Mittäterhaftung trotz Aufteilung der Steuerschuld

Gegen den Mittäter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung kann nach einem jetzt veröffentlichten Urteil des Bundesfinanzhofs auch dann ein Haftungsbescheid nach § 71 AO 1977 ergehen, wenn wegen Aufteilung der Steuerschuld nach §§ 268, 278 AO 1977 gegen diesen nicht als Steuerschuldner vollstreckt werden kann.

Nach § 71 AO 1977 haftet für verkürzte Steuern, wer eine Steuerhinterziehung begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Er kann gemäß § 191 AO 1977 durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.

Nach § 268 AO 1977 können Personen, die zusammen zu einer Steuer vom Einkommen veranlagt worden und deshalb Gesamtschuldner sind (§ 44 Abs. 1 AO 1977; also etwa Ehegatten bei der Einkommensteuer), beantragen, dass die Vollstreckung wegen dieser Steuern jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach Maßgabe der §§ 269 bis 278 AO 1977 bei einer Aufteilung der Steuern ergibt. Im Gesetz fehlt eine Aussage zu den Auswirkungen der Aufteilung auf das Steuerschuldverhältnis. § 278 Abs. 1 AO 1977 führt zu den Wirkungen der Aufteilung lediglich aus, dass die Vollstreckung nach der Aufteilung beschränkt ist und solange über den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung nicht unanfechtbar entschieden ist, dürfen nach § 277 AO 1977 Vollstreckungsmaßnahmen nur zur Sicherung eines Anspruchs durchgeführt werden. Wegen der systematischen Stellung der Bestimmungen über die Aufteilung der Steuerschuld geht die herrschende Meinung davon aus, dass die Aufteilung der Gesamtschuld lediglich zu einer Vollstreckungsbeschränkung führt. Sie wandelt die Gesamtschuld nicht in Teilschuldverhältnisse um; ein Gesamtschuldner bleibt auch insoweit Steuerschuldner, als der aufgeteilte Steuerbetrag auf andere Gesamtschuldner entfällt. Dennoch bewirkt die Aufteilung gemäß §§ 268 ff. AO 1977 nach ständiger Rechtsprechung des BFH, dass für die Verwirklichung des Anspruchs aus der gemeinsamen Steuerfestsetzung die Gesamtschuld im Ergebnis in Teilschulden aufgespalten wird. Der BFH hat die in §§ 268, 278 AO 1977 geregelte Vollstreckungsbeschränkung nicht nur auf Maßnahmen im engen vollstreckungsrechtlichen Sinn bezogen. Vielmehr müssen nach der Aufteilung alle Maßnahmen unterbleiben, die in ihrer Wirkung einer Vollstreckung gleichstehen. Deshalb ist nach Aufteilung einer Steuergesamtschuld von Ehegatten die Aufrechnung –sie ist Teil des Erhebungsverfahrens und insoweit von den Maßnahmen der Vollstreckung im Sechsten Abschnitt der AO 1977 zu unterscheiden– des FA gegenüber einem Ehegatten, auf den kein Rückstand entfällt, unzulässig. Zudem erledigt sich nach Ergehen des Aufteilungsbescheids das Begehren auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ohne Anordnung einer Sicherheitsleistung. Der Antrag auf AdV ist unzulässig, wenn bei einem Steuerbescheid gegen mehrere Steuerpflichtige die Vollstreckung auf den anderen Steuerpflichtigen beschränkt wird.

Allerdings steht der Umstand, dass der eine Ehegatte trotz der Aufteilung der Steuerschuld weiterhin Steuerschuldner, einer Haftungsinanspruchnahme für den auf den anderen Ehegatten entfallenden Anteil an der Gesamtschuld nicht entgegen.

Haftung im steuerrechtlichen Sinne bedeutet, dass jemand für die Erfüllung einer fremden Schuld mit seinem eigenen Vermögen einzustehen hat. Ein Steuerschuldner kann deshalb für dieselbe Abgabe grundsätzlich nicht Haftender im Sinne der steuergesetzlichen Haftungsvorschriften sein und umgekehrt. Steuerschuldner und Haftungsschuldner sind regelmäßig nicht personenidentisch, weil die Stellung als Steuerschuldner mit der eines Fremdhaftenden begrifflich unvereinbar ist.

Gleichwohl kann nach der Rechtsprechung etwa der Geschäftsführer einer GmbH als Haftungsschuldner für von der GmbH nicht abgeführte Lohnsteuer auch insoweit in Anspruch genommen werden, als die Steuer auf seinen eigenen Arbeitslohn entfällt. Begründet wird diese Ausnahme damit, dass er für die Haftungsschuld der GmbH und damit für eine aus seiner Sicht fremde Schuld, nicht dagegen für die eigene Lohnsteuerschuld in Anspruch genommen wird. Der Grundsatz, dass Steuer- und Haftungsschuldner nicht identisch sein können, gelte nur dann, wenn derjenige, der als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden soll, dieselbe Abgabe als Steuerschuldner zu entrichten habe. Zusätzlich zur Steuerschuldnerschaft komme es entscheidend auf die Zahlungsverpflichtung an, wenn die Eigenschaft als Steuerschuldner die gleichzeitige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen als Haftungsschuldner ausschließen soll.Der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH kann zudem auch für von der GmbH nicht abgeführte Kapitalertragsteuer als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, soweit die Steuer auf seine eigenen Kapitaleinkünfte entfällt.

Die trotz der Aufteilung der Gesamtschuld nach §§ 268 ff. AO 1977 fortbestehende Steuerschuldnerschaft des Ehegatten schließt seine Haftungsinanspruchnahme nicht aus. Wie bei der Geschäftsführerhaftung für von der GmbH nicht abgeführte Lohnsteuer auf den eigenen Arbeitslohn gilt der Grundsatz, dass Steuer- und Haftungsschuldner nicht personenidentisch sein können, nur in Fällen, in denen der Steuerschuldner auch Zahlungsverpflichteter ist. Ähnlich dem Arbeitnehmer, der als Steuerschuldner nicht mehr in Anspruch genommen wird, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten und sie dem FA angemeldet hat, ist auch der zusammenveranlagte Ehegatte nach Aufteilung nicht zur Zahlung der von ihm geschuldeten Steuer verpflichtet. Vielmehr trägt jeder Gesamtschuldner (Ehegatte) „seine“ Steuerschuld allein. Deshalb handelt es sich nicht um eine unvereinbare Personenidentität zwischen Schuldner und Haftendem, weil es zu keiner doppelten Inanspruchnahme ein und desselben Steuerpflichtigen aus Gründen der Haftung und der Steuerschuld kommen kann.

Für ein Nebeneinander von Schuld und Haftung sprechen auch Sinn und Zweck des § 71 AO 1977. Die Vorschrift hat Schadensersatzcharakter. Sie soll es der Finanzbehörde ermöglichen, Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung zum Ersatz des durch die Tat entstandenen Schadens heranzuziehen, ohne auf die §§ 823, 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zurückgreifen zu müssen. Würde man der Rechtsauffassung des Klägers folgen, könnte sich der Mittäter einer Steuerhinterziehung seines Ehepartners durch den Antrag auf gemeinsame Veranlagung und den Antrag auf Aufteilung der Steuerschulden gemäß § 268 AO 1977 der Haftung für die hinterzogenen Steuern entziehen. Das entspricht nicht dem Zweck der gesetzlichen Vorschrift.

Die Vorschriften über die Zusammenveranlagung von Ehegatten einerseits und der Aufteilung der Steuerschulden gemäß § 268 ff. AO 1977 andererseits verfolgen auch in ihrem Zusammenwirken nicht den Zweck, den Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung von seiner ohne die gemeinsame Veranlagung bestehenden Haftung aus § 71 AO 1977 und der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid freizustellen. Zweck der Aufteilungsvorschriften ist vielmehr, zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten nicht schlechter zu stellen als einen nicht zusammenveranlagten Steuerpflichtigen. Bei einer getrennten Veranlagung aber entsteht ein Steueranspruch nur aufgrund der eigenen Einkünfte; die Ehegatten sind nicht Gesamtschuldner. Im Streitfall hätte das FA nur die Einkommensteuerbescheide der Ehefrau geändert; die Haftungsinanspruchnahme des Klägers aufgrund seiner Beteiligung an der Steuerhinterziehung der Ehefrau wäre ohne weiteres möglich gewesen. Zutreffend weist das FG daher darauf hin, dass der Ausschluss der Haftung des Täters oder Teilnehmers einer Steuerhinterziehung trotz Aufteilung der Steuerschuld zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung zusammenveranlagter Ehegatten gegenüber einzeln oder getrennt veranlagter Personen führen würde.

Dass Steuer- und Haftungsschuldner auch nach der gesetzgeberischen Konzeption in Einzelfällen identisch sein können, folgt aus § 45 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Bei der Gesamtrechtsnachfolge durch Erbfall wird der Erbe selbst Steuerschuldner. Allerdings besteht die Möglichkeit, die Haftung des Erben (z.B. durch Nachlassverwaltung) auf den Nachlass zu beschränken. Nach § 45 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 bleiben jedoch Vorschriften, durch die eine steuerrechtliche Haftung der Erben begründet wird, unberührt mit der Folge, dass Erben, die nach § 71 AO 1977 für verkürzte Steuern haften, nicht nur mit dem auf sie übergegangenen Nachlass, sondern mit ihrem gesamten Vermögen für die Steuerschulden des Erblassers einstehen müssen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. März 2006 – X R 8/05

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