In Deutschland lebende Eltern können nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs das Schulgeld, das sie für den Schulbesuch ihres Kindes an eine schweizerische Privatschule zahlen, nicht als Sonderausgabe abziehen.
Der Gesetzgeber hat durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.20081 rückwirkend die Abziehbarkeit von Schulgeldzahlungen für in der Europäischen Union (EU) oder im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ansässige Privatschulen eingeführt. Hintergrund für die Neuregelung waren zwei Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union2, mit denen festgestellt wurde, dass es gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt, wenn ein Staat Schuldgeldzahlungen an inländische Schulen zum Sonderausgabenabzug zulässt, Zahlungen an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten jedoch nicht.
Dies gilt jedoch nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht im Falle von schweizerischen Privatschulen.
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG können 30 Prozent des Entgelts, das der Steuerpflichtige für ein Kind, für das er einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält, für den Besuch einer gemäß Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschule sowie einer nach Landesrecht anerkannten allgemein bildenden Ergänzungsschule entrichtet, mit Ausnahme des Entgelts für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung, als Sonderausgaben abgezogen werden.
Diese Voraussetzungen liegen unstreitig nicht vor, da die I-Schule weder eine genehmigte oder erlaubte Ersatzschule noch eine anerkannte Ergänzungsschule ist. Der Bundesfinanzhof hat zwar in seinen Urteilen vom 14.12.2004 – XI R 32/033 – und vom 05.04.2006 – XI R 1/044 – ausgeführt, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG eine Regelungslücke enthalte, die durch eine teleologische Extension für bestimmte, vor allem im Ausland belegene Schulen zu schließen sei. Diese Regelungslücke bezieht sich aber nur auf Sachverhalte, in denen die jeweiligen Schulen als solche aufgrund besonderer staatlicher Akte die Voraussetzungen einer Schule i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfüllten. So wurde die Deutsche Schule in Spanien in einem festgelegten Genehmigungsverfahren durch Beschluss der KMK als Deutsche Schule im Ausland anerkannt. In dem Verfahren in BFHE 213, 345 wurde die Europäische Schule in Brüssel zwar nicht durch eine nationale Behörde staatlich genehmigt. Sie erfüllte aber die Voraussetzungen, unter denen bei einer deutschen Schule eine Genehmigung zu erteilen gewesen wäre, und wurde durch den deutschen Gesetzgeber in einer Weise anerkannt, die einer staatlichen Genehmigung gleichkam. Entscheidend ist in allen Fällen, dass sich der staatliche Anerkennungsakt – sei es durch den Landesgesetzgeber, den Bundesgesetzgeber oder die KMK -, auf die Schule selbst bezieht. Ein Anerkennungsakt, der sich lediglich auf die von der Schule vermittelten Abschlüsse bezieht, genügt hingegen nicht5.
An einer vergleichbaren staatlichen Anerkennung der I-Schule fehlt es im Streitfall. Die Schule war zwar aufgrund eines Beschlusses der KMK ermächtigt worden, die Reifeprüfung nach der Ordnung für deutsche Reifeprüfungen an Privatschulen im deutschsprachigen Ausland abzuhalten. Dieser staatliche Anerkennungsakt bezieht sich aber nur auf den durch die I-Schule vermittelten Abschluss und nicht auf deren Status; er kann somit nicht zum Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG führen.
Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob die I-Schule die Voraussetzungen des Sonderungsverbotes gemäß Art. 7 Abs. 4 GG erfüllen würde6.
Ein Sonderausgabenabzug folgt auch nicht daraus, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG wegen des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten des EG-Rechts europarechtskonform im Sinne der EuGH-Urteile in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957, sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs7 auszulegen wäre.
Da die Schweiz weder Mitglied der EU noch des EWR ist, kommt als europarechtlicher Prüfungsmaßstab allein die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG, jetzt Art. 63 AEUV) in Betracht. Denn nur diese Grundfreiheit ist auch im Verhältnis zu Drittstaaten anwendbar8.
Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV) verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Es ist jedoch bereits zweifelhaft, ob der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit überhaupt eröffnet ist, da sich der Kapitalverkehr im Streitfall in der Bezahlung der durch die schweizerische Privatschule erbrachten schulischen Dienstleistungen erschöpft. Die EuGH-Rechtsprechung betrachtet den Transfer von Zahlungsmitteln dann nicht als Kapitalverkehr i.S. des Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV), wenn diesem Transfer – wie hier – „eine Zahlungsverpflichtung entspricht, die sich aus einer Transaktion auf dem Gebiet des Waren- und Dienstleistungsverkehrs ergibt“9.
Zudem ist bei der Entgegennahme von Dienstleistungen einer Privatschule nicht in erster Linie die Kapitalverkehrsfreiheit, sondern vorrangig die Dienstleistungsfreiheit in der Ausgestaltung der passiven Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) berührt. In seinen Urteilen in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957 hat der EuGH ausdrücklich dargelegt, dass steuerliche Regelungen, nach denen Schulgelder nur bei Zahlung an bestimmte Privatschulen im Inland, nicht aber an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten als Sonderausgaben einkommensteuermindernd berücksichtigt werden können, die in Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) gewährleistete Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigen.
Betrifft eine innerstaatliche Maßnahme sowohl den freien Dienstleistungsverkehr als auch den freien Kapitalverkehr, ist nach ständiger EuGH-Rechtsprechung zu fragen, inwieweit diese Maßnahme die Ausübung der betroffenen Grundfreiheiten berührt und ob unter den gegebenen Umständen eine der Grundfreiheiten hinter die andere zurücktritt. Stellt sich heraus, dass eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber untergeordnet ist und ihr zugeordnet werden kann, ist die in Rede stehende Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf die vorrangige Grundfreiheit zu prüfen10.
Diese Grundsätze gelten auch, so der Bundesfinanzhof, wenn die Kapitalverkehrsfreiheit betroffen ist. Sollte daher eine nationale Maßnahme neben Beschränkungen anderer den Unionsbürgern zustehenden Grundfreiheiten auch zu nachrangigen Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs führen, wären derartige Auswirkungen die unvermeidliche Konsequenz einer eventuellen Beschränkung der anderen Grundfreiheiten. Sie rechtfertigten keine Prüfung der betroffenen Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Art. 56 bis 58 EG11.
An der Nachrangigkeit der Kapitalverkehrsfreiheit ändert sich auch dann nichts, wenn die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit nur deshalb keine Anwendung finden, weil die Dienstleistung in einem Drittstaat ausgeübt wird12.
Im Streitfall berührt § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG derart überwiegend die Dienstleistungsfreiheit, dass der EuGH die mögliche Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit in seinen Urteilen in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957 nicht einmal erwähnt hat. Damit ist die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG, Art. 56 ff. AEUV) die Grundfreiheit, an der § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu messen ist. Auf diese Grundfreiheit können sich die in dem entschiedenen Fall klagenden Eltern im Verhältnis zu Drittstaaten – hier zur Schweiz – jedoch nicht berufen.
Ein Sonderausgabenabzug ergibt sich auch nicht aus der Übergangsregelung des § 52 Abs. 24a EStG n.F. in Verbindung mit dem FZA.
Gemäß § 52 Abs. 24a EStG n.F. gilt für Schulgeldzahlungen an Schulen in freier Trägerschaft oder an überwiegend privat finanzierte Schulen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat belegen sind, auf den das Abkommen über den EWR Anwendung findet, eine besondere Übergangsregelung. Danach ist § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes vom 13.12.200613 für noch nicht bestandskräftige Steuerfestsetzungen der Veranlagungszeiträume vor 2008 mit der Maßgabe anzuwenden, dass es sich nicht um eine gemäß Art. 7 Abs. 4 GG erlaubte Ersatzschule oder eine nach Landesrecht anerkannte allgemein bildende Ergänzungsschule handeln muss, sofern diese Schulen zu einem von dem zuständigen inländischen Ministerium eines Landes, von der Kultusministerkonferenz der Länder oder von einer inländischen Zeugnisanerkennungsstelle anerkannten oder einem inländischen Abschluss an einer öffentlichen Schule als gleichwertig anerkannten allgemeinbildenden oder berufsbildenden Schul-, Jahrgangs- oder Berufsabschluss führen.
Da die I-Schule in der Schweiz und damit weder in der EU noch im EWR belegen ist, könnten die Kläger nur dann den Sonderausgabenabzug beanspruchen, wenn sich dem FZA insoweit ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit den EU/EWR-Staaten entnehmen ließe, der einer nationalen Steuerregelung vorginge und bei deren Auslegung entsprechend zu berücksichtigen wäre.
Den Klägern ist darin zuzustimmen, dass das FZA als solches grundsätzlich bei der Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu beachten ist. Gemäß Art. 300 ff., Art. 310 EG (jetzt Art. 216 f. AEUV) ist das FZA Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung und stellt die Handlung eines Gemeinschaftsorgans dar. Damit nimmt der Abkommensinhalt, der für die Organe der Union und die Mitgliedstaaten verbindlich ist (vgl. Art. 216 Abs. 2 AEUV), am Vorrang des EG-Rechts gegenüber nationalem Recht teil und bewirkt im Fall einer abkommenswidrigen innerstaatlichen Vorschrift deren Nichtanwendbarkeit14.
Aus dem FZA ergibt sich jedoch kein Anspruch darauf, das an die schweizerische I-Schule geleistete Schulgeld ebenso wie das an in der EU bzw. dem EWR belegene Privatschulen gezahlte Schulgeld als Sonderausgaben abziehen zu können.
In Bezug auf die Geltung eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Verhältnis zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU und der Schweiz ist zu berücksichtigen, dass Art. 2 FZA zwar vom Grundsatz der Nichtdiskriminierung handelt, aber nicht generell und absolut jede Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen einer der Vertragsparteien, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Partei aufhalten, verbietet. Unzulässig sind lediglich Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit, und das auch nur, soweit die Situation dieser Staatsangehörigen in den sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen der Anhänge I bis III dieses Abkommens fällt15.
Das FZA schützt die Kläger nicht in ihrer passiven Dienstleistungsfreiheit.
Das FZA verfolgt zwar gemäß Art. 1 Buchst. b FZA das Ziel, die Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Schweiz zu erleichtern sowie kurzzeitige Dienstleistungen zu liberalisieren. Art. 5 Abs. 3 FZA gewährt zudem Personen, die als Dienstleistungsempfänger im Sinne des Abkommens anzusehen sind, ein Einreise- und Aufenthaltsrecht in Bezug auf das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien. Art. 23 des Anhangs I des FZA enthält weiterhin besondere Bestimmungen über die Aufenthaltserlaubnis für Dienstleistungsempfänger. Das FZA und seine Anhänge enthalten jedoch keine spezifische Regelung, „wonach Dienstleistungsempfängern der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Rahmen der Anwendung fiskalischer Regelungen über gewerbliche Transaktionen, die eine Dienstleistung zum Gegenstand haben, zugutekommt“16. Infolgedessen hat es der EuGH als mit dem FZA vereinbar angesehen, einen schweizerischen Staatsangehörigen, der Empfänger einer Dienstleistung in einem EU-Mitgliedstaat ist, bei der Erhebung einer für diese Dienstleistung geschuldeten Abgabe anders zu behandeln als einen Unionsbürger.
Davon ausgehend umfasst das FZA ebenso nicht den Schutz der passiven Dienstleistungsfreiheit in den Fällen, in denen in der Schweiz erbrachte Dienstleistungen von einem Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats entgegengenommen werden. Diese Dienstleistungen, wie im Streitfall die Leistungen der I-Schule, dürfen infolgedessen in dem EU-Mitgliedstaat, hier in Deutschland, steuerlich anders behandelt werden als Leistungen, die von innerhalb der EU bzw. des EWR ansässigen Schulen erbracht werden.
Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, das FZA schütze sie gegen eine Beeinträchtigung ihrer allgemeinen Freizügigkeit gemäß Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV).
Zwar kann in den Fällen, in denen die betroffenen Dienstleistungen nicht unter Art. 49 ff. EG (jetzt Art. 56 ff. AEUV) fallen, die allgemeine Freizügigkeit gemäß Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) berührt sein. Deshalb hat der EuGH in den beiden Urteilen in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957 die allgemeine Freizügigkeit durch eine Regelung als verletzt angesehen, welche zwar ermöglicht, Schulgeldzahlungen an bestimmte Schulen im Inland als Sonderausgaben einkommensteuermindernd zu berücksichtigen, dies aber für Schulgeldzahlungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell ausschließt17.
Es ist bereits zweifelhaft, ob das FZA eine Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) vergleichbare umfassende Freizügigkeit gewährt, da nach Art. 2 FZA nur Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit verboten sind, und das auch nur, soweit die Situation dieser Staatsangehörigen in den sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen der Anhänge I bis III dieses Abkommens fällt18.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Vorschriften der in Anhang I des FZA geregelten Freizügigkeit, die eine Gleichbehandlung fordern, ist erkennbar, dass die Gleichbehandlung nur im Zusammenhang mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern (Art. 9 Abs. 2 FZA), von Selbstständigen (Art. 15 Abs. 1 FZA) sowie von Dienstleistungserbringern (Art. 19 FZA) postuliert wird.
Diese Bereiche sind jedoch im Streitfall, in dem es um den Besuch einer Privatschule geht, nicht einschlägig. Die Kläger sind Dienstleistungsempfänger und keine Dienstleistungserbringer. Auch ist weder der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) noch der der Niederlassungsfreiheit in Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) betroffen. Hierzu hat der EuGH in seinem Urteil in Slg. 2007, I-6849 ausdrücklich dargelegt, dass Eltern, die in einem Mitgliedstaat einkommensteuerpflichtig sind und ihre Kinder zur Schulausbildung in eine Privatschule in einem anderen Mitgliedstaat schicken, dort aber keiner abhängigen Beschäftigung oder wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen –so wie im Streitfall die Kläger–, weder von ihrem Recht Gebrauch machen, eine abhängige Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, noch von ihrem Recht, sich dort als Selbstständige niederzulassen19.
Vor allem aber schließt Art. 16 Abs. 2 FZA die Anwendung der aktuellen EuGH-Rechtsprechung zur allgemeinen Freizügigkeit im Zusammenhang mit dem Besuch einer Privatschule aus.
Soweit für die Anwendung des FZA Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, wird gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 FZA nur die Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens, dem 21. Juni 1999, berücksichtigt. Um das ordnungsgemäße Funktionieren des FZA sicherzustellen, stellt der nach Art. 14 FZA eingesetzte Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen der nach diesem Datum ergangenen EuGH-Rechtsprechung fest. Damit ist grundsätzlich die Gleichwertigkeit der wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem FZA auf der Basis der anzuwendenden Begriffe des Gemeinschaftsrechts, zu denen neben der Dienstleistungsfreiheit auch die Freizügigkeit gehört, unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens zu beurteilen. Später ergangene Entscheidungen des EuGH zu inhaltsgleichen Bestimmungen können wegen dieses statischen Verweises dagegen nicht zur Auslegung des Freizügigkeitsabkommens herangezogen werden, soweit der Gemischte Ausschuss dies – wie im Streitfall – nicht beschlossen hat. Infolgedessen gibt das FZA eine qualitativ-zeitliche Begrenzung zur Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung vor20.
Dem steht die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung des Art. 6 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWRA) vom 2. Mai 1992 (BGBl II 1993, 267) nicht entgegen. Zwar sind nach Art. 6 EWRA die Bestimmungen des Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des EG-Vertrags und der aufgrund dieses Vertrags erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes vor der Unterzeichnung dieses Abkommens auszulegen. Dennoch sieht der EuGH die Notwendigkeit, darüber zu wachen, dass die Vorschriften des EWRA, die im Wesentlichen mit denen des EG-Vertrags identisch sind, einheitlich ausgelegt werden21.
Der EuGH hat in seiner jüngeren Rechtsprechung zum FZA indes ausdrücklich betont, das FZA sei unterzeichnet worden, nachdem die Schweizerische Eidgenossenschaft am 6. Dezember 1992 das Abkommen über den EWR zurückgewiesen hat. Damit sei das Vorhaben eines integrierten wirtschaftlichen Ganzen mit einem einheitlichen Markt, gestützt auf gemeinsame Regeln für seine Mitglieder, abgelehnt worden. Die Schweiz habe es vielmehr vorgezogen, in bestimmten Bereichen bilaterale Vereinbarungen mit der Union und ihren Mitgliedstaaten abzuschließen. Die Schweiz sei damit nicht dem Binnenmarkt der Union beigetreten, so dass die den unionsrechtlichen Bestimmungen über den Binnenmarkt gegebene Auslegung nicht automatisch auf die Auslegung des Abkommens übertragen werden könne, sofern dies nicht im Abkommen selbst ausdrücklich vorgesehen sei22.
Da es demgegenüber gemäß Art. 1 EWRA Ziel des Abkommens ist, einen homogenen Wirtschaftsraum zu schaffen, unterscheidet sich das EWRA grundlegend vom FZA. Die Rechtsprechung des EuGH zum EWRA kann daher, selbst wenn sie zu fast wortgleichen Vorschriften ergangen ist, insofern nicht ohne weiteres übertragen werden.
Die EuGH-Urteile vom 11.09.2007 in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957, auf die sich die Kläger berufen, haben nicht lediglich eine bereits vor dem 21.06.1999 existierende gefestigte EuGH-Rechtsprechung präzisiert.
Der EuGH verweist in diesen Urteilen, in denen er aus der durch Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) geforderten Inländergleichbehandlung den Anspruch auf die gleiche steuerliche Behandlung von Schulgeldzahlungen ableitet, lediglich auf solche Entscheidungen, die nach dem 21.06.1999 ergangen sind, nämlich insbesondere auf die Urteile vom 20.09.2001 – Rs. C-184/99 [- Grzelczyk -]23; vom 11.07.2002 – Rs. C-224/98 [- D’Hoop -]24 und vom 02.10.2003 – Rs. C-148/02 [- Garcia Avello -],25. Bereits dies zeigt, dass eine entsprechende vor dem 21. Juni 1999 ergangene Rechtsprechung fehlte.
Zudem hat der EuGH in zwei anderen Entscheidungen zu Fragen des Schulgelds, die vor 1999 ergangen sind, im Zusammenhang mit der Erbringung von Schul- und Hochschulleistungen lediglich die Dienstleistungsfreiheit, nicht aber das Recht auf allgemeine Freizügigkeit als betroffen angesehen26. In dem Urteil in Slg. 1988, 5365 konnte das Recht auf allgemeine Freizügigkeit bereits deswegen kein Prüfungsmaßstab sein, weil Art. 8a Abs. 1 EG a.F.27 erst durch den Vertrag über die Europäische Union vom 07.02199228 in den EWG-Vertrag eingefügt wurde.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.05.12 – X R 3/11
- BGBl. I 2008, 2794 [↩]
- EuGH, Urteile vom 11.09.2007 – Rs. C-76/05 – [Schwarz und Gootjes-Schwarz – Slg. 2007, I-6849]; Rs. C-318/05 [Kommission gegen Deutschland – Slg. 2007, I-6957] [↩]
- BFHE 209, 40 [↩]
- BFHE 213, 345 [↩]
- siehe auch BFH, Urteil vom 09.11.2011 – X R 12/10, BFH/NV 2012, 566 [↩]
- vgl. dazu BFH, Urteile vom 17.07.2008 – X R 62/04, BFHE 222, 428, und vom 21.10.2008 – X R 15/08, BFH/NV 2009, 559 [↩]
- BFH, Urteile in BFHE 222, 428, und in BFH/NV 2009, 559 [↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 18.12.2007 – Rs. C-101/05 – A -, Slg. 2007, I-11531, Rz 20 ff. [↩]
- EuGH, Urteil vom 31.01.1984 – Rs. C-286/82 [- Luisi und Carbone -], Slg. 1984, I-377, Rz 22 [↩]
- so EuGH, Urteile vom 01.07.2010 – Rs. C-233/09 [- Dijkman und Diekmann-Lavaleije -], Slg. 2010, I-6649, Rz 33, und vom 03.10.2006 – Rs. C-452/04 [- Fidium Finanz AG -], Slg. 2006, I-9521, Rz 34, m.w.N. [↩]
- jetzt Art. 63 bis 65 AEUV; siehe EuGH, Urteil vom 25.10.2007 – Rs. C-464/05 [- Geurts und Vogten -], Slg. 2007, I-9325, Rz 16 [↩]
- siehe jüngst auch Schlussanträge der Generalanwältin Verica Trstenjak vom 20.03.2012 – Rs. C-31/11 [- Scheunemann/FA Bremerhaven -], www.curia.europa.eu, Rz 62 f., m.w.N. [↩]
- BGBl. I 2006, 2878 [↩]
- so zu Recht BFH, Beschluss vom 07.09.2011 – I B 157/10, BFHE 235, 215 [↩]
- EuGH-Urteil vom 15.07.2010 – Rs. C-70/09 [- Hengartner/Gasser -], IStR 2012, 338, Rz 39 [↩]
- EuGH, Urteil in IStR 2012, 338, Rz 40 [↩]
- EuGH, Urteile in Slg. 2007, I-6849, Rz 99, und in Slg. 2007, I-6957, Rz 137 [↩]
- EuGH, Urteil in IStR 2012, 338, Rz 39 [↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 2007, I-6849, Rz 33 [↩]
- ebenso BFH, Beschluss in BFHE 235, 215, Rz 33 [↩]
- EuGH, Urteil vom 23.02.2006 – Rs. C-471/04 [- Keller Holding GmbH -], Slg. 2006, I-2107, Rz 48, m.w.N. [↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 12.11.2009 – Rs. C-351/08 [- Grimme -], Slg. 2009, I-10777, Rz 27; vom 11.02.2010 – Rs. C-541/08 [- Fokus Invest -], Slg. 2010, I-1025, Rz 27 f. [↩]
- Slg. 2001, I-6193, Rz 31 [↩]
- Slg. 2002, I-6191, Rz 28 [↩]
- Slg. 2003, I-11613, Rz 22 und 23 [↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 27.09.1988 – Rs. C-263/86 [- Humbel und Edel -], Slg. 1988, 5365, und vom 07.12.1993 – Rs. C-109/92 [- Wirth -], Slg. 1993, I-6447 [↩]
- die Vorgängervorschrift der Art. 18 EG und Art. 21 AEUV [↩]
- BGBl. II 1992, 1253 [↩]