und auch Erschütterungen auszugehen, die deutlich über das in einer Nebenstraße der Berliner City übliche Maß hinausgehen. Als entscheidend sieht der erkennende Senat an, dass diese Einwirkungen der im Mietvertrag vereinbarten Nutzung als „Thai-Massagesalon“ sehr abträglich sind, insbesondere einem Entspannungseffekt der Massagebehandlungen. Die vertragsgemäße Nutzung ist insoweit schwerer betroffen, als es bei den meisten Einzelhandelsgeschäften der Fall wäre, und mindestens vergleichbar wie bei einer Wohn- oder Büronutzung. Die Tauglichkeit der gemieteten Räume zum vertragsgemäßen Gebrauch ist „unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben nach der Verkehrsanschauung“ deutlich gemindert.
Einer ergänzenden Vertragsauslegung, wie sie der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in den Urteilen vom 29.04.20154 und vom 29.04.202014 angestellt hat, bedarf es hier nicht. Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung ist eine planwidrige Unvollständigkeit des Vertrages15. Sie setzt erst ein, wenn die offene Auslegungsfrage nicht durch die eigentliche Auslegung des Vertrages zu lösen ist. Auch soweit die Vertragsparteien einen Umstand nicht thematisiert oder bedacht haben, kann ein Regelungsgehalt dem Vertrag gemäß § 157 BGB durch Auslegung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu entnehmen sein.
Im Übrigen hält es das Kammergericht Berlin für bedenklich, dass der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung einen Mangel der Mietsache aufgrund nachträglich erhöhter Geräuschimmissionen durch einen Dritten grundsätzlich verneint, wenn der Vermieter sie gemäß § 906 BGB ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss (so auch: BayObLG, Beschluss vom 04.02.1987 – RE-Miet 2/86; OLG Dresden, Urteil vom 14.10.2008 – 5 U 1030/08; OLG Schleswig, Urteil vom 30.03.2011 – 5 U 122/10; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 05.07.2017 – 2 U 152/16; OLG München, Urteil vom 15.03.2018 – 32 U 872/17; LG Berlin, Urteil vom 16.06.2016 – 67 S 76/16; LG Berlin, Urteil vom 07.06.2017 – 18 S 211/16; LG Berlin, Beschluss vom 15.01.2019 – 67 S 309/19; LG Berlin, Urteil vom 21.08.2019 – 64 S 190/18; Günter in: Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 2. Auflage, § 536 BGB Rn. 224; Häublein in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, § 536 Rn. 21; Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Auflage, § 536 Rn. 136b; Kraemer/Ehlert/Schindler in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Auflage, Rn. III 3203; Emmerich JuS 2015, 1040, 1041; Emmerich in: Staudinger, BGB, Bearb. 2018, § 536 Rn. 52; Föllmer WuM 2015, 478, 485; Ghassemi-Tabar NJW 2015, 2849; Lehmann-Richter IMR 2015, 310; Selk, NZM 2015, 855, 857 f. Selk, Mietmängel und Mängelrechte, 2018, § 536 Rn. 202; Börstinghaus NZM 2016, 417, 421; Flatow WuM 2016, 459; Gsell NZM 2016, 702, 708; Bieber GE 2018, 1431, 1432)).
§ 906 BGB ist eine sachenrechtliche Vorschrift, die auf das Mietverhältnis der Parteien zweifelsfrei nicht anwendbar ist. Sie soll bei der Nutzung eines Grundstücks im Verhältnis zu benachbarten Grundstücken auftretende Konflikte in einen vernünftigen Ausgleich bringen und begründet zu diesem Zweck unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht zur Duldung von Immissionen2. Ein beiderseitig unbeschränktes Recht, mit dem Grundstück nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB 1. Alternative), würde ebenso wie ein uneingeschränktes Recht, den jeweils anderen von jeder Einwirkung auszuschließen (§ 903 BGB 2. Alternative), eine sinnvolle Nutzung beider Grundstücke unmöglich machen16. Allerdings wird vom VIII. Zivilsenat „die nachbarrechtliche Ausstrahlungswirkung des § 906 BGB zur Konturierung der im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu bestimmenden mietvertragliche Rechte und Pflichten der Parteien berücksichtigt“. Ein Gleichlauf der Interessen von Eigentümer und Mieter wird dabei vom VIII. Zivilsenat nicht zugrunde gelegt und ist auch nicht gegeben, insbesondere im Hinblick auf das abstrakte Interesse des Eigentümers – nicht aber eines Mieters -, seinerseits vergleichbare Baumaßnahmen auf seinem Grundstück durchzuführen.
Das Kammergericht Berlin sieht sich mit seinen Bedenken dagegen, ein Minderungsrecht des Mieters von einem Abwehr- oder Entschädigungsanspruch des Vermieters gegen den Nachbarn nach § 906 BGB abhängig zu machen, im Einklang mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.04.200817, in dem der XII. Zivilsenat ausgeführt hat:
„Ein vollständiger Ausschluss der Minderung durch formularvertragliche Regelung verletzt deshalb das zu den wesentlichen Grundgedanken des Schuldrechts gehörende Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Das gilt auch, soweit – wie im vorliegenden Fall – der Minderungsausschluss allein Mängel betrifft, die der Vermieter nicht zu vertreten hat.
(…)
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Die Störung des Äquivalenzprinzips wird auch nicht dadurch kompensiert, dass der Mieter als Besitzer gegebenenfalls von dem die Beeinträchtigung verursachenden Dritten gemäß § 906 Abs. 2 BGB einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen kann. Die Grenze der Zumutbarkeit im Sinne von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB beurteilt sich nicht nach mietrechtlichen Vorschriften. Schon deshalb entsprechen die nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auszugleichenden Beeinträchtigungen nicht ohne weiteres dem Umfang des Minderungsrechts. (…)“
Dieses Urteil bezieht sich zwar auf die Wirksamkeit eines formularmäßigen Minderungsausschlusses und spricht § 906 Abs. 2 BGB im Zusammenhang mit einem Anspruch des Mieters gegen den Dritten an, so das Kammergericht Berlin. Maßgeblich erscheint aber, dass der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die unterschiedliche Beurteilung von Beeinträchtigungen nach § 906 BGB einerseits und nach den mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften andererseits betont. Dem entsprechend hat er den dortigen Rechtsstreit zurückverwiesen, damit Feststellungen zum Vorliegen der behaupteten Lärm- und Erschütterungsbelastungen für das Mietobjekt durch die Bauarbeiten der Nebenintervenientin auf dem Nachbargrundstück getroffen werden, und hat es anscheinend als unerheblich angesehen, ob die Immissionen vom Vermieter gemäß § 906 BGB zu dulden sind.
Das Urteil des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs4 hat einen zur Mietminderung führenden Mangel letztlich deshalb verneint, weil die Mietvertragsparteien, wenn sie einen späteren Eintritt erhöhter Geräuschimmissionen bedacht hätten, redlicherweise dem Vermieter keine Erhaltung des ursprünglich bestehenden Immissionsstandards auferlegt hätten, die ihm tatsächlich oder jedenfalls wirtschaftlich unmöglich sei. Das Landgericht Berlin hat mit Urteil vom 16.06.201618 nach Auffassung des Kammergerichts Berlin zutreffend darauf hingewiesen, dass der Vermieter eben wegen dieser Unmöglichkeit vor einem Mängelbeseitigungsbegehren des Mieters und damit auch vor der erfolgreichen Erhebung eines Leistungsverweigerungsrechtes geschützt ist. Eine Machtlosigkeit des Vermieters gegenüber solchen Störungen schließt aber nicht aus, dass die Mietvertragsparteien die Höhe der Miete anhand der auf die Mieträume einwirkenden Umweltbedingungen aushandeln und vereinbaren19. Vielmehr spricht der Äquivalenzgedanke dafür, dass die Vertragsparteien, wenn sie eine schwerwiegende Zunahme der Immissionen vorhergesehen hätten, für den betreffenden Zeitraum eine Minderung der Miete geregelt hätten20. Mit diesen Einwänden setzt sich der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, so das Kammergericht Berlin, im Urteil vom 29.04.20202 nicht auseinander.
Auf eine Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen im Sinne von § 906 BGB kommt es daher hier nicht an.
Ohnehin ist – worauf Beklagte und Streithelferin bei Terminsanberaumung hingewiesen worden sind – das Minderungsrecht im vorliegenden Fall auch nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zu bejahen, weil dem beklagten Wohnungseigentümer gemäß § 3 der Nachbarschaftsvereinbarung zwischen der Wohnungseigentümergemeinschaft und der Streithelferin ein Mietausfallschaden aufgrund berechtigter Mietminderungen seiner Mieter – der Kläger – von der Streithelferin zu erstatten ist.
Im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29.04.20154 heißt es:
„Vielmehr hätten sich die Parteien nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) darauf verständigt, die Störung durch Geräuschimmissionen Dritter nur dann als Mangel der Mietwohnung anzusehen, wenn die Kläger selbst diese Immissionen gemäß § 906 BGB nicht oder jedenfalls nicht entschädigungslos dulden müssten. Im Falle einer Duldungspflicht gegen Entschädigung wäre diese Verständigung dahin gegangen, dass sich ein dann gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bestehender Ausgleichsanspruch in einer adäquaten Minderung der vereinbarten Miete hätte niederschlagen müssen.“
Im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29.04.20202 hat der VIII. Zivilsenat eine Mietminderung aufgrund nachträglich erhöhter Geräuschimmissionen durch Dritte bei Fehlen anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen jedenfalls dann grundsätzlich ausgeschlossen, „wenn auch der Vermieter sie ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss (§ 906 BGB)“.
Der Mietvertrag der Parteien muss, wenn man eine Minderung hier – anders als der erkennende Senat – überhaupt von Rechten des Vermieters gegenüber dem Nachbarn abhängig machen wollte, jedenfalls ergänzend dahingehend ausgelegt werden, dass der Mietzins während der Beeinträchtigungen adäquat gemindert ist, wenn der Beklagte wegen der Hinnahme der Immissionen vom Emittenten Ersatz eines entsprechenden Mietausfallschadens beanspruchen kann.
Die von den Klägern geltend gemachte Minderung um 20 % „während der Abriss- und Neubauarbeiten am Nachbargebäude“ ist für den Zeitraum der Abriss-, Tiefbau- und Rohbauarbeiten danach nach Auffassung des Kammergerichts Berlin berechtigt.
Vorliegend wurde unstreitig am 12.03.2018 mit der Baustelleneinrichtung begonnen und am 20.03.2018 mit dem Gerüstaufbau, die Abrissarbeiten dauerten vom 27.03. bis 27.06.2018, vom 27.04. bis 15.05.2018 erfolgten überwiegend Aufräumarbeiten und die Baugrube wurde nach Mitte Mai 2018 erstellt, die Rohbauarbeiten dauerten von Herbst 2018 bis Ende 2019 und der Innenausbau findet seit Anfang 2020 statt, nachts und an Feiertagen sowie am 17./18.03.2018, am 10./11.05.2018, vom 16. bis 28.05.2018 sowie von Dezember 2018 bis Jahresbeginn 2019 wurde nicht gearbeitet.
Bei einem Bauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft sind keine überzogenen Anforderungen an den Vortrag zur Begründung einer Mietminderung zu stellen. Lärmprotokolle und Vortrag zu konkreten Lärmquellen sind nicht erforderlich. Ein Mieter muss nicht darlegen, wann an welchem Tag zu welcher Stunde welches Geräusch aus welcher Richtung in welcher Lautstärke kam und welches Ausmaß die Verschmutzung täglich einnahm, sondern bei Beeinträchtigungen durch ein Bauvorhaben kann unter Berücksichtigung des jeweiligen Ausmaßes eine feste Minderungsquote für die Dauer des Bauvorhabens zugesprochen werden. Das Kammergericht Berlin hat eine Minderung um 20 % bis 30 % wegen Lärm- und Schmutzbeeinträchtigungen durch umfangreiche Sanierungsarbeiten im gleichen Gebäude für angemessen erachtet.
Hiernach ist die geltend gemachte durchgängige Mietminderung um 20 % aufgrund der festgestellten Gebrauchsbeeinträchtigungen für den Zeitraum der Abriss-, Tiefbau- und Rohbauarbeiten, d. h. vom 12.03.2018 bis 31.12.2019 berechtigt. Einer Vernehmung der von den Klägern benannten Zeuginnen zum Ausmaß des Lärms und zu weiteren streitigen Umständen bedarf es nicht.
Der Klageantrag auf Rückzahlung von 6.828,39 EUR, nämlich von 20 % der (in Höhe von 2.700 EUR vereinbarten und monatlich unter Vorbehalt geleisteten) Bruttokaltmiete für den Zeitraum vom 12.03.2018 bis 31.03.2019 (12 Monate und 20 Tage) ist daher begründet. Die verlangten Rechtshängigkeitszinsen sind gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zuzusprechen.
Dem Klageantrag auf Feststellung, dass die Miete für die von den Klägern innegehaltenen Räume während der Abriss- und Neubauarbeiten am Nachbargebäude um 20 % gemindert ist, ist mithin für den Zeitraum bis zum 31.12.2019 stattzugeben, so das Kammergericht Berlin abschliessend.
Kammergericht Berlin, Urteil vom 17.09.2020 – 8 U 1006/20
ECLI:DE:KG:2020:0917.8U1006.20.00
- LG Berlin, Urteil vom 26.02.2020 – 5 O 101/19 [↩]
- BGH, Urteil vom 29.04.2020 – VIII ZR 31/18 [↩] [↩] [↩] [↩] [↩] [↩]
- BGH, Beschluss vom 08.05.2018 – XI ZR 538/17 [↩]
- BGH, Urteil vom 29.04.2015 – VIII ZR 197/14 [↩] [↩] [↩] [↩]
- Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Auflage, § 536 BGB Rn. 136b [↩]
- LG Berlin, Urteile vom 16.06.2016 – 67 S 76/16; vom 21.08.2019 – 64 S 190/18 [↩]
- LG Berlin, Urteil vom 18.10.2013 – 63 S 446/12 [↩]
- BGH, Urteile vom 16.07.2003 – VIII ZR 274/02; vom 06.10.2004 – VIII ZR 355/03; vom 17.06.2009 – VIII ZR 131/08; vom 23.09.2009 – VIII ZR 399/08; vom 17.02.2010 – VIII ZR 104/09; vom 29.02.2012 – VIII ZR 155/11; vom 20.06.2012 – VIII ZR 268/11; vom 05.06.2013 – VIII ZR 287/12; vom 21.02.2017 – VIII ZR 1/16; vom 22.08.2017 – VIII ZR 226/16 [↩]
- BGH, Urteil vom 23.04.2008 – XII ZR 62/06 [↩] [↩]
- BGH, Urteil vom 19.07.2016 – X ZR 123/15 [↩]
- BGH, Urteile vom 22.06.1988 – VIII ZR 232/87; vom 24.10.2007 – XII ZR 24/06 [↩]
- Börstinghaus, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Auflage, § 558 BGB Rn. 89; Artz, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, § 558 Rn. 31; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, 79. Auflage, § 558 Rn. 16 [↩]
- BGH, Urteil vom 19.12.2012 – VIII ZR 152/12 [↩]
- BGH, Urteil vom 29.04.2020 – VIII ZR 31/20 [↩]
- BGH, Urteile vom 21.09.1994 – XII ZR 77/93; vom 17.04.2002 – VIII ZR 279/01 [↩]
- BGH, Urteil vom 21.10.1983 – V ZR 166/82 [↩]
- BGH vom 23.04.2008 – XII ZR 62/06 [↩]
- LG Berlin, Urteil vom 16.06.2016 – 67 S 76/16 [↩]
- LG Berlin, Urteil vom 21.08.2019 – 64 S 190/18 [↩]
- LG Berlin, Urteil vom 09.01.2020 – 67 S 230/19 [↩]