Stellt das Finanzamt im Rahmen einer Betriebsprüfung oder Umsatzsteuersonderprüfung Mängel in der Kassenführug fest, wird es für den Steuerpflichtigen immer gefährlich.
Unter Anderem drohen – ggfls. neben anderem Unbill – Hinzuschätzungen zu den Einnahmen, wenn bei der Kassenführung Ungereimtheiten auftreten.
Was war passiert?
In dem entschiedenen Fall betreibt die Klägerin einen griechischen Imbiss, dessen Gewinn sie in den Streitjahren 2012 bis 2014 durch Einnahmenüberschussrechnung ermittelte. Die erklärten Gewinne betrugen für die Streitjahre jeweils ca. 30.000 €. Zur Erfassung der Bareinnahmen verwendete die Klägerin eine elektronische Registrierkasse, für die sie die täglichen Bonrollen aufbewahrte. Im Rahmen einer Betriebsprüfung führte der Prüfer zunächst Geldverkehrsrechnungen durch, die lediglich geringfügige Unterdeckungen ergaben. Ferner stellte er fest, dass die Klägerin während des dreijährigen Prüfungszeitraums an insgesamt fünf Tagen einzelne Barumsätze nicht in der Kasse erfasst hatte. In der Gesamtsumme beliefen sich die nicht enthaltenen Beträge auf knapp 100 €. Darüber hinaus wurden an neun weiteren Tagen Kassenbewegungen um ein bis wenige Tage verspätet in der Kasse verbucht. Nach Auffassung des Prüfers waren die Aufzeichnungen nicht ordnungsgemäß und es bestand eine Schätzungsbefugnis. Hierzu nahm der Prüfer eine Ausbeutekalkulation für einen Teil des Warensortiments der Klägerin vor und schätzte im Übrigen anhand der amtlichen Rohgewinnaufschlagsätze. Dies führte im Ergebnis in etwa zu einer Verdreifachung der erklärten Gewinne.
Die Entscheidung:
Das Finanzgericht Münster hat der Klage weitgehend stattgegeben und die Hinzuschätzungen auf die in der Kasse nicht erfassten Beträge von knapp 100 € begrenzt.
Die vom Betriebsprüfer festgestellten Kassenführungsmängel führten nicht dazu, dass die Aufzeichnungen der Klägerin insgesamt verworfen werden könnten.
Die Aufzeichnungen der Klägerin sind nach dem Gesamtbild aller Umstände des Einzelfalls nicht formell ordnungswidrig. Lediglich soweit die gewinnwirksamen Beanstandungen des Betriebsprüfers reichen, ist das Ergebnis der Kassenführung nicht zu übernehmen.
Für buchführungspflichtige Steuerpflichtige gilt, dass eine Buchführung (erst) dann formell ordnungswidrig ist, wenn sie wesentliche Mängel aufweist oder die Gesamtheit aller unwesentlichen Mängel diesen Schluss fordert1.
Maßgebend ist das Gesamtbild aller Umstände im Einzelfall. Ob ggf. nur unwesentliche formelle Buchführungsmängel vorliegen, unterliegt den Regeln der freien Beweiswürdigung; formelle Mängel berechtigen nur dann zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln2. Demzufolge kann eine Buchführung trotz einzelner Mängel nach den §§ 140 bis 148 AO aufgrund der Gesamtwertung als formell ordnungsmäßig erscheinen. Insoweit kommt der sachlichen Gewichtung der Mängel ausschlaggebende Bedeutung zu (so auch der AEAO zu § 158). Jedenfalls dann, wenn vorwiegend Bargeschäfte getätigt werden, können Mängel der Kassenführung den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit nehmen2.
Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass die Klägerin ihren Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahmenüberschussrechnung ermittelt. § 4 Abs. 3 EStG selbst enthält – mit Ausnahme des hier nicht einschlägigen § 4 Abs. 3 Satz 5 EStG – keine Regelungen über den formellen Mindestinhalt der Aufzeichnungen, die bei dieser Gewinnermittlungsart zu führen sind. Eine ordnungsgemäße Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG setzt lediglich voraus, dass die Höhe der Betriebseinnahmen bzw. der Betriebsausgaben durch Belege nachgewiesen wird; eine förmliche Aufzeichnungspflicht besteht hingegen nicht3. Eine Aufzeichnungspflicht betrifft Steuerpflichtige mit einer Einnahmen-Überschussrechnung damit nur, soweit aus anderen Gründen zu Besteuerungszwecken Aufzeichnungen gefordert werden, etwa aufgrund weiterer Steuergesetze, wie z. B. nach § 22 UStG4. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 UStG ist jeder Unternehmer verpflichtet, zur Feststellung der Umsatzsteuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu machen. Aus den Aufzeichnungen müssen die vereinbarten – bzw. in den Fällen des § 20 UStG die vereinnahmten – Entgelte für die vom Unternehmer ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen zu ersehen sein (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 und 5 UStG). Die Aufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmers und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten und die Grundlagen für die Steuerberechnung festzustellen (§ 63 Abs. 1 UStDV). Dabei darf der Unternehmer das Entgelt und den Steuerbetrag in einer Summe – statt des (Netto‑)Entgelts allein – aufzeichnen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UStDV). Am Schluss jedes Voranmeldungszeitraums hat der Unternehmer u. a. die Summe der Entgelte zu errechnen und aufzuzeichnen (§ 63 Abs. 3 Satz 3 UStDV). Außerdem sind gemäß § 146 Abs. 1 AO in der im Streitjahr noch geltenden Fassung (vor den Änderungen durch das Gesetz vom 22.12.2016, BGBl I 2016, 3152) die erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden. In diesem Zusammenhang hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass sich in Fällen der Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung auch aus den Vorschriften des § 22 UStG und des § 63 UStDV keine Pflicht zur Führung eines Kassenbuchs ergibt. Bei dieser Gewinnermittlungsart gibt es keine Bestandskonten und somit auch kein Kassenkonto. Vereinnahmtes Geld wird sofort Privatvermögen. Die Feststellung eines Kassenbestands, für den bei einer Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich ein Kassenbuch erforderlich ist, kommt nicht in Betracht5.
Nach diesen Grundsätzen führen nach Auffassung des Finanzgerichts Münster die von dem Betriebsprüfer festgestellten Mängel angesichts ihres geringen sachlichen Gewichts und ihrer geringen Häufigkeit nicht dazu, dass die Aufzeichnungen der Klägerin wesentliche Mängel aufweisen. Die von dem Betriebsprüfer beanstandeten Geschäftsvorfälle fallen weder im Vergleich zur Gesamtheit der im Betrieb der Klägerin anfallenden Geschäftsvorfälle, die der Beklagte selbst auf 25.000 bis 30.000 pro Jahr schätzt, noch angesichts ihrer Gewinnwirksamkeit ins Gewicht (2012: 11,94 €; 2013: 22,64 €; 2014: 59,15 €). Auch die aufgrund dieser Mängel möglicherweise nicht gegebene Kassensturzfähigkeit beschränkt sich auf einzelne, vorübergehende und kurze Zeiträume, die kein solches sachliches Gewicht aufweisen, dass die Aufzeichnungen als nicht mehr formell ordnungsmäßig zu betrachten sind. Schließlich kann die Klägerin zwar Bestellbelege von Lieferdiensten nicht vorlegen. Allerdings räumt der Beklagte selbst ein, dass nicht feststellbar sei, in welcher Höhe aus diesem Umstand Mehrumsätze aufgedeckt werden könnten. Die Abrechnungen zwischen dem jeweiligen Lieferdienst und der Klägerin liegen vor. Es ist nicht davon auszugehen, dass die von einem Dritten – dem Lieferdienst – abgerechneten (provisionspflichtigen) Bestellungen hinter den durch die Bestellbelege ausgewiesenen Umsätzen zurückbleiben.
Es besteht – so das Finanzgericht Münster weiter – nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass, die sachliche Richtigkeit der Kassenaufzeichnungen über die festgestellten Mängel hinaus zu beanstanden. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens konnte das Finanzgericht Münster nicht die Überzeugung gewinnen, dass die in den Gewinnermittlungen ausgewiesenen Ergebnisse unmöglich den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen können und demzufolge die Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung zu ermitteln wären. Im Ergebnis erweist sich die Ausbeutekalkulation des Betriebsprüfers als derart fehlerhaft, dass sie bereits einer Hinzuschätzung bei feststehender Schätzungsbefugnis nicht zugrunde gelegt werden könnte. Erst recht kann mit ihr daher keine Schätzungsbefugnis begründet werden.
Im Ergebnis sind Hinzuschätzungen nur in Höhe der gewinnwirksamen Beanstandungen des Betriebsprüfers vorzunehmen. Diese betragen für 2012 11,94 €, für 2013 22,64 € und für 2014 59,15 €. Im Übrigen sind die Hinzuschätzungen des Beklagten nicht gerechtfertigt, so das Finanzgericht Münster abschliessend.
- BFH, Beschluss vom 02.12.2008 – X B 69/08 [↩]
- BFH, Urteil vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 [↩] [↩]
- BFH, Urteil vom 12.12.2017 – VIII R 6/14, BFH/NV 2018, 606 [↩]
- BFH, Beschluss vom 12.07.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523; BFH, Urteil vom 12.02.2020 – X R 8/18, BFH/NV 2020, 1045 [↩]
- BFH, Beschluss vom 12.07.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 [↩]